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schwerwiegend« Beschlüsse geführt. Pr«ß« hat bei dem BunoeSrath« unter vnmfuna auf den Artikel 24 der Reich-Verfassung die Auflösung des bisherigen Reichs tage« beantragt. Der Autraa ist vom Fürsten Bismarck unterzeichnet und wird dadurch begründet, daß die Regierung nicht hosten könne, daß die Mehrheit des gegenwärtigen Reichstages ihre Zustimmung zu ander- wettigen Maßregeln gegen du Socialdemokraten geben «erde, nachdem derselbe Reichstag da- Ausnahme-Gesetz gegen hie sociqldemokratischeu Ausschreitungen verworfen habe. Da nun der Bunde-rath seiner Zeit dem Aus nahme-Gesetze seine Zustimmung gewährt hatte, so hat er auch, wie vorauSzusehen war, den Antrag Preußens auf AufivsnngdeS RruhstageS genehmigt. Wahrscheinlich wird der Reichstag dann wenige Wochen nach seiner Auflösung von Neuem gewählt und wir wünschen bezüglich der künftigen ReichStagSwahlen nur, daß sich die reichs treuen Parteien nicht unter einander befehden, sondern, die Pflicht der staatserhaltenden Elemente erkennend, sich gegen die Umsturzparteien verbinden mögen. Nur auf diese Weise kann die Auflösung des Reichstage- zum Guten führen. — DaS öffentliche Gewissen im deutschen Reiche regt sich seit dem zweiten Attentate auf den Kaiser in emer anerkennenSwerthen Weise. Bitt- und Dankgottesdienste wegen d«S bedrohten Monarchen fanden bi- einschließlich an den Pfingstfeiertagen in allen Orten Deutschllmtw statt und der Abscheu über die Unthat und die Partei, welche als intellektuelle Urheberin der selben angesehen wird, ist im deutschen Volke eine all gemeine. Verkommene Subjrcte fanden sich leider zwar an vielen Orten, welche an da- Attentat auf den Kaiser schmähende Aeußerungen knüpften, doch diesen fast zu Thieren herabgesunkeneu Menschen ist stets der Lohn für ihre Abscheulichkeiten geworden. Nachdem an ihnen häufig erst ein Lynchgericht vorgenommen worden war, wurden sie den Behörden überliefert, die bereits an den meisten ein Exempel statuirt haben. — Der Kron prinz hat mit einem glücklichen Acte seine Regierungs arbeiten begonnen. Er hät dem Fürsten Bismarck den Auftrag gegeben, den Cultusminister zum Bleiben zu bestimmen. Darauf hielt Fürst Bismarck dem Minister Falk vor, daß in diesen kritisches Augenblicken alle Minister einig sein müßten. Dieses Zureden des Reichs kanzlers und der mrSdrückliche Wunsch deS Kronprinzen verursachten, daß der Minister Falk seine Rücktritts gedanken gänzlich aufgegeben hat. Durch das Bleiben dieses hervorragende« Ministers ist die Situation auch wesentlich aufgeklärt. Denn eS ist dadurch der Be weis geliefert, daß der Reichskanzler keine Reaktion im Sinne hat. — Wir stehen gegenwärtig unmittelbar vor dem Congreffe, der die Onentfrage zu Erledigung bringen soll. Die Vertreter der Vertragsmächte sind bereits in der deutschen Hauptstadt angekommen und es herrscht unter ihnen eine so friedliche Stimmung, als wenn sie sich über die Theilung der Türkei bereits geeinigt hätten. Jedenfalls ist unter den Diplomaten der Großmächte viel guter Wille vorhanden, die Orient frage friedlich zu lösen, sonst würden sie, nach dem schwierigen Zustandekommen des LongreffeS zu urtheilen, letzt nicht hoffnungsvoll nach Berlin eilen. Der greise Fürst Gortschakoff, der vieljährige Kanzler Rußlands, welcher lange Zeit krank darnieder lag, hat sich auch nach Berlin zum Eongreffe begeben, so daß eS fast scheint, als ob das Zustandekommen des CongresseS den greisen Diplomaten wieder gesund gemacht habe. — Ehe der französische Minister der auswärtigen Angelegen heiten, Herr Waddington, nach Berlin zum Congreffe reiste, gab er in den Sammern erst einige Erklärungen Über die Lage der Orientkrisis und die Stellung Frankreichs zu derselben ab. Bezüglich deS CongresseS sei eine Einigung unter den Großmächten erzielt worden und Frankreich leist« der Einladung Deutschlands, am Eongreffe theilzuuehmen, Folge. Unter diesen Umständen sei die Erhaltung des europäischen Friedens fast gewiß. Bezüglich der CongreßberaHungen hätte Frankreich den Vorbehalt formulirt, daß die Frage betreffend Egypten, den Libanon und die heiligen Otte nicht in dre Be- rathungen gezogen würden. Frankreich werde an dem Eongreffe theilnehmen, ohne sich von Sonderbestrebungen leiten zu laffen, ausschließlich erfüllt von dem Wuusche, den Frieden zu wahren. Such sprach der Münster Waddington die Hoffnung auS, daß man sich auf dem Eongreffe daran erinnern werde, daß auf der Balkanhalbinsel auch noch andere Christen als bulgarische wohnten. Diese Auslassungen des französischen MrnisterS gebe« ein ziemlich günstige- und wie eS scheint auch treues Bild von der Situation, wie sie der Eongreß vorfindet. Herr Waddington erntete auch den Beifall der Kammer für seine Erklärungen. — Rumänien und Griechenland befinden sich bezüglich deS Eongreffe- in einer sehr schlimmen Lage, denn sie konnten bis jetzt keine Großmacht finden, die sich ihrer annahm. Be sonder- ist unter diesen Umständen Rumänien zu be dauern, welches wider sein« Sill« wahrscheinlich Bessarabien an Rußland abtrete» muß. Der rumänische Ministerpräsident Bratiano erklärte zwar, daß er nicht begreifen könne, wie Europa Rumänien zwing« könne, arg« Abtretung Bessarabiens an Rußland die Dobrudscha anzunehmen, aber wenn keine Großmacht für Rumänien energisch eintritt, so wird sich die ru mänische Regierung den russischen Anforderungen wohl fügen müssen. Me Minister deS Auswärtigen von Rumänien und Gritchenland haben sich übrigen- nach Berlin begeben, wo sie während der Dauer deS Ton- greffeS blnben werden. — Die Türkei wird, obwohl sie zwei Vertreter nach Berlin gesandt hat, ruhig zu- fehen müssen, wie man ihr« Provinzen theilt. Auch hat die Türkei Rußland nachgegeben, indem sie die Räumung SchumlaS bewilligt hat, Varna will sie jedoch vorläufig noch behalten. Tagesgeschichte. Deutsche- Reich. Morgen, am 13. Juni, werden in Berlin im Palais d«S deutschen Reichskanzlers die Vertreter der europäischen Mächte versammelt sein, welche dahin übereingekommen sind und zugestimmt haben, daß eine Regelung der orientalischen Frage in friedlicher Weise erfolgen möge. Mit allgemeiner Ge- nugthuung dürfte diese Nachricht begrüßt werden, daß die Aussichten auf Gelingen des schwierigen Werkes sich immer günstiger gestaltet haben. Man soll nament lich in Berlin die von dem französischen Minister des Auswärtigen ausgesprochene Meinung, der Friede sei gesichert, m jeder Weise theileu und man giebt sich der Hoffnung hin, der Kongreß werde von kurzer Dauer sein, da nur die Grundzüge der Neugestaltung der Verhält nisse auf der Balkanhalbinsel und die russische Kriegsent schädigung festgestellt werden sollen. Auch läßt dre Zu versicht, welche aus allen Hauptstädten dem Gelingen des Friedenswerkes entgegengetreagen wird, darauf schließen, daß die Großmächte über formelle Verabredungen hinaus sind und dieGrundzüge einesProgrammes festgestellt haben. Die Abgesandten der Kabinette sind bereits zum großen Theil erngetrofsen. Von den sieben betheiligten Groß mächten sind 19 Delegirte entsandt, von Italien und Frankreich je 2, von den übrigen je 3. Der ganze diplomatische Stab zählt 71 Köpfe, , von denen je 10 auf Deutschland, Oesterreich, Frankreich, 17 auf Eng land, 7 auf Italien, 9 auf Rußland und 8 auf die Türkei kommen. England. London, 8. Juni. Ein gräßliches Kohlengruben-Unglück wird aus Wigan gemeldet. Am 7. d. Vormittags 11 Uhr fand in einer Zeche der Firma Richard Evans u.Co. eine Explosion schlagender Wetter statt. Zweihundert und fündig Arbeiter waren in der Grube beschäftigt, al» die Explosion erfolgte und gegen ü Uhr Mittags waren nur 18 derselben lebend anS Tageslicht gebracht. Man hät bis jetzt keine Tobten geborgen, allein es darf fast mit Sicherheit angenommen werden, daß etwa 230 Menschenleben ver loren sind. Die Ursache der Explosion ist ein Geheimniß, da kein Schießpulver in der Grube verwendet werden darf und nur verschlossene Sicherheitslampen gestattet sind. Ein Warringtoner Berichterstatter meldet: DaS erste Anzeichen des schrecklichen Unglücks war das Auf steigen von Rauch auS dem Jörderschacht und bald zeigte es sich, daß die Befürchtungen der Aufseher nur allzu gerechtfertigt waren. Die Explosion war so intensiver Natur, daß der Erdboden im Umkreise einer Meile wie bei einem Erdbeben erzitterte. Ein gleich großes Un glück hat im Distrikt noch nie stattgefunden und der Verlust an Menschenleben ist der größte, den Lancashire seit Jahr« zu beklagen hatte. Einer der Unterauf seher, NamenS Tutton, ließ sich fünf Minuten nach er folgter Explosion auf Gefahr seines Lebens in die Grub« hinab ; ihm auf dem Fuße folgten Herr Karl Pilkington, eines der jüngeren Mitglieder der Firma und zwei weitere Angestellte. Eine zweite Explorations- Parne hielt nach einer anderen Seite hin Umschau; ein trauriger Anblick bot sich ihnen dar. Zehn Leute wurden gerettet und lebend zu Tage gebracht; einer derselben starb kurz darauf und einige Andere schienen bedeutend gelitten zu haben. Aerztliche Hülfe war unterdessen von allen Seit« her eingetroffen, allein kurz darauf meldete auch ein Abgesandter der Ex- plorationSpattie, daß mit Ausnahme der schon er wähnten 10 Geretteten und weiteren 8 Leuten, die in einer Nebengrube beschäftigt gewesen, alle übrigen Arbeiter getödtet worden seien. Der Verlust an Menschenleben erreicht die Höhe von 232. Die Grube ist 250 UardS tief und hat den Namen,,Florida." Die Leichen sind gräßlich verstümmelt und mcht wieder zu erkennen. Die Angehörigen derselben umstehen den Schacht und hoffen, wo keine Hoffnung mehr ist. Segen Mitternacht denkt »au alle deich« zu Tag« gefördert zu haben. Rußland. Die Kaisen« von Rußland ist sehr schwer erkrankt. Ein vorgestern in St. Petersburg ver öffentlichtes vom Leibarzt der Kaiserin, vr. Botkin, unterzeichnete- Bulletin theilt mit, daß die Kaiserin am 3. an einem Fieber erkrankt ist, welche« an d« darauf folgenden Tag« Symptome einer exsudativ« Entzündung der Pleura (Rippenfellentzündung) fylgt«. — Rach dem am 11. Juni veröffentlichten vom 10. datirten Bulletin über das Befinden der Kaiserin hat der fieberhafte Zustand abgenomm«, die Anhäufung deS Exsudats in der Pleura hat flch nicht vermehrt, die Nacht war weniger uuruhig, dagegen hat die Schwäche zugenommen. Zum Attentat ms -m Kaiser. Die vorliegenden Bülletin» lass« erfreulicher Wesse erkenne», daß der Gesundheitszustand de- Kaiser- sich fortdauernd und regelmäßig bessert. Gestern wurde« folgende BülletinS auSgegeben: Se. Majestät der Kaiser und König fühlen sich vurch die Nachtruhe wiederum gekräftigt und haben nach beendigtem Verbände da- Bett verlasse« und den Lehn stuhl eingenommen. Die Wunde» sind der Mehrzahl nach geheilt, der rechte Arm ist noch geschwollen, gegen Berührung aber weniger empfindlich als bisher. Berlin, 11. Juni 1878, Vormittags 10'/, Uhr. vr. v. Lauer, vr. v. Langenbeck. Or. WilmS. Seine Majestät der Kaiser und König haben cinm großen Theil des heutigen Tage- bei geöffnetem Fenster rm Lehnstuhl sitzend zugebracht und, Sich am Genuß der frischen Luft erquickt. Anderweitig« Veränderungen sind während deS TageS nicht zu vermerken. Berlin, 11. Juni 1878, Abend- 10'/, Uhr. vr. v. Lauer, vr. v. Langenbeck. Or. WilmS. - Zum ersten Male in seinem Leben hat der Kaiser am Montage einen Schlafrock angelegt, denn bis dahin hatte er sich die Bequemlichkeit eines solch« Hauskleides nicht verstattet gehabt ; er pflegte vielmehr gleich am frühen Morgen die Uniform anzulegen und bis zu dem Moment anzubehalten, in welchem er sein Lager zur nächtlichen Ruhe aufsuchte. Der Schlafrock, der dem kaiserlichen Patienten von seiner Tochter, der Großherzogin von Baden überreicht worden ist, hat keine Aermel, um das Anlegen ohne Unbequemlichkeit für den verwundet« Arm zu ermöglichen. „Ich komm« mir gar zu komisch darin vor", soll der Kaiser geäußert haben, nachdem er den Schlafrock zum ersten Male angezogen hatte, und doch scheint ihm derselbe recht angenehm zu sein, denn er pflegt sich mit merklich^« Behagen in das weiche, weite Hauskleid einzuhülle«. Di« Tendenz in der Besserung trat auch im Lansr deS gestrigen TageS so bestimmt hervor, daß man dw Möglichkeit ins Auge gefaßt hat, den hohen Patient« vielleicht heute schon kurze Zeit auf der Veranda seine- Palais verbringen zu laffen, damit er dort ein wenig frische Luft schöpfe. Der Kaiser legt wieder Interesse für Alles, was das Land und die Politik betrifft an den Tag. Ex wird am Tage daS Bett nicht mehr aufsuchen. Die behandelnden Aerzte sind jetzt sämmtlich übrreingekommen, die Schrstkörner und Rehposten, von denen der Kaiser getroffen worden ist, ruhig im Körper z« belass«. ES hatten sich anfangs gewichtige Stimmen für eine Operation erhoben. Geheimrath Lanzenbeck, der stch dagegen aussprach, ist schließlich mit seiner Ansicht durch gedrungen. — Zwischen heute und morgen wird der Verkehr für Wagen und Fußgänger vor dem Palai freigegeben werden. Bon den Verstärkung-Mannschaften der Neu« Wache werden 12 Mann zur unmittelbaren Be wachung deS Kaisers imPalai» verwandt, welche selbstverständig mit scharfes Munition versehen sind. Die Krankheit NobiliugS nimmt ein« normale» Verlauf. Der Zustand deS Kranken zeigt eine Besserung, doch kann von der BeruehmungSfähigkeit vorläuslg noch keine Rede sein. Bon gut unterrichteter Seite will ein Reporter über die Erklärungen NobilingS bei seiner am vorigen Sonntag stattgehabten erst« unb einzigen gerichtlichen Vernehmung folgende, da- bisher Bekannte vervollständigende Mittheilungen er halten haben. Nobiling erklärte ausdrücklich, «S be-, stände eine ausgedehnte Verbindung, welche die Ermordung des Kaisers bezweckte. Er habe seinen Plan in einer hiesigen Kneipe mit Ander« besprochen, welche ihn „geblllizt" haben. Nach einer Paus« sagte er nochmals: Ich habe den Plan mit Mehreren besprochen, die demselben „zugestimmt" haben; ich habe mich erboten vorzugehen. (Bei der großen Eile, mit welcher da- Protokoll abgefaßt wurde, damit N. dasselbe noch mit