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wollen; denn er bestreitet den Anspruch des eben ausgelernten Gehilfen, von seinem Gehalt sogleich seinen vollen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Wir können uns aber nicht vorstellen, daß der Borstand des Börsen vereins diesen Standpunkt teilt. Wir können es uns auch nicht vorstellen, daß es die Folge der Einführung von Mindestgehältern sein sollte, daß weniger gut ausgebildete Gehilfen im Buchhandel nur schwer noch Anstellung fänden; nach unseren Erfahrungen finden solche Gehilfen im Buchhandel ziemlich leicht Stellung, wenn sie nur »bescheidene Ansprüche« — und darunter rangieren unsere Mindestgehälter doch gewiß — stellen und gerade die tüchtigeren Gehilfen kehren vielfach dem Buchhandel den Rücken, weil sie in ihm nicht die entsprechende Bezahlung finden. Damit ist unseres Erachtens dem Buchhandel aber nicht gedient, für den das umgekehrte Verhältnis zweifellos günstiger wäre. — Auch eine für die Gehilfenschaft unerwünschte Zunahme der Hilfskräfte dürste kaum als Folge der Ein führung der Mindestgehälter zu befürchten sein; denn halbwegs geschulte Hilfskräfte, und nur solche haben für den Buchhandel doch einen Wert, werden gleichfalls keine geringeren Gehaltsforderungen stellen, als unsere Mindestgehälter. Wir weisen nur darauf hin, daß das Mindestgehalt für Leipzig 110 Mk. beträgt, während Markthelfer im Alter von 22—23 Jahren nach dem Tarif dasselbe Gehalt beziehen. Wir denken aber, das möchten wir nochmals ausdrücklich betonen, nicht an eine Tarifierung der Gehälter nach dem Muster etwa der industriellen und gewerblichen Arbeiter oder der Buchdrucker. Wir wissen sehr wohl, daß das bei den wesentlich individuelleren Arbeiten der Buchhandlungsgehilfen vorläufig wenigstens unmöglich ist, und nichts liegt uns ferner, als öde Gleichmacherei oder Bevorzugung gar der weniger Leistungsfähigen vor den Tüchtigen. Was wir anstreben, ist lediglich die Feststellung einer untersten Grenze; und das ist bei beiderseitigem guten Willen zweifellos durchführbar. Als Beweis dafür, daß es sich bei unseren Bestrebungen in Sachen Mindestgehälter keineswegs um Utopien, sondern um soziale Fortschrittsmöglichkeiten handelt, die sowohl von der volkswirtschaftlichen Wissenschaft aner kannt, als auch von der praktischen Erfahrung in anderen Berufen bereits bestätigt sind, möchten wir auf den Artikel des Herrn Or. Brunhuber »Der kollektive Arbeitsvertrag und die Privatbeamten« in »Soziale Praxis« XVI. Jahrg. Nr. 12 und 13 (Leipzig, Duncker L Humblot) Hinweisen. Es heißt da gleich in der Einleitung: Und da zeigte sich denn, daß sich meine vorsichtige theoretische Vermutung, der Tarifvertrag der gewerblichen Arbeiter erlaube keine Analogie für den Arbeitsvertrag der kaufmännischen Angestellten und technisch industriellen Beamten, bei einer unbefangenen Betrachtung der praktischen Verhältnisse nicht auf recht erhalten lasse. Es sind vielmehr der Berührungspunkte soviele vorhanden, daß es lediglich der — gegenüber den Handarbeitern — heute noch schwachen Organisation dieser Kreise zuzuschreiben ist, wenn die Frage des Tarifvertrages der Privatbeamten noch nicht bestimmtere Gestalt angenommen hat. Und später: Ich verweise nochmals auf den Ausgang meiner Untersuchung; nicht am grünen Tisch ist die Forderung des Kollektivvertrags für Privatbcamte gereift, sondern in engster Verbindung mit der praktischen Arbeit unter den Privatbeamten; nicht gewollt ist sie erklügelt, sondern die schon heute vorhandenen tat sächlichen Symptome verweisen auf diesen Weg mit zwingender Notwendigkeit. Bedeutsam sind vor allem aber gerade für unsere Mindestgehälter folgende Ausführungen vr. Brun hubers: Wie zur Zeit des individuellen Arbcitsvertrages der unorganisierten Arbeiter sind heute durch die Aus nutzung der freien Konkurrenz der einzelnen Privatbeamten untereinander die Gehälter oft unter die Grenze des Existenzminimums, d. h. des für die betreffende Klaffe auf der ihr eigenen Kulturstufe nötigen Existenzminimums gesunken. Man weiß, daß es eine allgemeine Gehaltsstatistik der Privatbeamten nicht gibt; aber monatliche Sätze von 70 Mk. für Bureauschrciber, von 80—90 Mk. für Zeichner, von 100—120 Mk. für akademisch gebildete Ingenieure und Chemiker, mit langer, häufig ungeregelter Arbeitszeit und Sonntags dienst, sind nicht vereinzelt, sondern symptomatisch. Diese Zustände lassen sich vom Standpunkt des Ge meinwohles auf die Dauer nicht ertragen; die Gehälter stehen unter den Normalarbeiterlöhnen, sie ver ursachen also auf die Dauer ein kulturelles Versinken dieser Kreise unter die Klasse der Handarbeiter. Das ist das erste, oft traurigste und zwingendste Symptom für die Unmöglichkeit der Ausrechterhaltung des individuellen Arbeitsvertrages und für seine Ersetzung durch andere, volkswirtschaftlich höhere und gesündere Arbeitsvertragsformcn. Und später: Die Entwickelung wird von unten herauf gehen und von der Gewährung eines Mindestlohnes für die Geringbesoldcten fortschreiten zu den Klassen der höhergestelltcn, geistigen Arbeiter. Fraglos aber wird auch diese Entwickelung ihren Fortgang nehmen. Das deckt sich fast vollständig mit dem, was wir bereits in unserm ersten Schreiben an den Vorstand des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler aussührten: wird nicht durch Schaffung einer Mindestgehaltsgrenze dem weiteren Sinken der Gehälter der Buchhandlungsgehilfen Einhalt geboten, so muß »ein kulturelles Versinken dieser Kreise unter die Klasse der Handarbeiter« die notwendige Folge sein. Die Klagen über die immer weiter fortschreitende Proletarisicrung der Buchhandlungsgehilfen, denen der Vorsitzende des Berliner Sortimenter-Vereins, Herr Küstenmacher, beredten Ausdruck verliehen hat, und das damit Hand in Hand gehende Sinken des geistigen Niveaus und der Leistungsfähigkeit werden nicht verstummen, sondern immer lauter werden, bis die Mindestgehaltsfrage in befriedigender Weise gelöst sein wird. Die Festsetzung von Mindestgehältern dürste auch ein Ansporn für die Lehrherren sein, der Ausbildung der Lehrlinge mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als bisher vielfach geschehen ist, da sie dann gewärtigen müßten, daß die späteren Chefs des jungen Gehilfen sie für dessen Ausbildung mindestens moralisch verantwortlich machen würden. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 7b. Jahrgang. 844