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.V 29. 5. Februar 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt I b. Dlschn. Buchhandel. 1585 erfolge zu sprechen. Wenn ich recht unterrichtet bin, so sollen die bis jetzt bei Fasquelle eingcgangcnen festen Voraus bestellungen auf den Chantccler auf über 200 000 Exemplare lauten. Die stille, vornehme Ras äo ttrenello wird am Er scheinungslage des Chantccler ein ganz anderes Aussehen bekommen; man wird sich in die Zeit vor fünfzig Jahren zurückversetzt glauben, als Victor Hugos »blisörsbles« erschienen, wo der Andrang so stark war. daß die Polizei einschreiten mußte und nicht mehr Leute in das Geschäftslokal ließ, als der Raum fassen konnte. Während beim Wettlaus um den Chantccler die alten Preise gehalten und am liebsten noch höhere gefordert werden möchten, tobt aus einem andern Gebiete des Verlagsbuch handels der Kampf auf der ganzen Linie wegen der Ver billigung der Bücher. Zu den vielen billigen Kollektionen, die wir schon besitzen, ist in letzter Zeit noch eine ganze Reihe neuerer und noch billigerer Ausgaben getreten. Davon zu erwähnen ist ein neues Unternehmen der Firma Calmann-Lövy, von dem monatlich ein Band erscheinen soll, und das, nach dem Programm zu urteilen, recht gute Werke umfaßt, wie Alexandre Dumas »I-os Trois >Iousquetairss» (das komplette Werk für 65 Cts.!; in der bisherigen billigen Volksausgabe kostete es 2 Francs), Dumas üls »I-a llamo -UIX Oamslias« usw.; ferner »I-es Nilles k^ouvelles klouvelles«, ein als monatliches Periodikum gedachter Novellenschatz, der aber nicht einzeln, sondern nur im Jahresabonnement geliefert werde» soll (10Francs); endlich >lv extenso«, eine Kollektion moderner Autoren zu dem ungeheuerlich billigen Preise von 45 Cts. pro Band in leidlich guter Ausstattung. Beide Sammlungen crscheinen im Verlage der »Renaissance äu I-ivrs« als Parollelunternehmen zu der im Börsenblatt schon eingehend besprochenen Kollektion derselben Firma »Tons les 6lreks-ä'oeuvro äs la I-ittöraturo kraoxaise« (vergl. Börsen blatt 1909 Nr. 219). über diescs Unternehmen hat seither nichts mehr verlautet, weder gutes noch schlechtes; vor allem nicht, daß die erste Auflage, die 100000 Exemplare betragen sollte, schon vergriffen sei. Der Rührigste auf diesem Gebiet ist nach wie vor Herr Fayard. Jetzt, wo teils durch seine eigenen zahlreichen Kollektionen, teils durch die Mitarbeit der Konkurrenz, die Aufnahmefähigkeit des kleinen Publikums für billige Romane und Unterhaltungslektüre jeder Art schon ziemlich erschöpft ist, verlegt Herr Fayard seine alles verbilligende Tätigkeit auf ein andres Gebiet des Verlagsbuchhandels. Seit kurzem veröffentlicht er eine historische Bibliothek, die zum Preise von 1 Frc. 50 Cts. für den illustrierten Band einmal monatlich erscheinen soll. Viel mehr als Unterhaltungslckiüre dürfte die neue Sammlung zwar nicht bieten, da sie bei dem billigen Preise auf sehr breiter Grundlage aufgebaut werden und sich an ein weites Publikum wenden muß; es werden also wohl weniger Werke von geschichtlichem Wert als histo rische Anekdoten oder Erzählungen aus einzelnen interessanten Perioden der Geschichte, an denen Frankreich ja reich ist, in Betracht kommen. Als Herausgeber zeichnet übrigens F. Funck- Brentano, der als Historiker einen guten Namen hat, und die Kollektion dürfte, wie alle Unternehmungen, die unter der Flagge des rührigen Verlegers segeln, starken Erfolg haben. Der Gedanke war also gut, ja sogar so gut, daß, noch bevor der zweite Band der Sammlung erschienen war, sich die Konkurrenz, diesmal in Gestalt der Firma Tallcndicr.mit einem ähnlichen Unternehmen einstellte: Uistoria, einer Monatsschrift für populäre Geschichtswissenschaft. Der einzige Unterschied zwischen beiden Sammlungen besteht im Format und im Preis, denn während die Fayardschen Bände je 1 Frc. 50 Cts. kosten, will die Firma Tallendier Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 77. Jahrgang. ihren Lesern ungefähr das Gleiche für 95 C:s. bieten. Auch haben die elfteren ein mehr buchartigcs Aussehen; die Uistoria dagegen erscheint in Gr.-4".-Format, obgleich jeder Band rcsp. jede Nummer ein in sich abgeschlossenes Ganzes bildet. Im Interesse des regulären Buchhandels ist cs zu be dauern, daß diese alles verbilligende Tendenz sich auf immer größere Gebiete erstreckt und die bisherigen Einheitspreise nun endgiltig durchbrochen erscheinen. Über kurz oder lang wird wohl doch eine Reaktion eintreten, da sonst die ganz- literarische Produktion des Landes darunter leiden müßte, denn auf die Dauer kann bei diesen Preisen nichts Voll wertiges geboten werden. Zwar haben diejenigen alten und großen Häuser, wie Plon-Nourrit L Cie, Emile-Paul, Perrin und andere, die hauptsächlich Hiftorica von dauerndem Werte bringen, bis aus weiteres noch keinen Grund, sich wegen der Konkurrenz der Firmen Fayard und Tallendier Sorgen zu machen; denn das Publikum, das die beiden neuen Kollek tionen kauft, kommt für die Werke der obengenannten Häuser nicht in Betracht. Ganz spurlos ist Schillers hundertfünfzigster Geburts tag auch in Frankreich nicht oorübergegangen, wo der Dichter merkwürdigerweise mehr als Autor des »Wilhelm Tell« als der »Jungfrau von Orlsans» bekannt ist. Aller dings beschränkten sich diese Erinnerungen auf Notizen in Zeitungen und Zeitschriften; Gedenkfeiern wurden nicht ver anstaltet. Aus einer solchen Zeitungsnotiz ersehe ich, daß in den Jahren 1850—1900 Schillers Werke in 200 Millionen Exemplaren Verbreitung gefunden haben sollen, was einer Summe von rund einer Milliarde Mark entsprechen würde, im Durchschnitt also 5 Mark pro Exemplar. Inwieweit sich hier Vermutungen und Tatsachen miteinander mischen, läßt sich heute natürlich nur noch schwer feststellen. Immerhin empfindet man beim Gedanken an diese ungeheure Ziffer ein Bedauern darüber, daß der Dichter, dessen Genie alle diese Summen in Bewegung gebracht hat, selbst nur bescheidenen materiellen Nutzen daraus ziehen konnte. Die »Allgemeine Buchhändler-Zeitung« hat vor Weih nachten an eine Reihe deutscher Schriftsteller eine» Frage bogen versandt mit der Bitte, etwaige Wünsche in bezug auf Ausstattung und Vertrieb ihrer Werke oder Verbesserungen im Buchhandel in Form eines Weihnachtswunschzeltels zum Ausdiuck zu bringen. Die meisten der eingegangenen Ant worten bitten in humoristischer Poesie oder Prosa den Sortimenter um intensivere Verwendung, den Verleger um größere Honorare, oder weisen auf die eine oder andere empfehlenswerte Änderung hin; aber es fehlt auch nicht an Klagen. Eine solche, die au Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt, macht sogar den Verlagsbuchhandel in seiner Ge samtheit direkt für das Los der zahlreichen »verkannten» Schriftsteller in Deutschland verantwortlich. Der Einsender geht zwar nicht so weit, zu behaupten, -daß die Verleger aus den Schädeln ihrer Autoren Champagner trinken«, aber der deutsche Autor fei gezwungen, seine eigentliche Domäne brach liegen zu lassen, um sich durch Übersetzungen wertloser Zeitungsromans oder banaler Nebenarbeiten seinen Lebens unterhalt zu verdienen und seine künstlerische Produktion dadurch schwer zu schädigen oder ganz verkümmern zu lassen, da er von dem Ertrag seiner Feder nicht leben könne. Er hätte gehört und sich bestätige» lassen, daß viele Poeten Klavier unterricht gäben, Gelegenheitsgedichte für Hochzeiten und Vcr- einsfeierlichkeiten verfaßten, Verse sür Malzkaffee und Liebig- bilder schrieben, Vorträge in untergeordneten Kabaretts hielten, die Korrespondenzen eines Schlächtermeisters in Berlin V (Viehhof) erledigten, Rechnungen einkassierten, Schülern Nach- 20»