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100, so. April 1027. Redaltioneller Teil. restlichen 2b Prozent, die aber oft einen größeren Umfang hat, liegt das persönliche Moment, das besonders interessant sein kann. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich die deutlich geschiedenen Typen verschiedener Art. Auf diese Dinge wird gelegentlich noch zurückgekommen »verden müssen. Nachstehend folgen nun die preisgekrönten Einsendungen. Wir machen dabei darauf aufmerksam, daß bestimmungsgemäß für die Bewertung ja die Begründung der Auswahl, nicht nur diese selbst, ausschlaggebend >var. Kennwort: Das Gut der Väter den Kindern zum Besitz. Otto Heuschelc, Waiblingen b. Stuttgart. Es scheint mir, wenn ich Ihre Rundfrage richtig verstehe, als suchten Sie damit nach Werken des deutschen Schrifttums, die eine gewisse ewige Bedeutung haben. Sie fetzen voraus, wie es sich ziemt und höchstes Lob verdient, daß in jenem Bücherschrank der Kronschatz des älteren lebendigen deutschen Schrifttums ent halten fei; Sie betonen auch mit vollstem Rechte, und wiederum ge bührt Ihnen hier Dank, daß sich darinnen die Werke unsrer klassischen Epoche finden. Ich nehme an, daß Sie den Begriff der Klassizität bereits so weit gedehnt haben, daß er die Werke der Novalis, Hölderlin, Kleist und Mörike noch umschließt, ja daß er auch noch die beiden Klassiker Grillparzer und Hebbel cinbozieht. Nun würde es sich in Ihrer Rundfrage also darum handeln, den Begrifs der Klassizität nach der Gegenwart hin aus zudehnen. Es stünde die Frage, jene Werke zu nennen, di« wie eine Brück« des Geistes 'den Deutschen aus der Epoche Goethes in die Gegenwart führten. Eine ernste Frage, und daß Sie sie in dieser ernsten Stunde stellen, macht sie doppelt wichtig, doppelt gebührt Ihnen der Dank. Zwölf Bücher sollen es Ihrem Ermessen nach sein, die den Kern dieser Bücherei ausmachen, mit der der gebildete Deutsche Zu sammenleben soll. Dies ist wenig und ist viel, denn das Reinste im Geistigen ist immer selten. So gerade liegt in Ihrer Be schränkung ein hoher Sinn. Meiner Ansicht nach liegt das Geheimnis dieser 12 Werke darin, daß in ihnen das Menschliche sich in seiner Zeitlosigkeit, also feiner Ewigkeit, wie in seiner Zeitverbundenheit, also seiner einmaligen Gegenwart gleicherweise rein, stark und geläutert offen bart; daß in diesen Büchern, die die Hausbibliothek eines Deut schen als Kern enthalten soll, das rein menschliche Wesen des Deutschen in seiner unberührten Kraft und Reinheit erscheine, Solche Bücher haben wir wenige, aber wir haben sis. Wir haben ihrer viele gehabt in der klassischen Epoche unsres Schrift tums, wir haben sie seltener besessen im 19. Jahrhundert und wundersam selbst, die Nation war lange nicht fähig, sie zu er greifen. Der Weg zu ihnen ist auch nicht leicht zu finden, und sie sind darum mitunter 'vergessen, lange verkannt und übel miß deutet worden. Wenn ich Ihnen nun zwölf solcher Bücher nenn«, so sind sie nicht einem Fachgebiet zugehörig, sondern sie berühren sich einzig durch ihre menschliche Grundhaltung, die ihre Eigen art als deutsche Schöpfungen ausmacht. Wir haben Wohl größere dichterische Kunstwerke, wertvollere literarische Dokumente, aber das Ewig-Menschliche scheint mir hier in diesen Werken am reinsten in Harmonie mit dem Ewig-Deutschen zu leben, darum und nur darum nenne ich diese folgenden Bücher. Zunächst sind es aus der Epoche der ersten Generation nach Goethes Tod drei Roman«, die ich nenne: Karl Jmmer- mann: »Münchhausen» (1839); Gottfried Keller: »Der gr ü n e Het nr t ch« (1850—5b); Adal'ber t S t'i f te r: »Nachsommer» (1857). Der Roman Jmmermanns, den die Nation zu Unrecht ver gessen hat, bildet, aus der Landschaft aufwachsend und sich ins Geistige erhebend, eine geschlossene Welt deutscher und ewig-mensch licher Typen, das Werk stellt «inen Makrokosmos dar, wie ihn nur wenige epische Werke des deutschen Schrifttums offenbaren. Eine Nachblüte der Romantik, blickt dennoch das geistige Antlitz dieses Buches weithin in di« seelische Ebene des 19. Jahrhunderts, es ist wohl das erste, in dem die großen Gegensätze dieser Epoche, die ja eine Wende des Weltaitcrs bedeutet, sichtbar werden. Hier ist einerseits jene geschlossene Gruppe von Menschen, die eng mit der Scholle verbunden sind, und andererseits jene Gruppe der bereits entwurzelten, halt- und heimatlos gewordenen. Zeitlos und zeitverbundcn und das Deutsche groß neben das Ewige im Menschen gestellt, so steht dieser Roman im 'deutschen Schrifttum des 19. Jahrhunderts. Gleich ihm ist Adalbert Stifters »Nach sommer» eins der herrlichsten Bücher, die wir besitzen, und cs tvar ja kein Geringerer als schon Nietzsche, der ihn den fünf besten Prosabüchern zuzählte. Auch hier hat die Nation ein 'Versehen oder ein Mißverstehen und Verkennen gutzumachen. Wieder ist es die einzigartige, edle menschlich« Haltung, die dieses Buch heraushebt aus seiner Zeit, aus allen literarischen Verkettungen und Berknüpsungen, wieder die wunderbare, hier hcllenisch-auti- kisch verklärte Deutschheit, di« dieses Werk zu einem ausgezeich neten macht. Hier ist der Ausklang, -der Herbst, 'der Nachsommer unsrer großen deutschen Epoche »erklärt . . . müde liegt schon ver goldender Glanz des Abends über Menschen und Landschaft. Aber Menschen und Landschaft, «In kleiner Kreis in seiner Welt, stellen den Kern einer unsichtbaren Nation dar, sind Träger jener höchsten deutschen und menschheitlichen Kultur, deren teilhaft zu werden wir uns immer bemühen wollen. Darum ist heute dieses Buch mehr als «ine große Dichtung, mehr als ein edles menschheit- lich erfülltes Dokument, mehr als das Gesäß einer ganz und gar musikalisch erfüllten, von feinster Melodie umzogenen Sprache . . . dieses Werk ist ein Werk der Erziehung zur Humanität. Nicht nur Heimweh soll es senken in die Herzen, nein es soll auch Glaube bringen und Hoffnung, darum steht es in unserm »ewigen Vorrat». Was Goethe und Schiller, Wilhelm von Humboldt und die Besten der Hoch-Tage deutschen Geistes ersehnten, das ist hier am Ab schied der Epoche gestaltet. Einen Schritt weiter führt Kellers »Grüner Heinrich». Der Bruch mit Romantik, Klassik und der Philosophie des Idealismus ist geschehen. Gottfried Kellers geistige Welt ist mitten hineingestellt tu die Welt des 19. Jahrhunderts, sein Held ringt den ganzen geistigen und materiellen Kampf durch, den ein Mensch jener Epoche zu bestehen hatte. Dieses Ringen, durchaus zeitverbunden, durchaus verbunden mit der ein maligen Gestalt, umschließt dennoch so weite, ewige Werte des Menschlichen, daß es wieder zeitlos wurde durch des Dichters Kraft. So umschließen dies« drei Bücher gleichsam einen geistigen Raum, darinnen wir den deutschen Menschen um di« Mitte 'des Jahrhunderts sichtbar erkennen. Suchen wir nun aber in der Epoche der nächsten Generation nach Goethes Tod, so erkennen wir von neuem, wie wir hier einer großen Odnis im Geistigen preisgegeben sind. Das Schrift tum vermag kaum «in Werk ewigen Wertes und großen mensch lichen Maßes 'darzubieten. . Ausgeklügelte und salschwissende Bücher in Füll«, aber keine Werk« menschlicher Größe oder ur sprünglicher Kraft. Wenn man sich da auf eins oder das andere Werk besinnt, zögert man fast, neben Nietzsches »Zarathu- st ra» noch ein anderes zu stellen. Und doch, was vermöchte mau neben diesem Buche Nietzsches zu nennen, das mitteninne stehend zwischen reiner Poesie und reiner Philosophie 'das Ringen des deutschen Menschen tu dieser maßlos verlorenen Epoche 'darstellt und offenbart, prophetisch in ewig« Zukunft ruft? Aber dennoch kann mit diesem einzigen Buche Nietzsches, dem mau ja für jeden Gebildeten das ganze Werk dieses letzten großen Deutschen zu gesellen möchte, das Erb« nicht erschöpft sein. Und man stellt dann dennoch neben diesen Band Nietzsches die schönsten Stücke aus Heinrich von Treitschkes »Deutscher Geschichte des 19. Jahrhunderts». Hat er doch das immer noch nicht gebührend beachtete Verdienst, den Deutschen in dichterisch- durchglühter Sprache die Geschichte einer großen Epoche darge stellt zu haben. Mögen sie dessen endlich tune werden! Damit aber scheint mir das Erbe erschöpft, das diese geistig arme Epoche zu geben hat. Reicher scheint mir aber der Beitrag, den di« nächste Epoche von 1890 bis auf unsre Stunde zu geben hat. In seltener Pracht blüht das geistig« Leben auf. Nachdem Nietzsches Ruf an die Ohren derer gedrungen war, di« Willens waren zu hören, suchten di« Besten den Weg zu neuer geistiger Sammlung. Da nenne 4SS