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1558 Nichtamtlicher Theil. 95, 25. April. neue Deutsche Reich leitet, hat die deutsche Nation so hoch gestellt, daß sie sich jeder andern ebenbürtig dünken darf; hoffen wir, daß die Reichsrcgie- rung auch in dieser hochwichtigen Lache sich ganz aus die Höhe des öffent lichen Geistes der Nation stellen werde. Abg. v. Kusserow ist durchdrungen von der Richtigkeit der 'An schauungen, die das Haus soeben gehört bat, und glaubt die Erfahrungen, die er im Staatsdienste im Auslande gesammelt, zu Gunsten der Sache verwcrlbm zu sollen. Was die Cautclen anlangc, so stimme er prinzipiell für Aushebung des PrcirentivsystcmS; die vorläufige Beschlagnahme wolle «r nur aufrecht erhalten wissen im Kriegszustände und bei auswärtigen Leitungen. Für die vorläufige Beschlagnahme würde er nur stimmen können, wenn die Bundesregierung das Prinzip annähme, für die Beschä digungen aufzukommen, die durch ungerechtfertigte Beschlagnahmen seitens der Beamten geschehen. Die Aushebung der PrLventivmaßregeln werde den deutsäen Journalisten zu derselben Höhe der socialen Stellung erheben, wie sie der englische Journalist cinnehme. Der Unterschied und die ge ringere sociale Stellung des deutschen Journalisten komme her von dem moralischen Drucke, welcher auf Demjenigen laste, der trotz dieser Polizeibe- schränkungcn den Preßberuf auöübc. Die Aufhebung des Druckes allein averdc es bewirken, daß der Beruf deö Journalisten ebenso ehrenvoll, ebenso nützlich und hochgestellt werde, wie die Thätigkcit eines Beamten oder Künstlers. (Heiterkeit.) In England werde der Journalist in jedem Kreise ebenso gern gesehen, wie der Gelehrte oder Künstler, die vornehmste Dame verkehre mit ibm ohne Scheu, sich dadurch zu compromittiren, und hohe Officicre und Edelleute hielten es nicht unter ihrer Würde, das Amt eine« ZeilungsbcrichterstatterS zu versehen und die damit verbundenen materiellen Äortheilc aus den Händen eines ZeitungSredacleurs zu empfangen. Zur Er höhung der materiellen Leistungsfähigkeit der Presse sei die Aufhebung des Zci- kungSstcmpclS und der Erschwernisse des Vertriebs unerläßlich. Die Competcnz in Betreff der erster» sei nach den Erklärungen des RcichscommissarS anläßlich der im vorigen Frühjahre gewünschten reichsgesetzlichen Regelung der Hausirge- werbcstener unzweifelhaft. Technische Bedenken wegen der Abtrennung der Stem pelsteuer von der stehenden Steuer vom Preßgewerbe seien nicht vorhanden, und noch weniger finanzielle bei unsern notorischen Uebcrschüssen. In Betress der Eautclen müsse die englische Gesetzgebung alsMuster dienen. In der englischen 'Preßgesetzgebung walte der Grundsatz ob, daß die Verantwortung sich auf die Thatsache der Veröffentlichung eines Libells erstrecken müsse. Die Frage ob der Redacteur von dem betreffenden Artikel Kcnntuitz gehabt oder nicht, komme erst bezüglich des Strafmaßes in Betracht, nicht darauf, ob der Redacteur von einem Artikel Kcnntniß gehabt habe oder nicht. Es komme allein darauf an, ob constatirt werde» könne, daß dem Klagenden ein Schaden erwachsen sei. In Verbindung damit stehe cs, daß der Eigen- ckhümer mit haftbar sei. Die völlige Freiheit der Concurrcnz werde auf die Presse nur die wohlthätigste Wirkung äußern und die Nachtheilc, die von mancher Seite befürchtet werden, durch sich selbst ebenso unschädlich machen, -wie cS in England erfahrungsmäßig geschehen sei. Ohne die Cauteleu aber komme man zu der amerikanischen Preßfreiheit, deren gesetzliche Basis ledig lich in der Bestimmung der Verfassung liege, daß Preßfreiheit und Rede freiheit durch kein Gesetz eingeschränkt werden sollten. Aber diese von jeder Cautcl entbundene Preßfreiheit werde Niemand im Hause für uns wünschen, wenn er ihre Wirkungen und ihren Gebrauch ins Auge fasse. Dort könne man ungestraft den Gegner durch die stärksten Verleumdungen bekämpfen und wenn daS noch nicht anschlage, in das Heiliglhum der Familie ein- bringen und Frau und Tochter in den Staub ziehen. Ec empfehle die englische Preßfreiheit mit den englischen Cautelen anzunehmen, und wenn Schiller heutzutage lebte, würde er seinen Marquis Posa sagen lassen: „Geben Sie Preßfreiheit!" Ein Schlußantrag wird abgelehnt. (Rufe: Oh! oh!) Abg. Dunckcr: Ich bedauere, daß die Fortsetzung der Discnssion den Herren zu mißfallen scheint; ich denke aber, wenn, wie Hr. vr. Biedermann sagte, der leitende Staat in Deutschland am weitesten zurück ist in Bezie hung auf Preßgesetzgebung, daß hierein Schaden eristirt, an dem wir nicht «hne Weiteres vorllbergchen dürfen. Die preußische Volksvertretung hat an Liesen, Schaden keine Schuld; sobald nach der Conflictszeil ein leidliches Einvernehmen zwischen ihr und der Regierung wiederhergestellt war, schon im Jahre 1867, hat sie Aushebung der CautionSpflicht und der Stempel steuer beantragt; die Regierung antwortete, daß sie nicht einzelne Punkte aus der Preßgesetzgebung herausgreisen, sondern dieselbe im Ganzen einer Revision unterziehen wolle. Das Abgeordnetenhaus steht also der preußi sche» Negierung ungefähr ebenso gegenüber, wie der Reichstag der Reichs regierung. Daß der thatsächliche Zustand, der jetzt in Preußen herrscht, sä'lcunigst reformirt werden muß, oafür habe ich einen sprechenden Beweis in der Hand, eine Nummer der Volks-Zeitung vom 26. April 1867, die an diesem Tage vorläufig mit Beschlag belegt wurde und mir am 4. März 1872, also nach sünf Jahren, zurückgeliefert wurde. (Heiterkeit.) Eine Aufhebung der Stempelabgabe, die nicht im finanziellen Interesse des Staates liegt, wie der preußische Finanzminister zugestandcn hat, sondern nur den Zweck hat, die Presse zu zügeln, dürfen wir nur im Reiche er warten. Wenn Hr. v. Kusserow erwähnte, daß die Berichte der auswär tigen Presse vom Kriegsschauplätze weit bedeutender gewesen wären als die der deutschen, so liegt das nicht daran, daß die deutschen Blätter weniger fähig oder bereit gewesen seien, Geldopfer zu bringen, sondern weil die auswärtigen Correspondenten von Amts wegen weit mehr begünstigt wur den, nicht nur, indem man sie bei der Mittheilung von Nachrichten bevor zugte, sondern auch indem man ihre Kritik viel ruhiger ertrug. Ich er innere Sie daran, daß einer der ausgezeichnetsten deutschen Kricgscorrespon- dcnten, Hr. Voget von der Frankfurter Zeitung, aus Frankreich auSgewiescn wurde, weil er an der Fcldherrntüchtigkeit des Großherzogs von Mecklen burg Zweifel ausgesprochen halte. Wie sehr gerade die Presse geeignet ist, Mißbräuche aufzudecken, bat sich erst dieser Tage gezeigt. Während der Mobilmachung veröffentlichte Karl Ruß den Klageschrci eines Magdeburgi- schcn Soldaten über die Maltraitirung der Rekruten beim Ererciren. Na türlich war die Staatsanwaltschaft sofort mit einer Klage bei der Hand; Ruß wurde aber dieser Tage freigesprochen, weil er die Wahrheit seiner Angaben erwiesen hatte. Die betreffenden Unteroffiziere sind auch mit einer, freilich sehr gelinden Strafe belegt worden — ich glaube, mit drei Tagen Mittclarrest — ein Factum, das ich der zur Berathung des Militärstrafgc- setzes uicdergesetzten Commission zur Beachtung empfehle. Mindestens ver öffentlichen sollte die Reichsrcgierung noch während dieser Session den Preßgesctzentwurf, damit man erkennen kann, ob sie sich endlich zu dem Prinzip der Preßfreiheit bekennt, oder in den ausgetretenen Gleisen der preußischen inner» Politik fortzufahren gedenkt. Damit schließt dieDiscussion über das zukünftige Reichspreßgcsetz. Der Umbau des Buchhändler-Börsengebäudes in Leipzig. Je dankbarer die umfassende Thätigkcit anerkannt werden muß, die der geehrte Börsenvorstand, namentlich in der Person seines der- maligcn langjährigen Vorsitzenden entwickelt und die aus unmittel barster Nähe zu beobachten mir vielfache Gelegenheit geboten wurde, desto schwerer fällt es mir, dem Anträge, der der nächsten General versammlung zur Entscheidung vorgelegt werden soll: den projectirtcn Umbau im Börscngebäude für die Zwecke der Bibliothek zu genehmigen und die Enniahme der dazu erforderlichen Mittel in der Höhe von 3500 Thlrn. aus den Uebcrschüssen der Börsenblatt-Erträge pro 1871 und 1872 zu bewilligen, meine Zustimmung versagen, ja selbst sogar warnen zu müssen, dem an sich ganz wohlgemeinten Plan beizutrcten. Als die Börse gebaut wurde, war sie im Mittelpunkte des Buchhändler-Verkehrs, jetzt ist sie demselben entrückt. Die natür liche Folge wird sein, und flüsternd kann man schon vielfach es ver nehmen, daß das auch in seiner inneren Einrichtung den jetzigen Bedürfnissen nicht mehr entsprechende Gebäude und in seiner werth vollen Lage weit zweckmäßiger und vortheilhafter anderen Bestim mungen zugeführt werden sollte, sowie daß ein früher oder später durch einen Verkauf zu erhoffender reichlicher Gewinn die Möglich keit bieten würde, einen der Gegenwart angepaßtcn Börsen-Neubau inmitten der jetzt an festem Grundbesitze haftenden Buchhändler- Lage auszuführen. Zwei gute vortheilhafte Plätze dürften sich in nicht ferner Zeit dazu bieten. Ist sonach die hohe Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß auch unser Börsengebäude den Zeitströmungen nicht wird Widerstand leisten können, so muß es gerechte Bedenken Hervorrufen, wenn andere bauliche Veränderungen daran vorgenommen werden sollen, als die, welche eine würdige Erhaltung nöthig machen. Wir müssen uns unter solchen Verhältnissen hüten, durch Flickbauten, die weder die Schönheit des Bauwerkes, noch seine Benutzung wesentlich er höhen, eine Minderung des Vereinsvermögens hervorzubringen. Das was durch den projcctirten Umbau erreicht wird, ist auch so geringfügiger Art, daß es eine Billigung nicht finden kann, wenn zur Beschaffung eines Bibliothekzimmers (denn darum handelt cs sich in der That nur, da für ein Lehrzimmcr der Buchhändlerschule zwingende Gründe dem Börsenverein nicht nahe treten) ein Auf wand von 3500 Thlrn. gefordert wird. Es ist nicht ersichtlich, warum ein Bibliothekslocal nicht ermiethet werden soll, das für