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^ 54, 5. März 1908. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn, Buchhandel 2641 Nichtamtlicher Teil Beiträge zur Geschichte des französischen Verlagsbuchhandels. Während der deutsche Buchhändler über Entstehung und Entwicklung der großen deutschen Verlagshäuser teils durch geschichtliche Rückblicke bei Geschäftsjubiläen, teils durch Nekrologe bei Todesfällen im allgemeinen gut unter richtet ist, ist in bezug auf die Geschichte großer aus ländischer Firmen oft das Gegenteil der Fall. Und doch gibt es unter den ausländischen Firmen Häuser, die sich durch jahrhundertelange Arbeit Weltruf erworben haben, und ihr Einfluß auf ihre Zeit und auf die Entwicklung des Buchhandels ist zu groß, als daß wir achtlos daran vorübergehen könnten. Wir benutzen heute täglich viele Einrichtungen in uuserm Beruf und betrachten sie als etwas Selbstverständliches, ohne darüber nachzu- denken, wer von unfern Vorfahren im Buchgewerbe zuerst uns allen diese oder jene Erfindung zu nutze gemacht hat. Der Einfluß großer Verlagshäuser nicht nur auf das Buchgewerbe selbst, sondern auch auf das Kulturleben ihres Landes ist so bedeutend» daß ihre Geschichte ein besseres Los verdient, als einige Fahre nach dem Tode ihrer Inhaber der Vergessenheit anheimzufallen. Ich selbst habe diesen Mangel schon häufig empfunden, und werde mich — wenn die Redaktion mir für diesen Zweck die Spalten des Börsen blatts öffnen will — bemühen, von Zeit zu Zeit die Ge schichte des einen oder andern großen französischen Verlags- Hauses in kurzen Abrissen hier zu veröffentlichen. Leider werden meine Ausführungen nichts Vollständiges bieten können, denn es ist sehr schwer, sich einwandfreies Material zu verschaffen. Allerdings gibt es über die Geschichte der bedeutendsten französischen Firmen häufig Bücher; aber diese sind fast ausnahmslos nicht im Handel und selbst für den Zweck einer rein geschichtlichen Arbeit nur sehr schwer zugänglich. Firmin-Didot L Cie. Als Gründungsjahr dieser Firma nennt das offizielle Adreßbuch des Deutschen Buchhandels das Jahr 1690, oder »um 1690-!, doch scheint mir diese Angabe auf Irrtum zu beruhen, denn alle vier von mir benutzten Quellen nennen als Zeitpunkt der Gründung der Firma das Jahr 1713, dagegen als Geburtsjahr des Gründers das Jahr 1689. Gründer der heute noch bestehenden großen Firma Firmin-Didot L Cie. ist Francois Didot (geboren 1689 in Paris, gestorben 2. November 175? ebenda). Damals mußte man, um Buchhändler oder Drucker zu werden, offenbar noch ein Examen bestehen oder einen Befähigungs nachweis liefern, was Francois Didot im Jahre 1713 auch tat. Er wurde in die Buchhändlergilde oder -Zunft aus genommen und eröffnet? im selben Jahre eine kleine Buch handlung und Druckerei unter dem noch recht mittelalterlich klingenden Namen: »rl la Libls ä'or«. Francois Didot war übrigens nicht der erste Buchhändler seines Geschlechts; denn in seiner weiteren Verwandtschaft läßt sich eine Zugehörigkeit zum Buchgewerbe bis zum Jahre 1580 Nachweisen. Immer hin gilt er als Gründer der heutigen Firma Firmin-Didot L Cie., die aus kleinen Anfängen zu so bedeutendem Umfang und Ansehen heranwuchs, daß sie Jahrzehnte hindurch unbe stritten zu den ersten ihres Landes, ja der Welt gezählt werden konnte. Unter den von ihm veröffentlichten Werken ist zu nennen eine »Oollsotiou äss Vo^»gs8«, herausgegeben vom AbbS Pröoost in dem für damalige Zeiten bedeutenden Umfange von 20 Bänden in Quartformat. Francois Didot hatte elf Kinder, von denen zwei Söhne, Franyois - Ambroise (1730 — 1804) und Pierre-Francois Börsenblatt sür den Deutschen Buchhandel. 7b. Jahrgang. (1732—1795), seine Geschäftsnachfolger wurden. Beide haben im Druckereiwesen Bedeutendes geleistet. Der ältere, Franyois-Ambroise, ist Erfinder verschiedener kleiner Einrichtungen auf dem Gebiete der Buchdruckerei, wie der gegossenen Stege und Pressen in einem Zug. Er goß auch schöne Antiqua-Ttzpen, die unter dem Namen »Didotsche Lettern« bekannt wurden, und druckte zuerst auf Velinpapier, das er erfand. Von seinen Verlagsunternehmungen ver dienen Beachtung: die »Oollsetiou äits ä'^rtois«, eine Samm lung von 64 französischen Romanen, die auf Veranlassung des Grafen von Artois, des späteren Königs Karl X. von Frankreich, herausgegeben wurde. Diese hervorragend schön gedruckte Publikation, die Franyois-Ambroise Didot den Titel eines »Iiupriwerrr äu 6owts ä'^rtois« eintrug, ist heute sehr selten und gesucht. Ferner druckte ec auf Befehl von Ludwig XVI. eine Auswahl von französischen Klassikern zum Gebrauch für den Unterricht des Dauphins (in u8uw Vslpbivi); auch diese letztere Kollektion ist heute eine literarische Rarität. — Der zweite Sohn des Gründers der Firma, Pierre- Francois Didot, Bruder des Vorigen, hat sich weniger im Druckereiwesen als in der Schriftgießerei und besonders auf dem Gebiete der Papierfabrikation verdient gemacht. Die Firma hatte schon damals, um die Milte des achtzehnten Jahrhunderts, einen solchen Umfang angenommen, daß sie eine eigne Papierfabrik in Essonnes, im Departement Leins st Oi8s, betrieb. Hierbei sei eingeschaltet, daß sich die An fänge der Papierfabnkation in Frankreich bis auf das Jahr 1300 zurückverfolgen lassen und daß die ersten Papier mühlen in dem eben erwähnten Städtchen Essonnes und in Tropes bestanden haben. — Von den Söhnen von Pierre- Francois Didot sind zwei zu erwähnen, die ganz dem Vater nachschlugen und sich beide auf dem Gebiete der Schrift gießerei und der Papierfabrikation auszeichneten: der ältere, Henri (1765—1852), war verheiratet mit einer Mademoiselle Saugrain; sie entstammte einer Familie, deren Zugehörigkeit zum Buchgewerbe sich bis auf das Jahr 1596 Nachweisen läßt. Der jüngere, bekannt geworden unter dem Namen Didot-Saint-Lsger (1767—1829), war außer in der väter lichen Papierfabrik in Essonnes auch in England tätig und erfand das Rollenpapier (papisr 8ov8 Ln). In England sind die Maschinen, die zur Herstellung des Rollenpapiers gebraucht wurden, unter dem Namen »UaeirinsZ viäot« bekannt geworden. Als bemerkenswert sei hier eingeschaltet, daß eine Tochter von Pierre-Francois Didot mit dem Dichter Bernardin de Saint-Pierre verheiratet war, dem Autor des auch heute noch viel gelesenen klassischen Romans »K»ul st Virgillis«. Der Dichter lebte lange Jahre in Essonnes und war zu der Zeit Mitbesitzer der dornigen Papierfabrik Damit scheint aber die Linie Pierre-Francois Didot erloschen zu sein; wenigstens spielt ke-rrer von seinen Nachkommen in der Geschichte der Firma eine Rolle, und nur die Söhne und Enkel von Francois-Ambroise, des ältesten Sohnes des Gründers, werden noch erwähnt. Von diesen sei zuerst genannt Pierre Didot (>760— 1853), ältester Sohn von Francois-Ambroise und Enkel des Gründers, der die väterliche Druckerei im Jahre 1789 über nahm, zusammen mit seinem Bruder, von dem später noch die Rede sein wird. Pierre Didot war tüchtig in seinem Fach, und es gelang ihm, die Buchdruckerkunst auf eine für- damalige Verhältnisse sehr hohe Stufe zu heben. Er lieferte Folioausgaben vieler klassischen Schriftsteller mit ganz neu gezeichneten Schriftarten, die unter dem Namen »Läitiooe äu llouvrs« bekannt geworden sind. Besonders zu erwähnen sind davon: ein Vergil (1798) mit 23 Zeichnungen von G6rard und Girodet (360 Frcs.), ein Horaz (1799) mit von 342