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7212 Börsenblatt f d. Dtschn. Buchhandel. ^ 166, 19. Juli 1907. Nichtamtlicher Teil. Bei uns aber bleibt der Buchhandel seinem Grundsatz: »Hohe Preise bei kleinem Umsatz« treu. Er läßt es sich zwar gern gefallen, daß, wenn er dann unter der Unver käuflichkeit seiner Bücher leidet, die Warenhäuser sie billig an den Mann bringen und dabei einen Umsatz erzielen, der den der Sortimenter weit hinter sich läßt. Man be obachte beispielsweise einmal den Bücherverkauf in den Warenhäusern um die Weihnachtszeit. Aber beim Ver kauf der gangbaren neuen Bücher hält der Buchhandel kurzsichtig auf hohen Gewinn. Daher der Niedergang der Sortimentsgeschäfte. Und statt diesen dadurch auf zuhelfen, daß er sie gegenüber den Warenhäusern durch billige Preise konkurrenzfähig macht, versucht es der Buchhandel, den Wettbewerb der Warenhäuser dadurch zu bekämpfen, daß er ihnen den Verkauf zu billigem Preise unmöglich macht. Natürlich ohne Erfolg! Denn der Ver kehr hat immer Mittel und Wege gefunden, engherziger Versuche seiner Beschränkung Herr zu werden. Möchte doch der Buchhandel aus dem mitgetcilten Falle endlich lernen, daß seine Zukunft nicht in der Beschränkung, sondern in der auf billigen Preisen beruhenden Hebung des Um satzes liegt!« » In dankenswerter Weise wendet sich in Nr. 327 der Nationalzeitung vom !6. Juli Herr vr. Wilhelm Ruprecht, Göttingen, gegen diese Ausführungen, und wenn dabei die Redaktion der Nationalzeitung zu ihrer Erteilung des Worts an ihn den Vorbehalt macht, daß seine Ausführungen »lediglich die persönliche Auffassung des Verfassers« wieder geben, so dürfen wir ihr entgegenhalten, daß diese persön liche Auffassung dieselbe ist wie die des (mit sehr geringen Ausnahmen) gesamten Buchhandels, und zwar nicht nur des deutschen. Sachkunde wird man dem Buchhandel wohl zubilligen. Wir lassen diesen Aufsatz hier folgen: (Red.) Buchhandel und Warenhäuser. Bon Verlagsbuchhändler vr. Wilhelm Ruprecht (Güttingen). Der Artikel, den die »National-Zeitung« vor einiger Zeit (in der Beilage zu Nr. 273) unter dieser Überschrift veröffentlicht hat, ist so einseitig geschrieben, daß er einer kurzen Berichtigung dringend bedarf. Der an die Besprechung des Reichsgerichtsurteils betr. Königs Kursbuch geknüpfte wohlgemeinte Ratschlag des Verfassers an den Buchhandel, dem Grundsätze »Hohe Preise bei kleinem Umsatz« zu entsagen, wirkt seltsam, wenn man weiß, daß gerade die Firma Reclam in Leipzig, die Bahnbrecherin der spottbilligen Ausgaben, vor kurzem ein durch das Oberlandesgericht Naumburg - vortrefflich begründetes, vom Reichsgericht bestätigtes Urteil erstritten hat, wonach auf Grund des Z 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs es einem Warenhause in Halle a. S. bei Strafe untersagt ist, die Rcclamsche Universal- Bibliothek unter dem festen Ladenpreis von 20 H zu ver kaufen. Reclam hatte seine Klage in andrer Weise als der Verleger von Königs Kursbuch damit begründet, daß das beklagte Warenhaus mit Hilfe der Vertrags-Untreue eines andern sich die Hefte verschaffe und zum Schaden des Klägers unter dem Preise verkaufe. Er konnte Nachweisen, daß die Buchhandlungen in Halle den Vertrieb seines übrigen Verlags wegen der Ünterbietung durch das Warenhaus aufgeben oder einschränken müßten, er also, anstatt daß ihm, dem Verleger, der Verzicht des Warenhauses auf Ge winn vermehrten Umsatz bringe, vielmehr Schaden leide. Reclam weiß, daß solche Unternehmungen, wie seine Univer salbibliothek, nur möglich sind, wenn eine Menge von Buch handlungen überall sie vorrätig halten, und daß er diesen Buchhandlungen, wenn sie aus dem Verkauf der billigen Hefte auch nur einen bescheidenen Gewinn erzielen wollen, einen Brutto-Gewinn gewähren muß, der, in Pro zenten der niedrigen Heft-Preise ausgerechnet, dem Un kundigen auffallend hoch erscheint. Gerade auf diesen, in Prozenten ausgedrückt scheinbar hohen Brutto - Gewinn geht auch das Urteil des Oberlandesgerichts in Naumburg ein. Die Begründung führt zutreffend aus, daß bei so billigen Büchern für das Maß des dem Sortimenter zuzu messenden Gewinns nicht sowohl das Verhältnis zwischen Ladenpreis und Nettopreis maßgebend sein könne, als die reinen Zahlen der Beträge, die sich durch den Unterschied ergeben. Diese reine Zahl ergibt bei einem Reclamheft einen Brutto-Gewinn von 8 H, von dem also Fracht, Spesen in Leipzig, allgemeine Geschäftsunkosten abgehen und der ohnedies nur erzielt wird, wenn der Sortimenter eine größere Anzahl Hefte zusammen bezieht nnd alles verkauft. Dieser von dem Gerichtshof geltend gemachte Gesichtspunkt ist längst Gemeingut der ganzen kauf männischen Welt und auch des Publikums; es wird kein Verständiger einem Bankier, der bei An- oder Verkäufen von Effekten >/s Prozent oder gar 'Z, Prozent berechnet, zumuten, sich mit 10 H bei dem Verkauf von 100 ^ Deutscher Reichsanleihe zu begnügen. In der ganzen Welt ist es viel mehr üblich, daß bei Waren, die einen geringen Verkaufs preis haben, der Brutto-Nutzen größer ist als sonst. Nur dem Buchhändler soll das, was andern Geschäftsleuten un bedenklich zugebilligt wird, untersagt werden. Gerade durch kluge Benutzung des weitverzweigten Sortiments buchhandels ist es Reclam möglich geworden, dem Publikum die Universalbibliothek so spottbillig zu liefern, und ganz ähnlich verhält sich der Fall mit Königs Kursbuch. Der Verleger — von dem Sortimenter sehen wir hier einmal ganz ab — muß Schutz dagegen finden, daß es einem Waren hause gefällt, die Werke seines Verlags als Lockvögel unter dem Preise zu verkaufen und dadurch die wichtigste Hilfs kraft des Verlegers, den Sortimenter, totzuschlagen. Leicht ist vom deutschen Gesetz und von deutschen Gerichten dem Buchhändler der Kampf nicht gemacht; aber es scheint doch, daß das Verständnis für die individuellen Bedürfnisse der Berufszweige bei den deutschen Richtern im Wachsen ist. Die hauptsächlichsten Warenhäuser haben übrigens die Verkaufs-Bestimmungen des Buchhändler-Börsenvereins an erkannt, und die Ramschartikel, die sie zu beliebigem Preise zu verkaufen berechtigt sind, können auch von den Buch handlungen zu gleichen Preisen geliefert werden. Daß darin die Warenhäuser sehr großen Umsatz erzielen können, liegt in der Natur ihres Betriebs, und gern sei zugegeben, daß unter diesem Ramsch sich auch manches gute Buch neben vielem Wertlosen befindet. Die billigeren Bücherpreise in England und Frankreich, von denen der eingangs genannte Artikel spricht, sind, aufs Ganze angesehen, ein Märlein, und man vergesse doch nicht, daß neuerdings gerade der Verlagsbuchhandel dieser Länder, der gewiß den Sortimentern einen wirtschaftlich unberechtig ten Gewinn nicht zuwenden wird, die traurigen buchhänd lerischen Verhältnisse nach deutschem Muster zu reorganisieren bestrebt ist, und daß die leistungsfähigen internationalen Sortimentsbuchhandlungen in fast allen Ländern von Deut schen begründet und meist noch heute von solchen geleitet sind. So ganz rückständig muß also wohl der deutsche Buchhandel nicht sein. Der Verlag, an dem der Unterzeichnete beteiligt ist, hat in den letzten Jahren eine für jeden Gebildeten ver ständliche moderne Erklärung und Übersetzung des Neuen Testaments herausgegeben, zu einem Preise, wie ihn kein Land der Welt, mag sein Sprachgebiet auch noch so viel größer sein als das deutsche, für ein ähnliches Unternehmen