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X: 232, 4. Oktober 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn Buchhandel. Lebensnotwendigkeiten keinerlei Einschränkungen zu befürchten haben, wird die Freiheit der Kritik von den durch sie Betroffenen streitig gemacht. Es haben sich in den letzten Monaten die Fälle gemehrt, da Schriftsteller, deren Werke eine durchaus gerechte und verdiente Kritik gefunden haben, sich klageführend an gewisse amt liche Stellen wandten, oder aber die betreffenden Kritiker selbst mit bitteren Vorwürfen überschütteten. Hier handelt es sich um eine Art und Weise zu reagieren, die für einen geordneten gei stigen Betrieb völlig unmöglich ist. Sofern es sich bei der Kritik nicht um allerdings aufs schärfste abzulehnende persönliche Moti vierungen handelt, ist es unmöglich, daß ein Dichter oder Schrift steller, dessen Werk eine Kritik erfahren hat, den Kritiker, der mit bestem Wissen und Gewissen handelte, mit »Krieg« überzieht. Ein Dichter schreibt ein Buch und setzt es nach seiner Fertigstellung der öffentlichen Diskussion aus. Es ist bestimmt kein Zeichen von menschlicher Größe und schöpferischer Kraft, wenn er dann von vornherein erwartet, daß die Diskussion über dieses sein Werk nur ein in lieblichen Farben schimmerndes Mosaik von Lob sprüchen darstellt. Die Entwertung der literarischen Kritik rührt ja zu einem großen Teil davon her, daß sie mehr und mehr zu einer gegenseitigen Lobhudelei mit übertriebenen sprachlichen Formen herabgesunken ist. Aber wie soll das anders werden, wxnn die Dichter und Schriftsteller selbst kein offenes Wort mehr ver tragen können? Einem ehrlich an sich arbeitenden schöpferischen Menschen muß offene Kritik stärker zum Segen werden als ober flächlich hingcschriebenes und hingesprochenes Lob; noch die völ lige Ablehnung eines Buches mag ihm zum Bewußtsein bringen, ' daß er sich mit diesem Buche vielleicht auf einen falschen Weg be geben hat, und mag daher für sein späteres Schaffen einen ent scheidenden Wendepunkt bedeuten. Dichter berufen sich oft darauf, wenn sie mit einer Kritik nicht zufrieden sind, man hätte dies und jenes in ihrem Werk falsch verstanden. Sie vergessen dabei, daß es für die Bedeutung ihres Werkes oft wichtiger ist, wie der Außenstehende die Wirkung dieses und jenes Zuges, der angeblich falsch verstanden worden ist, beurteilt; gewiß soll der Dichter sein eigenes Weltbild schaffen, aber er soll es nur in steter lebendiger Wechselwirkung mit der Zeit und mit den Menschen, in denen und unter denen er lebt, da er anders in die Gefahr gerät, Dinge zu schaffen, die uns schließlich nichts mehr angehen. Auf alle Fälle aber ist es nötig, daß unsere Schaffenden uns das Recht der Auseinandersetzung mit ihrem Werk zugestehen, wenn wir nicht in eine hoffnungslose Langeweile verfallen wollen. Es spricht nicht gerade für einen bedeutenden geistigen Aktionsradius eines Schaffenden, wenn er ein kritisches Wort beantwortet mit einem eiligen Gang zu seinem Verband oder zu seiner Kammer oder zu der dafür zuständigen Ab teilung eines Ministeriums. Wir anerkennen die selbstverständ lichen Bindungen, die das staatliche und volkliche Leben unserer Tätigkeit auferlegt, aber wir lehnen das Dreinreden der Schaf fenden in unsere Tätigkeit ab, solange uns nicht vorgeworfen wer den kann, daß wir persönliche Dinge vor sachliche Rücksichten stellen. Positive und negative Kritik Irgendwo wurde kürzlich von einer Schriftstellerin ein Vor trag gehalten über das Thema »Kritik als Freundschaftsdienst«. Damit wird die Frage berührt, ob Kritik nur positiv sein solle, oder ob sie auch negativ sein dürfe. Ein junger Schriftsteller entrüstete sich vor kurzem über eine von mir geschriebene ablehnende Kritik eines von ihm gelobten Buches; er sei der Ansicht, schrieb er mir, daß Kritik nur positiv sein dürfe. Wenn Kritik als Freund schaftsdienst aufgefaßt wird, dann mag das für den Dichter, der sich eines solchen Freundschaftsdienstes erfreuen darf, sehr schön sein, mit Kritik hat es nichts mehr zu tun. Kritisieren heißt wort getreu: scheiden, das bedeutet, das Echte vom Unechten, das Wesentliche vom Unwesentlichen, das Notwendige vom Nichtnot wendigen scheiden. Erst durch jene Klasse von Menschen, die grund sätzlich alles besser wissen als andere, ist der Begriff der Kritik entwertet worden, sodaß heute vielfach darunter nichts anderes verstanden wird, leider Gottes mit Recht, als Nörgeln und Meckern. Mit den Nörglern und Meckerern aber wollen wir selbstverständlich auch auf dem Gebiet der literarischen Kritik nichts zu schaffen haben, da ihre Äußerungen ja nur aus dem von uns schon mehrfach eindeutig abgelehnten Quell des Sich-selbst-wichtig- nehmens kommen. Wir wiesen darauf hin, daß der Buchbericht erstatter, der geistige Werte vermitteln will, seine eigene Person möglichst in den Hintergrund zu stellen hat. Es wird also nötig sein, die Nörgler und Meckerer auf unserem Gebiet von Fall zu Fall so abzutun, wie es auf dem Gebiet des staatlichen Lebens bereits geschehen ist. Aber abgesehen von ihnen hat der Begriff der negativen Kritik im literarischen Leben eine andere Bedeu-' tung, man wird, um Mißverständnissen vorzubeugen, am besten auch dazu übergehen, ihn durch einen andern Begriff zu ersetzen. Wir verstehen unter positiver Kritik Anerkennung, unter negativer Kritik Ablehnung. Die deutschen Worte für diefe beiden Begriffe machen sofort klar, daß wir auch auf den nach der Minus linie laufenden Teil der Buchberichterstattung nicht verzichten können. Natürlich gibt es unter den Neuerscheinungen jedes Jah res eine Reihe von Büchern, mit denen zu befassen sich ganz ein fach gar nicht lohnt. Es gibt viele Menschen, die Kriminalromane lesen wollen; es gibt viele andere, die Liebes- und Eheromane lesen wollen nach der Art der Marlitt und Courths-Mahler; es würde sich wirklich nicht lohnen, gegen diese Menschen und gegen die Erzeugnisse, die von ihnen bevorzugt werden, einen Kreuzzug zu eröffnen. Sie werden nicht auszurotten sein, sie hat es schon im Mittelalter gegeben, als noch gar keine Bücher gedruckt wur den, eine Untersuchung ihrer besonderen Psychologie ist nicht Auf gabe unserer Betrachtung, wir haben dieses Beispiel nur ange führt, um damit eine ganz bestimmte Gattung von Literatur zu kennzeichnen, die die kritische Beschäftigung mit ihr nicht lohnt. Es mag viel von der Art darunter sein, was man als Kitsch, als harmlosen Kitsch bezeichnet, er beschäftigt uns nicht; auch der Schund und der Schmutz, jede Art von Pornographie, hat uns jeweils nur so lange zu beschäftigen, bis die Geheime Staatspolizei darauf aufmerksam geworden ist, um das Verbot durchzuführen. Sobald das Verbot erfolgt ist, sobald also keine Wirkungsmög lichkeit dafür mehr besteht, können wir es uns sparen, uns damit zu befassen. Es gibt ja in jedem Jahr eine Reihe von Büchern, die, was die technische Aufmachung anbetrifft, mit einem besonderen An spruch auftreten, und denen wir daher unsere Aufmerksamkeit zu zuwenden haben. Viele Menschen fallen auf ein Buch schon herein, wenn es technisch-schriftstellerisch »gekonnt« ist. Sie Pflegen dann völlig zu vergessen, daß Form und Gehalt eine untrennbare Ein heit sind. Sie sind entzückt von einer »schmissigen« Sprache und übersehen dabei ganz die Hohlheit und Leere des Inhaltes. Oder sie sehen in Worten schon eine Gesinnung und haben nicht mehr das Gefühl dafür, daß nur an der Oberfläche geplätschert wird. Wir haben es heute besonders häufig mit dieser letzteren Sorte von Literatur zu tun, die mit dem Anspruch, nationalsozialistisch zu sein, aufzutreten Pflegt. Für eine verantwortungsvolle Kritik aber ist es unmöglich zu schweigen. Sie kann sich nicht darauf beschrän ken, nur das hervorzuheben, was Lob verdient, und den ahnungs losen Leser im Hinblick auf alles andere sich selbst zu überlassen. Nicht darauf kommt es an, daß es uns Freude macht, und daß wir es für eine dankbare Aufgabe halten, unsere Stimme zu er heben für Bücher, die es wert sind, daß man sie aus der Masse der andern heraushebt und in den Vordergrund stellt; die undank bare Aufgabe, das Wertlose oder mit falschen Ansprüchen Auf tretende in seiner besonderen Art zu kennzeichnen, ist mindestens ebenso wichtig. Nicht darauf kommt es an, was wir um unserer selbst willen gerne täten, sondern es muß wieder und wieder hingewiesen werden auf die Wirkungen, die von einem Buche ausgehen können und die je nachdem gefördert oder ver hindert werden müssen. Gerade heute ist die Gefahr groß, daß gleichgeschaltetes Könnertum sich breit und wichtig macht, und gerade hier heißt es also besonders auf der Hut zu sein. Wo Kritik mit dem Ziele der Ablehnung aus sachlichen Grün den nötig ist, muß sie ausgeführt werden; es hieße die Aufgabe des Buchberichterstatters falsch sehen, wenn man sie, nur auf Anerken nung beschränken wollte. Das gilt vor allem im Hinblick darauf, daß vom Urteil des Kritikers in weitem Maße die Arbeit des Buch händlers, der selbst nicht alles lesen kann, abhängt. Wenn ihm aber 867