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Tagesgeschichte. Deutsches Reich, Dresden, 8. Februar- Beide Kammern hielten heute Mittag 12 Uhr Sitz ungen ab. Die Erste Kammer trat zunächst dem Vorschläge der Deputation für das Vereinigungsver fahren bei, in Betreff dec Erledigung einer zwischen beiden Kammern bestehenden Differenz über 8 6 des Gesetzentwurfes, die Behandlung der beim Inkraft treten der Civil- und Strafproceßordnung anhängigen streitigen Rechtssachen betreffend. Die Kammer be willigte sodann in Uebereinstrmmung mit dem Beschluß der Zweiten Kammer zur Erbauung eines Staats gymnasiums in Leipzig die bei Pos. 7 des außerordent lichen Budgets geforderte Summe von 463,000 M. Berechnungsgeld und beschloß ferner, gleichfalls in Ueber- einstimmung mit dem Beschluß der Zweiten Kammer, die Petition des Actienvereins „Zoologischer Garten zu Dresden", um Gewährung einer Unterstützung aus Staatsmitteln, auf sich beruhen zu lasten. Die Zweite Kammer, deren Sitzung Staats minister Frhr. v. Könneritz, Geh. Rath v. Thümmel und geh. Finanzrath Hofmann beiwohnten, verwies auf Antrag der Abgg. Richter (Tharandt) und Uhlemann das königliche Dekret, den Rechenschaftsbericht der Brandversicherungscommisston über die Verwaltung der Landesimmobiliarbrandversicherungsanstalt in den Jahren 187k und 1876 betreffend, an die Rechenschaftsdepu tation, genehmigte sodann auf Antrag der Finanzdepu tation (Abth. Referent: Abg. Kirbach) Pos. 25 des Einnahmebudgets, Zölle und Verbrauchssteuern, in Höhe von 2,590,550 M. und Pos. 26, Urkundenstempel und Erbschaftssteuer, in Höhe von 1,666,000 M. und be willigte zum Schluß Pos. 15 des außerordentlichen Budgets: für Fortführung und Vollendung der bei Uebernahme der Leipzig-Dresdener Eisenbahn im Gange befindlichen Bauten rc., welche von 9,034,860 Mark mit Zustimmung der Staatsregierung von der Depu tation auf 8,549,860 Mark abgemi.^ert war, in dieser Höhe. Debatten fanden oei dem letzten Gegenstände nur insoweit statt, als die Abgg. Oehmichen und Klopfer im Interesse der Arbeiterbevölkerung der be treffenden Gegend die baldige Inangriffnahme des Baues der Linie Mesa-Lbmmatzsch-Noffen befürworteten und die Abgg. vr. Meischner und vr. Heine sich im An schluß an eine Petition deS städtischen Vereins in Riesa für eine Verlegung der projectrrten Zufuhrstraße nach dem Bahnhofe daselbst, eventuell für eine Ver minderung der Steigung auf derselben verwendeten. Staatsminister v. Könneritz bedauerte, daß den Wünschen der Petenten nicht entsprochen werden könne, solle nicht die einheitliche Herstellung des Bahnhofes darunter leiden. Die Petition wurde, insoweit dieselbe aufAen- derung der in Aussicht genommenen Zufuhrstraße ge richtet ist, der Regierung zur Erwägung empfohlen. — 9. Februar. Die Zweite Kammer hielt heute Vormittag eine kurze Sitzung ab, welcher Staats minister vr. v. Gerber, die Geh. Mthe vr. Gilbert und Petzold, sowie geh. Schulrath Vr. Bornemann beiwohnten. DaS königl. Dekret, den Personal- und Besoldungsetat der Landesimmobiliarbraudversicherungs- austalt auf die Jahre 1878 und 1879 betreffend, wurde der Finanzveputation überwiesen. Alsdann be willigte die Kammer einstimmig Md ohne Debatte auf men wird; denn diese haben Mittel genug, ihren Söhnen durch die vollständige Durcharbeitung deS Lehrganges einer Realschule in einer größeren Stadt ihre Ausbildung zu verschaffen, sondern sie will vor nehmlich den mittleren Bevölkerungsschichten dienen. ES muß daS Ideal einer guten Schulverwaltung sein, jedem Stande nach seinen eigenthümlichen Bedürf nisten eine möglichst abgerundete Bildung zu vermit teln. „Der Staat müsse die Vielförmigkeit des Schul wesens nicht blos dulden, sondern beabsichtigen", ver langte Herbarl. Je vielfältiger daher daS Schulwesen eines Ortes gegliedert ist, um so vollkommener ist eS. Wenn es auch noch hier und da festgewurzelte Voreingenommenheit für den Namen der Realschule einerseits, und starres Festhalten an altväterischen An schauungen verbunden mit allerhand aus mangelnder Sachkcnntniß und aus persönlichen Gründen hervor gehenden Vorurtheilen, andererseits die freie Entwicke lung der höheren Bürgerschule hemmen, sie ist eine Forderung der Zeit und der bürgerlichen Bildung, welche sich zwischen der gelehrten Bildung und der elementaren Volksbildung ihr besonderes Gebiet er worben hat. Sie wird, mag man ihr auch hier und da Licht und Luft nicht gönnen und mag man ihr den Kampf mit den Mächten des Vorurthcils und der Unwissenheit auch noch so sauer machen, dennoch den Sieg davontragen. kl. Antrag der Finanzdeputation ein« Anzahl Positionen deS ordentlichen und außerordentlichen Budgets, außer ordentliche Ausgaben und Bauaufwand im Departe ment deS CultuS und öffentlichen Unterrichts betreffend, mit kleinen, von der Regierung genehmigten Abstrichen, und sodann Pos. 11 des außerordentlichen Budgets/' zu planmäßiger Fortsetzung der Elbstromcorrections- bauten, in der postulirten Höhe von 600,000 M. Italien. Rom, 7. Februar. Die „Agenzia Stefani" meldet: „Papst PiuS IX. starb Nachmittags 4 Uhr 57 Minuten." — Die Verschlimmerung rm Zustande des Papstes war bereits heute Morgen 4 Uhr eingetreten. Sämmtliche in Rom anwesende Cardinäle wurden sofort nach dem Vatikan entboten. Gegen Mittag trat eine weitere Verschlimmerung ein; Nachmittags nach 1 Uhr begann der TodeSkampf. Die Cardinäle waren in einem dem Sterbezimmer benachbarten Gemach versammelt. Cardinal Pane- bianco hatte dem Papst die Sakramente gereicht. Im Augenblick des Todes waren sämmtliche Cardinäle, sowie die übrigen Würdenträger des päpstlichen Hof halts anwesend. Die beim päpstlichen Stuhl be glaubigten Gesandten hatten sich bereits in den Morgen stunden in den Vatikan begeben, um persönlich Nach richten einzuholen. Der Tod erfolgte in Folge des Eintritts von Wasser in die Brusthöhle. Der Papst hatte noch gestern eine Besserung in seinem Befinden verspürt und in Folge besten sich eine Bewegung ge macht. Man nimmt an, daß hierdurch die Ver schlimmerung herbeigeführt wurde. — Der König hatte beabsichtigt, den österreichischen Botschafter v. Haymerle heute in Audienz zu empfangen, die Audienz wurde jedoch, als der König vom Zustande des Papstes erfuhr, abbestellt. Ein höherer Hofbeamter wurde nach dem Vatikan entsendet, um dem König fortlaufend vom Befinden des Papstes Nachricht zu geben. — Um 5 '/i Uhr verließen mehrere Cardinäle und die bei dem päpstlichen Stuhle accreditirten Diplomaten den Vatikan, die letzteren hatten vorher noch mit dem Cardinal- Secretär eine Unterredung. — Gegenwärtig wird Niemand mehr in den Vatikan eingelassen, nur die mit der Bewachung der sterblichen Ueberreste des Papstes betrauten Camerieri haben Zutritt in denselben. Vor den Thor<.n des Vatikans wird von Sicherheitsbeamtery, welche jede Annäherungen verhindern, Wache gehalten. Der Cardinal-Staatssecretär hat angeordnet, daß der „Offervatore Romano" erst morgen den Tod des Papstes veröffentlichen soll. — Die Stadt ist durchaus ruhig, die Behörden haben alle erforderlichen Sicherheitsmaß regeln getroffen. — 8. Februar. Der Zusammentritt des Conclave erfolgt in der im dritten Stockwerk deS Vatikans gelegenen sogenannten Gallerie der geo graphischen Karten, die Abstimmung wird wahrscheinlich rm Consistorialsaal vorgenommen werden. Der Papst hat Instructionen hinterlassen, die heute prusssnts cuttuvers im Beisein der Cardinäle geöffnet werden sollen. Der Marschall des Conclave, Chigi, hat seine Functionen bereits angetreten. Die französischen Cardi näle werden morgen, die österreichischen und spanischen am Sonntag und Montag erwartet. Nach einer Mittheilung des Cardinalvicars erfolgt die Leichenfeier in der Petrikirche. Guglaud. London, 8. Februar. Das Unter haus hat nach längerer Debatte die Creditforderung der Regierung mit 328 gegen 124 Stimmen ange nommen Die hervorragendsten Führer der Opposition, darunter der Marquis v. Hartington, enthielten sich der Abstimmung. Gladstone stimmte gegen die Credit- bewilligung. Das Resultat der Abstimmung wurde von den ministeriellen Mitgliedern des Hauses mit stürmischem Beifall begrüßt. London, 7. Febr. Unterhaus. Schatzkanzler Northcote antwortete auf eine Anfrage Lord Hartmg- ton's, die Rusten seien bis auf eine Entfernung von etwa 30 englischen Meilen von Constantinopel vor gerückt und die Türken seien gezwungen gewesen, sich zurückzuziehen. Es möge das vielleicht den Bedingungen des Waffenstillstandes entsprechen, obschon die Türke» vorgeben, überrascht zu sein. Die englische Regierung habe heute mit dem Hinweise auf das Versprechen Kaiser Alexanders, daß er Constantinopel Mr im äußersten Nothfalle besetzen wolle, um Aufklärungen in Petersburg nachgesucht. - Rußland. Petersburg, 7. Februar. Auf die hierher gerichtete Anfrage, ob und wann der von Londoner Blättern gemeldete Einzug russischer Truppen in Constantinopel erfolgt sei, kann nur erwidert wecden, derselbe ist nicht erfolgt und die betreffende Blätter meldung Erdichtung. Petersburg, 8. Februar. Den Friedens bedingungen zufolge hebt die Türkei die Blokade auf, . worauf Handäsfrnheit eintritt. Die Türken räume» stand«, welcher Handel, Groß- und Klein-Gewerbe und Ackerbau treibt, ruht in unserer Zett der Schwerpunkt deS Staates. Man hat jetzt allgemein den hohen Werth der größtmöglichen Bildung für die materielle Md geistige Production erkannt. Noch vor drei, vier Jahrzehnten genügte eS dem Bürger, wenn sein Sohn lesen, schreiben und rechnen lernte. Mit der Ent wickelung deS wirthschaftlichen Lebens ist auch daS Bildungsbedürfniß gestiegen. „Noch vor 25 Jahren traten", wie vr. Otto berichtet, „die Söhne der reichsten und angesehensten Bürger der Stadt Mühl hausen in Thüringen aus der 2. Elaste der Knaben bürgerschule m das bürgerliche Leben, wenn sie 14 Jahre alt geworden waren. Heute huldigt der Bürger stand dort anderen Anschauungen. Nicht mehr von dem erreichten 14. Lebensjahre, sondern von einem alsnothwendig erkanntenMaße der Schulbildung macht jetzt eine große Zahl der Bürger den Austritt ihrer Söhne aus der Schule abhängig. Sie haben durch die Erfahrung eingesehen, daß jeder junge Mensch, je mehr Kenntnisse er sich erworben hat, um so schneller sich in seinen Lebensberuf hineinfindet, und daß daher der spätere Eintritt in ein kaufmännisches Geschäft oder in eine gewerbliche Laufbahn keineswegs, wie man noch hier und da meint, mit Nachtheilen verknüpft ist. Dazu kommt noch, daß der Austritt aus der Schule, wenn er mit dem 14. Lebensjahre erfolgt, die Knaben gerade in dem Alter der Schule entzieht, in welchem sich statt des durch die Schul- und Hausordnung er zwungenen Arbeitens ein auf freier Selbstbestimmung und auf regem Wissenstriebe ruhender Fleiß in ihnen zu entwickem pflegt. Zu dieser Einsicht ist man schon an vielen Orten, namentlich in allen den Städten ge kommen, welche „Mittelschulen" errichtet haben; denn diese setzen einen wenigstens bis zum 15. Lebensjahre währenden Schulbesuch voraus. Durch die geringe Zugabe von 1—2 Jähren kann eine Ausbildung er reicht werden, welche die Erringung einer ganz anderen Lebensstellung ermöglicht, als sie nach nur achtjährigem Schulbesuche erlangt werden kann.*) Der Bürgerstand sollte es sich stets vergegenwärtigen, daß alle Erfin dungen der Neuzeit, das Barometer, das Thermometer, die Luftpumpe, das Fernrohr, der Galvanismus u. s. f. lediglich Erfolge wissenschaftlicher und technischer Thä- tigkeit waren. Mt der Arbeit nach den altherge brachten Methoden kann in der Gegenwart den An forderungen des Geschmackes und der Concurrenz nicht mehr genügt werden. Außerdem macht die neuere Gesetzgebung hohe Ansprüche an die Gemeinde-Bürger ebenso, wie an die Staatsbürger, denen sie gewachsen fein müssen, wenn nicht das allgemeine Wohl darunter leiden soll. Diesem Stande, der sich heutzutage im Besitze des größten Einflusses befindet und der bisher ohne eine fernen Bildungsbedürfnissen dienende Anstalt geblieben ist, will die höhere Bürgerschule dienen. Sie will der großen Zahl der Schüler aus Stadt und Land, welche noch immer die Unterklasse der Gymnasien und Realschulen, diesen zur Last und sich selbst nicht zum Segen, füllen, eine Stätte bereiten, wo sie sich eine gründliche, dem praktischen Leben dienende und abgerundete Bildung aneignen können. Das Gedeihen des Volks- und Bürgerschul wesens beruht, vornehmlich auf der werkthätigen Liebe der Gemeinden. Es muß rühmend an erkannt werden, daß die Stadt- und größeren Land- aemeinden bisher kein Opfer gescheut haben, um die Kosten für die Einrichtung und Erhaltung dieser Schule» aufzubringen. Der Bürgerstand, welcher ge bildet genug ist, um einzusehen, welcher Schatz für eine Gemeinde eine gute Schule ist, wird, so hoffen wir, auch ferner das Tragen der Schullast als eure heilige Pflicht ansehen. Jeder Bürger, mag er nun mit der Hand öder mit dem Kopfe arbeiten, erkennt eS in unserer Zeit, daß keine Ausgabe nützlicher an gewendet ist, als diejenige, welche den Zweck hat, die junge Generation durch eine vernünftige Erziehung und durch praktischen Unterricht zu brauchbaren, körperlich Md geistig gesunden und wahrhaft gebildeten Menschen heranzuziehen. Demnach wird er für die geistigen Güter, rn deren Besitz die Schule ihre Schüler setzt, gern die entsprechende Entschädigung an Schulgeld zahlen. Das Letztere muß möglichst niedrm angesetzt sein, um auch den Kindern der weniger wohlhabenden Eltern die Möglichkeit zu gewähren, sich eine Bildung zu erwerben, dre sich rm Leben gut verwerthen läßt. Die höhere Bürgerschule ist keine BildungSanstalt Mr PK dre Besitzenden, wie von einigen Seiten angenom *) Nach -4, Absatz 9 des Schulgesetzes vom 2K. April 1873 befreit der regelmätzlge Besuch einer höheren Volksschule »iS MM 15. Lebensjahre von der Verpflichtung zur rheilnahme am Besuche der FortblldungSschule, eine bedmtendeVev- Günstigung für den «ewerbestand.