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2644 Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 54, 5. März 1908. der Jugend schon im zartesten Alter alles fern gehalten werde, waS eines freien Menschen unwürdig ist; und wenn irgend etwas, so sollte der Gesetzgeber überhaupt alles schändliche Reden aus der Stadt verbannen, denn aus der Leichtfertigkeit der schändlichen Rede entspringt in nachbarlicher Nähe auch die unsittliche Tat, und besonders in dem Kreise der Jugend, dis deshalb dergleichen weder sagen, noch hören sollte. Wenn sich daher jemand eine Unsiltlichkeit in Worten oder Taten erlaubt, und zwar einer, dem, obschon er ein Freier, die Teilnahme an den gemeinsamen Mahlen noch nicht gestattet ist, so treffe ihn bürgerliche Ehrenstrafe und körperliche Züchtigung; ist er aber vorgerückteren Alters, so erleide er Ehrenstrafen wie ein Unfreier; denn er hat sich wie ein Sklave betragen. -Wenn wir das unzüchtige Reden verbannen, so muß das selbe natürlich auch mit dem Anschauen der unanständigen Gemälde und Darstellungen der Fall sein. Es sehe daher die Obrigkeit darauf, daß dergleichen Handlungen in keinem Bild werke oder Gemälde dargestellt werden. . . . Ferner soll das Gesetz jüngere Leute weder bei Spottspielen, noch bei Komödien als Zuschauer zulassen, bevor sie das Alter erreicht haben, in welchem ihnen gestattet ist, bei dem gemeinschaftlichen Mahl ihren ordentlichen Platz einzunehmen und ungemischten Wein milzutrinken. Denn man kann annehmen, daß die inzwischen genossene Erziehung sie vor den aus solchen Darstellungen ent stehenden Nachteilen gesichert haben wird.» Wir werden zu dieser Strenge der Auffassung nicht zurück kehren können, sie hing mit der griechischen Auffassung des Staates als der Grundlage der Sittlichkeit und höchsten Tugend zusammen; aber etwas von dem gewaltigen sittlichen Ernst, der daraus spricht, können wir doch lernen, ohne befürchten zu müssen, einer unberechtigten mittelalterlichen Askese zu ver fallen, und insonderheit sollte man einsehen, daß es nicht bloß die Kirche und das Christentum sind, die solche sittlichen Forde rungen stellen, und daß die oppositionelle Stellung, die manche gegen diese Faktoren einnehmen, sie zu einer falschen Beur teilung der sittlichen Postulate überhaupt verleitet. Wir müssen es ernster nehmen mit dieser sittlichen Säuberung des privaten und öffentlichen Lebens, es darf nicht mehr gleichgültig hin genommen werden, wenn unsre Kunst sich in den Dienst des Perversen stellt und wenn Hof- und andere Bühnen mit der Vorführung des Perversen ihre Kassen füllen. Wie turmhoch über dem Treiben der Gegenwart steht doch der sittliche Ernst, der aus den Worten eines Aristoteles spricht I Je ernster man es aber mit diesen Dingen nimmt, um so mehr wird man es auch beklagen, wenn ein übertriebener Zelotismus, wie er sich z. B. bei den Ultramontanen gegen Goethe, im besonderen gegen Faust äußert, auf der andern Seite immer wieder kopfscheu macht, und es sei mir deshalb vergönnt, eine Reminiszenz aus meiner Mitgliedschaft im Deutschen Reichstage hier anzuführen. Nach einer langen bis in den Sommer sich erstreckenden Session vereinigten sich die Mitglieder des Reichstags aus irgend einer Veranlassung zu einem gemein samen Festessen. Der Zufall hatte mich in die Nachbarschaft von hervorragenden Mitgliedern des Zentrums, u. a. Windthorlt, ge führt; ich sagte ihm, daß er nach der langen anstrengenden Tätig keit froh sein werde, bald zu Hause wieder sich ausruhen zu können. Darauf erwiderte Windthorst: »Nach dem Schluffe des Reichstags setze ich mich allemal in die Laube meines Gartens, schließe mich gegen alle Außenwelt ab und lese Goethes Faust zweiten Teil.» Das Zentrum hat diesem Führer so viel zu danken; es wäre zu wünschen, daß cs auch in dieser freieren geistigen Richtung seinem alten Führer folgte. AmerikauisAe Bücherversteigerungen im Jahre 1VV7. — Im Gegensatz zu England waren im letztabgelausenen Jahre die Bücherversteigerungen in Amerika weder durch ungewöhnlichen Umfang, noch durch außergewöhnlich hohe Preise ausgezeichnet. Der höchste Preis, der für ein einzelnes gedrucktes Buch bezahlt wurde, war 2900 Dollars für ein kleines und dünnes Oktav bändchen — nämlich das für die erste Kolonisationszeit Amerikas hochwichtige Büchlein Samuel de Champlain's: -Des 8avvaxss, ov Vo^aqs äs 8amvel Obamplaiv äs Lrovaxs, krrit so la Lrauos- vouuells 1's.n mil sir asvt trois», das im Jahre 1603 in Paris die Druckerlaubnis erhielt und in dem genannten oder dem unmittel bar folgenden Jahre erschienen sein dürfte. Das Büchlein war nur etwa ein Jahr zuvor bei einem der fliegenden Buchhändler am Seineufer entdeckt und um 20 Centimes (I) erstanden worden. Unter den größeren Sammlungen, die im Laufe des Jahres zur Versteigerung gelangten, war wohl die gewählteste die von Louis Dillman in Chicago (durch Anderson versteigert), die namentlich in Frühausgaben englischer Klassiker, besonders auch guter Schrift steller des beginnenden 19. Jahrhunderts, Gutes bot. Ein Exem plar der -Loews- von Keats (1817), das der Dichter selbst den Damen Reynolds zum Geschenk gemacht hatte, brachte es auf 900 Dollars; ein Exemplar der bekannten Lambschen »ll'ales krow 8balrsspears» im ganz unverändertem Zustand der ersten Ausgabe auf 800 Dollars, ein Exemplar von Shelley's »Hussa Llab-, wie das obige Buch in unbeschnittenem Zustand, erzielte 650 Dollars. Der höchste Preis, der überhaupt während des ganzen Jahres erreicht wurde, waren 4300 Dollars für zwei mit Papier durchschossene Taschenalmanache, die Tagebücher von George Washington ent hielten. Im ganzen wurden rund 12 700 Zuschläge auf Bücher und Handschriften zum Preise von 3 Dollars aufwärts — durch schnittlich etwas über 10 Dollars — erzielt, fast 2000 weniger als im Geschäftsjahr 1905/1906, aber doch mehr als in irgend einem der früheren Jahre. Was die Nachfrage nach alten Büchern an- betrifft, so ist diese in bezug auf Bücher von mittlerem Wert an scheinend etwas zurückgegangen, während ganz seltene Bücher nach wie vor gesucht sind und hohe Preise erzielen. (Nach: kublisllsrs' IVssirlz-.) Type«»Revue der Schriftgießerei Genzsch L Heyse i« Hamburg. 4". XVIII S. u. 276 Spalten. Typen-Revue nennt die Schriftgießerei Genzsch L Heyse in Hamburg die Gesamtprobe aller ihrer Erzeugnisse, mit Ausnahme der Vignetten und des in galvanischen Niederschlägen zu liefernden Ziermaterials, die 136 zweispaltige Seiten Hochguart füllen, über die Einrichtung der Probe heißt es in den einführenden Worten: -Der ganze Inhalt des Probenbuches ist so geordnet, daß das seinem Charakter nach Zusammengehörige auch stets bei einander steht. Die verschiedenen Grade der Schriftgarnituren sind bis auf wenige Ausnahmen immer in einer Spalte, nach ihrer Größe geordnet, untereinander- und die sich ergänzenden Schrift arten soweit wie möglich nebeneinandergestellt.- Von den eigent lichen Brotschristengraden sind, um ein Urteil über ihr Aussehen als laufender Text zu ermöglichen, immer mehrere Zeilen zum Abdruck gebracht; von den Graden über Cicero aber wird meist nur eine Zeile gegeben, und man kann sich hiernach leicht ein Bild machen von der wahrhaft erstaunlichen Menge von Schriften, die in solcher Weise in dieser Probe vorgeführt werden. Der »Einführung» folgt ein Verzeichnis der nach ihrer Breite geordneten Brotschriften, die Fraktur mit fünf, die Antiqua mit vier Punkten beginnend, beide bis zu zwölf Punkten steigend, und zwar 71 Fraktur- und 105 Antiqua-Grade, deren Alphabete auf 18 Cicero Breite gesetzt sind, um so eine anschauliche Darstellung ihres Breitlaufcns zu geben für die Wahl der Schriften bei Werk oder Zeitungssatz; dann werden Anwendungen derselben in letzterem vorgeführt, und vier Spalten zeigen uns für Jnseratsatz besonders geeignete Schriften mit großem Bilde in Fraktur, Antiqua, Cuistv, Gotisch, Grotesk usw.; hieran schließen sich die Schriften Fraktur- und die Antiqua-Charakters, ferner Schreibschriften, Schreib maschinen- und fremdsprachliche Schriften, Initialen ohne und mit Verzierungen, Ziffern für Tabellen- und andern Satz, und die mannigfaltigsten Zeichen, Klammern, Hände usw.; den Schluß bilden 60 Seiten Einfassungen und Ornamente, Ecken, Zierlinien, Untergrund und Messtngltnien. Gedruckt sind alle Proben nur einseitig; das Störende, das die weißen Rückseiten aber bilden würden, hat man durch Nachahmung der Druckart der chinesischen Bücher vermieden, deren, ihrer Dünne und Durchsichtigkeit halber, ebenfalls nur einseitig bedruckte Blätter an der vordern Längs eite nicht ausgeschnitten sind, so daß zwei Blätter eigentlich immer nur ein Blatt bilden. Die -Typen-Revue- mit ihren äußerst übersichtlich geordneten Typenproben aber ist ein wahrhaft ideales Musterbuch, dessen ge ringes Gewicht — es wiegt nur ca. 700 A — es auch in bezug auf Handlichkeit für den täglichen Gebrauch besonders empfiehlt. Mit der jetzt üblichen Pracht der großen Schriftproben konnte eine solche »Revue» natürlich nicht auftreten; gleichwohl ist ihr Aus-