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8260 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel Nichtamtlicher Teil. 178, 3. August 1S0V. Nichtamtlicher Teil. Pflichtexemplare. (Vgl. Börsenblatt 1908 Nr. 126. 127, 132, 135, 137, 138, 142, 143, 146, 147, 164.) Eingabe der Vorstände des Buchhändler- Verbandes für das Königreich Sachsen und des Vereins Dresdner Buchhändler an das Königlich Sächsische Ministerium des Innern in Sachen der Pflichtexemplare. Dresden und Pirna, am 9. Juli 1908. An das Königliche Ministerium des Innern, Dresden. In ihrem Bericht über Kapitel 24 des ordentlichen Staatshaushalts für 1908—09 hat die Finanzdeputation ^ der II. Sächsischen Kammer u. a. die Wiedereinführung der sogenannten Pflichtexemplare in Sachsen befürwortet, und der Königliche Finanzminister Se. Exzellenz Herr vr. v. Rüger hat in den anschließenden Verhandlungen des Landtages Veran lassung genommen, einen Gesetzentwurf in Aussicht zu stellen, durch den dieser Anregung der Finanzdeputation entsprochen werden soll. Diese Tatsachen geben den ehrerbietigst Unterzeichneten Vereinen Veranlassung, sich an das Königliche Ministerium des Innern mit der dringenden Bitte zu wenden, dahin wirken zu wollen, daß von der Einbringung eines solchen Gesetzes Abstand genommen wird. Zur Begründung dieser Bitte beehren wir uns das Folgende vorzubringen: Alles, was für die Pflichtexemplare gesagt werden kann und schon immer gesagt worden ist, stellt der Deputations bericht fast vollständig zusammen. Nun muß bei diesem frei lich auffallen, daß er sich in seinem ersten, umfangreicheren Teil lediglich an das Gefühl des Lesers wendet, indem er durch Begriffe wie »verhängnisvoller Akt der Gesetzgebung in Sachsen«, »verhängnisvoller Beschluß für die Erhaltung des literarischen Schatzes der deutschen Nation«, »ein Unglückstag für unsere Bibliotheken«, »Notstand bei den Sächsischen Bibliotheken« usw. für die vorzuschlagenden Maßregeln Stimmung zu machen bestrebt ist; ja der Bericht geht so weit, den Vorkämpfern für Abschaffung der Pflichtexemplare im Jahre 1870 zu unterstellen, daß sie »unter dem Einfluß vermeintlicher buchhändlerischer Interessen« gehandelt hätten, also nicht von streng sachlichen Erwägungen, sondern von Sonderinteressen geleitet gewesen wären. Für die sachliche Begründung einer Sondersteuer, wie sie hier in Rede steht, wäre unseres Erachtens zu erörtern: ob sie eine Notwendigkeit ist, ob sie die beabsichtigte Wirkung auch wirklich haben wird, ob sie mit den im Staate geltenden allgemeinen Rechts anschauungen in Übereinstimmung zu bringen ist und ob sie auf die beteiligten Kreise in gerechter Weise verteilt werden kann. Von diesen vier Gesichtspunkten berücksichtigt der Bericht nur zwei. Die Notwendigkeit der Maßregel wird von chm zwar zu erweisen versucht. Er selbst gibt aber zu, daß der ge ringen Entwicklung der betreffenden beiden Bibliotheken durch Gewährung größerer Mittel seitens des Staates abge holfen werden könne, wenigstens rücksichtlich der in den Buchhändlerkatalogen verzeichneten Bücher; daß also für diese die Notwendigkeit der Einführung von Pflichtexemplaren nicht bestehe. Der Bericht glaubt aber diese Maßregel für die im Selbstverläge oder überhaupt nicht im Buchhandel er scheinenden Schriften nicht umgehen zu können. Es erscheint nun zwar noch durchaus nicht ausgemacht, daß es wirklich notwendig und zweckmäßig ist, die ungeheure Masse der ephemeren Literatur unserer Tage lückenlos zu sammeln, nur um dadurch der verhältnismäßig sehr kleinen Anzahl von Schriften habhaft zu werden, die in späteren Jahrhunderten einmal möglicherweise von Interesse sein könnten. Aber selbst die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit eines derartigen Sammelns (das zudem von dem Charakter des planlosen Zusammenhäufens nie ganz frei sein könnte) zugegeben, so ist gerade für diese Art von Literatur die Notwendigkeit der Pflichtexemplare durchaus zu bestreiten. Gerade die hier in Rede stehende Literatur ist zum aller größten Teile schon bei Erscheinen oder einige Zeit nachher umsonst zu haben, wenn die betreffenden Drucker oder Heraus geber um Überlassung eines Exemplars ersucht werden. Es seien hier nur genannt: politische Flugblätter, die überhaupt gratis verteilt; Veröffentlichungen von Vereinen, die den Vereinsmitgliedern gratis abgegeben; Festschriften, die aus besonderen Anlässen von Vereinen, industriellen Eta blissements usw. veröffentlicht werden: Schriften, die in der Tat in späteren Zeiten einmal von Wert für kulturhistorische, nationalökonomische und andere Forschungen werden können. In allen solchen Fällen aber kann es den betreffenden Herausgebern nur erwünscht sein, wenn eine große staatliche Bibliothek ein Exemplar zur Aufbewahrung übernimmt, und sie würden deshalb einem entsprechenden Ersuchen bereit willigst Folge geben. Diese Literatur wäre also zum weitaus größten Teil ohne jede Zwangsmaßregel zu erlangen. Die Schwierigkeit, sie zu erlangen, die der Deputations bericht völlig außer acht läßt, liegt auf einem ganz anderen Gebiet. Wenn man allenfalls erwarten darf, daß der berufs mäßige Buchhändler über alle ihm dem Staat gegenüber obliegenden Verpflichtungen orientiert ist, so darf man ander seits mit Sicherheit annehmen, daß das bei den Selbst verlegern und bei den Herausgebern von Schriften, die nicht im Buchhandel vertrieben werden, nicht der Fall ist. Alle diese würden also in den wenigsten Fällen die Pflicht exemplare von selbst abliefern, und es würde eines umfangreichen und kostspieligen Apparates bedürfen, um gerade diese Literatur ständig zu verfolgen, auf zuspüren und die betreffenden Pflichtexemplare herbei zuschaffen. Die Kosten dieses Apparates würden wahr scheinlich in gar keinem Verhältnis zu dem Wert der er langten Literatur stehen und sehr viel besser zu Ankäufen von Büchern verwendet werden. Auch würde es sinnwidrig sein, wenn der Staat es auf der einen Seite ablehnen wollte, höhere Mittel für den Ankauf guter Literatur zu verwenden, auf der andern Seite aber einen kostspieligen Apparat schaffen, um eine Literatur zu erlangen, deren Wert im großen und ganzen unzweifelhaft hinter der im Buchhandel erscheinenden ganz wesentlich zurücksteht. Die Berechtigung der Maßregel sucht der Deputations bericht damit zu begründen: daß die Pflichtexemplare auch in vielen anderen Ländern eingeführt seien, daß die Verleger freiwillig Studienexemplare nicht ge liefert hätten, daß die pekuniäre Belastung für den Verlagsbuchhandel gering sei, daß der Staat ähnlich wie bei Patent- und Musterschutz für den Schutz des Autorrechts eine Steuer erheben könne, und