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gleich zu heute in Aussicht stellt, fast ohne Ausnahme von der gesammten deutschen Albeiterwelt mit Theil- nahmlofigkeit oder gar mit Mißtrauen betrachtet wird. — Kanu man also einerseits nicht hoste«, da« ver trauen de« GroS der Arbeiter zurückzugewinnen, so gehen andererseits der Großindustrie die in Aussicht genommenen Reformen noch zu weit; sie befürchtet hier Kontur, enzfähigkeit auf dem Weltmarkt einzubüßen, die ihr durch die amerikanische Mac Kinley-Bill neuer dings überdies schon bedeutend erschwert wird. — In dem gewaltigen Widerstreit der einander entgegenflehenden Interessen gilt eS, den klaren Blick und feste Entschlossen heit zu bewahren. Der Kaiser hat schon früher als seine Parole bekannt gegeben, daß er das für Recht erkannte durchzufllhren entschlossen sei, auch wenn er nicht aut Anerkennung rechnen dürfe. DaS ist der Standpunkt eines ganzen ManneS. Möge er überall Nachahmung finden, dann werden wir in Deutschland hoffentlich auch ohne Socialistengesetz ganz gut vorwärts kommen. Deutsches Reich. Kaiser Wilhelm hat am Dienstag seine Jagden in Ostpreußen beendet. Er kchrte mit seinem Gefolge nach Trakehnen zurück, von wo aus die Weiterreise nach Wien erfolgte. Die Ankunft daselbst sollte am Mittwoch Vormittag erfolgen. Der Besuch deö Königs der Belgier in Berlin wird Mitte October erwartet. Der König wird der Einweihung des Mausoleums in Potsdam beiwohnen, zu der auch die Großherzogin von Baden erwartet wird, Eine Besserung der wirthschaftlichen Beziehungen Deutschlands zn Oesterreich-Ungarn wird gegenwärtig angestrcbt. Wre ein Wiener offiziöses Blatt mittheilt, finden zur Zeit zwischen Wien und Berlin Erörterungen über diese Angelegenheit statt, welche bereits bei der Kaiserdezegnung in Rohnfiock besprochen worden sein soll. Mit dem 1. October tritt das Gesetz über die Erhöhung der Friedensstärke des Heeres in Kiaft. Dasselbe setzt die Friedenspräsenzstärke auf 486983 Mann fest, wobei die Offiziere (20 285), Einjahrig- Freiwilligen (9000), Militärärzte (1830), Zahlmeister, Roßärzte, Büchsenmacher, Waffenmeister, Sattler, sowie sämmtliche Militär beamte nicht einbegriffen sind. Seit 1875 ist die Fritdenßpräsenzstärke des deutsch en Heer es Von 401659 Mann auf die oben angegebne Ziffer gestiegen, hat sich somit um 85 324 Mann vermehrt. Die aufzunehmenden Reichs- und preuß. Staats anleihen betragen dem Vernehmen nach 160 Millionen für das Reich und 50 Millionen für Preußen. Das von der „Post" verbreitete Gerücht, der frühere Minister von Putlkamer sei zum Ober Präsidenten der Provinz Sachsen ausersehen, entbehrt glaubwürdigen Versicherungen zufolge jeder Begründung. Der Rerchstagsabz. Witt (freisinnig), Vertreter des Wahlkreises Landsbsrz-Soldrn, ist am Sonntag in Charlotten bürg gestorben. Nach dem amtlichen Ergebniß der Reichstags-Er satzwahl im Wahlkreise Bonn wurden im Ganzen 10 502 Stimmen abgegeben; von diesen erhielt der Kandidat des Centrums, Landgerichtsrath Peter Spahn in Bonn 10156, während auf den Klempner Max Lücke in Köln (Soz.) 228 Stimmen entfielen. Der Erstere ist somit gewählt. Brkanntlich haben die Vorschriften über die Hand habung des Paßzwanges in den Reichslauden im Laufe dieses Sommers eine Milderung erfahren, und es ist der Uebertritt über die Grenzen erleichtert morden. Die Regierung hat seitdem die Wirkung dieser Aender- ungen Mit Aufmerksamkeit verfolgen lassen. Die Reise zeit war für solche Beobachtungen besonders geeignet. Die Berichte der äußeren Behörden sollen nun sämmt- lich darin übereinstimmen, daß von unliebsamen Folgen bisher nichts bemerkt worden ist. Die neuerdings ver breitete Nachricht, daß in jüngster Zeit eine weitere Milderung zu Gunsten französischer Offiziere einzetretea sei, wird als unrichtig bezeichnet. Nach wie vor wird französischen Offizieren grundsätzlich nur im Falle einer nachgewiesenen besonders dringenden Nothrvendigkeit ein kurzer nach dem Zwecke bemessener Aufenthalt ge stattet. Wie der „Reichsanzeiger" mittheilt, wird über die zukünftige Organisation des ostafrikanischen Küstenge biets innerhalb der Reichsoerwaltung das erforderliche Material vorbereitet, bannt dem Reichstage sofort bei seinem Zusammentritt ein vollständiger Plan in allen Einzelheiten vorgelegt werden kann. Der kaiserliche Gouverneur in Kamerun, Freiherr v. Soden, begiebt sich in diesen Tagen nach Ost-Afrika, um über die künftige Gestaltung der inneren Verwaltung und die Regelung der Rechtspflege an der Küste Ermittelungen anzustellen und darüber zu berichten. Zu dem sozialdemokratischen Parteitag in Halle er wartet man aus allen Theilcn Deutschlands an 400 Dclegirte. Inwieweit die Presse Zutritt hat, darüber bestimmt der Ausschuß am 12. Oktober in einer dort I stattfindenden Sitzung. Der Zutritt zu den Verhand lungen ist nur gegen vorher gelöste Karte» möglich, , deren nur eine gennfie Zahl auSgegebe« wird. Wie mehrfach gemeldet worden, soll der Reichs kanzler General don Caprivi beabsichtigen, in diesem Herbste eine Reis« nach München zu unternehmen. Eine andere Angabe will wissen, die Reise des Reichs kanzlers würde auch auf andere süddeutsche Staaten ausgedehnt werden. Jedenfalls bestätigt eS sich, daß eigentlich politische Zwecke mit dieser Reise nicht ver bunden sind, sondern daß eS lediglich die Absicht ist, mit den betreffenden Höfen und leitenden Persönlich keiten nähere Beziehungen anzuknüpfen. Der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" zufolge handelt eS sich bei der Aufnahme von Reichs- und Staatsanleihen, über welche Verhandlungen bereits im Gange sind, um 160 Millionen für das Reich und 50 Millionen für Preusen. Beide Summen sind von dem Reichstage und Landtage bereits genehmigt. Oesterreich. Wien, 30. S'ptember. Die Vorbereitungen auf der ganzen Linie vom Nordbahn hofe bis Sctönbrunn zum Empfange Sr. Maj. des Kaisers Wilhelm gehen ihrer Vollendung entgegen; auch die Ausschmückung der zur Aufnahme des Aller höchsten GasteS bestimmten Gemächer ist fast vollendet. Der Kaiser wird in Schönbrunn bewohnen: das soge nannte Vieux-Laque-Zimmer, bas Zimmer des Herzogs von Reichstädt, den Gobelinsalon, das anstoßende Porzellankabinet, welches zum Schreibzimmer eingerichtet ist, das sogenannte Vegetinzimmer und das Erkerzimmer, zusammen 6 Räume. Während der Anwesenheit Sr. Maj. des Kaisers Wilhelm in Schönbrunn halten die Offiziere der Arcis engards die Ehrenwache. Im Vor zimmer sind die Trabanten der Leibgarde in Spalier aufgestellt. Das Oejsünsr-elinLtoirk wird um 1^/, Uhr eingenommen werden. An demselben nehmen etwa 40 Personen im Jagdkostüm Theil. Die Auf- > rechterhaltung der Ordnung in Wien werden die Veteranen-Vereine, in den Vororten die Ortsfeuer- wehren übernehmen. Frankreich. Der Minister des Aeaßern, Ribot, sagte am Sonntag gelegentlich einer Rebe vor seinen Wählern in St. Omer, Frankreich habe das Recht stolz zu sein, gleichwohl bleibe es friedlich; dos Aus- land erkenne das gegenwärtige Regime als festestes > und dauerhaftestes an. Am Schluffe seiner Ausführ- , ungen kündigte der Minister an, daß die Regierung f demnächst ein Gesetz betr. die Entfestigung von St. Omer einbringen werde. Die Gerüchte über ein französisches-russisches Bünd- - niß «erden von Paris aus offiziös dementirt. Gegen- ! über verschiedenen Blättermelvungen wird erklärt, baß zwischen den früheren Minister des Aeußern, Spuller, .! und dem russischen Botschaftsrat- Kotzebue Verhand- ! lungen über ein französisch-russisches Bündniß niemals ststlgefunden haben. ! Eine Expedition nach Dahouuy rüstet die französische Regierung aus; Turkes würden nach Dakar abgeschickt. Das Unternehmen soll andauern, bis der König von Dahomiy sich unterworfen habe, was allerdings nicht so bald und so leicht geschehen dürfte. England. Wie aus London gemeldet wird, ist dort der letzte Gouverneur von Helgoland, Barkley, gestorben. Holland. Uebcr das Befinden des Königs ver lautet, es habe sich neuerdings eine gewisse Abschwäch ung der Kräfte gezeigt, der König habe sich den Regierungs geschäften nicht mehr widmen können und während der letzten Tage das Bett nicht mehr verlassen. Auch der Appetit sei fast gänzlich geschwunden. Schweiz. Der BundeSrath gab im National rath in betreff der Wiedereinsetzung der früheren Regierung im Trssin folgende Erklärung ab: „Wir hoffen, nach Feststellung »es Abstimmungsergebnisses im Tessin, den Commissar beauftragen zu können, die Regierung wieder einzusetzen. DaS ist unsere Absicht, aber die Vorsicht erlaubt uns nicht, heute einen end gültigen Entscheid zu fassen, welchen gebieterische Um stände uns zu widerrufen zwingen können." In Bern ist die amtliche Meldung eingetroffen, daß die englische Regierung die Auslieferung CastioriS, welcher in Bellinzona den Staatsrath Rossi meuchlings niederschoß, mit den Bemerken verweigert hat, daß der That politische Motive zu Grunde liegen. Die brasilianische Republik ist nach dem Vorgänge Portugals nunmehr auch von der Schweiz förmlich anerkannt worden. Im neuen Bundesgesetz, betr. die Auslieferung von Verbrechern an daS Ausland, hat der Ständerath nach einer Meldung des „B. T." den Grundsatz aus gestellt, daß politische Verbrecher nicht auSgeliefert «erden sollen, daß die Auslieferung jedoch auch dann bewilligt werden soll, wenn der Thäter zwar einen politische« Beweggrund ober Zweck vo,schützt, die Handlung aber vorwiegend den Charakter eine« gemeinen Verbrechens oder Vergehens hat. DaS Gesetz kommt noch vor den Nationalrath. Spanien. AuS Madrid, 27. September, wird der „T. R." geschrieben: Die Madrider Presse oller Farben ist in nicht geringer Aufregung eine» ?l.rito-6L-tt wegen, welches sich vor wenigen Tagen in dem benachbarten Aranjuez zugetrageo hat. Al- dortige Zöglinge des Kadettenkorps die Kommunion empfingen, passtrte eS einem derselben, einem zwölf jährigen Jungen, daß ein Theil der Hostie ihm an den Lippen kleben blieb und er sich dieselben in Folge dessen mit der Mütze reinigen zu müssen glaubte. Der zelebrirende Kaplan bemerkte das und veranlaßte zuvörderst die militärischen Vorgesetzten des Knaben, denselben mit achttägigem schweren Kerker zu bestrafen. Nachdem er aus demselben entlassen worden war, wurde das gesammte Kadettenkorps alarmirt, im Hof des Gebäudes, welches ihm als Kaserne dient, im Viereck aufgestellt, und inmitten des letzteren ein Scheiterhaufen errichtet. Mit aneinanderqeschnürten Ellbogen und unter Vorantrilt der Musik, welch- einen Trauermarsch spielte, führte man alsdann den Delinquenten in das Viereck, nahm ihm di: militärischen Insignien und stieß ihn in aller Form aus dem Kadettenkorps. Dann folgte eine Red- von Seiten des Geistlichen und endlich die Verbrennung der Mütze auf dem bereits erwähnten Scheiterhaufen. Die Presse nennt den Akt „escanULloso" und fordert einmüthig die Bestrafung oder Absetzung der betheiligten Offiziere. Angesichts der durchaus lockeren Ansichten, welchen das gesammte spanische Offizier korps hinsichtlich religiöser Ueberlieferungen und Gebräuche huldigt, ist der geschilderte Vorgang allerdings sehr auffällig. Afghanistan. In Konstantinopel eingetrofsene Reisende aus Indien berichten von einer unter der mohammedanischen Bevölkerung in Kabul herrschenden bedenklichen Aufregung, welche durch fanatische Reden eines Derwisches Jschan Danket Schah hervorgerufen > ward, der sich für einen unmittelbaren Nachkommen Tamerlans ausgiebt und die Rolls eines Mahdi zu spielen droht. Derselbe erfreut sich eines großen Ein flusses bei seinen Glaubensgenossen und predigt den heiligen Krieg gegen alle Ungläubigen. Man ver- muthet, daß Abdurrhaman Khan dieser Bewegung, welche die Gründung eines mohammedanischen Reiches in Mittelasien anstrebt, nicht fern stehe. Sowohl unter den Mohammedanern der russischen, wie der englischen Grenzgebiete genießt die in Afghanistan be triebene Propaganda lebhafte Sympathien. Die Atters- und Jnvattditätsversicherung. (gortsetzung und Schluß.) Die Invalidenrente setzt sich zusammen aus der sogenannten Grundrente ,in Höhe von 60 Mark und einem Neichszuschuß von 50 Mark, welche Summen in allen 4 Klassen gleich find. Hierzu kommt ein Zuschuß von der Versicherungsanstalt, welche beträgt für jede Beitragswoche in 1. Lohnklasse 2 Pfg. - 2. - 6 - - 3. - 9 - - 4. - 13 - Zur Erläuterung diene folgende Zusammenstellung: Ein Arbeiter wird bereits im Alter von 35 Jahren arbeitsunfähig, er steuerte a. vom 16 — 20. Lebensjahre 200 Wochen in 2. Klasse d. - 20.-30. - 500 - - 1. - c. - 30.-35. - 250 - - 3. - In Folge dessen würde er bekommen: L. 200X 6 Pfg. — 12 Mark — Pfg. d. 500X13 - --- 65 — c. 250X 9 ----- 22 - 50 - hierzu Grundrente 60 - — - Neichszuschuß 50 - — - in Sa. 209 Marl 50 Pfg! Invalidenrente pro Jahr von der Erwerbsunfähigkeit bis zum Tode. Die beim Militär verbrachte Dienstzeit und die Zeit der etwaigen Krankheit, letztere bis zu 50 Wochen, werden beim AuSwerfen der Rente, als in Klasse 2 gesteuert, dem Empfänger gut geschrieben. Die höchste Invalidenrente nach Ablauf der 5jährigen Uebsrganzs- zeit wird 415 Mark 50 Pfg., die niedrigste 114 Mark 70 Pfg. betragen. Die Zuschüsse, welche das deutsche Reich zu den Renten zu leisten hat, sind nicht uner heblich; nach einer ungefähren Berechnung werden hierzu im ersten Jahre schon 6—7 Millionen gebraucht, eine Summe, die sich nach und nach auf ca. 70 Millionen für daS Jahr erhöhen wird. Da aber die Renten eine bei Weitem höhere Summe beanspruchen, so «erden,