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10438 «Srl-Ndla«! r « Suchh-»»L Nichtamtlicher Teil. 211, 10. September 1912. Hiervon abgesehen: die Strafkammer ist an die Gutachten nicht gebunden. Es ist bedauerlich, aber doch bekannt genug, daß die Menschen recht verschiedene Auffassungen haben. Sogar Juristen: nicht nur Gerichte beurteilen denseloen Tatbestand verschieden, sondern oft auch Anwälte (nicht bloß dann, wenn sie in demselben Rechtsstreite Gegner sind). Über Politik. Teuerung. Finanzresorm. Landerziehungs heime u. a. hört man so verschiedene Urteile: warum nicht auch über Bücher? Die Frage, ob eine Schrift unzüchtig ist oder nicht, hat zu verschiedenen Zeiten und vor verschiedenen Gerichtshöfen eine verschiedene Beurteilung gefunden. An zahlreichen Beispielen läßt sich dies erweisen, ohne daß es geboten wäre, gerade Fachleuten, wie es die Leser des Börsen blattes sind, Namen und Büchertitel zu nennen. 4. Bleibt noch zu erörtern, inwieweit die Rechtskraft in Sachen gegen M. gegenüber dem freisprechenden Urteil, welches der Verlag der »Verführten« erzielt hat, durchgreift. Es wäre zunächst daran zu denken, daß M die Wiederaufnahme betriebe (Z 399, Nr. 5 St.P.O); allerdings wäre dies — von rechtlichen Bedenken abgesehen — für ihn nicht empfeh lenswert. da der Sachverhalt selbst beim Ausscheiden dieses einen Buches nicht wesentlich geändert werden würde. Der andere Weg. der für den Verlag allein gangbar wäre, ist der. aus seinem rechtskräftigen Freispruche genau dieselben Rechtsfolgen herzulciten, die die Staatsanwaltschaft der Verurteilung des M. entnimmt. Der Weg dafür ist vielleicht neu, aber jedenfalls gangbar; seine Erörterung an dieser Stelle dürfte aber über den Rahmen dieser kurzen Entgegnung hinausgehen und daher anderwärts erfolgen. Charlottenburg. vr. Paul Posener, Rechtsanwalt am Kammergerichte. Die Reformbewegung im Deutschen Buchhandel 1888—1889 gewürdigt von R. L. Prager. (Schluß zu Nr. 207, 208, 209 u. 21» d. Bl.) 23 Jahre sind verflossen, seitdem der Vorstand Pareh und Genossen dem Vorstand Kröner Weichen mutzte. Aber auch heute noch steht mir diese Verhandlung so klar vor Augen, als ob sie gestern stattgefunden hätte. Die Erregung freilich ist geschwunden, und eine ruhigere Erwägung ist an ihre Stelle getreten. Wenn auch das kleine Häuflein der Berliner und ich mit ihnen damals treu zu Pareh gestanden haben und für seine Ansicht eingetreten sind, so muh ich doch heute, namentlich auch nach dem Studium des 3. Bandes der Rcformbewegung, zugeben, daß der Weg, den Pareh einschlagen wollte, nicht der richtige war. Die Art. wie die Berliner behandelt wurden, und namentlich die Kühle und Überlegenheit, mit der Kröner Pareh gegenübertrat, haben in den Berlinern eine lang- andauernde Erbitterung zurückgelassen. Wie weit es Ironie, wie weit es die wirkliche Meinung Kröners war, daß die Ber liner im Recht gewesen seien, will ich nicht untersuchen, tat sächlich mutzte er anerkennen, daß der Kampf Berlins in den Statuten seine Begründung fand. Kröner wendet sich ja auch wesentlich dagegen, daß der Vorstand glaubte, auf Grund des Diktaturparagraphen eine Angelegenheit erledigen zu können, die statutarisch sich nicht sofort herbeiführen ließ, und darin muß Kröner nach ruhiger Überlegung recht gegeben werden. Eine Anwendung des Z 21 Ziffer 12 durfte niemals dazu dienen, Paragraphen des Statuts außer Kraft zu setzen, na mentlich wenn es sich um eine Änderung der Statuten selbst handelte, die überall mit besonders großen Hindernissen ver ankert ist. Natürlich richtete sich der Grimm der Berliner hauptsächlich gegen Kröner, und zwar wesentlich gegen die Art seines Vorgehens. Ich möchte deshalb nickt verfehlen, heute, nachdem Adolf Kröner schon der grüne Rasen deckt, ihm ins Grab nachzurufen, daß ich nunmehr überzeugt bin, daß sein Vorgehen notwendig war, und daß er dadurch den Börsen verein vor Wirren bewahrt hat, deren Ende nicht abzu sehen war. Über die Kämpfe, die innerhalb des Pareyschen Vor standes stattfanden und die nur dadurch zu einer vorzeitigen Sprengung des Vorstandes nicht geführt haben, weil die Mit glieder schließlich dem Drängen oder den Bitten Pareys nach gegeben haben, geben die fünf Briefe, die im Anhang des Bandes abgedruckt sind, dankenswerten Aufschluß. Leider sind die Antworten nicht erhalten oder nicht mit abgedruckt. Es wäre ganz interessant gewesen, die Ansichten Bergstraeßers mit den Krönerschen vergleichen zu können. Ein sehr inter essantes Dokument ist ferner das Programm Kröners, das er in einem Brief vom 16. September 1889 an Franz Wagner über die derzeitige Lage der Rabattfrage niedergelegt hat. Auch hier tritt der Gedanke zutage, den er in seiner großen Rede in der Hauptversammlung vertreten hat, daß die Satzungen das Sicherheitsventil enthalten, welches dem jetzigen gespannten Zustand ein Ende machen kann. Dieses besieht darin: »Die Orts- und Kreisvereine müssen veranlaßt werden, ihre Verkaufsnormen so abzu- ändcrn, daß sie den Übergriffen der Berliner begegnen kön nen, ohne daß wir nötig haben, die letzteren zu maßregeln.« Noch ein weiteres Rundschreiben Kröners an die Mit glieder des Börsenvereins vom 20. Februar 1892 kann auch heute noch allen denjenigen zum Muster dienen, die gegen die wohlgestigtenOrdnungen unseres Börsenvereins Sturm laufen. Gegenüber der Behauptung, daß es lediglich ein Schlagwort bedeute, daß der Ladenpreis der Eck- und Grund stein des Börsenvereins sei, führe ich die nach stehenden Worte Kröners an: »Bücher sind nicht eine Ware wie jede andere. Sie erfordern einen nicht bloß kaufmännisch ge bildeten und operierenden Handelsstand, einen eigenarti gen Vertrieb, zu dessen charakteristischen Merkmalen u. a. ein vom Verleger festgestellter reeller Ladenpreis für neue Bücher gehört, welcher weder vom Verleger, noch vom Sortimenter beliebig herabgesetzt oder erhöht wer den darf, wenn nicht Situationen entstehen sollen, in welchen den buchhändlerischen »Usancen« mit Recht der Vorwurf der Unsolidität gemacht werden kann. Besser wäre es dann noch, von der Stellung und Veröffentlichung eines Laden preises ganz abzusehen, aber derselbe ist, wie gesagt, eine Notwendigkeit für den Buchhandel, wie für die Schrift steller und das bücherkaufende Publikum. Den Ladenpreis nach Möglichkeit aufrechtzuerhaltcn und zu schützen, ihn nicht durch einzelne prinzipiell unter bieten und dadurch die Existenz eines tüchtigen Verkäufer standes, wie den Ruf der Solidität des Gesamtbuchhandels untergraben zu lassen, ist deshalb ein Gebot der Selbster haltung und zugleich eine Forderung der geschäftlichen Ehre.« Solche goldenen Worte sollten am Anfang jeder Börsen- bereinsversammlung und jeder Abgeordnetenversammlung öffentlich verlesen werden, um jeglichem Mitglieds unseres ehrwürdigen Standes ins Bewußtsein zu rufen, daß er nicht nur Pflichten gegen sich und seine Familie, sondern auch solche seinen Kollegen und seinem Stande gegenüber hat. Ich habe den Kampf Berlins ziemlich ausführlich behan delt, für manche vielleicht zu ausführlich, aber es lag mir daran, nachzuweisen, daß Berlin nicht lediglich aus Selbstsucht, son dern in Verteidigung der Interessen, deren Bewahrung es