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87, 15. April. 1741 Nichtamtlicher Theil. Anklageverfahren oder Rabattrcduction? Mit einiger Spannung entfalteten auch wir die stattliche Nummer 50 des Börsenblattes, welche die Verhandlungen des Börsenvereinsvorstandes mit dem Verbandsvorstande brachte und die neueste Medicin vorschlägt, welche die Krankheit, an welcher der Buchhandel allgemein zugestandenermaßen leidet, beheben soll. Wir erwarteten nicht allzuviel; wie groß war aber unser Erstaunen, als uns die Frucht derselben, der Antrag des Vor standes des Börsenvcreius an die nächste Hauptversammlung, ent gegentrat.*) Uns erscheint — gerade herausgesagt — dieses neueste Beschwichtigungsmittel als eine ArtJnsolvenzerklärung. Denn die Aufgabe des Verbandsvorstandcs, hinter welchem doch sämmtliche buchhändlerische Vereine stehen, wird damit auf die Autorität des Börsenvereinsvorstandes übertragen, doch wohl nur deshalb, weil der Verbandsvorstand sich überzeugt hat, daß er eine Sisyphusarbeit unternommen hat, welcher selbst seine kräf tigen Schultern auf die Dauer nicht gewachsen sind. Wird der Börsenvereinsvorstand glücklicher sein? Oder wird nur die ihm jetzt innewohnende Autorität durch das Scheitern an einer, wie sich bereits gezeigt hat, unlösbaren Aufgabe eine nutzlose Schwächung erleiden? Wir fürchten das Letztere. Wenn den redlichen arbeitsvollen Mühen des Verbands vorstandes, wie einzelner Vereine vollste Anerkennung zu zollen ist, so geht doch gerade aus dem in den Verhandlungen mitgetheilten hochinteressanten Materiale hervor, daß die „Schleuderet" so ver breitet und eingewurzelt ist, daß sie durch eine freiwillige Polizei (ohne jede Executive) allein nicht behoben werden kann. Gestehen wir uns offen: Was ist denn eigentlich erreicht worden, seit die Anti- Rabattbewegung so viel Zeit, Kraft und Tinte consumirt? Wir be haupten: blutwenig, ja in gewissem Sinne ist sogar verschlim mert worden, seit die Dclegirtenversammluug ihre Definition der Schleuderet abgegeben und einen Rabatt von 10H, für zulässig er klärt hat! Und was wird erreicht werden, wenn es auf dem betre tenen Wege der Denunciation und des Anklageprozesses weiter geht? Nichts, gar nichts als Unfriede und Gehässigkeit, eine schwarze Liste, die beständig imFlusse bleiben wird, undmit der deshalb der Verleger nicht rechnen kann; denn der zwingenden Natur der jetzigen Bezugsverhältnisse nach wird, wenn ein Sünder zeitweise sich bekehrt, sofort ein anderer erstehen und die Vortheile ausnützen, die jener aufgegeben hat. Erscheint es denn nicht überhaupt ineincmHandelsgeschäft geradezu alsUnnatur, wenn ich Jemand zwingen will, größere Vortheile einzustrcichcn, als er znm tüchtigen und gewinnreichen Betrieb seines Geschäftes noth- wendig hat? Und dies ist der Fall, besonders bei den Leipziger und Berliner Buchhändlern, wenn man ihnen Rabattnormen, wie sie für Tübingen, Hamburg, München passen, aufzwingen will. Große Worte und Namen werden nicht helfen! Sowohl das Schlagwort „Innung" als der Name „Börsenvereinsvor stand", einen so guten Klang der letztere auch hat, werden dem überwältigenden Einflüsse der gegen früher radical veränderten Verkehrsverhältnisse gegenüber Rauch und leerer Schall bleiben! Wenn dereinst Jemand die Geschichte des heutigen Zersetzungs prozesses des Buchhandels schreibt, so wird er sich die Augen reiben und fragen: warum gerade die einfachsten Mittel zu Behebung der heutigen, unleugbar schweren, Uebclstände so viel wie gar nicht in's Auge gefaßt wurden. Es liegt doch wahrlich der Gedanke recht nahe, sich zu sagen, daß der Ursache nachgegangen werden *) Möglicherweise wird derselbe gar nicht beschlußreif, weil dem Vernehmen nach die bisherigen Vorstandsmitglieder des Verbandes unter keiner Bedingung ein neues Mandat annehmcn wollen. muß, welche das Uebel erzeugt hat, daß also die unter total anderen Verkehrsbedingungen*) entstandenen Usancen des Buchhandels, soweit sie den rechnerischen Verkehr betreffen, sich überlebt haben, und den modernen Verhältnissen angepaßt werden, sonach eine zeitgemäße Reform erfahren müssen. Wollen wir die festen Ladenpreise behalten und nicht in der allerunwürdigstcn Weise zum Gespötte des Publicums werden lassen, so muß das Uebel an der Wurzel angegriffen werden: d. h. es muß der Verlegerrabatt eine entsprechende Rcduction erfahren. Es wäre endlich an der Zeit, daß die deutschen Ver leger sich zu einer Reduction vereinigten, welche allein dem heutigen anarchischen Zustand der Hauptsache nach abzuhelfen, und die Achtung des Publicums dem Gesammtbuchhandel wieder zu gewin nen vermag. Es sind ja erwägenswerthe Vorschläge in dieser Richtung auf getaucht, z. B. der Vorschlag des bayerischen Buchhändler vereines (Herabsetzung des Normalrabatts und Spesenvergütung nach Zonen); der Vorschlag, eine Reduction des Rabatts an den großen Verlagsorten Leipzig, B.erlin rc. eintreten zu lassen (womit schon viel gewonnen wäre); ja auch ein außerhalb des Buchhandels stehender einsichtsvoller und wohlwollender Gelehrter, Oberbibliothekar Professor vr. Dziazko in Breslau, der den Vor gängen im Buchhandel offenbar mit scharfem Auge folgt, hat auf den einzig richtigen Weg — den kaufmännischen — hingewiesen, wenn auch eine praktischere Form für seine Vorschläge zu suchen wäre. Merkwürdiger Weise hatte sich keine dieser Anregungen der Gunst der buchhändlerischcn Vereine zu erfreuen, und nirgends ist man den Vorschlägen, die eine Beseitigung der heutigen abnormen Zustände auf dem allein richtigen, dem kaufmännischen Wege suchen, auch nur näher getreten. Diese Thatsache gibt zu denken. /X Miscellcn. Jubiläum. — Am 1. April d. I. feierte in aller Stille der um den Börsenvcrein hochverdiente Herr Hermann Haessel in Leipzig den fünfzigsten Jahrestag des Beginns seiner buchhändlerischen Thätigkeit. Im Jahre 1834 trat der Jubilar als Lehrling in die Vossische Buchhandlung in Leipzig ein, wo er gemeinsam mit seinem Bruder Gustav lange Jahre bis zu seiner Etablirung thätig war, und in dem altberühmten Geschäft den Grund legte zu seinen umfassenden Kenntnissen und zu der sorgsamen, gewissenhaften und rastlosen Arbeitsamkeit, welche sihn auszeichnet, und welche alle ihm Nahestehenden an ihm hochachten. — Der Vorstand des Börsenvereins, wie auch die Deputation des Vereins der Leipziger Buchhändler brachten dem Jubilar, in dank barer Anerkennung seiner Verdienste, die Gratulationen der Körper schaften, welche sie vertreten. — Seine vielen Freunde werden mit uns das aufrichtige Bedauern über die schwere Erkrankung des verdienten Mannes thcilen, welche ihn zur Nieder legung seines seit Jahren mit Aufopferung verwalteten Amtes als Schatzmeister des Börsenvereins nöthigte. Wir wünschen und hoffen, daß die von dem Patienten begonnene Badekur in den Heilquellen des Schwarzwaldes ihm baldige Kräftigung und voll kommene Genesung bringen möge. *) Bei einer Musterung unserer heutigen Verkehrszustände wird sich manche Abnormität ergeben. So z. B. muß es doch als eine haarsträubende Unbilligkeit bezeichnet werden, daß die wenigsten Leip ziger Verleger dirccte Postsendungen machen, wodurch der Sortimenter gezwungen ist, solche auf kostspieligem Umwege durch den Com- missionär zu beziehen!