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Extrablatt des „Elbeblatt und Anzeiger". A«-gegebe« Dien-tag, de« 4. Juni, Nachmittag» 4 Uhr. Lu die Spitze unserer heutigen Nachrichten über die LttentatS-Affaire können wir die erfreuliche Meldung vün dem den Umständen nach zufriedenstellenden Befinden unseres Kaiser» stellen. Das officielle Bulletin vom Montag Nachmittag 4'/, Uhr lautet: . Das Befinden Sr. Majestät des Kaisers und Königs ist im Laufe des heutigelt Tages befriedigend. Allerhöchstderselbe hat etwas Nahrung zu sich genommen und auch kurze Zeit geschlafen. vr. Lauer. Langenbeck. Wilms. Geh. Rath Liman bezeichnete um 10 Uhr Abends den Zustand des Kaisers als einen solchen, welcher zu ernsten Besorgnissen keine Veranlassung mehr giebt. Dem „Berl. Tagebl." entnehmen wir folgende, von ein«« medizinischen Gewährsmann über den Zustand de» Kaiser» und über die Stadien, welche sein Be finden durchlaufen hat, gegebene authentische Mitthci- lungen: ,Iaum war der Kaiser in das Palais znrückge- kehrt, als sich ihm die Herren Geheimer Rath Liman und Physikus Sanitätsrath vr. Levin zur ersten Hülfeleistung darboten. Sie constatirtcn folgende Verwundungen: 1) An der Innenseite des rechten Vorderarmes 7 buckelförmige erbsengroße Erhöhungen, von Schrot schüssen hrrrührend. 2) Am linken Vorderarm bis hinauf zur Schulter etwa 20 ebensolche Wundmale. 3) Am Nacken etwa K und 4) An der linken Kopsseite und im Gesicht 5 oder S ähnliche Wundmale. i E» war nicht zu eonstatiren, ob überall Schrot- Ksmer sich in den Wunden befänden, da einzelne der Wundmale auch bloße Hautabschürfungen darstellten und ersichtlich verschiedene Schrotkörner abgeprallt waren, ohne in den Körper einzudringen. Der Helm war von den Schrotkörnern durchbohrt, di« Innenseite des Mantels stark blutig. Ri-sa, de« 4. Juni 1878. Der Kaiser wurde alsbald auf ein Bett gelegt, verlor keinen Augenblick die Besinnung, legte eine be- wundernswerthe Seelenstärke an den Tag und traf mit vernehmlicher Stimme alle Anordnungen, welche die Umstände erforderten. Hierauf erschien Leibarzt vr. v. Lauer, Professor Wilms und Geheimrath Langenbeck, welche den ersten Verband anlegten, nachdem der Kaiser auf seinem Bette in sein blaues Zimmer getragen worden. Um fünf Uhr wurde der zweite Verband angelegt. Die Aerzte fanden die Geschwulst schon bedeutend ge sunken. Während Anfangs der Puls schwach gewesen war, hatte er sich jetzt wieder auf seine normale Höhe gehoben. Der Kaiser nahm etwas Bouillon und Thee zu sich. In der Nacht hatte der Kaiser kein Fieber und schlief vrrhältnißmäßig ruhig. Früh Morgens um 7 Uhr nahm er eine Taffe Thee zu sich. Früh Morgens um 9 Uhr wurde der dritte Verband angelegt. Die Operation, obgleich sie längere Zeit erforderte, ließ der Kaiser geschehen, ohne eine Schmerzcnsäußerung kundzugeben. Leibarzt vr. v. Lauer und auf dessen besonderen Wunsch Physikus vr. Levin verbrachten die Nacht im Palais." Gestern Vormittag 10 Uhr 14 Minuten traf die Kaiserin mit der Frau Großherzogin von Baden im Palais ein. Die Kunde voin Erscheinen Ihrer Maje stät hatte sich mit Windeseile durch die Stadt ver breitet und Tausende von Menschen nach der Behren straße geführt. Die Kaiserin saß tief gebeugt, voll ständig in Schwarz gehüllt, im verschlossenen Wagen, ihr zur Linken die Frau Großherzogin von Baden, thränengcfüllten Auges auf die Menge schauend, die ehrfurchtsvoll vor dem von einem Vorreiter eröffneten Zuge auswich. — Erschütternd soll es gewesen sein, als die Kaiserin und die Großherzogin von Baden in daS Krankenzimmer des Kaisers geführt wurden. Außerdem traf gestern Vormittag noch der Groß herzog von Baden, gestern Nachmittag der Reichskanzler Fürst Bismarck und gestern Abend der Kronprinz und die Kronprinzessin ein. Ueber die Ergebnisse der Vernehmungen, welche mit dem Attentäter Nobiling stattfanden, ist folgendes Nähere zn berichten: Um Nobiling zum Geständniß zu be wegen, rief man seine Mutter herbei, weil man hoffte, durch die Rührung des Wiedersehens den Schwerbe lasteten zu einem umfangreichen Geständniß zu bewegen. Als die Mutter in Gegenwart der StadtgerichtSräthe Johl und Hollmann, des Oberstaatsanwalts v. Luck, des Staatsanwalts Tessendorf rc. zn ihm geführt wurde, richtete sie folgende Frage an ihn: „Hast Du Geld ver sprochen bekommen oder erhalten, wenn Du den Kaiser erschießt?" — „Nein!" — „Hat Dich das Loos ge troffen?" — „Ach Gott!" — Staatsanwalt Teffen- dorf: „Sie wolle» also damit die Frage bejahen, daß Sie das Loos getroffen?" — „Ja." — Staatsanwalt Tessendorf:„Es ist also ein Complott?" — „Ja"—Staats anwalt Tessendorf: „Mr sind Ihre Mitschuldigen?" — „Das darf ich nicht sagen." — Herzzerreißend sollen die Angstrufe der Mutter gewesen sein, die ihm wiederholt zu rief : „Karl, Karl, Du stehst bald vor dem Richterstuhle GotteS. Um Gotteswillen erleichtere Dein Herz, nenne Deine Mitschuldigen, ehe es zu spät ist!" Doch der Verbrecher gab keine Antwort; er schien bereits die Be sinnung verloren zu haben, brach auch kurz darauf ohnmächtig zusammen. In politischen Kreisen wurde ernstlich die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit betont, daß in Folge des Attentats auf den Kaiser der Reichstag nach Pfingsten zu einer außerordentlichen Session einbeuifen werden soll. Es verlautet außerdem, daß der Ministerrath mit dieser Frage und Angelegenheit sich bereits beschäftigt haben soll. Man wollte wissen, daß die Regierung dem Reichs tage eine Vorlage wegen Suspension einzelner öffent licher Rechte, wie die Presse und das Vereins- und Versammlungsrecht zu machen gedenke. Ueber die Sache selbst wird indessen erst nach der inzwischen erfolgten Rückkehr des Reichskanzlers Fürsten Bismarck eine de finitive Entscheidung getroffen werden. Privatim ist hierher gemeldet worden, daß der Reichskanzler nach Eintreffen der Depesche von dem zweiten ruchlosen Attentate auf de» Kaiser seiner Entrüstung nicht Worte genug habe geben können. Druck und Verlag von Langer L Winterlich in Riesa. — Für die Redaktion verantwortlich: T. Langer in Riesa.