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daß der preußische Landtag vor dem Reichstage einbe- rufen werden wird. Hier im Landtage liegt diesmal der Schwerpunkt der ganzen parlamentarischen Session. Sie verspricht in Wahrheit eine Reformsession von großer grundsätzlicher Tragweite zu werden, so etwa in dem Sinne, wie dies während der siebziger Jahre durch die Neuregelung der KreiS- und Provmzialord- »ungen der Fall gewesen. Herr Bebel hat dem Zuge der Zeit folgend sich vom Berichterstatter des „Galignani Messenger" inter viewen lassen. Hier der Wortlaut der betreffenden Unterredung: „WaS halten Sie vom Kaiser und seinen Handlungen?" - „Man muß erst sehen, b«v»c man urtheilt", erwiderte Bebel; „eö ist daS ein sehr nervöser Mann, der jeden Augenblick sich ändern könnte. Heute scheinen seine Absichten wohlwollender Natur zu sein. Doch ist ein plötzlicher Umschwung zu besorgen. Die Strenge liegt in seinem Temperament. Sehr genau kennt er die Rechte und die Pflichten der Monarchie und ist Willens, sie anzuwenden". „Und glauben Sie, er könne dem Einfluß großer moderner polnischer oder sozialpolitischer Bewegungen Rechnung tragen?" „Ich meine, er hat von seinen Ahnen einen tiefen Rrsp.kt vor der Monarchie und einen unerschütterlichen Glauben an dieselbe geerbt; allein von der Mutter erhielt er auch gewisse englische Anschauungen über die öffentliche Meinung. Daher kommt es, daß er viel darauf giebt, besonders auf dir Presse, die er aufmerksam verfolgt." „Wie denken Sie sich die Folgen von der Beseitigung des Sozialistengesetzes?" „Wir Parteiführer werden eine erheblich gesteigerte Arbeitslast erhalten: doch die Gefahren der Einkerkerung und der Geldbußen bleiben dieselben. Wir werden jetzt, wo wir in den großen Zentren uns aufhalten dürfen, mit demselben Eifer reden und schreiben, aber man wird uns ebenso streng wie vorher überwachen". Holland. Eine merkwürdige, scheinbar von amt licher Seite kommende Darlegung über die Krankheit des Königs von Holland veröffentlicht der Amsterdamer „Standaard", und das Organ der Partei, zu welcher auch der Minister des Innern, Baron Mackay, selbst gehört, macht dabei den Versuch, die Vorwürfe zu entkräften, welche in der letzten Zeit gegen die Regierung erhoben worden sind, weil diese nicht die nölhigen Schritte gethan habe, um die durch den Zustand des Königs herbeigefühite Unterbrechung im regelmäßigen Gang der Geschäfte zu verhüten. Das Blatt schreibt: „Bis vor 14 Tagen hat der König seine gewöhnlichen Arbeiten verrichtet. Wie bekannt ist, verläßt er das Loo niemals, und die Minister müssen Alles schriftlich mit ihm erledigen, aber dies verhindert keineswegs, daß sich der König persönlich mit Staatsangelegenheiten befaßt. Während deS ganzen Sommers hat Se. Majestät die unzweidevtigsten Beweise dafür gegeben, daß er von Allem, was überhaupt verging, unterrichtet war, und cs liegt auch nicht der leiseste Grund zu der Annahme vor, daß er in mehr oder weniger um- nachtetem Geisteszustand jemals die erforderliche Zu stimmung zu irgend etwas gegeben haben sollte. Natür lich erheischt dies körperliche Anstrengung, weshalb auch Se. Majestät, als die alte Krankheit wieder an Heftig keit zunahm, von jeglicher Arbeit absehen mußte. Gerade der Umstand, daß, sobald die Krankheit schlimmer wurde, klirr einziger kgl. Beschluß mehr im Staatsblatt erschien, beweist, daß Alles in vollkommen normalem Zustand ist. Außerdem darf man nicht übersehen, daß die Aerzte Hausärzte sind und daß also die Regierung ihnen nichts vorzuschreiben hat. Die Einzelheiten, aus welchen die persönliche Arbeitsbethätizung des Königs mit mathematischer Sicherheit hervorgeht, ent ziehen sich natürlich der Mittheilung, sie sind nichts destoweniger aber so einschneidender Art, daß jeder Zweifel von vornherein ausgeschlossen sein muß". Mehr und mehr scheint die Wahrscheinlichkeit an Boden zu gewinnen, daß der König vermöge seiner ungemein kräftigen Konstitution auch diesen Anfall wieder Über stehen wird, zumal alle Berichte darin übereinstimmen, daß von einer Verminderung der Kräfte bis jetzt nichts bemerkbar wurde. Wäre der Zustand in der That rin unmittelbar gefahrdrohender, dann wäre sicher die gestrige Sitzung der Zweiten Kammer nicht ohne eine Mittheilung von der Ministerbank vorübergegangen. Gugland. Die nationalistischen Abgeordneten William O'örien und Dillon, gegen welche gegen wärtig der Prozeß wegen Aufhetzung der Pächter zur Nichtzahlung des Pachtgeldes verhandelt wird, sind heimlich nach Amerika abgesegelt. Die von ihnen ge stellte Caution von j- 1000 Pfund verfällt. Spanien. Bor Kurzem verlautete, daß die Verhandlungen, welche der spanische Minister-Präsident Canovas del Castillo durch einen Vertrauensmann in Paris mit dem früheren Minister und langjährigen ' Chef der spanischen Rjevolutions-Partei, Ruiz Zorilla, eiugeleitet hatte, um diesen zum Verzicht auf seine revolutionäre Thätigkeit, znr Annahme der beabsichtigten politischen Amnestie und zur Rückkehr nach Spanien zu bewegen, an der Forderung de- Letzteren, daß auch die verurtheilten Offiziere amnestirt und zugleich in ihr« früheren Grade wieder eingesetzt werden, gescheitert seien. Nun soll der vielgewandte spanische Minister- Präsident diese Verhandlungen aber doch wieder auf nehmen wollen und dabei die Hoffnung haben, die Sache noch vor dem Zusammentritt der CarteS zur Ausführung bringen zu können. Durch die Lahmleg ung der Zorillasschen Propaganda könnte dem Lande jN der That ein großer Dienst geleistet werden. Der Kramchsee. Im rauhesten Theile deS Erzgebirges, südlich von dem unwirthlich gelegenen Markrflecken Karlsfeld, so schreibt S. M. Willkomm in der Leipz. Ztg., zieht sich auf dem Kam« des Gebirges ein gewaltig großes Hochmoor, der „Kranichs»" hin. Sobald man den mit allerlei Gestrüpp und Sumpfpflanzen bestandenen Boden dieses Moores betritt, merkt man, daß man den festen Grund verloren hat; bis über den Knöchel sinkt der Fuß in das weiche Erdreich ein, wo man gegangen ist, bilden sich kleine Wasserlachen, und an manchen Stellen geräth, wenn man fest auftritt, ein mehrere Quadiatmetcr großes Stück des Bodens mit ins Schwanken. Bon dem das Moor umgebenden festen Erdboden unterscheidet sich der Kranichs» dem Auge deS Beschauers durch die ihm eigenthümliche Vegetation. Vor Allem sind es die niedrigen, ver krüppelten Legföcen (kinrrs alixinosu), die uns, sobald wir des Kcanichsees ansichtig werden, ins Auge fallen. Diese Bäume hat der hier oben die größte Zeit des Jahres fast ununterbrochen lobende Sturm alle nach einer Richtung umgelegt: da fristen sie nun, mit den langen Nadeln beinahe den Boden berührend, kümmerlich ihr Dasein. Um sie herum wuchert es von dem bläulich schimmernden Laub der Moosbeere, und hier und da breitet der fleischfressende „Sonnen- thau" seine zarten Blättchen aus. Es ist nicht un gefährlich, auf dem Kranichs» umherzustreifen. An einzelnen Stellen ist das Moor mehr als 17 Meter lief, und dabei so weich und nachgiebig, daß Der jenige, der eine solche Stelle ahnungslos betritt, ver loren ist. Jedenfalls ist es gerathen, einen Orts kundigen mit sich zu nehmen: denn passirte Einem hier oben das Unglück einzusinken, so würde man, wäre man allein, »«gehört sterben und verderben, da für gewöhnlich weit und breit kein menschliches Wesen zu hören ist. — An der sächsisch-böhmischen Grenze hin, die quer durch den Kranichs« hindurch geht, soll ein sicherer Pfad hart an den Grenzsteinen entlang gehen, doch ist es wohl nicht so leicht, diesen zu finden. Empfehlenswerth ist es, eine möglich lange Stange mit sich zu nehmen, um mittelst dieser den Boden auf seine Festigkeit hin zu untersuchen. Dec Kranichs« ist gleich einem vom Wasser durchsickerten Schwamm von Feuchtigkeit vollgezogen, die er dem Regen und Nebel abgewinnt, um sie dann in Gestalt von kleinen Gerieseln und größeren Bächen ins Land hinabzusenden. Drei bedeutendere Gebirgsbäche: Ppra, Wilzsch und Rohlau, verdanken ihr Dasein dem Kranichs», der die ihm entquellenden Gewässer in jeder Sekunde mit fünfhundert Litern Wasser versorgt. Palmwein. Palmwein wird in Westafrika hauptsächlich aus Oelpalme, und zwar meist in der Werse gewonnen, daß man die Stiele der noch nicht völlig verblühten Staubblüthenbüschel abschneidet, und um die Schnitt fläche einen aus einem Bananenblatte gefertigten Trichter befestigt, weiter in einen Flaschenkürbis mündet. Durch diese Saftentziehung werden die Oclsrüchte kleiner und der Baum liefert dann mehr Wein als Oel. Eine 6 bis 8 Jahre alte Palme giebt 5 Wochen hindurch täglich etwa 1*/, Liter Palmwein. Selten entschließt man sich, der Weinbereitung einen jungen Baum zu opfern. Man schlägt dann die Wedelstiehle ab, gräbt die Palme aus und streckt sie zu Boden, durchbohrt den Stamm und läßt den Saft durch ein Rohr in ein untergestelltes Gefäß fließen. Im frischen Zustande stellt der Palmwein eine trübe, weißliche, molkenartige Flüssigkeit von sehr starkem Zuckergehalte und dem Geschmack« jungen MosteS dar. Ec schmeckt frisch vom Baume angenehm süßsauer, doch etwas fade, und man muß sich, um ihn gern zu trinken, erst an seinen Geschmack gewöhnen. Di« Eingeborenen füllen den Palmwein in leere Rumflaschen und tragen diese an Lianevschnüren. Nach Zöller durchläuft der Palmwein schon innerhalb 48 Stunden sämmtliche Stufen der alkoholische« sowohl als der Lsfiggährung. Nach der Vährung kommt der Trank unserem Champagner nahe. Er wi d, so lange nicht die Esflzgährung überwiegt, in allen UebergangSstufen getrunken. Der Alkoholge halt deS Palmweins ist gering und eS ist eine Ueber- treibung, wenn ältere Reisende melden, daß der Palm wein bei einigen Völkern deS östlichen Afrikas durch seine Berauschung verderblich wirke. Er ist viel weniger berauschend als unsere Biere und Weine, j, man kann während einer Mahlzeit mehrere Sorten PalmweinS ohne allen Schaden trinken. Er bekommt sehr gut und wirkt besonders erfrischend. Palmwein ist innerhalb deS KamrrungebieteS auch Handelsartikel. Da der Palmwein der Berge besser ist, als derjenige der Ebene, so wird er von Abo und Wuri nach Kamerun versandt, er muß aber vorher gekocht und in große, wohlverkorkte Korbflaschen gefüllt werden, damit er nicht sauer wird. Haus« und Landwirthschqftliches. Neuer Freßbeutel für Pferde. Von Eng land kommt jetzt eine praktische Erfindung, die so ein fach ist, daß man sich wundern muß, wie dieselbe so lange unerfunden geblieben sein kann. Es ist ein Freßbeutel für Pferde. Bisher bestanden diese Beutel aus starkem Zeug. Das Pferd mußte Alles fressen, was im Beutel war, Staub und überhaupt ungesiebteS Futter, wenn kein andres zu erhalten war. Sodann wurde beim Schnaufen des Pferdes der Staub und die Spreu nach oben getrieben und verursachte dem Thiere durch Eintritt in die Nüstern und die Augen Unbehagen und Schaden. Endlich war der Luftzutritt für das Pferd behindert. Alle diese Nachtheile werden beseitigt in dem neuen englischen Freßbeutel. Der Boden desselben besteht aus einem Drahtsiebe, und das Pferd besorgt beim Fressen durch das Schütteln selbst das Durchsieben der Unreinigkeiten. Am vorderen Theile des Beutels ist ferner ein solches Drahtsieb angebracht, welches die vom Pferde ausgestoßene Luft und Staub nach vorn abziehen und frische Luft ein treten läßt. Der Beutel ist bequem zusammenzulegen und nimmt nur den Raum des ovalen Siebbodens, 31 und 21 Zentimeter ein. Scheu gewordene Pferde zu bändigen, war schon von jeher die Aufgabe der Reiter und Fahrer, und verschieden sind die Mittel, mit denen dieser Zweck erreicht wurde. Ein neues Verfahren zum Bändigen scheu gewordener, ausschlagender Pferde liegt, wie das Patentbureau von H. und W. Pataky in Bersin rnit- theilt, in den Patenten A. I. Hoffmann und F. H. Auerswald in Leipzig vor. Diese Vorrichtung beruht auf dem Grundsätze, daß durch Fallenlaffen von Platten oder Gurten, welche für gewöhnlich an der Brust des Thieres hängen, dem Thiere jede Möglichkeit des Aus schreitens genommen ist. Die Vorrichtung ist ebenso wohl für Reit- als für Wagenpferde verwendbar und bedingt weder eine Aenderung in der bisherigen Zäun- ung noch eine Aenderung an dem Geschirre des Pferdes. Sie besteht aus zwei seitlich des Pferdes liegenden, gewissermaßen zum Geschirr gehörigen Röhren, die durch gepolsterte Platten verbunden find, die sich in einander verschieben können. Durch besondere Federn werden die Platten vor der Brust des Pferdes gehalten und sind daselbst durch eine Klinke am Herabfallen verhin dert. Diese Klinke ist mit einem besonderen Zügel verbunden. Sobald nun das Pferd scheut, oder durch gehen will, braucht nur der Lenker an diesem Zügel zu ziehen, um die Vorrichtung sofort zur Wirkung zu bringen und das Thier zu bändigen. Die Platten werden durch die auSgelösten Federn nach unten ge schnallt, legen sich über einen Theil der Oberbeine des Pferdes und bilden daselbst ein f.stes Hinderniß für jedes Ausschreiten des Pferdes. Diese Art der Bildung eines Hindernisses ist so wirksam, daß nicht einmal ein Bäumen des Pferdes zu befürchten ist, da dasselbe die Vorderbeine nicht zu heben vermag. Auch ein Aus schlagen des ThiereS mit den Hinterbeinen kann nicht stattfinden, da daS Pferd bei gesenkten Platten ver- hrndert ist, die hierzu erforderliche Stellung einzu nehmen. Ist das Pferd wieder beruhigt, so wird die Vorrichtung durch Drehen einer Kurbel aufgezogen und ist dadurch zum neuen Gebrauch wieder in Betrieb ge setzt. Da die Platten gut gepolstert sind und die ganze Vorrichtung trotz ihrer momentanen Wirkung das zu bändigende Thier in keiner Weise beschädigt, so ergiebt sich die große Tragweite der vorliegenden Erfindung. Dabei bildet dieselbe eine Zierde deS Ge schirres, ist nicht schwer und belästigt damit das Pferd nicht unnöthig.