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15014 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 275, 26. November 1912. Nichtamtlicher Teil. Buchhändlerschaufenster.*) Von Kurt Loele. Immer mehr dringt der kaufmännische Geist in den Buch handel ein. So notwendig und willkommen dieser Geist ist, so bleibt er doch in mancher Beziehung eine Gefahr für unseren Beruf. Er darf nicht derart überhandnehmen, daß er alles beherrscht. Gewähren wir ihm Einlaß und finden wir die richtige Begrenzung des Raumes, den wir ihm heute mehr als je zubilligen müssen, dann wird der Buchhandel auch heute noch in idealem Sinne den Weg nach aufwärts und vorwärts finden. Bewahrt er sich das Bewußtsein, im Leben seiner Nation eine wichtige Kulturaufgabe zu erfüllen, ein Diener der Allgemeinheit zu sein, so werden seine Angehörigen auch als tüchtige Geschäftsleute diejenige Stellung in der Gesellschaft einnehmen, die sich immer und mit Recht durch ihre Eigenart aus der der übrigen Kaufleute heraushob. Die Erhaltung einer solchen, durch die Art der Ware gegebenen Sonderstellung muß der Wall bleiben, der uns vor dem Überhandnehmen eines einseitigen und darum gefährlichen Merkantilismus be wahrt. Wir können und müssen noch viel vom Nachbar Kauf mann lernen, nicht allein im inneren Betriebe und der Organi sation unserer Geschäfte, sondern im besonderem Maße auch *) Der nachstehende Artikel, der sich aus ca. s Nummer» ver teilen wird, gehört in die Reihe der Beiträge, durch die wir eine» stärkeren Einfluß aus rein praktische Kragen des Buchhandels zu gewinnen suchen, indem wir die Leser selbst zur Mitarbeit heran- zieheu und das aus diese Weise gewonnene Material, gesichtet und ergänzt, der Allgemeinheit wieder zugängig machen, damit sie davon Nutzen ziehen und durch negative oder positive Kritik ihr Schers lein nachträglich beisteuern kann. Denn obwohl der Artikel reichlich umsangreich ist, so schöpft er doch keineswegs das Thema aus, bas uns voraussichtlich in diesen Blättern noch öfter beschäftigen wird, schon weil wir gar nichts Besseres zu bieten haben als die Er örterung jener Möglichkeiten, durch die in stärkerem Maße die Beachtung des Buches in der Öffentlichkeit bewirkt werden kann. Die Konkurrenz des Buches mit anderen außerhalb unseres Berufes stehenden Artikeln ist ein viel wichtigerer Faktor als die Konkurrenz der Bücher oder der einzelnen Sortimenter unter einander, und schon aus diesem Grunde sollte niemand mit seinen Erfahrungen zurückhalten, da er damit nur die Geschäfte der mit dem Buchhandel konkurrierenden Betriebe besorgen würde. Gebend und nehmend wird er durch seine Anteilnahme sich selbst und jenen Berussgenossen nütze», die fähig zu selbständiger Ge staltung und Ausarbeitung von Ideen und Anregungen sind. Kritikloser Nachahmung aus diesem wie auf anderen Gebieten wird ei» Erfolg kaum beschieden sein, da sich eines nicht siir alle schickt und oft nicht so sehr das Was als das Wie in Frage kommt. Denn schließlich ist das Schaufenster nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck, und mehr noch als auf das was an und in ihm ist, wird es auf die Persönlichkeit ankommen, die hinter ihm steht. Wie aber durch dieses Mittel eine größere Anteilnahme des Publikums für ein Geschäft erreicht werden soll, so möchten auch wir durch die Behandlung dieses Themas, das ja nur einen von den vielen Wegen zeigt, auf denen ein Vorwärtskommen in unserem Berufe möglich ist, eine größere Anteilnahme sllr unsere Arbeit in dem Leserkreise erwecken. Tenn auch sie ist nicht Selbstzweck, sondern erhält erst Wert und Be deutung, wenn sie sich, getragen von der verständnisvollen Mitwirkung der Leser, in lebendigem Zusammenhänge mit der Praxis vollzieht. Um aus das Thema Buchhändlerschausenster zu exemplifizieren, erklären wir uns gern bereit, von Zeit zu Zeit über bemerkenswerte Schau- sensterdekorationen zu berichten, soseru uns darüber Material aus dem Leserkreise zugcht. Dieser spezielle Wunsch soll den allgemeinen nicht aufheben: die Leser möchten in enger Fühlung nahme mit der Redaktion dahin wirken, daß dieser durch ihre Unterstützung mehr noch als bisher eine praktische Mitarbeit an allen den Frage» unseres Berufslebens möglich ist, durch die unsere Stellung im Wirtschaftsleben mit bestimmt wird. Red. in deren äußeren Formen. Das gilt auch von der Einrichtung unserer Geschäftslokale und der Pflege unserer Schau fenster. Die Notwendigkeit einer individuellen Gestaltung liegt umsomehr auf der Hand, als der Buchhändler sich bewußt sein muß, daß das Buch nicht Ware schlechthin, nicht Gattungs ware, sondern Jndividualware ist, daß er, wenn er sein Schau- senster dekoriert, dessen Raum mit einer Art Geisterwelt erfüllt, die nicht allein für sich selbst, sondern auch für den Buchhändler zeugt. Alle diese Objekte sind durch ihre Beseelung mit ihm und dem Beschauer durch geheimnisvolle Fäden verbunden. Gerade für den Buchhändler liegt eine tiefe Bedeutung in dem Satze, daß das Schaufenster das Auge des Geschäftes sei. In ihm spiegelt sich nicht nur die Wesensart des Geschäftes, sondern auch Wissen, Können und Geschmack des Inhabers. Laß mich dein Schaufenster sehen, lieber Kollegs, und ich sage dir, wer du bist! Ich sage dir, ob du wirklich ein B u ch Händler bist und nicht einer von jenen tausend Buchhändlern, die keinen Unterschied machen zwischen bedrucktem und unbedrucktem Papier. Ich sage dir auch, ob du den Pulsschlag der Zeit ver spürst, ob dir daran liegt, ihre Strömungen und Bedürfnisse zu erfassen, ob du in dieser Hinsicht bemüht bist, auch hier und da Vorarbeit zu leisten, ob du andrerseits aber auch Wert darauf legst, daß die zu Recht bestehenden großen geistigen Be sitztümer, die uns frühere Generationen hinterlassen, nicht vom Neuen in allzu lauter Weise übertönt und in den Hintergrund gedrängt werden. Deine Beziehungen zur Welt und deine persönlichen Eigenschaften finden ihre sprechenden Zeugen in deinem Schaufenster. Und wenn in der Umgebung dieser aus den Büchern sprechenden Menschengeister sich Unordnung, Unsauberkeit und Geschmacklosigkeit breit machen, so möge der Buchhändler bedenken, daß diese Störung die Geister, die sich nicht dagegen wehren können, nicht nur entweiht, sondern zwingt, seine Unsauberkeit, seine Unordentlichkeit und seinen Mangelan Geschmackzuverfluchen. Nicht alle Menschen haben das feinere Gefühl für diese Dinge. Aber die Gebildeten, die heute immernochdieHauptabnehmer des Sortimenters sind, die Bücherkäufer, die selten der ästhetischen und Geschmacks bildung bar sind, die merken an seinen Auslagen, was sie von seinem Geschäft zu halten haben; auch der Konkurrent macht sich solche Unterlassungssünden zunutze. Die Folgen bleiben nicht aus, nicht von heute auf morgen; aber sie treten mit jener langsam sich entwickelnden Sicherheit ein, wie man sie stets bei dauernder Rückständigkeit beobachten kann, mit jener Unfehlbarkeit in der Wirkung, die das verlorene Gut nie wieder einbringen läßt und jene unglückseligen Geschäfte schafft, denen das Odium der Minderwertigkeit derart anhastet, daß selbst der fähigste und fleißigste Berufsgenosse darin aus keinen grünen Zweig mehr kommen kann. Das Publikum ist heute an die starken äußeren Effekte gewöhnt, wie sie ihm in den großen modernen Kaufhäusern geboten werden. Die Wichtigkeit dieses Lockmittels ist durch den Erfolg erwiesen. Das gute Spezialgeschäft fühlt diese scharfe Angriffswasfe auf seine Existenz sehr wohl. Es kann sich nur dann wehren, wenn es sie aufgreift und, wenn auch nicht in der gleichen großartigen Weise, darum aber nicht weniger erfolgreich mit ihr ficht. Das ist sehr Wohl erreichbar. Da heißt es allerdings über das verborgene Blühen des Veilchens hinaus kommen und so gut es geht, sein Licht neben den Bogenlampen der Warenhäuser leuchten lassen. Das Publikum wird sich dann in viel höherem Grade angezogen fühlen und, da es viel zu klug ist, um nicht die reichere Auswahl des Spezial geschäftes, die Warenqualität, die sachkundige Beratung und Bedienung zu schätzen, gern wiederkehren. Das gilt in ganz besonderem Maße für den Buchhändler. Das Gebot der Not wendigkeit, das Äußere seines Geschäfts der Neuzei^anzu- passen, ist nicht wegzuleugnen. In seinen Schaufenstern oder