Volltext Seite (XML)
Redaktioneller Teil. 140, IS. Juni 1922. Nach Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten ist die Übereinkunft praktisch außer Wirk- samkeit getreten. Die Frage, ob der Sonderstaatsvertrag durch den Kriegszustand rechtlich ausgehoben oder außer Kraft gesetzt wurde, hat eine endgültige Regelung weder durch die Gesetz gebung, noch durch die Rechtsprechung gesunden. Die Lehre hat im allgemeinen den Standpunkt vertreten, daß Sonderverlräge außer Kraft gesetzt seien. Entscheidungen sind ergangen nur be züglich der Verbandsübereinkünfte. Das Reichsgericht hat in der bekannten Entscheidung vom 28. Oktober 1914 für die Pariser Übereinkunft vom 20. März 1883 ausgesprochen, daß zwar die Übereinkunft als völkerrechtlicher Vertrag zwischen den zu Fein den gewordenen Mächten außer Kraft ist, daß aber das deutsche Reichsgesctz, welches die Übereinkunft in Deutschland für an- wendbar erklärte, mangels einer entgegenstehenden gesetzgebe rischen Verfügung noch in Geltung sei. Das O. L. G. Hamburg hat die fortdauernde Wirksamkeit der Berner Urhcberrcchtsüber- einkunft gegenüber Italien anerkannt. Die von dem R. G. ausgesprochenen Grundsätze könnten auch für die Fortwirkung der deutsch-amerikanischen Urheberrechts- Übereinkunft in Deutschland angeführt werden, da das Reichs« gesetz, durch welches diese Übereinkunft in Kraft gesetzt wurde, nicht ausdrücklich aufgehoben worden ist. Die deutschen beteiligten Kreise, namentlich die Verleger- schast, haben die Übereinkunft noch als fortbestehend anerkannt und ihre Schutzwirkuitgen beachtet. Auf zahlreichen deutschen Verlagswerken ist der Copyright-Vermerk angebracht worden. Auch ist von Urheberrechtsverletzungen zum Nachteil amerikani scher Berechtigter nichts bekannt geworden. Die von dem amerikanischen Gesetz geforderte Hinterlegung und Eintragung konnte während des Krieges naturgemäß nicht erfolgen, und zwar, abgesehen von den Verkehrsschwierigkeiten, schon durch das Verbot des Briefwechsels mit feindlichen Län dern. Durch die Kriegsgesetze vom 6. Oktober 1917 und vom 28. März 1918 haben die Vereinigten Staaten besondere Maß nahmen gegen deutsche Urheberrechte (Zwangslizenzen und Ver äußerungen) vorgesehen, ein Recht, von dem zum Nachteil der deutschen Wissenschaft, z. B. der Chemie, ein reichlicher Gebrauch gemacht worden ist. Am 25. August 1921 ist der Frieden zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten unterzeichnet worden. Der Friedens- Vertrag enthält keine Bestimmungen über den Urheberschutz, nimmt aber auf die Festsetzungen des Versailler Friedens des Teiles X Bezug, in welchem das Urheberrecht geregelt ist. Der Versailler Frieden geht von der Voraussetzung aus, daß die internationalen Schutzverträge zwischen den Kriegführenden durch den Krieg außer Kraft gesetzt seien. Demgemäß wird die Berner Urheberrechtsübereinkunft wieder in Kraft gesetzt (Art. 286). Für die Sonderverlräge wird in Art. 289 vorgesehen, daß die einzelnen Siegermächte innerhalb 6 Monate nach Inkraft treten des Versailler Friedens der Reichsregierung Mitteilen können, welche Verträge wieder aufleben sollen. Von dieser Befugnis haben die Vereinigten Staaten bis nach Ablauf der sechsmonatigen Frist nach Inkrafttreten des deutsch-amerikanischen Friedens keinen Gebrauch gemacht. Es ist aber zu bemerken, daß, nach einer Zeitungsnachricht, noch vor kurzem Senator Lodge im Repräsentantenhaus eine Bill «inge bracht haben soll zu dem Zweck, die Urheberrechtsübereinkunft von 1892 zu erneuern. Unabhängig hiervon konnten die Vereinigten Staaten sich auf Art. 308 Abs. 1 des Versailler Friedens berufen, nach dem die Urheberrechte, die bei Beginn des Kriegszustandes bestanden, wieder in Kraft gesetzt und Rechte, die, wenn es nicht zum Krieg gekommen wäre, während des Krieges zufolge eines Gesuchs um Schutz des gewerblichen Eigentums oder zufolge der Veröffent lichung eines literarischen oder künstlerischen Werkes hätten er langt werden können, mit dem Inkrafttreten des Versailler Frie- densvertrags anerkannt werden sollen. Auch von dieser Be stimmung scheinen die Vereinigten Staaten keinen Gebrauch machen zu wollen. Es blieb noch der dritte Weg übrig, an die vorgenannte Pro klamation des Präsidenten der Vereinigten Staaten von 1909 anzuknüpsen. Dieser Weg ist beschritten worden. «70 Die Vereinigten Staaten haben am 18. Dezember 1919 ein Gesetz erlassen (Uralt ck'-uNsm- 1920, S. 73 und 75 ff.), wonach zur Schutzgewährung für infolge des Krieges nicht zur Entstehung ge langte Urheberrechte eine Frist von 15 Monaten nach dem Tage der durch den Präsidenten verkündeten Proklamation des Frie densschlusses gesetzt wurde, innerhalb deren die durch die Gesetz gebung der Vereinigten Staaten borgeschriebenen Bedingungen und Förmlichkeiten nachgeholt werden können. Am 2. Juli 1921 ist vom Präsidenten der Vereinigten Staa ten der Kriegszustand mit Deutschland für beendet erklärt wor den. Man könnte daraus schließen, daß die in dem Gesetz vom 18. Dezember 1919 festgesetzte fünfzehnmonatliche Frist zur Nach holung der amerikanischen Urheberrechtssörmlichkeiten bis zum 18. Oktober 1922 liefe. Diese an sich einfache Rechtslage wird da durch verwickelt, daß am 3. März 1921 durch einen gemeinsamen Beschluß des Kongresses (Ooint liesolutlon Nr. 64) erklärt wurde, unter Bezugnahme auf das Gesetz vom 18. Dezember 1919, daß gewisse Kongrcßgesetze, gemeinsame Resolutionen und Prokla mationen derart auszulcgen sind, als ob der Kriegszustand an dem genannten Tage, d. h. am 3. März 1921, beendet worden sei. Gemäß dieser Festsetzung würde die 15monatige Frist des Ge setzes vom 18. Dez. 1919 schon am 3. Juni 1922 abgelausen sein. Nach dem Gesetz vom 18. Dezember 1919 und der Resolution vom 3. März 1921 würde also die Proklamation des Präsidenten der Vereinigten Staaten von 1909 wieder in Kraft sein. Nach diesem Gesetz sollen, wie erwähnt, alle schutzfähigen Werke, die im Auslände nach dem 1. August 1914 und vor der Friedensprokla mation veröffentlicht wurden, unter Voraussetzung der vom Prä- sidenten in einer Proklamation zu verkündenden Gegenseitigkeit (und unter der weiteren Voraussetzung der schon erwähnten nach träglichen Erfüllung der Förmlichkeiten) wieder unter Schutz stehen. Besteht diese Voraussetzung der Gegenseitigkeit tatsäch lich? — Hier gewinnt die eingangs erwähnte Frage, ob der deutsch-amerikanische Sondervertrag von 1892 durch den Krieg außer Wirksamkeit gesetzt wurde, praktische Bedeutung. Da die Frage keine ausdrückliche Regelung gefunden hat, mußte die Reichsgesetzgebung eingreifen. Diesem Zweck dient das Gesetz voni 18. Mai 1922, dessen wohldurchdachte Bestimmun, gen folglendes ergeben: 1. Durch die innere Gesetzgebung wird den Angehörigen der Vereinigten Staaten der volle Schutz des deutschen Ur heberrechts gewährt. Damit wird die in der Proklamation des Präsidenten vorausgesetzte Gegenseitigkeit formell bekräftigt. 2. Durch die Bezugnahme aus die Übereinkunft vom 15. Januar 1892 wird der Anschluß an den alten, durch die Übereinkunft gewährleisteten Zustand hergestellt. Der Schutz- umsang ist sachlich der gleiche, den die Reichsgesetzgebung den Reichsangehörigen gewährt. In zeitlicher Beziehung bleibt jedoch die Bestimmung des Art. 3 der Übereinkunft vom 15. Ja nuar 1892 in Geltung, wonach die zur Zeit des Inkrafttretens der Übereinkunft, d. h. am 6. Mai 1892, schon veröffentlichten Werke nicht unter den Schutz fallen. 3. Der gegenseitig gewährte Schutz gilt — mit dem Vor- behalt der Rechte Dritter — auch für die gesamte Kriegsdauer: der Schutz wird auch für die in der Zeit zwischen dem I. August 1914 und dem 2. Juli 1921 entstandenen Werke ausdrücklich anerkannt. Ebenso wie es das amerikanische Gesetz vom 18. Mai 1922 bestimmt, sollen die Rechte unberührt bleiben, welche ein Dritter dnrch die Vervielfältigung oder Verbreitung eines Werkes erworben hat. Das amerikanische Gesetz hat als End termin für die Anerkennung eines solchen Zwischenbenutzuugs- rechts den Tag des Erlasses des Gesetzes, also den 18. Dezem ber 1919, festgesetzt. Um allen Streitfragen über das Bestehen der vollen Gegenseitigkeit auch hinsichtlich der zeitlichen Be messung des Zwischenbenutzungsrechts aus dem Wege zu gehen, hat auch das Reichsgesctz vom 18. Mai 1922 bestimmt, daß nur solche Rechte Dritter gewahrt werden sollen, die zwi schen dem I. August 1914 und dem 18. Dezember 1919 erwor ben wurden. Da unbefugte Nachdrucke oder Nachbildungen amerikanischer Werke in der Zwischenzeit kaum erschienen sind, dürste die Anerkennung der erworbenen Zwischenrechte und die etwas frühe Ansetzung des Endtermins hierfür keine erhebliche praktische Bedeutung besitzen. Die Einzelheiten bezüglich der