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237, 12. Oktober 1910. Nichtamtlicher Teil. MrsNlNüij s. d. »«che. «uchhantel. i l 899 Nichtamtlicher Teil Kreis Norden in Bremen am 17. und 18. September 1910. Lange schwankten wir. ob wir uns dem vornehmen D-Zug (London- und Paris-Expreß), mit dem unser Bor stand fuhr, anvertranen oder bescheidentlich den 3 Stunden früher fahrenden Personenzug mit Klasse 4 wählen sollten. Natürlich siegte unsere Bescheidenheit Auf dem Bahnhose in Hamburg herrschte ein mörderliches Gedränge, weit draußen aus der Halle stand die Spitze des Zuges, wohin man uns wies. Aber der Andrang galt nicht dem Kreis Norden, sondern dem Luftschifferaufstiege in Schneverdingen. So mußten wir denn mit Aviatikern, einem »Er« und einer »Sie», das enge Abteil bis Buchholz teilen. Die »Sie« war übrigens die gesprächige Nichte eines mitfühlenden Kollegen. Während die Aviatiker der Flug ihrer Aeroplane beschäftigte, schweiften unsere Gedanken wohl zu dem Schiffe -Kreis Norden» und wohin es im nächsten Jahre seinen Flug nehmen würde. Doch davon später. In geruhsame^ Eile, keine Haltestelle Überschlagen!), durchfuhr unser Zügle die liebe, traute Heide, die stellenweise immer noch mit ihren rotbraunen Blüten uns grüßte. Auf dem Bremer Bahnhof nahm uns einer der dortigen Kollegen in Empfang und brachte uns in den für uns bestimmten Gasthof von Siedenburg. Wie wir dort bewillkcmmnet wurden, möchte ich in den Worten berichten, wie die Be gebenheit andern Tages bei Tisch in einer späten Rede erzählt wurde. Der Oberkellner, neben sich den reich galouierten Portier, stand mir einer Liste in der Hand aus dein Hausflur und fragte: »Sind Sie die Mitglieder des Kreises Norden, für die Ihr Herr Präsident hier Quartier gemacht hat?« »Jawohl!» Dann stellen Sie sich mal in zwei Gliedern auf und antworten beim Namensaufruf hier!» »Löwenhagen!« »Hier!» »Zimmer 76 zu 1 ^ 50 H.« »Wankedor!« »Hier!« »Zimmer 52 zu 2 »SchlossenmannI» »Hier!« »Zimmer 41 zu 2 ^ 50 ^« usw. Ein Neugieriger wagte den gestrengen Oberkellner zu fragen: »Welches Zimmer be kommt denn unser Herr Präsident?» »Das geht Sie eigentlich gar nichts an, ater wenn Sie es nicht abwarten können: der Herr beziehen das Fürstenzimmer zu -O 20.—.« So war denn unsere Einquartierung glücklich vollzogen Nachher, beim einfachen Mahle sitzend, trafen sich unser Aller Gedanken in dem Wunsche, unserem Präsidenten für seine väterliche Fürsorge unseren Dank in entsprechender Weise auszudrücken. Wir einten uns schnell auf einen prachtvollen Blumenkohlkopf nebst einer.Flasche Sauerbrunnen, die beide in das Fürstenzimmer gestellt wurden, wozu wir noch folgenden Bers legten: Ein Willkommengruß in fremder Stadt, Noch jedem wohlgetan hat. Symbolisch fass' den Kopf hier auf: Mensch, ändre deinen Lebenslauf! Entsag' dem Fleisch und seiner Lust, Dem Kohl erschließe deine Brust,") Trink' Wasser aus Min'ral dazu. Hast dann vor Schulterschmcrzen Ruh'! Leider wurden diese wohlgemeinten Ratschläge nicht be herzigt, wenigstens in Bremen noch nicht. Pünktlich 4r/z Uhr rolltrn einige Wagen am G sthof vor, denen unser Vorstand entstieg, und pünktlich 5 Uhr be- "I Anmerkung des Sehers: Für oberdeutsche Leser sei hier erklärend bemerkt, daß man im Plattdeutschen unter »Wi willt erst wat to Bost (Brust) nehmen« versteht: eine Mahlzeit ein nehmen. gann die Borstandssitzung. Auch wir waren mit einer Ein ladung dazu beehrt worden, aber wir zogen es vor, un bemerkt zu entschlüpfen, um zuerst von Bremen und seinen Bauten, Denkmälern, Straßenleben und der gleichen etwas zu genießen. Als wir dann nach 7 Uhr erst das Beratungszimmer betraten, wurden wir mit Stirnrunzeln empfangen. Dann hieß es bald: »Wir nehmen jetzt die zurückgestellte Nr. 1 unserer Tages ordnung, den Jahresbericht«. So kann niemand seinem Schicksal entgehen! Zu 8 Uhr abends hatten die Bremer Kollegen eingeladcn zu einem traulichen Beisammensein im Ratskeller. Der Bremer Ratskeller ist durch und seit Wilhelm Hauff so weltberühmt, daß zu seinem Lobe nichts mehr gesagt werden kann. Aber es herrscht dort ein Tyrann, nämlich der Kellermeister. Dieser sagt, und jedenfalls mit Recht: »Ich dulde keine Zugluft im Keller, sonst wird mein Wein in den großen Stückfässern, aus denen ich für den bremischen Staat jährlich 150 000 Reingewinn heraushole, gefährdet«. Im engen Scheffel zimmer saßen wir wohl nahe an dreißig Personen, Zugluft ganz ausgeschlossen, leider auch jegliche andere Ventilation. Eingeborene Bremer, die das von Kindesbeinen an nicht anders kennen, mögen die Atmosphäre behaglich finden, auch find sie wahrscheinlich durch Bürgereid ver pflichtet, zur Vermehrung des jährlichen Reingewinnes litermäßig beizutragen. Ich jedoch und einige andere hielten es nicht länger als zwei Stunden aus, wir befanden uns bald nach 10 Uhr wieder oben in frischer Luft. Von Mond licht mild umflossen, standen zwei Männer auf dem Platze neben dem Kaiser - Wilhelm - Denkmal, anscheinend ganz versunken in Betrachtung des martialischen Jmperatoren- gestchtes unseres leutseligen, guten, alten Kaisers. -Um Ver gebung, wenn ich Sie in Ihrem Kunstgenuß störe,« redete ich sie an. »gibt cs hier in Bremen einen Ort, wo man ein vernünftiges Glas Bier bekommt? Ich meine nicht so einen mit geleckten Marmortischen, auch nicht einen mit weiß ge wesenen Laken, wo man zwei Zehntel Liter mit 30 H be zahlen muß. Ich meine, wo man auf knorrigem Tisch einen ordentlichen Schoppen vorgesetzt bekommt, wie z B. im Kaffee baum in Leipzig?« »Da gehen Sie man nach Beckröge in der Katharinenstraße,» antworteten die Biedere» die ich jedenfalls fälschlich als Kunstenthusiasten eingeschätzt hatte. Beckröge — anheimelnder, knorriger Name! — du hast der Empfehlung Ehre gemacht. Doch das kam hauptsächlich erst am anderen Abend, heute suchten wir um Mitternacht die angewiesenen Zimmer in unserem Gasthofe auf. Ein wolkenloser Himmel wölbte sich am Sonntag über Bremen. Der Bürgerpark ist eine herrliche Anlage von ge waltiger Ausdehnung, ein beneidenswerter Besitz der Stadt. In der Meierei harrte unserer ein ländliches Frühstück, nämlich was man so ländlich nennt. Kommt doch alles Genießbare vom Lande, ausgenommen das, was aus den: Wasser kommt. Was hat aus der Frühstückstasel gefehlt in der Meierei? Ich wüßte nichts, es sei denn die Milch — aber danach hat auch keiner verlangt. Sonst war alles untadelig. Die Bäume des Parks, teilweise schon im Beginn herbstlicher Färbung, umsäumen vor der Meierei eine langgestreckte Rasenflache, von jenseits leuchtet die Silhouette des doppelgetürmten Domes herüber, darüber in reiner Bläue der strahlende Himmel: wahrlich, ein anmutendes Landschaftsbild! Viel Zeit zum Genießen dieses Bildes blieb uns nicht, die Stunde der Haupt versammlung rückte schnell näher. Es ist sonst nicht üblich, im Festbericht sich mit der Hauptversammlung zu beschäftigen Aber heute muß hier eines Punktes Erwähnung getan werden, nämlich Wahl des IS4Z»