Volltext Seite (XML)
Kaulbach ist mit einem lithographierten Bildnis des Prinzen P. Radziwill vertreten. Wenn wir uns ein Stündchen in diese köstliche, be hagliche, fröhliche, wenn auch ein wenig steifleinene Zeit versetzt gefühlt haben und dann hinaustreten in das heutige dampfende, elektrisch blitzende und autoduftende Getriebe Berlins, dann kommen wir uns wohl gewaltig großstädtisch vor, würden aber am liebsten nicht nur in die trauliche Ausstellung, sondern in die damalige Zeit zurückkehren Dem Besitzer der Kunstschätze und den Veranstaltern der Schaugelegenheit gebührt lebhafter Zuspruch als Dank der Berliner. — Die Ausstellung ist noch bis Ende dieses Monats (von 10 bis 7 Uhr) zugänglich. Literarische Freiheit und Gewerbebetrieb. Ein interessanter Rechtsfall hat sich den Berichten der Tagespresse zufolge vor kurzem in Paris ereignet, der wieder einmal die ungemein weitgehende Rechtsauslegung erkennen und würdigen läßt, die in der französischen Rechts pflege zu bemerken ist. In einem vielgelesenen Roman aus der Feder eines bekannten Tagesschriftstellers wird der Selbstmord eines jungen Mädchens geschildert, das durch Kohlenoxydgas seinem Leben ein Ende bereitet hat. Getreu dem ultraveristischen Prinzip, in dem die Modernsten der Modernen das künstlerische Evangelium er blicken, schildert der Verfasser den Vorgang sehr genau; er erspart dem Leser nichts, was für die erfolgreiche Durch- und Ausführung des selbstmörderischen Entschlusses von Be deutung ist. Er schildert auch den Ofen, der zu der Ent wicklung des Kohlenoxydgases diente, und er nennt sogar die Fabrik, aus der er stammt. Soweit wäre nun nach den Forderungen des Verismus, der bekanntlich über den Naturalismus längst hinaus ist, alles in Ordnung gewesen. Nun kam aber der Zwischenfall, den der veristische Dichter schwerlich vermutet hatte. Der Fabrikant, dessen Name als der des Verfertigers des verhängnisvollen Ofens genannt wurde, war von dieser eigenartigen Reklame keines wegs erbaut Es war ihm nicht damit gedient, daß sein Fabrikat auf diese Weise zum Gegenstand einer literarischen Berühmtheit gemacht wurde; er betrachtete die An gelegenheit etwas nüchterner und geschäftlicher und erhob gegen den veristischen Autor Klage auf Schadenersatz leistung in Höhe von 10000 Frcs. Diesen Betrag hielt das Gericht allerdings für zu hoch; aber es stellte sich anderseits grundsätzlich auf den Standpunkt des Klägers, daß in der gedachten Verwertung der Bezeichnung für den in dem Roman vorkommenden Ofen eine Störung des Gewerbebetriebs des Klägers und eine Herabsetzung seiner Ware liege, die die Verpflichtung, Schadenersatz zu leisten, zur Folge habe. Diese Entscheidung ist zwar auch für französische Ver hältnisse sehr bedeutungsvoll; aber sie stellt in Frankreich keineswegs ein Novum dar, wie mehrfach angenommen worden ist; vielmehr sind auch früher schon Entscheidungen ergangen, die auf dem gleichen Gedanken beruhen. Der Rechtssatz, vermöge dessen die französische Rechtsprechung dazu gelangt, gegen dergleichen Vorkommnisse wirksam einzu schreiten, ist der allbekannte Artikel 1382 des voä-z civü, wonach derjenige, der einem andern Schaden zufügt, ver pflichtet ist, ihm diesen Schaden zu ersetzen. Es liegt nahe, die Frage zu erwarten, ob auch in Deutschland der Fabrikant des Ofens hätte Schadenersatz be gehren können. Zunächst würde das Wettbewerbsgesetz in Frage kommen, das bekanntlich eine Spezial bestimmung gegen die Betriebsherabsetzung — französisch »as,»xrpmsnv« — enthält, unter welchen Begriff die Herabsetzung der Fabrikate und Waren eines Industriellen und Kaufmanns Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 74. Jahrgang. fällt. Nach Z 6 dieses Gesetzes kann eingeschritten werden gegen das Aufstellen oder Verbreiten betriebsschädigender, nicht erweislich wahrer Behauptungen über das Erwerbs geschäft, die Person des Inhabers oder Leiters des Geschäfts, über die Waren oder die gewerblichen Leistungen, aber nur dann, wenn das Aufstellen oder das Verbreiten derselben zu Zwecken des Wettbewerbs geschieht. An und für sich kann in der Behauptung, daß jemand sich mittels Kohlenoxydgas unter Benutzung eines bestimmten Ofens vergiftet habe, noch keine das Fabrikat herabsetzende Behauptung schlechthin erblickt werden, da ja hiermit keines wegs gesagt ist, der Ofen sei fehler- oder mangelhaft. Auch mittels des besten und jedes Konstruktionsfehlers entbehren den Ofen kann Kohlenoxydgas entwickelt werden, und schon mit Rücksicht hierauf kann von der Anwendbarkeit des tz 6 hier keine Rede sein. Weiter aber ist in dem unter stellten Fall das Moment des Tatbestands, daß die be treffende Handlung zu Zwecken des Wettbewerbs erfolgt sei, nicht gegeben, so daß die Möglichkeit, auf das Wetlbewerbs- gesetz eine Klage zu stützen, praktisch ausscheidet. Es bleiben somit nur ZZ 823 und 826 des Bürger lichen Gesetzbuchs übrig. Auch bei weitestgehender Aus legung der setzten Bestimmung wird man aber nicht be haupten können, daß die Handlung schlechthin gegen die guten Sitten verstoße. In gewissen Ausnahmefällen mag dies angenommen werden; für die Regel aber versagt diese Qualifikation hierbei. Auch nach Z 823 wird sich die Handlung nicht allzu häufig verfolgen lassen, und zwar vor nehmlich um deswillen nicht, weil die Schädigung nicht notwendig die Folge derselben ist. Wenn allerdings der Dichter bezw. Schriftsteller eine bestimmte Ware eines bestimmten Industriellen oder Kaufmanns dergestalt erwähnt, daß dem Publikum bezw. dem Leserkreis der Eindruck der Minderwertigkeit der Ware gemacht, der Produzent, der Kaufmann also geschädigt werden soll, so würde § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Handhabe zum Vorgehen und Einschreiten bieten, und zwar sowohl mittels der Schadenersatzklage als auch mittels der Unterlassungsklage. Theoretisch lassen sich hierher gehörige Fälle mit Leichtig keit konstruieren. Daß solche in der deutschen Rechts pflege schon praktisch geworden seien, ist dem Verfasser un bekannt und unwahrscheinlich, da die frühere Rechts anschauung einem nachdrücklichen Schutz des Persönlichkeits- rechts und selbst der Persönlichkeitssphäre im engern und engsten Sinne nicht eben sympathisch gegenüberstand und es verhältnismäßig langer Zeit bedurfte, bis man in Deutsch land auch nur das anerkannte, daß niemand es sich gefallen zu lassen brauche, zum Gegenstand einer dichterischen bezw. einer Romanfigur gemacht zu werden. Allgemein ist dies auch heute noch nicht anerkannt. Insoweit wäre also die Freiheit der literarischen Pro duktion in Frankreich engern Schranken unterworfen als in Deutschland, während bekanntlich das entgegengesetzte Verhältnis zwischen beiden Ländern insoweit besteht, als es sich um die Schranken handelt, die durch staatliche, politische und kirchlich-religiöse Rücksichten und Beziehungen gegeben sind. Hierin liegt ein für die Psychologie der Volksseele in beiden Ländern sehr bemerkenswertes Moment, das wohl verdiente, auch in anderm Zusammenhang als diesem ge würdigt zu werden. Justizrat vr. Fuld, Mainz. Kleine Mitteilungen. Deutscher Buchgewerbevereiu. Vorträge. — Freitag, den 18. Januar 1907, abends 8 Uhr, beginnt in der Gutenberghalle des Deutschen Buchgewerbehauses in Leipzig die Bortragsreihe über: Das Buchgewerbe und die Kultur. Herr vr. R. Focke, Direktor der Kaiser Wilhelm-Bibliothek in Posen, wird über 96