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Beilage zum „Elbeblatt und Anzeiger". - AH. Sonnabend, den 30. März 1878. Tagesgeschichte. Deutsches Reich, «"lin, 28. März. Der Reichstag erledigte in zweiter Lesung dte Post., Telegraphen» und MilitäretatS sowie andere Etats- Positronen nach de» Anträgen der Budgetcommission nach längerer aber unwesentlicher Debatte. — 28. März. Die Abendzeitungen bestätigen die erfolgte Ernennung HvbrechtS zum Fiuanzminister und MapbachS zum Handel-Minister. Der Kaiser empfing bereits gestern Hobrecht und Maybach in Audienz. — Ueber die Fähigleiten des bisherigen Ober bürgermeisters Hobrecht für den Posten deS Finanz- mimsterS sind, wie die „Deutsche Reichs-Correspondenz" meint, die Meinungen der Presse getheilt. Richtig sei eS allerdings, daß der bisherige Oberbürgermeister von Berlin sich um die Finanzlage der Stadt wenig Ver dienst erworben habe und seither gewohnt gewesen sei, in diesen Dingen dem Kämmerer Runge volle Freiheit zu lassen. Parlamentarische Kreise seien der Meinung, Herr Hobrecht werd« mit einem selbstständigen Finanz programm nicht auftreten und nur das vom Fürsten Bismarck wiederholt entwickelte Programm zur Aus führung zu . bringen suchen. — Nach Berliner Nachrichten ist die Berufung des Congresses vorläufig aufgegeben. Die Mächte sollen den Vorschlag Rußlands, den Congreß ohne Be theiligung Englands zu berufen, abgelehnt haben. Die jenigen Organe der russischen und englischen Presse, in welchen man den Ausdruck der in den leitenden poli tischen Kreisen herrschenden Anschauungen zu suchen gewohnt ist, befinden sich nicht nur bereits in Gefechts stellung, sondern habm die gegenseitige Actton schon in einer Weise eröffnet, wie sie nur am Vorabend eines Krieges zwischen zwei mächtigen Staaten üblich zu sein pflegt. München, 24. März. Gestern Nachts ist zu Mariabrunn nach längerer Krankheit die, man kann sagen in zwei Welttheilen — in ganz Europa und Amerika — bekannte sogenannte Doctorbüuerin Amalie Hohenester an einem Herzleiden gestorben, Viele Mitglieder der höchsten Regenten- und Fürsten familien von ganz Europa und die berühmtesten Männer der verschiedensten Kategorien hatten bei dieser merkwürdigen Frau in den letzten zwei Jahrzehnten Rach und Hilfe gesucht, waren zum Theil persönliche Curgäste zu Mariabrunn gewesen. Der berühmte russische General Totleben hatte sie im verflossenen Sommer schon zum dritten Male zu Rache gezogen und für den kommenden Sommer wurde er wieder in Mariabrunn erwartet, wo für Hunderte von meist höheren russischen Officieren, darunter für den aus den Kümpfen um Plewna bekannten General Fürsten Jmeri- tinski, bereits Quartier bestellt war. Der ununter brochene Ab- und Zugang von Patienten aus der Nähe und selbst der weitesten Ferne, die Sendungen an sie und von ihr an die Kranken waren so wahrhaft coloffal, daß man den Verlust, welchen die bayerischen Eisenbahnen durch ihren Tod erleiden, von Seite sach kundiger Eisenbahnbeamteu auf die fast unglaubliche Summe von mindestens 60- bis 70,000 M. jährlich anschlägt. Frankreich. Paris, 26. März. Wie der „Sorr" meldet, wurde in einem heute stattgehabten Ministerrath aufs Neue beschlossen, stricte Neutralität zu beobachten, an dem Congreffe nur theilzunehmen, wenn alle Garanttemächte auf demselben vertreten wären und diese Haltung trotz aller Verführungen oder Droh ungen zu bewahren. Italien. Rom, 28. März. Der Papst wies in einer Allocution auf die Herrlichkeit des Pontifikates PiuS', dessen Tugenden er erwähnte, sowie auf die allgemeine traurige Lage der bürgerlichen Gesellschaft und der katholischen Kirche, namentlich des päpstlichen Stuhles hin, welcher gewaltthättg seiner weltlichen Macht beraubt und nicht von der vollen unabhängigen Gewalt freien Gebrauch machen könne. Gleichwohl nahm er daS Ponttficat au, weil er Gottes Willen ge horchen wollte, welcher sich in Schnelligkeit und Em- stimmigkeit seiner Wahl kundgab. Der Papst be- theuerte feierlichst, alle Sorge auf die Bewahrung des katholischen Glaubens, sowie der Kirchenrechte zu richten und vertraut auf die Hülfe des Collegiums, es gereiche ihm zum Trost, durch die Wiederherstel, lung der Hierarchie Schottlands das Werk Pius' vol lenden zu können. Der Papst schloß mit der Auf forderung, ihn zu unterstützen, daß er die Religion rntact «wahren könne und zu beten, daß Gott das Schiff Petri nach Sturm in sichern Haft» geleite. England. London, 28.März. DerCabiuets- rath wurde heute plötzlich zusammenberufen und ist augenblicklich uaterdem BorfltzLorL Beacoufteld» versammelt. — Bei der gekrigm Jahresfeier de» Vereins zur Unterstützung vothleideuder Ausländer hielt auch der deutsche Botschafter eine Rede, in welcher er äußerte, Niemand wünsch« lebhafter dte Aufrechterhaltung de» Friedens, al» der Souverain und die Regierung, die er vertrete. Die Erklärung de» Grafen Münster wurde mit anhaltendem, stürmischem Beifall ausgenommen. — 28. März. „Daily Telegraph" meldet: Da» Cabinet erwog gestern sowohl wie am DienStag Abend die eingetroffene russische Antwort. Dortschakoff lehnt daS englische Ansuchen ab und versichert Derby, er würdige völlig den Wunsch Englands, auf dem Con greffe die Bedingungen de» Vertrages anzuregen, aber er müsse sich daS Veto gegen die Discusfion solcher Bedingungen Vorbehalten, die Rußland al» außerhalb der europäischen Jurisdiction liegend erachtet. DaS Blatt bemerkt hierzu, daß die natürliche Folge dieser Antwort der Nichtzusammentritt des Congresses sei. — „Time»"bezweifelt ebenfalls daSZustandekommen d«S Con gresses, weil die Meinungsverschiedenheit zwischen England und Rußland unüberwindlich scheine. Amerika. New-Dor k, 27. März. Agenten der englischen Regierung sollen 18,000 Pferde in den West- undSüdwest-Staaten ankaufen als Remonte für die Cavallerie und Artillerie. Dieselben würden nach Canada gesandt und von dort nach England weiter expedirt werden. — Die ,Mmes" meldet aus Philadelphia am 21. d : Rußland kauft im Stillen umfassendes Kriegs material. Am Dienstag gingen 8400 Kisten mit Patronen von New-Dork nach Kronstadt ab. Eine weitere Verladung wird angeblich für's Schwarze Meer vorbereitet. Oertttches und Sächsisches. — Heutiger Numcker liegt ein Extrablatt, den echten rhein. Trauben-Brust-Honig von W. H. Zicken heimer in Mainz bett., bei. — DaS Technicum Mittweida kSachsen), höhere Fachschule für Maschinen-Jngenieure und Werkmeister, beginnt rmAprilsein 12.Schul jahr. Daß diese Anstalt nach wie vor bemüht ist, tüchtige Leute in die Welt zu schicken, das beweist die fortwährende starke Frequenz (im Vorjahre allein 413 Studireude aus Europa, Amerika, Asien und Afrika), so daß selbst die schlechten Zeitumstände auf das Blühen dieser Schule keinen Einfluß haben. Die von dem Direktorium herausgegebene „Allge meine Techniker Zeitung" (Verlag von Moritz Schäfer in Leipzig), die zugleich Organ der Genoffenschaft Deutscher Techniker »st, vermittelt in bester Weise den Verkehr zwischen der Schule und der technischen Welt. Programme sind durch die Direktion zu beziehen. Meißen, 27. März. Gestern Nachmittag ist ein Kohlen-Kahn mit der Kaffe an einem Pfeiler der Eisenbahnbrücke gestoßen, aber nicht gesunken, sondern durch beide Brücken geschwommen. Die Mannschaft hat sich Angesichts der unvermeidlichen Gefahr mit ihren Habseligkeiten in daS Boot geflüchtet und ist dann dem Kahn nachgefahren. Derselbe liegt ober halb der Knorre und muß umgeladen werden. — In diesem Monate haben täglich 25 bis über 40 größere Schiffe stromab unsere Brücken passirt. — In Glauchau hat sich die Polizei eines vielversprechenden jungen Geschwisterpaares versichert, daß die vertrauenerweckenden Namen,Hans" und*„Grete" führt und erst im Alter von 11 und 13 Jahren steht, aber schon verschiedene Einbrüche und Diebstähle auL- führte. Die beiden Kinder trieben als Deckmantel einen Pöklingshandel, wußten sich in den verschiedensten Geschäften Eintritt zu verschaffen und habm so Be träge von 30 , 30 , 40 und mehr Mark gestohlen. Ihren Eltern — unbescholtenen Leuten — haben sie Einiges davon gegeben, als Erlös für die Fische, wie sie sagten, Einiges abm hatten sie an sicheren Orten vergraben. — Ein Schulknabe, Richard Krug aus Spilmes, ward am Montag auf dem Wege nach der Schule von zwei anderen Jungen mit einem Taschenmesser der maßen in die Hand gestochen, daß er in der Lehrer wohnung ohnmächtig wurde. Nette Jugend! Jy Herrnhut tritt gegenwärtig die Gelbsucht epidemisch auf, besonders unter den Kindern. Vermischtes. ' * In einer dieser Tage stattgehabten Sitzung der Berliner polytechnischen Gesellschaft wurde uttter An derem da» neueste Stroußberg'sche Projett, Berlin zu einem Hafen der Notd. und Ostsee zu zu mach«, lebhaft besprochen und die Möglichkeit der Durchführung de» Projekte» sowie die Berechtigung der Idee an sich anerkannt. * Vom Rhein wird der Berliner „N. P. A." ge schrieben : Au» Düsseldorf und Dortmund wurde dieser Tage berichtet, daß die Zahl der Subhastationen von Grundstücken und der Concurse von Bauunternehmern sich sehr mehre. Aus anderen Gegenden verlautet Ähnliches. Die Sucht, aus einem Maurer- oder Zimmermeister «in Bauunternehmer und Häuferspecu- lant zu werden, welche in dm Grüudnngsjahren reißend schnell um sich griff, trägt nun ihre bösen Früchte. Nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in dm größeren Provinzialstädten stehen Häuser leer und die unvorsichtigen Spekulanten fallirm. Die „Essener Zeitung" bemerkt mit Recht, daß gerade die leicht sinnigen Bauunternehmer zur Verschlimmerung unserer wirthschaftlichm Lage viel beigetragen haben. Gläubiger als Heirathsftister. (Horts, u. Schluß au« Nr. 37.) „Was hast Du?," begann Victoria, „Du bist so feierlich." „Hören Sie mich an," erwidert« Valerian, seine Stimme vibrirte, „dies ist daS Einzige, mein Fräulein, warum ich Sie bitte, hören Sie nuch bis zu Ende an, und dann erst entscheiden Sie über mein Schicksal, über Tod und Leben —" „Habe ich nicht bereits entschieden," sagte daS schöne Mädchen fein lächelnd. „Ja, Sie sind dem armen Fremdling gefolgt, Sie wollen mit ihm Armuth und Entbehrung theilen," er widerte Valerian, „Sie sind gut und edel, ein Weib wie «»mir noch nie begegnet, wie ich es nur aus den herrlichen Gebilden der Dichter kannte, aber werden Sie auch mir gehören wollen?" „Ihnen, wem sonst?" rief Victoria. „Mir — nicht dem Italiener Scarlatti — auch ich bin arm, ja mehr als daS — aber ich bin nicht —" „Sie sind nicht —" „Mein Fräulein, wir befinden uns in dem Edel hofe zu Barattn und ich bin Valerian KochanSki, der Don Juan, den Sie so sehr verabscheuen." „Sie sind Valerian —" Victoria war aufgesprungen und starrte den Geliebten halb entsetzt, halb erstaunt an,' „Sie haben mich getäuscht —" „Ich hatte von Ihrer Schönheit, Ihrem herrlichen Wesen gehört, aber auch von Ihren romantischen Nei gungen," fuhr Valerian fort, „mein Ruf ist nicht der beste, mußte ich nicht fürchten, daß Sie die gerade offene Werbung zurückweisen würden? Erinnern Sie sich des Tages, wo Ihnen ein polnischer Jude die Schlittschuhe anschnallte? Ich war es, der in dieser Verkleidung kam, um Sie zu sehen. Ich liebte Sie von diesem Augen blicke an, ich fühlte, daß ich nur mit Ihnen glücklich werden konnte. Ich kam als fremder Flüchtling, als armer Lehrer in Ihr HauS, ich wollte geliebt werden um meiner selbst willen — geliebt mit aller Auf opferung, deren nur ein edles gutes, reineS Frauenherz fähig ist. — Alles Andere wissen Sie — In Ihren Händen liegt mein Glück, ja mein Leben. Entscheiden Sie, und wenn Sie mich verwerfen, so beschwöre ich Sie, verachten Sie mindestens den Mann nicht, der keinen Gedanken hat, keine Empfindung als für Sie, dem durch Sie die süße Offenbarung edler Weiblichkeit wurde, der ohne Sie zu Grunde gehen wird, wie er an Ihrer Hand ein neues besseres Leben beginnen würde. Sie sind mein Richter, hier kniee ich und erwarte mein Urtheil." Valerian warf sich dem schönen Mädchen zu Füßen, Thränen perlten seine wetterbrauncn Wangen hinab, Victoria sah eS, sie schlang mit heftiger Zärtlichkeit die Arme um ihn und zog ihn an ihre Brust, auch ihr stürzten die Thränen herab. Keines sprach ein Wort. Die Scene im Hause Festenburg, als Victorias Entführung bekannt wurde, läßt sich nicht beschreiben; Frau v. Festenburg siel abwechselnd in Ohnmacht und raste wie eine Furre herum, Herr v. Festenburg lachte aus vollem Halse. „Das hast Du mit Deinem Betbruder, Deinem