Volltext Seite (XML)
Nichtamtlicher Teil. 120, 27. Mai 1907. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 5357 Nichtamtlicher Teil. Der neue deutsch-französische Literarvertrag und die Dauer des Äbersetzungsrechts. (Vgl. Nr. 109, 110 d. Bl.) In der Presse (Kölnische Zeitung vom 6. Mai) und durch Herrn Justizrat Dr. Fuld in einem im »Börsenblatt« vom 13. d. M. veröffentlichten Aufsatz (»Die Übersetzung französischer Werke in Deutschland«) wird die Ansicht ver fochten, der neue deutsch-französische Literarvertrag, der am 8. April 1907 in Paris unterzeichnet und vom Reichstag am 11. Mai angenommen worden ist, gewähre einen voll ständigen, bedingungslosen Schutz des Übersetzungsrechts, der sowohl in Frankreich (nach vertraglich anzuwendendem Landesgesetz) wie in Deutschland (nach Vertrag) bis 50 Jahre post wortsw auctoris dauere. »In diesem Punkt«, sagt Dr. Fuld, »tritt nun infolge des neuen Vertrags eine Änderung ein: französische Werke sollen auch in Deutsch land ebenso lange geschützt sein wie in Frankreich selbst, also nicht für die Dauer von dreißig Jahren nach dem Tode, sondern für die Dauer von fünfzig Jahren nach dem Tode«. Dr. Fuld spricht weiter von der »Erstreckung des Über setzungsschutzes auf die Dauer von fünfzig Jahren nach dem Tode« und führt aus: »Wenn wir französischen Werken für die Dauer von fünfzig Jahren nach dem Tode Schutz ge währen, so müssen wir auch verlangen, daß deutsche Werke in Frankreich für die Dauer von fünfzig Jahren nach dem Tode in Frankreich geschützt werden, trotz der kürzern Schutz frist des deutschen Rechts.« Diese Ansicht halte ich für eine irrtümliche, was ich kurz zur Beruhigung derer, die eine solche »allerdings merk würdige Rechtslage« bedenklich gestimmt haben mag, zu begründen suchen werde. Der neue Vertrag sichert in Artikel 2 8 1 allen Ur hebern von zum erstenmal in Deutschland oder Frankreich erschienenen Werken im Gebiet des andern Teils während der ganzen Dauer ihres Rechts an dem Originalwerke das ausschließliche Übersetzungsrecht zu. Was bedeuten die Worte: »während der ganzen Dauer ihres Rechts am Originalwerke«? Das ist der springende Punkt. Der Vertrag ist geschlossen »zum Zweck der Ergän zungen der Bestimmungen der Berner Übereinkunft vom 9. September 1886 usw.«. Diese Konvention schafft also Recht in allen nicht besonders geregelten Punkten. Die Frage der Schutzdauer des Originalwerks ist aber durch Artikel 2 der Berner Übereinkunft im Sinne der jeweiligen Anwendung der kürzern Schutzfrist normiert; deutsche Werke sind im Ver bandsrechtsleben in Frankreich gleichwie zu Hause nur bis dreißig Jahre post wortsin auctoris, französische Werke in Deutschland wie die deutschen nur bis dreißig Jahre post wortsw auctoris geschützt (siehe das Nähere in meinem Kom mentar zur Berner Übereinkunft Seite 113—119). Zwei andre Lösungen sind schon mehrfach angeregt worden: a) die vollständige Gleichstellung der Verbandsauloren mit den Einheimischen, auch in bezug auf die Schutz dauer, den einzigen Punkt, bei dem das Gesetz des Ursprungslandes noch in Konkurrenz mit der lsx kori tritt, welch' letztere sonst den Schutzinhalt bestimmt (s. ebenda S. 24 u. f.); danach würde jedes Land einzig und allein seine gesetzliche Schutzfrist auf die Verbandswerke anwenden, wobei also die Länder mit längerer Schutzdauer mehr gäben, als diejenigen mit WrftMM M km DMtsche« BAchherrbÄ. 74- Jahrgang kürzerer Schutzdauer (vgl. Osterrieth, Bericht an den Dresdner Kongreß der Association littörairs st artistigus iutsruatiouals 1895); b) die Vereinheitlichung der Minimalschutzfrist in der ganzen Union und Festsetzung dieser Frist auf fünfzig Jahre post wortsw auctoris. Insbesondre diese Lösung dürfte, soviel bekannt geworden (s. Droit ä'^.utsur, 1906, S. 52, 61, 131; Börsenbl. 1906, Nr. 75), auf der Berliner Konferenz zur Revision der Berner Überein kunft zur Erörterung gelangen. Allein alle diese Regelungen sind Zukunftsmöglich keiten. Gegenwärtig besteht noch die Berner Konvention mit der Anwendung der konkurrierenden kürzern Schutzdauer vollständig zu Recht. Die Franzosen können in Deutschland weder ein den deutschen Schutz überdauerndes Vervielfältigungsrecht, noch ein derartiges Übersetzungsrecht geltend machen. Die Berner Konvention wird nach dem angeführten Artikel des neuen Literarvertrags nur in dem Sinne modifiziert, daß es nicht mehr erforderlich ist, »daß der Urheber von seinem ausschließlichen Recht der Übersetzung innerhalb der im Artikel 5 der Berner Übereinkunft vorgesehenen Frist von zehn Jahren Gebrauch gemacht hat«. Auf diese Abschaffung der sogenannten Benutzungsfrist wird auch in der begleitenden Denkschrift hingewiesen; im übrigen aber wird in derselben näher ausgeführt, daß der gleiche Zustand des »unbe schränkten Schutzes gegen Übersetzung« nun direkt vertraglich bestimmt wird, der seit dem bekannten deutsch-französi schen Notenaustausch vom 2. Juni/13. Juli 1903 auf Grund des Frankreich zustehenden Meistbegünstigungsrechts und der Inanspruchnahme des den nordamerikanischen Urhebern ver traglich zugesicherten, vollen einheimischen, durch Gesetz vom 19. Juni 1901 gewährten Übersetzungsschutzes seitens Frank reichs herrschte; dieser Notenwechsel wird durch Annahme des neuen Vertrags »seine rechtliche Grundlage verlieren« (Denk schrift Seite 6). Eine materielle Änderung tritt in diesem Punkt nicht ein. Niemand hat aber nach jenem Noten wechsel je angenommen oder behauptet, die Franzosen seien in Deutschland besser zu behandeln gewesen oder seien bis zum Vollzug des neuen Vertrags vom 8. April 1907 noch besser zu behandeln als die Einheimischen selber. Eine solche folgenschwere Abänderung des materiellen einheimischen Rechts zugunsten der Ausländer müßte aus drücklich vertraglich als las cogsus vereinbart werden (vgl. Artikel 1 des französisch-spanischen Literarvertrags mit ein heitlich vereinbarter Schutzfrist von 50 Jahren x. w. a.), was hier nachgewiesenermaßen nicht der Fall ist. Es ist auch ganz undenkbar, daß man eine solche für Deutschland abnorme Regelung nur für das Übersetzungsrecht, so nebenbei, aufgestellt, dagegen von der Hauptfrage des Schutzes des Vervielfältigungsrechts, das nach dem Vertrag das Über- setzungsrecht in bezug auf die Dauer normiert, gar nicht gesprochen hätte. Über die Klippe, daß für den Schutz der Werke gegen Nachdruck und Wiedergabe und für den Schutz der andern abgeleiteten Rechte doch wohl die Berner Über einkunft allein maßgebend sein kann, kommt die hier an- gefochtene Auslegung eines durchaus aus der Regel fallenden Übersetzungsschutzes nicht hinweg. Übrigens ist diese Auslegung schon deshalb nicht halt bar, weil das oben herausgerechnete Ergebnis derselben (Schutz von 50 Jahren p. w. a. sowohl in Frankreich wie in Deutschland) nur dadurch erzielt werden kann, daß den Worten: »während der Dauer ihres Rechts am Original werk« je nach dem Vertragsland im gleichen Satz zwei ganz verschiedene Fassungen untergeschoben werden 700