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Beilage zum „Elveblatt und Anzeiger". 1-155 Dienstag, den 7. October'USso. 4«t. Jahrg. Bestellungen auf da- „Elbeblatt und Anzeiger" — wöchentlich 4 mal erscheinend — für das 4. Vierteljahr werden noch von sämmtlichen kalferl. Poft, anftalten, den Landbrleftriigeru, unfern Expeditionen in Riesa und Gtrehla^ unfern Ausgabestellen bei Herren A. B. Hen nicke (am Albertplatz) und Paul Koschel (Bahnhof, straße), sowie unsere« Bote« zum Preise von M I SS angenommen. iZ AH findendurch das „Elbe- blatt und Anzeiger", da dasselbe in seinem Am tsbezirk die bei Weitem verbreitetste und gelesenste Zeitung, anerkanntermaßen die beste und zweckentsprechendste Verbreitung. Die BcrlagS-EWcdition. Tagesgeschichte. Die Geschichte des BoulangismuS wird bekanntlich gegenwärtig vom „Figaro" veröffentlicht und hat ihrem Verfasser, dem Journalisten und Deputaten Mermeix, schon eine große Zahl von Duellen eingetragen. Bei einem derselben ist er, wie mitgetheilt, so schwer ver wundet worden, daß er gegenwärtig bedenklich darnieder- liegt. — Indessen hindert dieser Zwischenfall die Fortsetzung der pikanten Veröffentlichungen in dem ge nannten Boulevardblatt nicht; denn daS Manuskript war fix und fertig, ehe der „Figaro" auch nur eine einzige Zeile zum Abdruck gebracht hatte. Als Mermeix seine Schrift der Redaktion deS „Figaro" überlieferte — er soll einen Judaslohn von 50 000 Frank er halten haben — da war die Kugel aus dem Lauf; der Verfasser hatte sich ausdrücklich des Rechtes be geben, die Arbeit vor ihrer Veröffentlichung zurückzu ziehen. — ES muß anerkannt werden, daß Mermeix sich um die Zeitgeschichte ein bedeutendes Verdienst erworben hat. Seine eingehende Darstellung macht durchweg den Eindruck der Wahrheit. Sie zeigt, daß Boulanger im Grunde nichts weiter mar, als ein vom Glück und der Welle ter Tagespolitik emporgehobener, genußsüchtiger Hohlkopf, den in der Bewegung, die seinen Namen türg, nichts so sehr interessirte, als die Geldftage. Mit dem Erfolg wuchs der Erfolg und nachdem Boulanger in Paris mit einer unerhörten Stimmenmehrheit zum Deputirten gewählt worden war, flogen ihm die Geldmittel nur so zu. Abenteuerliche Spekulanten glaubten in ihm den Drochentödter der Republik, den zukünftigen Herrn Frankreichs, zu sehen, und beeilten sich, bei ihm eine gute Nummer zu be kommen. Nach der Pariser Wahl stellte sich das bvulanzistische Budget — wir folgen hier immer dec Darstellung Mermeix' — folgendermaßen: 10000 Frank monatlich für deS Generals persönliche Bedürf nisse, 20000 Frank für Parteizwecke, 20000 Frank für die „auswärtigen Angelegenheiten", bei welchen die Anknüpfung mit den Regierungen anderer Staaten in erster Linie stand. Außerdem wurden aber aus der boulangistischen Kaffe noch alle Ausgaben bestritten, für welche Belege beigebracht wurden und der General wäre stets in der Lage gewesen, für alles im Interesse der Partei Nothwendige aufzukommen. Es hätten Blätter gegründet, Wahl- und Agitationsausschllffe eingesetzt, Agenten in die Provinzen geschickt werden müssen. Aber Boulanger dachte nur an sich, beklagte sich, daß man ihm mit den ewigen Betteleien lästig falle und that für seine Sache selber so gut wie nichts. Diese Lauheit verzeihen ihm jetzt besonders Diejenigen nicht, die sernem Worte vertrauten, — die Beamten, welche ihre Stellung und die Zukunft der Ihren auf das Spiel setzten, wie alle andern, die entweder ihre politische Laufbahn oder ihr Vermögen riskirten, um ihm und seiner Sache zu dienen. — Besonders nach seiner Erwählung in Paris war der Boden überall bestens vorbereitet; man hätte nur die Saat ouSzu- streuen brauchen und die Ernte wäre glänzend ausge fallen. Allein der General that nichts, wollte nichts thun und führte durch seine Verschwendungssucht daS jämmerliche Ende des BoulangismuS herbei. Er besaß ein erstauaenSwerthes Talent, unnütz Geld auszugeben. So belief sich seine Hotelrechnung in Brüssel (auf seiner Flucht) sür etwa vierzehn Tage aus nicht weniger als 22000 Frank. Im Londoner „Hotel Bristol" zahlte er täglich 260 Frank Miete, fand dann aber die Wohnung nicht glänzend genug auSgestattet. Statt für Blätter und Agitation Geld zu opfern, unterhielt er ein ganze« Heer von Sekretären und EabinetSkourieren. — DaS bvulanzistische Zentralcomitee hatte (ebenso wie die Monarchisten sür Agitationszwecke) Frankreich in zwanzig Bezirke eingetheilt und einen eingehenden Plan entworfen, wie die Anhänger der Sache jeden einzelnen Bezirk bearbeiten, sich mit den Blättern in Verbindung setzen, Wahlausschüsse einsetzen und sonst für die Sache wirken sollten. Die Freunde deS Generals, Rochefort, Luisant, Deroulöde, Naquet u. A., glaubten, Boulanger hätte den Plan genehmigt und fördere ihn; sie er kundigten sich mehrmals ernstlich bei ihm nach dem Stand der Arbeiten. Er versickerte, Alles stände vor trefflich; Dillon und er arbeiten täglich, in so und so viel Departements wäre die Organisation schon fix und fertig. In Wirklichkeit war aber gar nichts geschehen und Boulanger erwiderte im März v. auf dringliches Be fragen des Deputirten Michelin, ob für den Fall einer Kammerauflösunz Alles vorgesehen sei: „Ach was, die Auflösung ist nicht wahrscheinlich! Erfolgt sie aber, dann haben wir immer noch Zeit, eine starke Organisation herzustellen." — Was kommen mußte, kam. Als die Wahlen stattfanden, war das schöne Geld von dem braven General „verpulvert", der Partei fehlte jede Organisation und sie unterlag im Wahlkampfe vielleicht einzig und allein durch die Nachlässigkeit Boulangers, j-der.falls aber zum Segen sür Frankreich und zum Heile für den Frieden Europas. Deutsches Reich. Zum 90. Geburtstage Moltkes kommt der Kaiser, zufolge der „Köln. Ztg", nicht nach Kreisau, sondern hat den Feldmarschall ein geladen, seinen Geburtstag in Berlin zu feiern. Das Befinden Les Kaisers ist, nach Berlin ge langten Nachrichten, andauernd das allerbeste und hatte derselbe auch während der letzten Tage in gewohnter Weise ohne Unterbrechung die laufenden Regierungs- Angelegenheiten erledigt und die regelmäßigen Vorträge entgegengenommen. lieber Wedell-Piesdoifs etwaigen Rücktritt schreibt die „Post": Die „Tägliche Rundschau" brachte die Nachricht von dem Rücktritt des Ministers des königl. Hauses von Wedell-Piesdorf. Soweit unsere Mit theilungen reichen, steht in dieser Beziehung noch nichts fest; wenn indeß die Nachricht sich bestätigen sollte, so könnte man die Ursache nur in prinzipiellen Fragen über die Verwaltung des Ministeriums des königl. Hauses suchen, keineswegs etwa in persönlichen Gründen. Die Annahme solcher persönlichen Gründe wird schon durch den Umstand ausgeschlossen, daß der Minister des königl. Hauses beiSr. Majestät persona Zwatissima ist. Bekanntlich war Herr v. Wedell-Piesdorf früher in der Stellung eines Regierungs-Präsidenten in Magdeburg und hatte Gelegenheit, beim Amtsrath v. Dntze-Barby, zu dem sich auch der damalige Prinz Wilhelm zu Jagden zu begeben pflegte, mit diesem näher bekannt zu werden. Die Wahl des Herrn von Wedel! zu der einflußreichen Stellung eines Ministers des königlichen Hauses war die eigene Wahl des Kaisers, der alle anderen Vorschläge zur Besetzung der Stelle zurückwies. Zwei andere große Hof ämter werden in nächster Zeit frei werden: daS des Ober-schloßhauptmannS Grafen Wilhelm Perponcher und des Ober-Stallmeisters v. Rauch, der sich aus dem Dienste zurückzuziehen gedenkt. Als sein Nach folger wird in Hofkreisen der Hofjägermeister Graf Richard Dohna genannt. Gegenwärtig weilt der Staatssekretär des Reichs postamts Dr. v. Stephan auf Helgoland, um die da selbst getroffenen Post- und Telegraphen-Einrichtungen in Augenschein zu nehmen. Vor einigen Tagen hatte auch der Ehef des Generalstabes, Graf v. Waldersee, der neu erworbenen Nordsee-Insel einen Besuch ab gestattet. Am 1. October waren zehn Jahre verflossen, seit der Staatsminister von Bötticher auS dec Stellung eines Ober-Prästdenten von Schleswig-Holstein an die Spitze LeS Reichsamts des Innern berufen wurde. Die „Berl. Polit. Nachr." bringen aus diesem Anlaß einen Rückblick auf die Amtsführung des Herrn von Bötticher und heben namentlich die Mitwirkung des selben bei der Durchführung der Versicherungs-Gesetze hervor. Wie aus Detmold berichtet wird, hat daS dem l ppc'schen Landtage vorgelegte Regentschaftsgesetz keine Aussicht auf Annahme. Bezüglich einer vom „Reichsboten" verbreiteten Behauptung, Fürst Bismarck habe versucht, den Hof prediger Stöcker auf Grund deS Sozialistengesetzes auS- weisen zu lassen, bemerkt daS „D. Tagebl ", daß in einer sehr viel näher liegenden Periode, nicht unter dem gegenwärtigen Kaiser, Fürst Bismarck einen em pfindlichen Schlag von Herrn Stöcker abgewandt habe. ES handelte sich um die Absicht, letzteren von seinem Hofpredigeramt zu entfernen. Ueber die künftige Stellung Helgolands stehen, wie verschiedenen Blättern geschrieben wird, endgültige Be schlüsse noch auS, und eS würden die bezüglichen Er wägungen und Berathungen erst nach der Rückkehr deS Kaisers nach Berlm stattfinden. Zur Zeit sei es wahrscheinlich, daß Helgoland der Verwaltung der Pro vinz Hannover überwiesen werde. Die neuliche Meldung eines hannöverschen Blattrs, daß für die Befestigung der Insel bereits im Lause der nächsten Reichstags session Geldforderungen gestellt werden würden, sei ohne Begründung. Höchstens könnte es sich um die Be willigung der Mittel zu der erforderlichen Untersuchung der einschlägigen Verhältnisse handeln. Wenn auch vielleicht die Nachricht verfrüht ist, daß der Vertrag zwischen der deutschen Regierung und dem Sultan von Zanzibar über die Abtretung des Küstengebietes bereits abgeschlossen, so steht doch jetzt das Eine wenigstens fest, daß der Sultan von Zanzibar sich mit einer Abfindung von vier Millionen Mark zufrieden erklärt hat. Da anzunehmen ist, daß die deutsche Regierung dies- Summe für die Abtretung bewilligen wird, so dürfte der Beitrag demnächst schon I zum Abschluß gelangen. Der Sultan halte, wie man weiß, - bereiis alle Gewalt, welche ihm an dem afrikanischen Festlande zustand, auf die Dauer von 50 Jahren seit 15. August 1888 unter Wahrung seiner Souveränetätscechte an die Deutschostafrikanische Gesellschaft übertragen, insbesondere hatte er an diese Gesellschaft die Zölle in sämmtlichen Häfen für dre gleiche Zeit verpachtet, und zwar in der Weise, daß nach dem von Consul Vohsen vereinbarten Vertrag vom 13. Januar 1890 von dem Ertrage der Zölle zunächst die Ausgaben, welche der deutschen Gesellschaft für die Zollerhebung erwachsen, bis zur Höhr von 170000 Rupien jährlich zu erstatten waren, all werteren Zolleinnahmen aber sollten bis zum 18. August 1891 dem Sultan allein zufließen, dann sollte die Durchschnittssumme dec Zollverträge berechnet werden und von dem weiteren Reineinkommen sollt- demnächst dem Sultan die Hälfte und der Gesellschaft die andere Hälfte zuflicßen. Bei den gegenwärtigen Verhandlungen handelt eS sich nun darum, den dauernden Capital- werth dieser Zvllerträze zu ermitteln und festzufteUen, und über die Höhe dieses Capitalwcrthes ist jetzt offenbar eine Vereinigung in Höhe jener vier Millionen erzielt. Es ist nicht anzunehmen, baß die Bezahlung dieser Summe aus Reichsmitteln erfolgen wird, viel mehr dürfte die Deutschostafrikanische Gesellschaft die Schuld übernehmen und dafür den ganzen Werth dec Zolleingänge erwerben. Die letztem sind schon jetzt, obwohl das Küstengebiet erst seit Kurzem wieder zu friedlichen Zuständen gelangt ist, so bedeutend, daß es der Gesellschaft nicht schwer fallen wird, unter Ver pfändung dieser Zolleingänge eine Anleihe aufzunehmen, aus der sie nicht nur jene vier Millionen füc den Sultan, sondern auch weitere größere Ausgaben für Straßen-, Hafen- und Eisenbahnbauten wird decken können. Der deutsche Generalkonsul in Sansibar berichtet, entsprechend der Weisung des Auswärtigen Amtes, Folgendes: Der bei Witu entkommene Meuschel sagte aus: Der Sultan von Witu verlangte von Küntzel vor der Ertheilung der Ansiedelungs-Erlaubniß die Beibringung eines Schreibens von dem englischen Konsul in Lamu. Da Küntzel, diesem Verlangen nicht vachkommend, ohne Weiteres die Arbeiten begann, luß der Sultan die Deutschen nach Witu führen und unterbringen. Küntzkl und Genossen, welche am zweiten Tage gewaltsam auszubcechen versuchten, wurden theils innerhalb, theils außerhalb der Stadt getötet. Meuschel vermag nicht anzugeben, wer mit der Anwendung dec Waffen begann. Der vom Sultan herbeizerufene Toeppen traf erst nach dem Blutbad ein. Bremen, 5. October. Eine heute im Börsen saale tagende, zahlreich besuchte Versammlung zur Förderung eines Rhein-Weser-Elbe-Kanals faßte den Beschluß, eine Abordnung an Se. Majestät den Kaiser zu senden, derselbe wolle gestatten, an die Staats regierung das Ersuchen zu richten, dem Ausschuß die Unterstützung der Staatsregierung gewähren zu wollen, auf Koste» des Ausschusses die erforderlichen Vorarbeiten vornehmen zu dürfen. Aus Mürzsteg, 5. October, wird gemeldet, daß die Abreise der Majestäten nach Radmer programm mäßig »m 1 Uhr unter den brausenden Hochrufen des zahlreich versammelten Publikums erfolgte. Bei der