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Dresdner Nachrichten : 01.10.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-10-01
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-192210015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19221001
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19221001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1922
-
Monat
1922-10
- Tag 1922-10-01
-
Monat
1922-10
-
Jahr
1922
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 01.10.1922
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Oreräner Nachrichten AK ei" Kein Alltag Sonntag,!. Oktober 1922 Fröhliche Armut. ' Bon R. Kaulitz-Niebeck. Aus ein» Modenschau war ich gekommen. .,» mir jauchzt et noch von FarbeiiUängcx. von schillerigen Perl oesätzen auf Lalürärmel» von Kleidern und Mänteln. Da huscht im drängenden Menschenstrom ein halb bekanntes, halb fremdes Frauenantlitz vorüber. War eS nur Täuschung, weil so blaß und still die Miene» waren? Ich sinne noch, da höre Ich leise meinen Namen. Nu» stehen wir uns gegen über, sind alte Bekannte, befreundete Seelen, die einst sich freuen dursttn an eigenen irdischen Glücksgütern. Jetzt fällt mir die Kleidung der lieben Wiedergesnndcnen aus: mit Spure» der Jadcnschcinigkeit, im Schnitt gewesener Mode, abe» doch rührend sorgsam aufgefrischt und gepflegt. Wir biegen in eine stillere Seitenstraße, und fröhlich hüpft «S über die Lippen meiner Begleiterin: „Gelt, Liebste. Sic haben mich im ersten Schauen nicht wtedcrcrkannt? Kein Wunder, so bescheiden und schlicht, wie man geworden ist, so spießig auch, oder gar reduziert und ärmlich schon —" Der lachende Mund sprach's ohne Bitterkeit. Wir traten in eine Teestube ein. sitzen bald vor dem zarten Tüßchen und sprechen wie Weltweise über daS Leben, über die verschobenen Zeitverhältnisse. Mein Gegen über ist Pholosophi», Lebenskünstlerin, sein, gut. klug, nennt daS Dasein des einzelnen ein Pünktchen aus der Lcbens- kugel. . . „Rasend rasch kommt unsere Lebenskugel ins Nöllen, — wir sind nach unten gekommen, aber wir sind iui Innern unvcrrückt die gleichen geblieben! Ich und mein Man» und unsere Kinder. Die Hand hält einen kleinen Kuchen, an dem nur spar sam die Zähne knabberten. Ich, schaue auf diese Hand der Sorge, der Arbeit und weih, das, sie einmal rosig rund war, gepflegt: gehörte sie doch einer verwöhnten, vornehmen Frau, die ein reiches Heim besah. Mein Gcdankensprung wurde plötzlich non ihr erraten. Munter nickt sie. „LH, meine Hand ist meine Visitenkarte, ein klein wenig auch mein Lcbcnsbnch. Darin ist zu lesen von Kunden und Rissen, aber auch von Gesundheit und Wurschtigkeit. Ein ganz klein bthchen Wurschtigkeit gehört für viele von uns zum Tage, aus ihr wächst endlich Zufriedenheit und wirklich auch ein Gramm Glück." Nun entwickelt sie, immer in dem lebendigen Plauder- tov, eine eigene Auffassung von de» Lcbensvcrhältnissc». Mit fröhlichem Wollen bat sie sich mit ihrer Familie ein gestellt in daS täglich schwerer werdende Leben. Ich höre, wie sic sich ohne fremde Hilfskräfte noch immer die Trau- samkeil ihres Znhauses erhalten habe. Wie jedes Glied der Familie bemüht ist. dem anderen in den täglichen kleineren und grollen Pflichten nnd Ausgaben behilflich zu sein. „Mein Aeftefter, Primaner, holt mir Kohlen aus dem Keller, frühmorgens, wenn noch alle Herrschaften im Hause ruhe». Er knapst sich vom Arbeitstage noch immer ei» Stündchen ab, mn Mathcmatiknnterricht jüngeren Kame raden zu erteilen. Unser Nesthäkchen lernt augenblicklich praktische Gartenarbeiten, damit sie, wie sie sagt, unsere Brotstelle wird, — wir haben uns nämlich seit Herbst ei» Schrebergärtchen gepachtet. Ihre ältere Schwester, erst für das Studium einer Bibliothekarin vorbereitet, will auch plötzlich ihre eigene Lebcnsrichtung gesunden haben: hat rnngesattelt und lernt ans einem grollen Gute, eine tüchtige Hausfrau zu werden. Wir. die Eltern, habe» inzwischen aufgeräumt mit allen gesellschaftlichen Rücksichtnahmen. Herrenzimmer und Salon sind ansgelöst, das heis,t ver mietet. Unsere Familienstiibc ist imscrc geliebte Welt, eine sehr beschauliche, glückliche. Da hinein kommt kein Berdrns, von draußen, keine Unrast, keine Lieblosigkeit. Kommen Sie doch einmal, schauen Sie selbst. Freilich einfach nnd klein sind wir geworden. Tie große Lcbenslinie finden Sic da nicht mehr!" AIS ich meine stille Bewunderung ansdrücke und er kläre, daß wir alle heute das grolle Geheimnis lüsten möchten, wie cs anziisangeii ist, sich nach der Decke zu strecken, da legt sie mir ihre beiden arbeitsharicn Hände aufs Knie, nickt nnd Mftert: „Das ist ja das Grolle und Prachtvolle daran, das, inan'ö soll, daß man's will: fröhlich arm sein." So stolz und tröstend war es ausgesprochen. Ins Herz sprang der kluge Ausspruch nnd wurzelte, wurde zum köst lichen Frieden, von dem noch mitzutcilen ist an gleichartige Mitmenschen, denen daS Armsein neu ist. bitter wird und brennende Scham bedeutet. „Fröhliä>c Armut", vielleicht birgst du die gute Lösung eines wundmacheiidcn Wclten- rätsclS? Zwei Mütter. Skizze von Gabriele Reuter. Die Freundinnen saßen auf dem Rasenhang über dem Waldsee. Ihre Kinder spielten am User, bauten etwas Rätselhaftes aus Steinen, Baumrinde, trocknen Aeslchen, stürmten plötzlich mit Geschrei tiefer in den Kiefernwald, schlichen vvn Stamm zu Stamm, hielten »itt geheimnis vollem Flüstern Beratungen ab. „Das Glück des WeibeS erfüllt sich doch einzig in der Mutterschaft," sagte Frau Ada und strich mit der Hand über die dunklen Scheitel, die schwer das blasse, elegische Gesicht umrahmten. „Ich habe ja stu diert — und was ich an Philosophie, Psychologie, Ethik und Aesthctik auf der Hochschule hörte — jetzt kommt eS meinen beiden Lieblingen zugute!" „Wie stolz muß es dich mache», so aus einem reichen Quell von Kenntnissen schöpfen zu dürfe», »m all den un glaublichen Fragen standzuhalten, die unsre Bälger an uns stellen," rief Frau Lvtte lebhaft. „Gott - hundert mal am Tage drücke ich mich — suche abzulenken, wenn Karl und Mieze mich bestürmen — und meine Weisheit mich völlig im Stiche läßt." „„Niemals sollte man dem Kinde eine Frage schuldig bleiben," tadelte Frau Ada mit sanfter Milde. „Man begeht durch solche Begucmlichkeit Sünde an der snngen, sich ent faltenden Seele. Gewiß — man ist ja nicht ans allen Ge bieten bewandert — aber eö gibt doch Bücher! Und was ist entzückender, als sich gemeinsam mit den Kindern wciterzu- bilden. Ich lese jeden Abend mit meinen zwei Buben. Nie mals Märchen und diese törichten, seichten Abentcuercrzäh- lungen — ich wähle Gediegenes aus der Geschichte, den Naturwissenschaften." Frau Lotte warf einen bewundernden Seitenblick auf die zielbewusste Freundin, die ihr sehr imponierte. Sie ltetz ihre Strickerei in den Schob sinken und seufzte ein wenig hilflos. „Die Kinder haben doch die Märchen nnd die Jndianer- geschichten so gerne . . sagte sie verwirrt. „Meine schwär men geradezu für sie." Frau Ada schüttelte de» Kopf. „Es handelt sich bei der Erziehung um die Entwicklung aus einem primitiven Zu stand in einen höheren. Man darf keine Rücksicht auf das nehmen, was das Kind in seinem noch ruhen Geschmack sich wünscht. Ist cs von Schönheit umgeben, wird cs in Schön heit glücklich sein." „Ach Ada," meinte Frau Lotte, „du sagst das alles so herrlich und gewiß hast du recht. Nur habe ich keine Zeit, soviel über die Erziehung nachzudenken. Mein Mann nimmt mich sehr in Anspruch." „Der Mann hat sich zu bescheiden gegenüber der Heilig keit des Werdenden!" „Ach," rief Frau Lvtte, „meiner denkt nicht daran, sich zu bescheiden. Und dann ist ja noch das winzige Werdende unter meinem Herzen, das auch sein Teil von meinen Kräf ten fordert. Es ist mir oft schmerzlich, daß ich die Kinder so viel allein ihren Spielen überlassen muß. Nun ja. sic werden selbständig ans diese Weise und mein Mann sagt, das ist in unsrer Gegenwart die Hauptsache!" „Aber sic können sich dir leicht entfremden," warf Frau Ada ein. „Ich jedenfalls würde es nicht ertragen, wenn meine Kinder irgendein Interesse in der Welt höher stellten, als die Liebe zu mir. Ich opfere mich ihnen ganz — aber dafür fordere ich auch ihre kleinen Herzen ungeteilt für mich." „Ich weiß nicht . . Frau Lottes hübsches blühendes Gesicht wurde ganz belümmert unter ihren zweifelnden Gedanken, „das scheint mir ei» wenig egoistisch. Ich bin überzeugt, Karl und Mieze denken gar nicht an mich, wenn sie in ihr Spiel vertieft sind und ich würde mich hüten, sie zu stören. Sie leben dann völlig in ihrer phantastischen Welt und sind selig!" In diesem Augenblick kam die kleine Bande cmgejagi, das Gespräch unterbrechend. Frau Ada streckte ihren beiden Knaben triumphierend die Arme entgegen. „Ihr Lieben — könnt ihr nicht ohne euer Mütterchen fertig werden? Wie heiß ihr seid! Kommt, setzt euch zu mir. Wir betrachten das schöne Bilderbuch, wisst ihr, das mit den Küfer» und Schmetterlingen! Nnd ich leie euch vor. Die liebe Frau Lotte wird mich entschuldigen." „Nein Muttchen, das geht nicht," erklärte der ältere der Jungen entschieden. „Wir haben da unten ein Schloß ge baut, darin wird eine verwunschene Prinzeß gefangen ge halten und Kaulquappen haben wir gefischt — das sind ihre Sklaven. — Himmlisch sage ich dir! Erlaube bloß, das; wir nachmittags wiederkommcn." „Heut nachmittag? Nein — da begleitet ihr mich in« Kurkvnzert und hört wunderschöne Musik." Tic tÄesichter der beide» Jungen wurden sehr lang. „Ach — bitte — bitte! Das Konzert ist so furchtbar lang weilig." „Auch wenn euer Mütterchen bet euch ist?" Die beiden frischen Knabenküpse senkten sich beschämt. „Wir möchten aber doch so schrecklich gerne noch mehr Kaulquappen fischen . . ." „Die widerlichen Tiere . . . Ihr werdet doch ein Adagio von Mozart lieber haben, als . . ." „Nein," schrie der kleinere, von nasser Erde ganz be schmierte Junge, „ich habe die süßen Quäppchen viel, viel lieber, und wenn du mich nicht läßt, renne ich dir ein fach fort." Ein Zucken ging durch Frau Adas feines Gesicht. Sie dachte schmerzbewegt: so etwas ist die Folge, wenn inan die Kinder auch nur für eine Stunde dem Einfluß anderer Kinder überläßt. Frau Lotte lächelte. „Ada — nimm es nicht tragisch. Ich sage dir — in ihre Spiele darf man sich nicht mischen. Na — lauft wieder zu eurer verwunschenen Prinzeß, ihr Wassermolche!" Doch Karl und Mieze hingen an ihrer Mutter Hals und Hüften, erstickicn sie beinahe: „Muttchen, Muttchen, lomm bitte mit uns — du mußt die Prinzessin sehen — sie ist so ein komisches Ding — wir wissen nicht, ob sie eigent lich lebt oder nicht!" „Ich glaube, es ist eine SchmettcrUngspnppe," erklärte Karl und seine Stimme wurde leise und feierlich vor Wich tigkeit. Frau Lotte wurde den Abhang hinnnteraezerrt, zum Ufer, dort kauerte sic zwischen den vier Kindern vor dem erbauten Etwas aus Steinchcn, Moos und Kicscrnästchen, in dem eine branne steife Nolle, so lang wie ein Kinder- ftngcr, noch dicker, aus einem Lager auS Blättern ruhte, und ein sonderbares Hörnchen an einem Kops, der kein Kopf war, denn er hatte weder Augen noch Mund, in die Luft streckte. „Ja — Kinder, was das ist, weiß ich auch nicht," rief Frau Lotte, „aber merkwürdig ist es nnd komisch. . . . Lb es sich nicht rühren kann?" Sie tupfte ihren rosigen Finger auf die Puppe und schrie hell auf, als sich etwas bewegte, doch war es nur eine Kaulquappe, die sich neben der Puppe schlängelte. Alle lachten miteinander, daß es durch Len Wald schallte. „Wißt ihr was? Wir nehmen bas Ding mit nach Hause und Vater erklärt uns was es ist." „Aber dann ist es ja gar kein Spiel mehr — wir wollen es doch gerade nicht wissen — es ist doch unsere verzauberte Prinzessin!" „Nun — dann laßt es nur werter eure verzauberte Prinzessin sein," sagte die Mutter nachgiebig. „Nur quält mir das Ding nicht! Und setzt die Quappen nachher wieder ins Wasser, sic verdursten sonst! -Habt ihr gerne Durst? Na also!" Frau Lotte kehrte vergnügt zu ihrer Freundin zurück. „KurioseS Gesindel — das kleine Volk — was?" Frau Ada hatte heimlich ein paar Tränen getrvZnet nnd blickte nachdenklich ins Weite. ^ Ein vergebliches Erziehungswerk. Von Peter Robinson, München. Lnkel Krumren tut nichts. Viele andere Leute tun auch nichts oder, wenn sie schon etwas tun, dann ist es zu wenig, und das ist unrecht von ihnen. Bei Lnkel Krumrey aber ist das etwas anderes; dem darf man es nicht übelnehmen, das; er gar nichts tut. Denn er ist schon nahe an die Siebzig und hat früher sehr viel getan, ja sogar ganz gehörig ge schuftet. Da min Lnkel Krumren nichts mehr zu tun hat, geht er viel spazieren, was sehr vernünftig vvn ihm ist. Jeden Vormittag nnd jeden Nachmittag läuft er — oh, er ist noch ein sehr rüstiger Herr! — ein paar Stunden lang durch die Straßen, und da hat er dann allerlei Vergnügen, aber auch manche» Aerger. Denn natürlich: heutzutage muß man viele Dinge sehen, die einen gehörig ärgern können. Besonders ärgert sich nun Lnkel Krumren über eine neuzeitliche Erscheinung, an der auch schon viele andere Leute Anstoß genommen haben, und über die sogar schon manch mal geschrieben worden ist. Es hat aber alles nichts ge holfen. Lnkel Krumren kann eS nicht ausstehen, daß neuer dings auf den Straßen und Plätzen der Stadt so viel ge gessen oder eine ähnliche, den Konsum eines NahrungS- oder Genußmittels bezweckende Tätigkeit ansgeübt, also etwa Z »> Zz .-s 8 4 2. O^oland-Kindenburg. Znm 7F. Geburtstag, 2. Gktober 1922, von Avudolf Herzog. Aus de» IMartt tu deutschen Gau«» Ragt dl« rtes'ge Rolandssäule, Hoch und wuchtend, g-ingehaueu, Ilud da» Schwert wie eine L!»ule. 'Wolteuschwärioe. Sturulgeschwader Heule» unl da» Haupt de» Rlrseu . . - Festgefügt tu Rlauerquaber Steh» dt» Füße aus de» Ftt-feu. St^eu brrtt aus deutscher Erd«, Tragen aufrecht Letb und Glieder. Spähend, ob e» ATlorgru werde, Grffueu stch de« Wächter» Liber. Suchend geh» de» rtrs'gen Recken Altrrsaugru tu die Runde, Itad zuiu hell'gen dentsche» Wecken Hebt da» Ktfthoru «r zürn lMund«. „Aufgewacht, thr deutsch«» Brüder, Aufgewacht, thr deutschen Schwester», Ilud ein Geist, «in uliumernrüder, Tretb euch au» der Rächt von gestern. Treib euch tu den Tag von heute, Last da« gleich» Blut euch spüren, Ttub da» Lebeu ist dt« Beut«, Wen« stch Haud und Hand berühre»." Auf dem IRarkt in bratsche» Gaue» Ragt der Roland, stelugehämnrert, Ikuter seinen Altersbraueu Glüht'», al» ob der ^Morgen dämmert. Hub «» grüstt d-u grelseu Fechter IDläuuersauchzeu, Frauenstammelu r »Deutscher Rolaud, bleib der WächterI Roland, Roland ... bla» zum Sammeln l" Die abslerbende „Gesellschaft". Fast in allen Kulturländern gibt cs eine soziale Schicht, die man schlechthin als „Gesellschaft" bezeichnet. Sie setzt sich zusammen aus Persönlichkeiten, die allein durch ihre Ab stammung eine bevorzugte Stellung einnchmcn, mag das ganze Leben des Landes, dem sie angeboren, noch so demo kratisch zugeschnttien sein. Dazu kommen die hohe oder doch mindestens sehr angesehene staatliche Aemter bekleidenden Männer mit ihren Familien und Personen, die ans wissen schaftlichen. politischen, wirtschaftlichen oder künstlerischen Gebieten Bedeutendes leisten, und schließlich Leute, denen ein das gewöhnliche Maß übersteigender Besitz Ansehen und Gel tung verschafft. Aus allen diesen bildet sich ein Rehr oder minder enger Kreis, der sich zwar nicht ganz vvn der übrigen Welt abschließt, aber doch Eindringlinge von sich fernznhaltcn weiß oder erst nach reiflicher Prüfung und Ucbcrlcgung in näheren Verkehr mit ihnen sich einläßt. Das war von jeher so, in allen Ländern, und früher noch weit mehr als in unserer, zu sozialem Ausgleich neigenden Zeit. Diese „Gesellschaft" pflegt ihren Verkehr nach n». geschriebenen Gesetzen, die der Aiißenstehcndc, sei es ans Unkenntnis oder Neid, gern bespöttelt. Die UmgangS- svrme» bewegen sich in peinlich geregelten Bahnen einer guten Sitte. Freiheiten sind wohl gestattet, aber nur bis zu einer gewissen Grenze. Eine Gesellschaft ohne solche festen, auf Tradition beruhenden Normen würde bald auS- etnanderslattcrn. Die Flut des staatlichen Umsturzes ist auch ntcht ohne Wirkung auf die Gesellschaft geblieben. Ihre Wogen kabcn Menschen an die Oberfläche des öffentlichen Lebens gespült, die nach Abstammung, Erziehung und dem Grade ihrer Bildung dort nicht hingehören. Mit persönlicher Älügl^it und Gewandtheit allein, die einigen nicht abgesprvchen wer den soll, ist cs nicht getan. Des Menschen Geist und Gemüt bedürfen einer sorgsamen Pflege, wie eine zarte Pflanze, die man vor der Berührung mit rauher L»ft schützen muß. Eine im wahrsten Sinne des Wortes vornehme Bildung, die sich auch — und das ist durchaus keine Acntzerlichkeit —in guten Umgangssormen zeigt, muß angeboren oder allmählich, bei unbändigen Naturen, mit überlegter Schonung unerzogen werden. So etwas fliegt dem Menschen nicht über Nacht zu. In der alten Gesellschaft war, trotz mancher ntcht weg- zukeugnender Auswüchse, ein guter, ein edler Kern. Wird es möglich sein, ihn zu erhalten? Leider kann diese Frage nicht bejaht werden. Die Verhältnisse sind stärker als die Menschen. Gar mancher, der einst zu den „geselligen" Naturen gehörte, zieht sich in seine vier Pfähle zurück und schließt sich fast hermetisch ab gegen das widerliche Getriebe der Umwelt. Und das sind wabrlich nicht die schlechtesten, die dies tun, wenn sie auch für die Allgemeinheit verloren sind. Eine „Gesellschaft" aber ohne eine anständige „Ge selligkeit" ist nicht denkbar, und diese schwindet heute immer mehr. Da ist zunächst die ungeheure Teuerung. Geselligen Verkehr selbst in bescheidenstem Umfange zu pflegen, ttt vielen nnd oft gerade den besten, unmöglich geworden. Wenn man so ganz „trocken", nach dem Abendbrot, allenfalls bei einer Tasse Tee, zusammensitzi, ivird eine lebhafte, er frischende. geschweige denn geistvolle Unterhaltung nie in Fluß kommen. Ucber kurz oder lang wird cs den Herren der Schöpfung auch an der beruhigenden und zugleich be lebenden Zigarre mangeln, ohne die, wie selbst, vorurteils lose Nichtraucher zügelten, eine anregende Plauderei sich kaum denken läßt. Auch eine gute, der Stunde angepaßte Kleidung gehört zum anständigen gesellschaftlichen Verkehr. Wer kann die sich heute noch leisten? Die Preise sind fast unerschwinglich für Kleider und Schuhe, und der Wucher wuchert weiter. Dann die Räumlichkeiten! Wer nicht zu den neuen Neichen gehört, ist gezwungen, durch Abgabe von Zimmern an andere Menschen, womöglich an valutastarke Ausländer, sich die immer drückender werdenden Lasten der Miete zn erleichtern. So beschränken sich denn jetzt, der Not gehorchend, vornehme und feingebildeie Menschen der „Ge sellschaft" auf die unbedingt notwendigen Wolmräumc und können schon allein deswegen keinen größeren Verkehr pflegen. Die bisherigen Grenzen der Gesellschaft weiter zu ziehen, wie eö leider teilweise geschieht, um ihr dadurch neues Leben cinzuflößen, heißt ihren Untergang nur be schleunigen. Mit Kriegsgewinnlern, Schiebern und ihrem Anhang zu verkehren, muß jeder Mensch von feinerer Kultur ablcbnen. Schon mit ihnen am dritten Orte zn- sammenzutrcfsen, ist eine Qual. Ei» näherer Verkehr ist undenkbar, und Ausländer als bei uns vollberechtigt zu be trachten, »ms; uns der Nationalstolz verbieten. Dazu kommt noch eine Verbissenheit, eine Unzufriedene heit mit den ganzen gegenwärtigen Verhältnissen, die viele der Gebildeten aus guten Kreisen veranlaßt, ganz für sich zu bleiben. Die großen gesellschaftlichen Veranstaltungen der letzten Jahre waren eine lächerliche Farce, ein Hohn auf die vornehmen Gepflogenheiten des Umgangs von ehedem. Die deutsche „Geselligkeit" stirbt aus und mit ihr die „Gesellschaft". Sttchard SS rLer.
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