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260, 8. November 1904. Nichtamtlicher Teil. 9831 Korrespondenz zwischen ihnen. Voltaire schickte dem Prinzen seine Werke, teils gedruckt, teils im Manuskript, und der Prinz sandte Voltaire seine poetischen und philosophischen Versuche, zu denen er sich bekanntlich stets der französischen Sprache bediente, zur Verbesserung. Friedrich wollte Voltaire die Freude machen, eine neue illustrierte Ausgabe der »klsrn-isäsr drucken zu lassen. Er selbst schrieb ein neues Vorwort dazu, das Voltaire aller dings verbessern mußte. Am 15. April 1740 beklagt sich der Prinz darüber, daß der englische Drucker Pine vor der »Hsvriaäs« noch die »Lnsiäo« fertigstellen wolle, und seiner Gewohnheit ge mäß fügte er einige Verse hinzu: Virgils, rou8 ccäavt I». place (Da Vcrgil Ihnen den Platz abtritt, den er einst im Parnaß erhalten hatte, schuldete er Ihnen doch auch dieselbe Ehre bei Der Prinz wurde schließlich so ungeduldig, daß er Pine den Auftrag entzog und sich entschloß, den Druck unter seinen eigenen Augen (sou8 mss ^sux) ausführen zu lassen. Am 31. Mai 1740 bestieg er aber den Thron und ließ dann sein Projekt fallen. Vorher hatte der Prinz eine Widerlegung Machia- vellis (»Anti-Machiavel«) geschrieben, die er ebenfalls Voltaire zur Korrektur sandte. Dieser glaubte seinem fürst lichen Gönner den Gefallen erweisen zu sollen, sie drucken zu lassen. In dem Schreiben vom 6. November 1739 scheint der »krinos roval« dies als selbstverständlich hinzu nehmen; er wünscht jedoch, daß sein Name nicht auf das Werk gesetzt werde und daß dieses so fehlerfrei sei, daß es ihm nicht schaden könne, wenn das Publikum den Verfasser erriete. Am 1. Juni 1740 schrieb Voltaire an den Buchhändler Van Dürens im Haag: «Ich besitze ein merkwürdiges Manuskript, das von einem der bedeutendsten Männer Europas verfaßt ist; darin wird der »Fürst» von Machiavelli Kapitel für Kapitel widerlegt. Das Werk ent hält zahlreiche interessante Tatsachen und kühne Betrachtungen, die die Neugier des Lesers reizen und dem Buchhändler ein gutes Geschäft sichern. Ich bin beauftragt, darin einiges zu verbessern und es drucken zu lassen. Ich würde das Exemplar, das ich unter den Händen habe, senden unter der Bedingung, daß Sie es in Brüssel abschreiben lassen und mir mein Manuskript zurücksenden. Ich würde eine Vorrede hinzufügen und keine andre Bedingung prachtvoll in Maroquin gebunden, an den deutschen Hof senden, der Ihnen bezeichnet würde. Mir würden Sie auch zwei Dutzend in Kalbleder gebunden liefern. Ich wünsche aber, daß der Machiavelli in italienischer oder in französischer Sprache neben die Widerlegung gedruckt würde, das ganze in schöner Schrift und mit breitem Rande.« Van Duren beeilte sich das Werk in Druck zu geben. Was aber inzwischen geschah, ersehen wir aus folgendem Schreiben, das Voltaire am 20. Juli an Friedrich den Großen richtete: -Das erste, was ich gestern bei meiner Ankunft (im Haag) tat, war, daß ich zu dem verschlagensten und kühnsten Buch händler des Landes ging, der sich der fraglichen Sache angenommen hatte. Ich wiederhole Ew. Majestät, daß ich in dem Manuskript nicht ein Wort gelassen hatte, über das sich jemand in Europa hätte beklagen können. Aber trotzdem hatte ich, da Ew. Majestät daran gelegen war, die Ausgabe zurückzuziehenfl, keinen andern Willen und keinen andern Wunsch mehr. Ich hatte schon diesen kühnen Gauner, namens Jean van Duren, ausforschen lassen, und ich hatte schon einen Mann durch die Post vorausgeschickt, der der Vorsicht halber unter plausiblen Vorwänden wenigstens einige Blätter des Manuskripts zurückziehen sollte, das erst zur Halste gedruckt war, denn ich wußte wohl, daß mein Holländer sich auf keinen Vor schlag einlassen würde. Ich bin in der Tat rechtzeitig gekommen. fl Voltaire schreibt den Namen Vanduren. fl Nach Diderots zutreffender Vermutung geschah dies, weil Friedrich inzwischen den Thron bestiegen hatte, Manuskripts zurückzugeben. Ich ließ ihn rufen und forschte ihn nach allen Seiten aus. Er gab mir aber zu verstehen, daß er, Herr des Manuskripts, es um keinen Preis wieder herausgeben würde, daß er den Druck begonnen und ihn auch vollenden wolle. Als ich sah, daß ich mit einem Holländer zu tun hatte, der die Freiheit seines Landes mißbrauchte, und mit einem Buchhändler, der sein Recht, die Verfasser zu verfolgen, bis zum Äußersten trieb, da ich ferner hier niemand mein Geheimnis anvertrauen und die Hilfe der Behörde nicht anrufen konnte, so erinnerte ich mich, daß Ew. Majestät in einem Kapitel des „Anti-Machiavel" sagen, eS sei erlaubt, bei Unterhandlungen irgend eine anständige Finte zu gebrauchen. Ich sagte also zu Jean van Duren, ich käme nur um einige Seiten des Manuskripts zu verbessern. „Sehr gern, mein Herr", sagte er zu mir; „wenn Sie zu mir kommen wollen, werde ich es Ihnen großmütig Blatt für Blatt anvertrauen: ein geschlossen in meinem Zimmer, in Gegenwart meiner Familie kehrte ich heute in dasselbe Gefängnis zurück, wo er mich ebenso einschloß, und als ich sechs Kapitel gleichzeitig erhalten hatte, um sie ^miteinander zu vergleichen, ^habe ich so darin gekritzelt und fangen zu werden. Ich war in Verzweiflung, ein so schönes Werk aufopfern zu müssen; aber ich gehorchte schließlich dem König, den ich abgöttisch verehre, und ich versichere Ihnen, daß ich es mit gutem Herzen tat. Wer ist jetzt erstaunt und herein gelegt? Es ist dieser Elende. Ich hoffe, morgen einen an ständigen Handel mit ihm abschließen und ihn zwingen zu können, das Ganze zurückzugebcn, Manuskript und Gedrucktes; und ich werde fortfahren, Ew. Majestät zu berichten.» In dem nächsten (undatierten) Brief heißt es: -Ich habe diesen Tag damit zugebracht, daß ich Advokaten konsultierte und unter der Hand mit van Duren unterhandeln ließ. Ich war Prokurator und Unterhändler. Ich fange an zu glauben, daß ich mit ihm fertig werde; also entweder wird das Werk für immer unterdrückt werden, oder es wird in einer seines Urhebers würdigen Weise erscheinen. Ew. Majestät sei versichert, daß ich hier bleiben werde, daß Sie durchaus befriedigt werden, oder daß ich vor Schmerz sterben werde. Göttlicher Marc-Aurel, verzeihen Sie meine Zärtlichkeit!» Im August berichtet Voltaire seinem königlichen Freund: »Ein kleiner Unfall eines Trunkenboldes in der Druckerei hat die Vollendung des Werkes, das ich in Arbeit gegeben habe, ver zögert. Es wird mit der nächsten gewöhnlichen Postgelegenheit folgen. Inzwischen verkauft van Duren, dieser Halunke, seine Ware, und er hat schon zuviel davon verkauft Cs ist ein merkwürdiges Land hier. Glauben Sie, Sire, daß van Duren, da er zuerst den Verkauf des „Anti-Machiavel" angekündigt hat, nach den Gesetzen damit berechtigt ist, ihn zu verkaufen, und jeden andern Buchhändler verhindern zu können glaubt, daS Werk zu verkaufen?fl Da es aber, um gewisse Leute zum Schweigen zu bringen, durchaus notwendig ist, daß das Werk ein um jede Chikane zu vermeiden, und ich werde es nach allen Seiten verschenken; das wird prompter, nobler und versöhnender sein: drei Dinge, auf die ich Wert lege.« Der König antwortet ihm am 5. August aus Berlin: -Mein lieber Voltaire! Ich habe drei Ihrer Briefe an einem Tage voll Aufregung, voll Zeremonien und voll Langweile er halten. Ich bin Ihnen unendlich zu Dank verpflichtet. Augenblick lich kann ich Ihnen nur antworten, daß ich den Machiavel zu Ihrer Verfügung stelle, und ich zweifle nicht, daß Sie ihn so ver wenden, daß ich das in Sie gesetzte Vertrauen nicht zu bereuen brauche. Ich verlasse mich ganz auf meinen lieben Herausgeber.« Am 8. August schreibt er ihm sodann aus „Remus- berg" (Rheinsberg): »Mein lieber Voltaire! Ich glaube, daß Van Duren mehr Sorgen und Lasten verursacht als Heinrich IV. fl Als Sie das Leben eines Helden in Versen erzählten, schrieben Sie die Ge schichte Ihrer Gedanken; aber indem Sie einen Gauner quälen, kämpfen Sie mit einem Feinde, der unwürdig ist, Ihnen gegen übergestellt zu werden. Um so mehr bin ich Ihnen zu Dank ver- fl D. h. eine andere Ausgabe herauszugeben, fl Also wohl einer veränderten Ausgabe, fl Die .Usvriacks". 1289*