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««. Jahrgang, zz r»g Donnerstag, 2>. Inni IS22 Gegründel 183« Drahlonschrift: «achetchi«, ck«rnl»r»ch»r-Samm«ln>imm»r Lv 241. «ar Pr 4Iachtg.,prS»«: L0011. D-Ms--«eb1U>r ^ «I» I lpaMa« » mm drrft» 7,— M, «chrrhalb Sach len» »,— w. gamUira- »n«tg«n «nt« S«»I>»N- und Wot,»ung»m«rU. I lpamge v». und D«I- Anzeigen-Preye. »M«- v°r,ua.pu>d. >«., Lar«. «u«r^,. ^s«, vorausdriahlunr. a>n»»I»r»i» »m DoradeuddlatI«« t,— w. SchrWrNuag und KaupIgrschSstayrll»^ Marirnsiratze 38/40. «und u. Verlag «on vlrpsch ch vrlchartl >n Drendeu. Poftsch-d-Konlo 1088 «re,»,». Nachdruck imr «ft deuftlcher QneOrnangad« (.Dr«dn«r vachr.") viISMg. — Anorrlangk» Schriftstück» widrn nicht austrwahri -^ususl Förster k^Iüsel. Pianos (Ls.) VsckLuklollLi: Vros«i«n--X., Vlisissntisusslrsks 8, Lsnlial-lksal-s-pr-rngs. Die sächsische Negierung zur Ermordung Nalhenaus. SchVere Angriffe aus -ie Deufschnallonale Dolks-arlei. In der heutigen Sitzung des Landtags, über deren Ver lauf wir weiter unten berichten, gab der Minister des Innern Lipinski im Namen der Regierung folgende Er klärung ab: »Die Negierung erblickt in dem feigen, an Minister Dr. Rathenau verübte» Meuchelmord nur ein Mied in der Kette des planmäßig organisierten politischen Terrors, durch den die junge Republik in ihren Grundfesten er- schüttert und untergraben werden soll. Sic hat ihrem Ab scheu vor dieser gemeinen Tat und ihrer Trauer der Retchs- regterung und der Familie Rathenau in einem Beileids- Telegramm Ausdruck gegeben. Mit der Reichsregicrung ist auch die sächsische Regierung der Auffassung, daß dieser Mord wir frühere Anschläge aus führende politische Persönlichkeiten wohl vorbereitet und überlegt ausgeführt worden ist. Di« Morb- buben werden zweifellos unterstützt und gedeckt durch weit verzweigte staatsfeindliche Organisationen, während sich die Urheber in sicherem Hintergründe halten. Die Pogrom- ftimmung für die Sleriibnng politischer Morde ist seit laugem durch die wüste Hetze der rechtsstehende« Presse. die Flugschriften, Rede« und Berauftaltuugeu der rechts» steheude« Parteien geschaffen worden. AU die »ationale« Bereinigungen, welchen Namen sie auch trage« mSgen, stehen danernd mit der Deutfchnationaleu RolkS- partci organisatorisch in Berbindnng. (Sehr richtig! links.« Die Deutschnationalc Bolkspartei ist mit für diese Pogrom st immnug verantwortlich. Wie schamlos der persönliche Kamps von jener Presse geführt «ud zu Gewalttaten auch in Sachsen aufgestachclt wird, ist bekannt. Wenn jene Partei lsintcrhcr ihr Bedauern über den Mord auösprtcht und den politischen Mord verurteilt, so bat das keine Bedeutung, zmnal thr Führer, der Abgeordnete Beutler, in der Sitzlnrg des Landtags vom 11. Mai bedauerte, daß in den Novembertagcn 1918 nicht geschossen worden sei. Die Regierung ist mit der Reichsregicrnug darin einig, daß alles getan werden muß, m» die monarchistisch-nationalistisch verseuchte politische Atmosphäre Dentschlands gründlich zu reinigen. Das Ministerin,» -es Innern hat durch Verordnung vom 28. Juni d. I. die Polizeibehörden angewiesen, gegen daS Treiben staatsfeindlicher Organisationen erhöhte Wachsam keit zu üben. Der Mord an istathcnan löste eine solche Er bitterung gegen nationalistische Kreise ans. daß mit einer erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit zu rechnen war. Die Regierung verbot auf Grund Art. 48 R. B. bis auf weiteres alle nationalistisch-monarchistischen Kundgebun gen, Versammlungen und Zusammenkünfte, insbesondere sogenannte Regtincntsseicrn, Svnncnwendfcicrn und Pro- tcstkulrdgebungen. Die Verordnung ist, soweit sie am Sonn abend die Dienstbehörden noch erreichte, durchgcführt wor den. so daß die öffcntlickn: Ruhe und Ordnung in Sachsen ungestört blieb. Di« Verordnung ist durch die umfassendere Verordnung des Reichspräsidenten abgclöst worden. Die Regierung wird alles tun, um die Verordnung mitallem Nachdruck in Sachsen dnrchznsühren. Die sozialistische« Parteien verlassen öen Saal. Dresden, den 28. Juni 1V23. Kurz nach K1V Uhr eröffnet Präsident Fräßdorf, der seinen Erholungsurlaub nntcrbrochen bat, die Sitzung zu einer Trauerkun-gebung für Dr. «altzeaan. Am Mintftertische befinden sich sämtliche Minister mit Ausnahme des Ministerpräsidenten Buck, der bekanntlich dienstlich in Müruhen weilt. DaS Hans erhebt sich einschließlich des Präsidiums, neben dem Präsidenten die Vizepräsidenten Bünaer »nd Dr. Wagner. Al» der Präsident beginnen will, bricht ein ungeheurer Lärm a»f der ltnken Seite des Hauses los. Besonders die Kom munisten rufen fortwährend: „Wagner mnß runter!" Prä- sidcnt Fräßdorf: Tö gibt keine geschüftsvrdnnngsmäßigc Be stimmung hierfür. Morgen findet eine Aussprache statt. TS fallen gegen Dr. Wagner die unflätigsten Schimpfworte. Da der Lärm anbauert, ist cS dem Präsidenten unmöglich, zu sprechen. Schließlich erklärt Abg. Müller. Chemnitz lSoz.j zur Geschäftsordnung: Wir hätten erwartet, daß der Herr Vizepräsident Dr. Wagner, der einer Partei angehört, die zweifellos nickt frei von Schuld an den Geschehnissen der letzten Tage ist, so viel Taktgefühl besessen hätte, sernzu- blctben. Wenn der Herr Vizepräsident seinen Platz nicht verläßt, werden wir das HauS verlassen. Der Präsident teilt mit, Tr. Wagner habe ihm gesagt, daß er keine Btt- .VÄ8?" ^a" zu verlasse». Die Regierung hat aber weiteres getan. S»c hat in einer Protestnote an die Reichsregicrung daraus htnge- wtesen, daß Sie Reichswehr die «onarchiftisch»uationaliftische Agitation dnrch Stelle« von geschlossene» Formationen zu Itegimentsseiern uf«. begünstigt hat und dies vom Reichswehrminister angeordnct worden ist, ohne der säch sischen Regierung hiervon Kenntnis zu gebe«. Sie bat dar auf aufmerksam gemacht, daß die Reichswehr trotz des Mordes keine Borden gungsmaßregeln ge troffen hat und verlangt, daß Demonstrationen der Reichs wehr bei Negimcntöfctern und die Agitation für lctzdcrc verboten werde. Am Schlüsse der Note heißt es: „Die sächsische Regierung hält eS für geboten, durch einen Wechsel in der Person des Reichswehr- mini st e r S die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Reichswehr ein Mittel zum Schutze der Republik wird." Mit der Abwehr allein ist eS nicht getan. Es muß Vor sorge getroffen iverden, daß konterrevolutionäre Unternehmen im Keime erstickt werden. Dnrch die Vorlage über die zeitweise Verstärkung der Ordnungs- polizet soll der republikanischen überzeugten ^Bevölkerung Gelegenheit gegeben werden, ihre Kräfte im Dienste für die Republik cinzusetzcn. Wenn alle überzeugten Republikaner und Sozialisten znsammenstthen, dann wird die Lust zu Monarchistische« Erhebungen bald vergehen. Die Regierung wird weiter bemüht sein, die Republik zu festig«, und die Verwaltung von unzuverlässigen Elementen zn säubern. die Selbstverwaltung in den Gemeinden zu sicher» „nd die Vehördenvrganisation zeitgemäß umzugcstaltcn. Die Regie rung würde es begrüßen, wenn der Landtag ohne zwecklose Worte die noch ausftehendcn Gesetze und den Etat ver abschiedet, nachdem die Lücken im Etat geschlossen sind. Die Regierung legt besonders Wert aus die Verab schiedung des Etats, weil bei der Senkung des Geld wertes dem Staate Hundertmillionensacher Schaden entstehen würde, wenn augesangene oder geplante Bauten erst später dnrchgcftihrt werden könnte«. Außerordentlichen Wert legt die Regierung aus die Verabschiedung der Gemeinde- ordnung, die den Gemeinden die längst ersehnte Selbst verwaltung geben soll. Die Regierung weist den gemeinen Vorwnrf, sie klebe an ihren Aemtern, mit Entrüstung zurück. Sie ist getragen von dem Gedanken, die Staats- notwendigkeitcn zn erfüllen, «nd verlangt, daß die in nenn Monaten geleistete Arbeit dcS Landtages nicht nutzlos ver geudet wird. Die Regierung wird dem Landtage ihre Acmter zur Verfügung stelle», wen« der Land tag dies von ihr fordert. Wir rufen die republikanisch gesinnte Bevölkerung ans, zniammenzustehen in der Abwehr der Feinde der Republik, und der Regierung und ihren Organen zu helfen, die Be günstiger und Förderer der Meuchelmörder aus ihren Schlupfwinkeln herauszuholen, damit sic zur Verantwortung gezogen werden können. Sic erwartet insbesondere von der Arbeiterklasse, als der treuesten Stütze der Republik, daß sie allen Feinden znm Trotz die Republik verteidigt und erhält, ES leb- die Republik! Dt« -eiamte Linke (Mehrtzeitssszial-emo- kralen, Unabhängige »ab «ommnnisten) vertagt -e« Saal» »on be« Mtntfler« lediglich der Wirlschaslvmlnisler yelltsch. Dem Präsidenten Fräßdorf wird von der Linken zu- gerufeu: Verlassen Sic Rsth auch den Saal! Präsident Fräßdorf: DaS werde ich nicht tun, ich weiß, ivas meine Pflicht ist. Lassen wir nnS nicht stören bet unserem Akt. Wie diese Stimmung entstanden ist, ist Ihnen ja bekannt. Wie Ihnen bekannt ist, ist am 34. Juni durch Deutsch land eine furchtbare Kunde gedrungen, daß ein fluchwürdi ges Verbrechen durch eine Vereinigung von Personen, nicht durch eine einzelne Person, an dem Außenminister Dr. Rathenan verübt worben ist. Er ist meuchlings er mordet worden. Einer unserer besten deutschen Männer ist mit Dr. Rathenan aus unserer Mitte gerissen worden. Er war ein Mann, den Deutschland gerade in dieser Zeit sehr notwendig gebrauchte. Vci aller Kenntnis und Berücksichti gung der Verhältnisse, unter denen Deutschland gegenwärtig zu leben hat, verlor er nie die Hoffnung, nie den Mut, mit- zuarbeiten, daß Deutschland aus dieser schweren Krisis herauSkam. Er hat daz» die dankbarsten Vorschläge gemacht und an schwierigster Stelle gestanden. Ein Mann der Wissenschaft war er, eine Leuchte deutscher Technik, ein Volkswirt bester Art, ein braver, selbstloser Mann, der sich in schwerster Zeit zn schwierigster Arbeit in uneigennütziger Weise seinem Vaterland? zur Verfügung stellte, ist dahin- gcgangen. Er starb, daS darf ich sagen, in vollstem Sinne des Wortes für sein Vaterland. Er wollte sein schwer- VedritckteS Vaterland ans diesem Elend herauSsühren, und «r war »er Mann txch«. wesentlich mitzuarbette». Im ganzen Reiche ist man tief erschüttert über den Verlust, der unserem deutschen Vaterlande zngcfügt wurde. Nicht zuletzt ist natürlich die Familie betroffen, die wohl ihr bestes Mit glied auf diese Weise verloren hat. Es trauert aber auch und mit Recht die Partei, die Rathenan zn ihrem Mitglied,: zählen konnte, um dieses hervorragende Mitglied, und wir sprechen noch von dieser Stelle aus. nicht nur der Familie, sondern auch der Demokratischen Partei unser Bedauern über diesen schweren Verlust aus. Seitens des Herrn Vize präsidenten Dr. Wagner ist der Reichsregicrung die Trauer über diese ungeheuerliche Tat übermittelt worden, Ick bitte, davon Kenntnis zu nehmen. Die Gruft über Rathenan hat sich geschlossen, nicht aber sind die Wunden geheilt, die uns, sowie der Familie und auch der Partei, der er an- gehörtc, durch seinen Verlust geschlagen worden sind. Be greiflich ist die ungeheure Aufregung, die gegenwärtig durch Deutschland gebt, und dennoch müssen wir bei aller Ruch lostgkeit dieser Tat die Ruhe nicht verlieren. Wir müssen uns immer wieder fragen, was nun? Trotz alldem müssen wir die Lücke anszusttllen suchen, die der Tvd gerissen lial. Wir alle trauern, auch die Abgeordneten, die das Hans verlassen haben, und auch das sächsische Volk trauert mit uns »m den Verlust dieses Mannes. Sie haben sich zn Ehren des Gemordeten von Ihren Plätzen erhoben. Ich stelle das fest und danke Ihnen. Der Name Rathenan wird in der deutschen Geschichte sortleben und wird auch in unserem Gedächtnis hvchgchalte» werden. Znm Zeichen der Trauer schlage ich Ihnen vor, die Sitzung nm eine Stunde zn vertagen. Das HauS vertagt sich bis 11 Uhr. Nach Wiederaufnahme der Sitzung erhalt dao Wort der Abg. Wirth lSoz.i zu einer Erklärung -er -rei so-iattstifchen Parleien. Die drei Arbeiterparteien hätten zu Beginn der Sitzung den Saal verlassen, weil sic es für unter ihrer Würde hicl ten, einem Tranerakt beizuwohnen, während nn Mitglie der Dcutschnativnalen Volkspartei einen Sitz iu> Präsidium des Landtags einnchmc. Diese Kundgebung richte sich nicht gegen die Person, sondern gegen den Repräsentanten der Partei, die ln Wort »nd Schrift durch eine wüste Hetze eine Mordknltur im deutschen Volke gezüchtet habe Dao treffe auch zu aus dic Hetze der D e n t k,h n a t i o » a l c » Fraktion im sächsischen Landtage gegen die Regierung. Nnr der Selbstzucht des Volkes sei eo zn danken, daß nicht auch in Lachsen die Ansstachelnng der Leidenschaften gleich bcdancrliche Folgen wie in Berlin ge zeitigt habe. Die drei sozialistische» Parteien bringen ihren tiefsten Abscheu gegenüber dem deutsch-völkischen Mcuchel mord zum Ausdruck und werden dies durch eine öffentliche Traucrfeier im Sitzungssaale der ehemaligen Ersten Stände karnmcr tun, wozu alle republikanischen Parteien eingcla den seien. Der Redner bittet, die Sitzung um eine Stunde zn vertagen. Das Hans beschließt die Berragnng. Abg. Menke lllnabh.) bemerkt, daß die Feier össcntlich sei und die Tribiinenbcsiichcr daran teiinchmen könnten. Die Feier, bei der auch sämtliche Staatsminister und die Demokraten zugegen sind, beginnt sofort. Präsident Frätzdorf macht zu Ehre» deS Ermordeten ähnliche Ausführungen wic het der ersten Trauerfeier. Er führt dann u. a. aus: Wir können nur wünschen, daß die furchtbare Tat aerächt wird, daß die Mörder sestgestellt und der verdienten Strafe zngc führt werden. Ein Mann, der so wie Rathenan gcchri wurde vom ganzen Volke, ist für die demokratische Partei ein schwerer Verlust. Wird der Reichstag aufgelöst, um die Partei, die die Schuld an den Vorgängen bat. zu treffe» und sie durch Neuwahlen im Reichsparlamcnt zu dezi mieren, dann wird das auch seine Rückwirkung ans den säcki fischen Landtag haben. Es darf nicht dazu kommen, daß man die Republik in Gesabr bringt. Der Augenblick ist ge kommen, wo alle wirklichen Republikaner im Reiche mit ihrer ganzen Person cinstehcn müssen. Wenn wir in der nächsten Zeit schwere Kämpfe dnrchznsühren haben, so muß unter den Republikanern Dentschlands eine möglichste Einigkeit herbeig-eführt werden. Wir wünschen, daß das nicht nur geschieht innerhalb -er sozialistischen Parteien und der Arbeiterschaft, sondern auch weit hinein bis in das Bürgertum und die Beamtenschaft. Wir werden das An denken Rathenan» nicht besser ehren, als wenn wir uns stark machen, die Republik zu schützen, gleichviel von welcher Sette und mit welchen Mitteln gegen sic angerannt wird. Das Attentat richt e sich nicht nur gegen die 'Republik, son dern im besonderen gegen die Erfüllung der Abmachungen des Versailler Vertrages, die namentlich dem Reichsaußenminister oblag. Die Ab Waldungen, die getroffen waren, haben bet den Rechtspar teien. besonders den Deutschnationalen große Erregung her- vorgerusen und man hat gegen Sie Reichsregicrung die allerschärfsten Angriffe in Wort und Schrift gerichtet. Die Deutschnationale Partei wird beschnldigt, daß sie den Mord gewissermaßen herbeigesührt hat Es wird niemand den Nachweis schließlich erbringen können, daß eine Partei einen politischen Mord beschließt. Dazu liegt auch gar keine Notwendigkeit vor; wenn nnr sonst die Reden und Schrit te» so eingerichtet «erde», daß ein« Liedelnßc «r-e«gt »irß, Trauerkundgebungen im Landtage.