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L . T - r» §? Z -L- Z V S r» Z yesitralstelle. Dr. med. E Roese, die seltene AuSzelchaung der großen goldenen Medaille für hervorragende wissenschaftliche Leffttinge» verliehen." . —* U n w e t t e r n a ch r i ch t e n. Durch den gestern nach mittag >nZ>er sechsten Stunde mit dem Nein i tt r r austretenden deftigen esturm wurde vom dritten Stock eines Hauses der Ostra-Allee ein Fenster nebst Umrahmung hera ti gert! sen. — Ohne zu zünden oder sonstwie Schade» anzu- richlen, schlug, der Blitz wenige Minuten vor 5 Uhr nachmittagü in einen unbesetzten Straßenbahnwagen am S ch u st er bau S. der — wie übrigens alle Motorwagen — mit einer treff lich funktionierenden Vorrichtung gegen Blitzgesahr versehen war, welch letztere den Strahl zur Erde leitete. Ter während des Gewitter» niedergehende ergiebige fliegen brachte hier einen zum Glück nur spärlichen Schlokeufall »nt. — In Pillnid lind dagegen die Schlöben so stark gefallen wie seit langem nicht! — Lion auswärts liegen noch folgende Nachrichten über das gestrige Unwetter vor: In der Freiber « er Gegend ging gegen 4 Uhr ein wolkenbruchartiger Regen, verbunden mit einem äußerst heftigen Gewitter, nieder, wobei eS wiederholt einge schlagen hat. Um 5 Uhr erreichte das Unwetter den Höhepunkt. Dazu gesellte sich noch ein orkanartiger Sturm, der einen starken RegenmitHagelvermischtuiederpeitschte. Auch in L a u ! i g k wütete ein fürchterliches Unwetter, das groben Schaden anrichlete. Zahl reich« Fenster wurden zerschlagen und eine grobe Anzahl Bäume vom Sturme entwurzelt. Die tiefer gelegenen Gebäude hatten durch das einströmende Wasser viel zu leiden. In Plauen i. V. richtete, wie schon in einem Teile der Morgenausgabe ge meldet, ein Unwetter ebenfalls groben Schaden an. Es wurde plötzlich dunkel, dann brach ein gewaltiger Sturm mit Gewitter los. Wolkenbruchartig ging der Regen nieder. Der Schaden an Obstbäumen. Widern und Anlagen ist bedeutend, Zahlreiche Bäume wurden entwurzelt, auch wurden vielfach die Kornpuppen sortgeschwemmt. Schweren Schaden richtete das Wetter auch in Gera und in der Umgebung an. Die elektrischen Leitungen sind stark beschädigt. — In Philippsdorf bei Reugers- darf schlug der Blitz in die Scheune des Hausbesitzers Rudolph neben dem Gasthaus zum En,ael. Die Scheune, welche viele Ernlevorräte barg, brannte vollständig nieder. —* Bon der Postverwaltnng ist eine Verschmelzung der B ri e s b e st c l I bez i r k e der Postämter 9 lNeumarkt) und 4(Freiderger Strabe) mit dem des H auptpo st a m ts in Aussicht genommen. Man hasst dadurch eine raschere Zu stellung namentlich der von auswärts hier eingehende» Brief- AuStragnng abgesertigt werden. Im angenommene» Falle lasse» sich jedoch die Zeiten für die Vorbereitung der zu bestellenden Briefe bedeutend kürze», wenn deren Uebersnhrung nach beiden Zilialoofläintem sich erübrigt. Nach weiterhin beleaenen Stadlvost- ämtenr die Sache anszudehnen ist deshalb nicht in Betracht gezogen worden, weil die Entfernungen, welche die Besteller bis ins Revier dann znrückziilcgcii hätten. ;u grobe wären. Lins diesen« Grunde Hat man wohl auch den Gedanken ansacgeben, sämtliche Briefe für die Altstadt uninittelbar vom Hanptpostamte bestelle» zu lassen. —* Zum Färbcrstrcik. Der Deutsche Textilarbeiter-Berbanv rechnet jedenfalls mit einer längeren Tauer des Streiks, denn ver Zeutraloorstand dieses Verbandes, erläßt in der neuesten, hellte erschienenen Nummer des offiziellen Verbandsorgans einen Aufruf an alle Ortsverwalkungen und Mitglieder des Ver- bandes, daß der Zentralvorstand angesichts des schweren Kampfes in der Färberbranche im sächsisch-thüringischen Bezirk beschlossen habe, ans die Dauer von 4 Wochen eine Extra st euer von 20 Psg. für die männlichen und 10 Psa. sür die weiblichen Mit glieder pro Woche zu erheben. In dem Aufruf wird hervor- gehoben, daß es das erste Mal seit Bestehen des Verbandes sei, daß an die Leistungsfähigkeit der Textilarbeiter solche Ansorde- riingen gestellt werden. — InGreiz macht sich der Stillstand der Färbereien in den Webereien jetzt derart fühlbar, daß ein zelne Abteilungen der Fabriken orachlicgen. Wenn am 19. August sie Betriebe der Webereien geschlossen werden müssen, so werden davon zunächst nicht bekrönen die Stuhlmeister, Markthelfer, Leimer. Bäumer, Schererinnen, Putzercunen usw. Die Schließung beträfe vielmehr nur die Stuhlarbeiter. Da aber in Greiz etwa 12000 Wevstühle vom l9. August an stillsteben wurden,' so kann man sich einen Begriff machen von den Un summen, die von diesem Tage an nicht verdient werden. Zur Zeit wird von den Angestellten in den Färbereien in Greiz und in Mohlsdorf sleißig gearbeitet. Der Kundschaft ist durch ein Rundschreiben mitgeteilt worden, daß die Musterkollektionen baldmöglichst fertiggestellt werden. Ein Unternehmer namens Dnlke in Hamburg hat sich beim Färberring angeboren, mit 300 Arbeitern hierher zu kommen. —* Der Magistrat von Breslau beabsichtigt, eine städtische Säuglings-Heilanstalt nach dem Muster unseres Dresdner Säuglingsheims cinzurichten. Eine Kom mission, bestehend ans den Herren Sladlbaurat Geh. .Baurat Pliiddemaun, Stadtarzt Dr. Ocbbecke und dem in Aussicht ge nommenen Leiter der Anstalt Herrn Dr. Freund, ist nach Dres den entsandt worden, um an Ort und Stelle die Einrichtungen unseres Säuglingsheims genau kennen zu lernen. —* Der Ausschuß zur Aufführung des Luthersest- ipiels von Otto Teorient in Dresden 1905 schreibt uns: „Aus den verschiedensten Kreisen der Bevölkerung Dresdens wird den Vorbereitlingsarbeiten des Festspielausschusses viel warme Sinn- parhie entgegcngebracht. Auch eine Fülle von Kräften hat sich »in Mitsvielen angemeldet. Liber noch sind einzelne stiollen unbefttzt. Herren im Alter von über 30 Jahren, welche Lust und Neigung zum Mitwirken baben, werden daher gebeten, sich beim Vorsitzenden Pastor Lic. Dr. Kühn fMartin Luther-Kirches möglichst bald melden zu wollen. Die nächste Hauptversammlung der Mitwirkendcn findet Mittwoch, den 23. August, im .Konzert saal des Ausstellungspalastcs statt, und zwar nachmittags 4 Uhr der Damen und abends 3 Uhr der Herren, j —* Die 5 8. Hauptversammlung des Evange- ! ischen Vereins ^der Gustav A d o l f. S t i f tu n g wird vom 19. bis 21. September d. I. in Brombcrg abgehalten werden. Die Versammlung wird von Abgeordneten nicht nur aus allen Teilen de« Deutschen Reiche«, sondern auch au» Oester- reich-Nngarn, der Schweiz. Frankreich. Belgien. Italien usw. besucht werden. —* In der „Großen Wirtschaft* wird vom Sonntag an für kurze Zeit das grobe Schlachte »-Potpourri, illustriert durch 80 Kolossal-KriegSaemälde und ergänzt durch melodramatische» Vortrag des KnegSrezitators Fr. Wilhelm Müller, täglich aufaeführt. Außerdem werden große Kolossal Gemälde des russisch-japanischen Krieges vorgeführt, die überall das größte Aufsehen erregten. Die EintlittSpreise sind »ach wie vor 10 Psg, Svnntogs- und Doppelkonzerte 20 Psg. —* Polizeibcricht, II. August. Ans der Psotenhauer- straße fuhr am Dienstag abend ein Radfahrer ein junges Mäd chen derart an, daß es zu Boden stürzte und mehrfache Ver letzungen davontrug. Der Radfahrer, der übermäßig schnell und rückiichtsloS gefahren sein soll und sestgestellt istz stürzte vom Rade, ohne sich anscheinend zu verletzen. — Der am 28. vorigen Monats auf der Friedrichstraße von einem Straßenbahnwagen infolge eigener Unvorsichtigkeit überfahrene fünfjährige Kn ave ist am Donnerstag im Fnedrichstädter SladtkronkenHause seinen schweren 'Verletzungen erlegen. — Freitag nacht gegen 11 Uhr ist an der Stadtgrenze bei Blasewitz ein in Lojmwitz wohnhafter Zahntechniker — 32 Jahre alt, etwa 1,60 Meter groß, dunkles Haar, blonder Schnurrbart, dunkler Jackett anzug — in die Elbe gestürzt und in den Fluten ver schwunden. — In letzter Zeit hat ein 19 Jahre aller Schneider- lehrling namens Oese versucht, sich dadurch Geld zu verschaffen, daß er Ellern, deren Kinder an dem Kirchen feste der A u fe rst e h u » g s - K i r ch e n p a ro ch i e beteiligt gewesen sind, vorgespiegelt hat, er sei Sekretär der genannten Parochie und beauftragt, zur Deckung der durch das Fest entstandenen Kosten für jedes Kind 1,50 Mark zu kassieren. Etwa Geschädigte, welche eine Anzeige noch nicht erstattet haben, werden ersucht, nach der Kriminalabteilung. Hauptpolizci, Notiz zu geben. — Am Freitag früh wurde ein 78 Jahre alter Handelsmann in seiner in der Wilsdruffer Vorstadt befindlichen Wohnung tot ausgesiindcn. Er ist vermutlich an Herzschlag verstorben. — Aus dem Hofe der Güteroerwaltung Dresden-Friedrichstadt ist seit etwa 10 Tagen ein vierrädriger, ungestrichener und ohne Federn gebauter Handwagen mit Lattenbelag abhanden gekommen. Es ist nickt ausgeschlossen, daß der Wagen irgendwo herrenlos steht. Um Mitteilung an die Kriminalabteilung wird gebeten. — Am Montag hat im Schweizervierlel ein Dienst mädchen durch Explosion eines mit Wasser gefüllten kleinen Kessels Brandwunden im Gesichte erlitten, die sofortige Unterbringung im Iohannstädter Stadtkrankenhause notwendig machten. Das Mädchen hatte den Kessel beim Anheizen auf einem Petroleum-Osen versehentlich verkorkt gelassen. — Am 29. v. Mts. bat sich hier im Großen Garten ei» etwa 38 Jahre aller Mann, dessen Persönlichkeit vis jetzt nicht festgestellt werden konnte, erschossen. Er hatte sich auf der Fremdenmeldung in einem hiesigen Hotel als Elektrotechniker Max Fritsche aus Leipzig ausgegeben und führte auch Visitenkarten aus diesen Namen bei sich. In diesem Hotel empfing er am 27. bez. 28. Juli je eine Depesche folgenden Inhalts: „Elise bittet Dich nochmals, zu sprechen, komme, bitte. Paul." und: Elisens Zustand bedenklich zunehmender Krästeoerfall. Paul." Der Tote war etwa 1,80 Meter groß, hatte dunkelblonde Haare, wwie kleinen, dunkelblonden Schnurrbart und war mit dunklem Iacketlaiittige, Schnürstiefeletten, weißem Stehkragen mit um gelegten Zacken, kleinem, grün und rot gefärbten Schlips und haxtem Strohhute mit schwarzem Bande bekleidet. Photographie der Leiche, Kleidungsabschnitte und eine größere Anzahl bei dieser Vorgefundener Effekten, als Handkoffer, Taschenuhr, Ring, Brille, Schlüssel, Brieftasche, Taschentücher usw. liegen zur Ein sichtnahme im Zimmer 75 der Königs. Polizeidirektion, Schieß- gasse 7, 2. Etage links, aus, wohin auch Nachrichten, die zur Feststellung des Toten führen könnten, erbeten werden. —* Der Kammweg Leitmeritz — Aussig ist nun so wohl von der Leilmeritzer als auch von der Aussiger Seite neu mar kiert worden. Die Marknngszeicheri sind aus Zinkblech hergestellt und tragen die Buchstaben F—T oder O—F Durch diele nun einheitliche Markierung ist es auch für den Fremden leicht, den Weg zu finden. Die Kammwanderung Leitmeritz-Aussig oder iimgekehrt gehört zu den schönsten Partien des Mittelgebirges. Mentau, Kundrcstitz, Tschcrsing, das hochgelegene Nemschen, die hohe Wostrai. Forsthaus Sedl und der Schreckenstein werden berührt — olles prächtige Punkte, die teils großartige Aussichten gewähren, teils durch ihre herrliche Lage entzücken. —* Als erster relferMeißnerWein wurde vorgestern im Ziegerschen Weinberge inZscheila eine daselbst gewachsene prächtige Traube gepflückt. —* An Stelle des aus Gesundheitsrücksichten zurückgetretenen Gemeindevorstandes Rudolph von Neugersdorf. das bekannt lich mit 11000 Einwohnern das größte Dorf Sachsens ist, wurde der Bürgermeister Rössclmüller der Stadt Greußen bei Zondcrshansen gewählt. Rvsselniüller war früher Gemeinde vorstand von Trachau bei Dresden. Zum Spremberger Cisenbahnnnfllttck. Wie der „Spremb. Anz." meldet, ist der der Schuld an dem Eisenbahnunglück bezichtigte Stationsaffistent Stullj uß auf Anordnung des Untersuchungsrichters verhaftet worden. Die Fahrlässigkeit, durch welche das Unheil verursacht wurde, erscheint um so größer, als der Nachzug 112 kein außerfahrplanmäßiaer war. Der Nachzug 112 verkehrt seit dem 1. d. M., wie alljähr lich, zur Ferienzeit täglich, und so mußte das Fehlen dieses Zuges auf dem Bahnhof in Spremberg unbedingt auffallen. Es war also die Möglichkeit vorhanden, daß der Zug 112 an, der Strecke infolge eines Unfalles liegen geblieben war oder eine besonders tarke Verspätung erlitten batte. Unter ollen Umständen mußte nach dem Verbleib des Trains geforscht werden, bevor der Schnellzug 113 von Spremberg zur Ablassung kam. Daß gegen die Abtastung des Zuges auch tatsächlich Bedenken Vorgelegen haben, wird dadurch bestätigt, daß er 5 Minuten lang auf dem Bahnhof Spremberg angehalten wurde, obwohl die fahrplan mäßige Haltezeit nur 1 Minute betrug. Im übrigen erscheint es nicht ausgeschlossen, daß der vom Dienst pispendierte Stationsassistent noch einen Mitschuldigen hat. Die Untersuchung Erfolg. Auflage folgte aus Auslage — einige dieser Buchholz- Bücher haben es inzwischen bereits bis zur 73. Auslage ge- bracht! — und das Publikum verlangte immer neue Bücher diewr Art. Stinde war nicht widerstandskräftig genug, um ch diesem Verlangen zu verwgsn. Er gab immer neue Varia- tionew, ließ aus den ersten Teil der „Familie Buchholz" einen zweiten und dritten folgen, führte Frau Wilhelmine auf die Reise ^und zeigte, wie diese Urberlinerin sich mit Italien und dem Orient abftnd. Natürlich wurde jede Variation des jo ouicklicb angexh läge neu Themas schwächer und schwächer, und zuletzt wurde diese immer wieder ausgcwärmte Kost recht schal und iinlckmackhaft. Dies hat dazu geführt, daß man den an- langs nach den ersten Riesen-Erjolgen überschwänglich gepriesenen Schriftsteller schließlich bedeulend unterschätzt hat. Gewiß sind leine Buchholz-Bücher keine Werke von blechendem literarischen Werte. Sie muten heule bereits vielfach veraltet an, und ihr Humor kommt »ns nicht selten platt und geschwätzig vor. Aber dennoch ist nicht daran zu zweifeln, daß diele Schriften auf lange hinaus einen kulturgeschichtlichen Wert behalten und ftir das Studium des Berliner Levens in der Zeit des ersten Werdens und Wachsens der deutschen Reichshauptstadt von großer Bedeu tung bleiben werden Wie weil überragen sie aber auch an absoluter Bedeutung ähnliche Erzeugnisse der jüngsten Zeit. Gegen die abscheuliche „Berliner Range", sie vorübergebend säst denselben buchhändlerischcn Erfolg hatte, wie einst die „Familie 'Buchholz", ist diese unzweifelhaft ein erhabenes Kunstwerk. Jeden falls wird Julius Stinde, der geborene Holsteiner, als Vater der Berlinerin Buchholz in der deutschen Literaturgeschichte seinen 'Platz finden neben den Breslauern Ernst Dohm, dem Mit begründer des „Kladderadatsch", und David Kalisch, dem Schöpfer der guten, alten Berliner Posse, und dem Kölner Adolf LÄrronge, dem Schöpfer der neueren Berliner Volksstücke, Nur einen geborenen Berliner gibt es in vieler Reihe, der sich noch der Hamburger Stetteicheim, der Vater des köstlichen Berliner Kriegsberichterstatters Wippchen, anjchliehen kann, Adolf Glaß- brenner, den Vater des Berliner Eckenstehers Nante. Es erklärt sich aus der Unftriigkett und der unaushörlichcn Weiterentwicklung der jungen deuochen Ncichshauptstadt, daß all« diese und noch viele andere gleiche Schöpfungen vorwiegend jkisterchakt ii»ü und da» wir auf den großen Berliner Roman, der förmlich in der Luft zu liegen scheint, noch immer vergebens Worten. Ungefähr zu derielben Zeit, als Stinde seine Buchholzen schuf, entstanden die ersten Romane, die auf dem Boden der neuen Reichshauptstadt spielten und deren Leben zu schildern suchten. Mit dem sicheren Instinkt des Journalisten für das Aktuelle, Zeitgemäße war Paul Lindau damit vor- gegangen und hatte einige Berliner Romane frei nach 'Pariser Vorbildern geschrieben. Es ist von ihnen nicht viel mehr übrig geblieben, als der Titel des einen „Der Zug nach dem Westen , worin Lindau zuerst die großartige Entwicklung Berlins, das bis dahin seinen Schwerpunkt in den östlichen Stadtteilen hatte, nach dem Westen hin anschaulich schilderte. Auch Max- Kretzer hat in seinen Berliner Romanen, die weit echter und ursprünglicher sind, als die Lindauschen, einen vielversprechenden Anlauf genommen. Er hat namentlich in seinem „Millionen baum" den fabelhaften Aufschwung der Berliner Vororte und deren B'wohner sehr getreu dargestellt. Auch sonst ist an Ber- lincr Romanen kein Mangel. Aber die meisten von ihnen be schränken sich aus Aeußerlichkeitcn, die mehr oder weniger will kürlich erscheinen »nd die ebenso gut anderswo als in Berlin am Platze sein könnten. Der eigentliche Berliner Roman soll erst noch geschrieben werden. Es ist gewiß nicht unbedingt nötig, daß er sich in dem „Milieu" bewegt, das Stinde für seine Büch- Holz-Bücher gewählt hat. Er kann höher, er kann frei nach Zola auch weit tiefer greisen. Aber er wird in seiner Art ebenso wurzelecht und bodenständig sein müssen, wie cs Stindes Buch- Holz-Bücher zum großen Teil sind. Liebenswürdig und unterhaltend, wie als Schriftsteller, ist Julius Stinde auch als Mensch gewesen. Obwohl ein gefleischter Junggeselle, war er doch überaus gesellig und überall gern aesehen. Ein weiter Freundeskreis, den er um sich ver sammelt hatte und dessen beliebter und belebender Mittelpunkt er war, trauert aufrichtig »m ihn und wird ihm ein treues An denken bewahren. Er hatte wohl in seinen letzten Jahren selbst das Gefühl, daß er sich literarisch überlebt hatte und daß seine 'Art nicht mehr recht in die moderne Produktion hineinpahte. Als echter Humorist nahm er auch diese für ihn gewiß wenig erfreu- liehe Tatsache gelassen hin und dachte nicht daran, sich durch bos haft« und nörgelnd« Bemerkungen über di« neue Richtung »u wird nach dieser Richtung geführt. — Hi« kleiner Unfall Hg» vermutlich dem Fabrikanten D. au» Charlott«iburg und seiner Familie das Leben gerettet. Er wollte mit Frau und Tochter den verunglückten Schnellzug 113 zu einer Veranügungs- fahrt nach dem Rlesenaebirgr benutzen. Die Familie fuhr nach dem Görlitzer Bahnhof in einem Landauer, dessen Pferde am Nollcndorsplatz vor einem entgegenkommenden Automobil scheu- ten. Der Kutscher verlor die Herrschaft über die Tier«. Das Fuhrwerk wurde mit solcher Geivalt gegen die Bordschwelle des Bürgersteiges gesck-Ieudert, daß daS recht« Hinterrad in Trümmer ging. Die Storung gab Veranlassung, da» die Familie nach der Wohnung zurückkehrte, in der Absicht, sich eine» späteren Zuges zu l>ediencn. — Der verunglückte Oberstleutnant CretruS» Berlin, ein Vetter des bekannten GeschichtSmaler» Professor Cretius. verfügte über ein schönes malerisches Talent. Seme besten Bilder sind Rautendelein. Louis XIV.. Abälard und tzelois«. Ein gleichartiges Eisenbahnunglück wie bei Spremberg, wenn auch wenigcr folgenschwer, hat sich vor den Toren Berlins vor Jahresfrist ereignet. Damals wurde der Betrieb auf der Anhalter Bahnstrecke bei Teltow, wegen Ban. arbeiten, eingleisig aufrechterhalten. Durch Nichtbeachtung eines Haltesignals fuhren ein von Teltow kommender Schnellzug und ein von Berlin kommender Personenzug an dieser Stelle auseinander. Derllngiückssall wurde zwar dadurch bedeutend gemildert, daß der Lokomotivführer des Personenzuges Kontredompf gab und der Train im Moment des Zusammenstoßes bereits eine Rückwärts- bewegullg angenommen hatte, dennoch wurden zahlreiche Per sonen schwer verletzt. Bon dem Walten de» Bureaukratismus gelegentlich des Unglücks gibt ein Augenzeuge, ShndikuL Deiner! aus Berlin, folgende anschauliche Schilderung: Der Unfall ereignete sich nachmittags 5 Uhr 85 Min.', um 6 Ubr 35 Min. erschien aus Spremberg «ine Dräsine mit einigen Mann Besatzung, darunter ein Stationsbeamter mit roter Dienstmütze. Ein Arzt war nicht mitaekommen. Etwa um 7 Uhr 30 Min. erschien der Hilsszug aus Spremberg. Um 8 Uhr 10 Min. erschien endlich aus der Richtung von Görlitz her ein leerer Personenzug, den wir Reisende sofort bestiegen. 8 Ukr 30 Min. fuhr dieser Zug mit uns in der Richtung nach Görlitz ab, kam 9 Uhr 10 Min. in Weihwasser an, stand dort bis 9 Ubr 4K Min., „weil ein« Lokomotive um- rangiert werden mußte". Der diensttuende Stationsbeamte be lehrte mich darüber, daß von Görlitz ein Hilsszug nach der Unglücksstätte nicht entsendet zu werden brauchte, da Kottbus oderSpremberg dazu v e r p s l i ch t e t sei, daß meine entgegengesetzte Auffassung, es müßte bei einer solchen Katastrophe vo» allen Seiten Histe geleistet werden, unzutreffend sei und daß er auch Telegramme von Reisenden, betreffend den Unglückssall. nicht zur unentgeltlichen Beförderung als Dienst- tclegramme entgegennehme. Trotz meiner ausdrücklichen An regung hatte es am Unfallsorte an der Möglichkeit gefehlt, eine Fcldtelegraphenstation einzurichten. Der Zug langte mit uns endlich um 11 Uhr 10 Min. in Görlitz an. In Görlitz ver suchte ich in der Betriebsinfpektion zu ergründen, weshalb der dortige Sanitätszug, der in einer Stunde an der Unfallstelle hätte sein müssen, überhaupt nicht zur Verwendung gekommen sei. Der Vorstand der Inspektion, Gebeimrat Ricken, erwiderte mir, der Unfall sei nicht im Bezirk Görlitz erfolgt, dafür sei Ha l l e z u st ä nd i g. das sei alles sehr genau reglemen - tarisch geordnet. Auf die mir weiter in Aussicht gestellte Belehrung über die Reglements verzichtete ich dankend mit dem Hinweise, daß der Sanilätszug meiner Ueberzeugung nach sehr notwendige Hilfe hätte' bringen können. Syndikus Beinert bat diese Feststellungen in einer Ein- gabeanden preußischen Lisenbahnminister noch Weiler begründet. Sie lautet in ihren Hauptstellen: I. 1) Es waren in keinem der beiden Unglückszüge Apparate vorhanden, um eine telegraphische Verbindung herzustellen: 2) in Weißwasser aber weigerte sich trotz meiner direkten Aufforderung der dienst tuende Stationsbeamte, das von einer geretteten Dame an ihre Angehörigen gerichtete Telegramm als Staatsdepesch« befördern zu lassen. II. 1> Die Wcgestrecke von Spremberg bis zur Unglücksstelle läßt sich mit der Dräsine sicherlich in 10 Minuten erreichen. Danach kam die erste Hilfe immer noch zu spät. Für dringende Fälle muß die Dräsine immer zur Stelle sein. Diese Dräsine mußte also 20 Minuten früher an Ort und Stelle fein. Nach meinen Beobachtungen fehlte es auch der Mannschaft der Dräsine an Hilfswerkzeugen, vor allen Dingen aber an fach kundigem und überlegtem Handeln. In den beiden verunglückten Zügen fehlten anscheinend auch notwendige Hilfswerkzeuge sowie Verbandkästen. 21 Der Standpunkt der Station Weihwasser und der Betriebsinipektion Görlitz, daß sie Hilfe nicht zu bringen hatten, ist menschlich kaum begreiflich. Wer helfen konnte, mußte hier helfen! Und wenn 20 Aerzte und Gehilfen an der Unglücks- stätte tätig gewesen wären, so hätten sie sämtlich mehr als aus reichend zu tun gehabt! Eine Verkehrsbehörde, der wir täglich unser Leven, die Existenz und das Glück unserer Familien an zuvertrauen genötigt sind, muß Reglements abschaffen, welche wirksame Hilft verhindern. In Görlitz ist ein vollständiger Sanitätszug vorhanden, der in 50 Minuten an der Unglücksstelle sein konnte und wohl sicherlich oder wenigstens wahrscheinlich nicht bloß unaussprechlichen Jammer lindern, sondern vielleicht noch Menschen retten konnte. Der Sanitätszug bleibt aber außer Verwendung, weil die nahe belegene Unsallsstelle zu einem anderen, entfernt gelegenen Verwaltungszentrum, nämlich Halle an der Saale, gehört. Euere Exzellenz können sicherlich solche Zustände nicht dulden. Wenn entgegengehalten wird, Görlitz habe sich aus das pflichtgemäße Ermessen" der Behörde in Kottbus über den Umfang der zu leistenden Hilfe verlassen müssen, so verweise ich auf die Feuerwehren bei Bränden an den Ortsgrenzen und deren gegenseitige Hilfeleistungen ohne vorherige gegenseitige Verständigung. Von Görlitz aus mußte die Südseite Hilfe bringen, während in Kottbus die Nordseite gleichzeitig Hilfe zu senden hatte. Es ist bedauerlich, daß bi« leitenden Verwaltungsbeamten nicht selbst Zeugen der Kata» strovhe gewesen sind, dann würden sie wohl dauernd «ine ander« Auffassung über „Reglements" gewinnen. 31 Eine Rücksichts losigkeit gegen die zum Teil verwundeten, zum Teil aufs tiefste erschütterten Reisenden, welche nach Görlitz Weiterreisen mußten, räche», wie es so manche andere „Alten" zu tun pflegen. Er fügte sich mit möglichster Grazie in das Unvermeidliche und ruhte aus den reichen Lorbeeren aus, die er sich erworben hatte. Der große buchhändlerische Erfolg seiner Schriften hatte ihm ein ver hältnismäßig großes Vermögen eingetragen, da« ihm gestattet«, ein behagliches Leben zu führen. Und er war der Mann dazu, sich sein Dasein angenehm zu gestalten. Wohl von seiner Ham burger Zeit her hatte er sich den Geschmack und die Würdigung auch der materiellen Genüsse erhalten und war ein Lebens künstler. ohne aber nach irgend einer Richtung ins Extreme zu verfallen, wozu künstlerisch veranlagte Naturen nur allzu leicht neigen. Ohne die Bedeutung Stindes irgendwie zu übertreiben, was auch durchaus nicht im Sinne dieses bescheidenen ManneS wäre, wirb man doch sagen dürfen, daß seine Wilhelmine Buchholz in der deutschen Literatur auf lange hinaus das Bürgerrecht belfaupten und den Ruhm ihres Schöpfers erhalten wirst. Er hat mit dieser Schöpfung dazu beigetragen, die Berliner Wesens art in weiteren Kreisen bekannt zu machen von einer besseren »nd liebenswürdigeren Seite, als es durch die Berliner und Berlinerinnen auf Reisen im allgemeinen zv geschehen pflegt. Er ist dabei mit einer Unparteilichkeit zu Werre gegangen, d>e an sich alle Anerkennung verdient. Ohne ein überragender Sa tiriker ctioa vom Schlage des Londoner Thackeray oder des Amerikaners Mark Twain zu sein, hat er es doch verstanden, auch die Schwächen »nd Schattenseiten deS Berliner Spieß bürgertums zu verspotten, und daß er auch in der Ironie und im Spott noch liebenswürdig und angenehm bleibt, soll ihm als be sonderer Vorzug angerechnet werden. Das sind Eigenschaften, die dem Berliner Humor sonst nicht gerade nachgerühmt werden können und die Stindes Schöpfungen besonders anziehend machen. Wenn wir einmal einen Berliner humorisiistben Roman in> Stile eines Dickens bekommen sollten, bann wird dessen Verfasser wohl auf der Grundlage weiterbauen müssen, die Julius Stinde in seiner köstlichen „Familie BuMusit" s» vielversprechend und erfolgreich gelegt bat. » « ^