Volltext Seite (XML)
Beilage zum „Nve-latt und Anzeiger". so. Tagesgtschichte. DentscheS Reich. Berlin, 16. Februar. Der dem Reichstage zugegangene ReichShauShaltSetat für daS EtakSjahr 1879/80 balancirt in Ausgabe und Einnahme mit 549187 537 M. (gegen daS Vorjahr mehr 12 490 737 M.) Von den Ausgaben sind 423 285 736 M. (7 776 981 M. mehr) fortdauernde, 125 901801 M. (4 713 756 M. mehr) einmalige. Durch Anleihen sind 73 428422 M. (7 591843 M. weniger), durch Matricularbeiträge 101345 405 M. (13 999 889 M. mehr) aufzubringen. Die Zeitungen melden, daß der Kultusminister, um die große Ungleichheit der auf die Ferien der Volks schulen bezüglichen Bestimmungen zu beseitigen, eine neue Ferienordnung für Volksschulen erlassen habe. Zur Ergänzung dieser Mittheilung kann dienen, daß die gesammte Ferienzeit auf 63 Tage bemessen werden soll. Nach den neueren Bestimmungen über das Ver fahren bei Anmeldung und Prüfung der Versorgungs ansprüche invalider Mannschaften vom Feldwebel ab wärts darf derjenige, welcher einen solchen Anspruch geltend macht, dies nur thun, indem er sich an den Bezirksfeldwebel oder das Bezirtscommando wendet. Der Antrag ist, wenn er mündlich erfolgt, an dazu besonders anzuberaumenden und in jedem Bezirke fest zustellenden Tagen und Stunden anzubringen. Die Be theiligten werden daher gut thun, sich um diese Zeiten genau zu kümmern, damit sie sich gegen Nachtheile wahren. Der Antragsteller hat auch die Beweisstücke (Militärpaß n. s. w.), durch welche er seinen Antrag begründet oder unterstützt, mit zur Stelle zu bringen. Die in Jnvalideuangelegcnheitcn Bescheide erthcilcnden Behörden sind der Reihe nach das Landwchrbezirks- commando, das Generalcommando, das Kriegs ministerium. Jedes Rekursgesuch ist unter Beifügung sämmtlicher, in den Händen des betreffenden Militär invaliden befindlichen Militärpapiere u. s. w. an das Landwehrbezirkscommando einzusenden, welches letztere das Gesuch nebst den dazu gehörigen Acten auf dem Instanzenwege weiter befördert. Eben so erfolgt auch die Rücksendung. Gesuche, welche unmittelbar an die höhere Behörde gelangen, werden kurzer Hand porto pflichtig dem Einreicher zurückgesandt. Der „Reichs-Anzeiger" schreibt: Die Gesundheits commission in Dünkirchen beschloß, daß alle vom Schwarzen und Asowschen Meere kommenden Schiffe, selbst wenn sie mit einem Gesundheitspässe versehen sind, als verdächtig eine Quarantäne von mindestens fünf Tagen durchzumachen haben. Im Reichstag soll, wie verlautet, binnen Kurzein von den Schutzzöllnern ein selbstständiger Antrag auf Wiedereinführung der Eisenzölle eingebracht werden. Es circuliren seit einigen Tagen Gerüchte, welche eine theilweise Ministerkrise in Aussicht stellen. Ins besondere werden der Finanzminister Hobrecht und der Handelsminister Maybach als diejenigen Cabinetsmit- glieder genannt, deren Stellung als erschüttert bezeich net wird, da sie die Anschauungen des Fürsten Bis marck in der wirthschaftlichen Tagesfrage nicht theilen. Großbritannien. London. In sämmtlichen englischen Arsenalen werden die Vorbereitungen für die Entsendung von Verstärkungen nach dem Cap mit, größter Rührigkeit betrieben. Bier der größten Dampfer der Cunard-Flottille werden von der Admi ralität in Dienst gestellt, um die Truppen nach Afrika zu befördern. — Aus Calcntta wird gemeldet, daß die indische Regierung sich erboten habe, ein Truppcn-Con- tingcnt nach dem Cap zu schicken. Eine Anzahl der feiernden Hafenarbeiter in Liver pool hat dem Wunsche nach einer Verständigung mit de» Arbeitgebern Ausdruck gegeben; dieselben sind bereit, annehmbare Bedingungen zu stellen. Am 15. dss. ist die Kronprinzessin des deutschen Reichs bier angekommen und vom Prinzen und Prin zessin von Wales am Bahnhof empfangen und alsbald nach deren Residenz in Marlborough-House geleitet worden. In Dover war die Frau Kronprinzessin vom Herzog von Edinbourg und dem deutschen Botschafter, Grafen Münster, empfangen worden. Türkei. Mit der endlich erfolgten Unterzeichnung des russisch-türkischen Friedens, mit der Uebergab? von Sputz, Podgoritza und Zabliac an Montenegro und mit der Räumung der an die Türkei zurückfallenden Gebietstheile seitens der Montenegriner sind die wesent lichsten Schwierigkeiten beseitigt, welche sich der von den europäischen Mächten beschlossenen Ordnung der Orientverhältnisse bisher in den Weg stellten, und jedenfalls darf daS bislang Erreichte als eine gewisse Bürgschaft für den raschen Fortgang und der ent DienStag, dm 18. Februar 1879. SS. Jahrg sprechende» Lösung der noch zu erfüllenden Aufgaben betrachtet werden. Die im Spizza-Gebiete liegenden, noch immer von montenegrinischen Truppen besetzten Festungen Haj, Nehaj, Tajn, Spizza und Valovira sollen nunmehr von österreichischen Truppen besetzt werden. Auf die im Vertrage von San Stefano aus bedungenen Kriegsentschädigungen für Rumänien, Ser bien und Montenegro ist russischerseits mit dem Hinweise auf die inzwischen eingetretene Unabhängigkeit jener Länder verzichtet worden, denen überlasten bleiben müsse, sich selbst mit der Pforte auseinanderzusetzen. Da nach den Bestimmungen deS Berliner Vertrages Rumänien, Serbien und Montenegro einen ihrer Ge bietserweiterung entsprechenden Theil der türkischen Staatsschuld zu übernehmen haben, so wird die der- einstige Ausführung dieser Bestimmung die geeignete Gelegenheit znr Abrechnung bieten. Amerika. Washington, 13. Februar. Eine Depesche aus Kingston von gestern meldet alarmirende Unruhen auf Haily, ebenso Ruhestörungen unter den Negern von Saint Vincent. Die Teplitzer Heilquellen in Gefahr. Die Wastercalamität in Böhmen umfaßt, wie sich leider herausgestellt hat, einen weit größeren Bereich, als noch vor einigen Tagen vorausgesetzt wurde, da neben den Duxer und Offeger Braunkohlenwerken auch die Teplitzer Heilquellen in großer Gefahr schweben. Am 13. Februar verflechte infolge der Dux-Osteger Katastrophe die Stadt Teplitzer Urquelle, wovon das Stadlbad, Fürstenbad, Herrenhaus, Kaiserbad und Sofienbad gespeist wurden. Die nach Teplitz entsendeten Geologen hoffen auf das Wicdererscheinen derselben; dennoch ist die Bestürzung der Bevölkerung über alle Beschreibung groß. Das Theater, der Maskenball, der sonnabendliche Gewerbeausstellungs-Ball sind ab gesagt worden. Am Nachmittage des 13. d. wurden gegen 80,000 Gulden Sparkaffeneinlagen erhoben. Am 14. Abends mußte die Leitung der Sparkaste ein Aushülfs-Darlehn von 100,000 fl. von der böhmischen Escomptebank kommen lasten, und kaum war das Geld angekommen, so war es auch schon vergriffen. Die Bevölkerung der niederen Schichten fürchtet nämlich, daß die Sparcafle, welche große Hypothekarposten auf Teplitzer Häusern ausstehen hat, im Falle des Aus bleibens der Quellen in Verlegenheit kommen könnte, und fordert mit Ungestüm ihre Einlagen zurück. Die Bangigkeit und Angst um die Sparkasse ist eine un begründete und existirt wohl nur bei erhitzten Ge- müthern. Der nachstehende, dem Leipz. Tagebl. zuge gangene Brief aus Teplitz giebt eine getreue Schilderung der dortigen Lage, wie sie am ersten Tage, wo die Hiobspost sich verbreitete, vorherrschend war. Das vom 14. Februar datirte Schreiben lautet: „Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Schreckensnachricht durch unsere Stadt, daß die Stadtquelle ausgeblieben sei, und schon in den ersten Morgenstunden strömten Hunderte von Menschen dem Stadtbade zu. Bor den Eingängen fand man Polizeimänner postirt, die Nie mandem, außer nur Standespersonen, Zukitt gewähren sollten. Dies war für die Menge das sicherste Zeichen, daß etwas Außergewöhnliches geschehen sei. Da half kein Zurückhalten mehr, das barscheste Wort der Polizei blieb ungehört, man wollte Gewißheit haben, man wollte wissen, ob es wirklich wahr sei, daß die eigene Existenz und mit ihr die Existenz so vieler Mitbürger gefährdet sei. In fieberhafter Aufregung und Spannung eilte man die Stiegen hinab zum Bassin, um da leider in Wirklichkeit mit eigenen Augen zu sehen, was man vorher kaum zu glauben wagte. Die Urquelle rieselte nur noch schwach, der Wafferstand im Bassin, welcher sonst normalster 104 Centimeter betrug, war bedeutend herab gesunken, kein Hahn eines Bades gab mehr Master. Und wie hier, so auch in den benachbarten Fürsten bädern, dem Herrenhausbad, in dem im Vorjahr Se. Majestät der deutsche Kaiser badete. Eine wahre Panik bemächtigte sich der gesammten Bevölkerung, Angst und Schrecken malte sich aus jedem Antlitze. Sofort wurde aus Mitgliedern des Stadtverordneten-CollegiumS eine Permanenz-Commission gebildet, welche unablässig den Wafferstand und die Wärme des Masters in den Duxer Schächten und den Teplitz-Schönauer Bädern beobachten und zu untersuchen hat. Nun die Beob achtungen des WafferstandeS in den Teplitzer Bädern konnten nicht von langer Dauer sein, fortwährend Kahm der Wafferstand nn Bassin des Stadtbades ab, in der Stunde um 6—7 Centimeter, und heute Morgens sah man nur noch das leere Bassin. Gestern Abend noch langte der berühmte Geologe Laube (em Teplitzer) von Prag und heute als von der Regierung abgesandter Sachverständiger der Geologe Wolf, Professor der geologische» ReuhSanstalt auS Wien, hier an. Beide sollen bis jetzt derselben An sicht sein, di« auch von hiesigen hervorragenden Sach verständigen bereits ausgesprochen wurde, daß daS in die Kohlenwerke eingedrungen« Master nicht dasselbe sei, welches den Teplitzer Bädern zufloß, daß es jedoch, so lange eS noch gespannt war, den nvthige» Druck auf die Teplitzer Quellen auSgeübt habe. Dadurch nun, daß das Master zwischen Dux und Osteg in den Kohlenwerken einen Zufluchtsort gefunden, habe der Druck auf die Teplitzer Quellen aufgehört, und so komme es, daß diese jetzt nicht mehr zu Tage treten. Verloren seien sie keinesfalls, doch müßten sie gehoben werden, und ebenfalls sei es nun Haupt aufgabe, alle Mittel und Wege anzustrengen, um das Wasser zunächst aus dem Döllinger Schacht, wo das Wasser ausbrach, auszupumpen und das Aus- flußloch zu verstopfen." Die Aufregung unter den Bewohnern ist begreif licherweise eine unbeschreibliche; sieht sich doch der größte Theil der Bevölkerung in seiner Zukunft be droht; die Duxer Katastrophe ist, wenn sie auch noch größer wird, heute vollständig Nebensache, dort handelt eS sich nur um den Verlust Einzelner, daS Kohlen quantum ist spielend, leicht ersetzbar, — hier handelt es sich um das Wohl einer ganzen, blühenden Stadt und deren Umgebung, hier müssen, wenn nöthig, dem Staate und der Bevölkerung keine Opfer zu groß er scheinen, um wieder in Besitz der Heilquelle zu kommen, die Millionen von Menschen schon die Gesundheit wiedergegeben hat. Vermischtes. * Eine wahre Ziegengeschichte, so sich zugetragen . hat vor ca. 14 Tagen in der Kaiserstadt Berlin, wird ' von der „Nat.-Ztg." erzählt. Wir befinden unS in der Wohnung eines jungen reichen Ehepaares. DaS reizende, 13 Monat« alte Töchterchen — der Abgott der Eltern — ist vor einigen Tagen „entwöhnt" worden, in Folge dessen leidend und abgemagert. Medicinen verschlimmern nur das Uebel; endlich verordnete der ge wiegte Hausarzt frische Ziegenmilch. Frische Ziegen-^ milch! woher nehmen und nicht stehlen? In Berlin pflegt gerade dieser Heilnahrungssaft gewöhnlich - einige Tage frisch zu sein. Aber die Gesundheit deS Kindes steht auf dem Spiel; da heißt es, sich kurz resolviren. Es wird beschlossen, Sendboten in die um liegenden Ortschaften nach Schöneberg, Pankow, Char- lottenburg rc. hinausschicken, mit dem Auftrage, um jeden Preis ein „Ziegenthier" zu acquiriren. Ein Commis, zwei Hausdiener und Fritz, der ingeniöse Lehrling der Finna, theilen sich in die Umgebung der Residenz, mit den nöthigen Vollmachten und Mitteln ausgerüstet. Vater und Mutter erleben inzwischen Stunden peinlicher Ungeduld; — da endlich — nach langem Hanen kommt, als der Erste, Fritz, der Lehrling, in einer Droschke minderer Klasse angefahren, und . . . , aus dem Fenster des Gefährtes tönt freundliches Meckern und wallt ein ungeheurer Knebelbart. Fast wäre der entzückte Vater ihm um den Hals gefallen — dem Lehrling natürlich,— der, als er athemlos droben in der Wohnung angekommen, zunächst Rechnung über seinen Einkauf legen will; großmüthig jedoch wird ihm zu dem in seinen Händen befindlichen Ueberschuß noch ein Geldstück hinzugeschenkt. Eine hochgradige Auf regung hat sich des ganzen Hauses bemächtigt; während der wohlbezahlte Droschkenkutscher drunten das kostbare ' Thier mit Vorsicht aus dem Wagen hebt, ist der Lehr ling die Stiegen schon wieder hinabgestürzt und be fördert es in einen auf dem Hofe errichteten provi- orischen Stall; Guste, die Dienende für Alles, welche ich umfassender landwirthschaftlicher Kenntmsse ge rühmt hat, eilt eben dahin, und Alles harrt des großen Momentes, in welchem die Kleine das erste Glas frischer Ziegenmilch an die Lippen führen wird. Plötzlich erscheint die weise waltende HauSmagd mit entsetzten Mienen und schreckensbleichem Antlitz wieder in der Stallthür. Allgemeine Erstarrung; der Hausherr nur ermannt sich nach einem tiefen Äthem- zuge zu der ängstlichen Interpellation: „Ja, Auguste, Sie sagten doch, daß Sie, mit den Ziegen umzugehen wissen! Können Sie denn die Ziege nicht melken?" „Die nicht!" entgegnete Ancilla stotternd. „Der dumme Junge hat sich ja einen Bock anschmieren .lasten!"