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Nichtamtlicher Teil. ^ 299, 27. Dezember 1910. (Di-. Matier-Kaufbeuren) tätigen. Ich denke hier namentlich an die barmherzigen Brüder, die sich der Krankenpflege der Kinder widmen. Wir dürfen hier nicht selber mit einem Gesetz Kurpfuscherei treiben, deshalb müssen wir uns das Gesetz in der Kommission sehr genau an- sehen, bevor wir in so weitem Umfange in die persönliche Frei heit eingreifen. Es fragt sich überhapt, ob nicht das bestehende Recht schon genügt, um bei strenger Handhabung die Mißstände im Heilgewerbe zu beseitigen, und ob es nicht möglich ist, die bestehenden Vorschriften weiter auszubauen. Solche Vorschriften bestehen in den einzelnen Bundesstaaten bereits in bezug auf das Konzessionswesen usw. Auch die Bestimmungen des Straf, gesetzbuchs über Fahrlässigkeit usw. sind schon ziemlich scharf. Ein Ausbau dieser Bestimmungen wäre jedenfalls leichter möglich als die Schaffung eines neuen Gesetzes. Was die einzelnen Be stimmungen des Gesetzes anbetrifft, so ist ein großer Teil von ihnen in der vorliegenden Fassung unannehmbar oder doch mindestens sehr bedenklich. Ich denke hier besonders an die Be- stimmungen über die Buchführung. Das Arzneiverbot im § 7 schießt weit übers Ziel hinaus. Die Bestimmungen über die Entziehung der Ausübung des Gewerbes bedürfen einer engeren Fassung. Wenn der Abgeordnete Müller-Meiningen die Be stimmung des § 6, wonach der Bundesrat befugt ist, den Verkehr mit Mitteln zur Verhütung der Empfängnis zu beschränken oder zu verbieten, mit dem Hinweis auf die allgemeinen wirtschaft lichen Verhältnisse beanstandet hat, so übersieht er, daß die Be schränkungen der Empfängnis viel weniger in den unteren not- leidenden Kreisen Vorkommen, als gerade bei den oberen Zehn tausend. Möge es der Kommission gelingen, ein Gesetz zustande zu bringen, das die wirklichen Mißstände beseitigt, ohne die Personen in ihrer Gewerbetätigkeit zu beschränken, und das somit sich als eine Wohltat für die Allgemeinheit erweist. Abgeordneter Ttücklen (Soz.): Es fehlt durchaus an einer Definition des Begriffes »Kurpfuscher«. Die Behörden werden sich in der Auslegung nicht nach der Begründung der Vorlage richten, sondern lediglich nach dem Gesetzestext. Die Naturheil kundigen werden einfach als Kurpfuscher angesehen, es steht aber durchaus nicht fest, daß ein approbierter Arzt tatsächlich etwas versteht. Es kommen Fälle vor, wo die Behandlung durch approbierte Arzte bodenlos einfältig ist. Nach dem Urteil von Medizinern selbst kommt ein großer Teil der Mediziner nur ganz knapp durch das Examen und versteht nicht viel. In der Wiener Medizinischen Wochenschrift sagt ein Professor, die medizinische Praxis sei im besten Falle ein ganz ungewisses und unbefriedi gendes System, es läge weder Philosophie noch gesunder Menschen verstand darin. In den Hamburger Nachrichten führte 1891 Professor Schweninger aus, nur wenige Arzte glaubten noch an eine Einwirkung ihrer roten, grünen und weißen Medizinen. An die Stelle des Irrtums ist der fromme Betrug getreten. Goethe im »Faust« spricht von den höllischen Latwergen. Ein Kur pfuscher ist eigentlich, wer eine Kur pfuscht, und das geschieht auch von vielen Ärzten. Wenn Mißstände eingetreten sind, so liegen sie auf dem Gebiete des Mystizismus, der heute wieder in Deutschland eine so große Rolle spielt. Nicht die Arbeiter sind es, sondern durchweg bessere Leute sind es, die sich gesundbeten lassen. Die Gesundbeter berufen sich darauf, daß auch Könige Gesundbeter gewesen sind, und sie leiten ihr Recht dazu aus der Bibel her. Wenn das Gesetz sich gegen solchen Unfug wendet, wird kaum etwas dagegen einzuwenden sein. Die Arzte ver- wenden heute vielfach die Wasserbehandlung, nachdem sie zuerst die Naturheikundigen, die sogenannten Kurpfuscher, angewendet haben. Ganz entschieden wenden wir uns dagegen, daß den Naturheilvereinen jede Tätigkeit untersagt wird. Die Standes genossenschaft der Arzte wird ja, wenn dieses Gesetz zustande ge kommen ist, nicht ruhen und rasten, bis der Bundesrat es dahin bringt; aber unter den Naturheilkundigen sind sehr viele gewissen hafte Leute, während es gewissenlose Leute auch unter den Ärzten gibt. Die eigentlichen Kurpfuscher werden gar nicht durch das Gesetz getroffen. Der große Kurpfuscher engagiert sich einen approbierten Arzt als Teihaber, und dann geht die Kurpfuscherei unter der ärztlichen Firma einfach weiter, und dann fällt auch jede Kontrolle des Betriebes fort. Man sollte den Naturheil kundigen dieselbe Schweigepflicht auferlegen, die den Ärzten ob- liegt; aber davon wollen die Arzte nichts wissen. Will man sich (Ltücklen) die Konkurrenz der sogenannten Kurpfuscher vom Leibe halten, dann soll man es auch offen sagen. In der Begründung wird amtlich dem deutschen Volke attestiert, daß es in den letzten 40 Jahren nichts gelernt hat, daß man sich über den Bildungs stand des deutschen Volkes getäuscht habe, indem es auch heute noch nicht den Quacksalber vom wirklichen Arzt unterscheiden könne. Wäre es so, niemand anders wäre daran schuld als der Klassenstaat, der dem Volke die Möglichkeit, sich zu bilden, vor enthalten hatte. Ob ein Zahntechniker zur Ausübung der Zahn heilkunde zugelassen werden soll oder nicht, stellt die Vorlage ein fach in das Belieben der Verwaltungsbehörden; man weiß, was dabei herauskommt, wie da politische und religiöse Momente er heblich mitspielen. Für eine solche Willkür sind wir nicht zu haben. Wir Sozialdemokraten wollen niemand die Möglichkeit beschränken, sich an den Heilkundigen zu wenden, zu dem er Ver trauen hat. Anders stehen wir zum Geheimmittelschwindel. Auch der Begriff »Geheimmittel« muß genau um schrieben und die Willkür, die verlangte Blankovollmacht des Bundesrates ausgeschaltet werden; der Reichstag darf sich hier sein Mitwirkungsrecht auf keinen Fall aus der Hand nehmen lassen. Mindestens müssen der Kommission, die dem Bundesrat zur Seite stehen soll, auch ein paar Mitglieder des Reichstages angehören. In neuester Zeit werden eine Menge Geheimmittel zur Wiedererlangung der geschwundenen Nervenkraft schwindet- Haft empfohlen; hier könnten die Behörden schon auf Grund der bestehenden Gesetze energisch Vorgehen. Staatsanwälte und Ge richte sind doch sonst, namentlich wenn es sich um Arbeiter streiks usw. handelt, so ungemein findig; leider vermißt man diese Findigkeit, wenn diese schwindelhaften Anpreisungen in Frage kommen. Höchst bedenklich ist die Vorschrift des Entwurfs, wo nach auch Fahrlässigkeit bestraft werden muß, also auch die Re dakteure für den Inhalt von Inseraten bestraft werden könnten. Radikale Abhilfe würde nur durch die Verstaatlichung des Heil- gewerbes geschaffen; die würde auch dem ärztlichen Proletariat der Großstädte ein Ende machen. Not tut zunächst vor allem Aufklärung der breiten Massen des Volkes. In der Kommission werden wir mit dafür wirken, aus dem Wust der vorgeschlagenen Bestimmungen einen brauchbaren Kern herauszuarbeiten; fest gehalten werden muß aber an der Kurierfreiheit. Abgeordneter vi. Struve (fortschr. Volksp.): Die Aus führungen der Redner zu der Vorlage haben sich zu einem großen Teile gegen die Arzte gerichtet. Man spricht von den wirklich Schuldigen, den Kurpfuschern, nur ganz rm allgemeinen, aber die Verfehlungen der Arzte werden möglichst breitgetreten. Nichts zehrt so stark am Marke des deutschen Volkes als das Kur pfuschertum; die daraus erwachsenen Mißstände liegen zutage. Die Verfehlungen der Kurpfuscher werden keineswegs so schwer bestraft wie die Kunstfehler der Arzte. Das Gesetz richtet sich auch nicht gegen die Zahntechniker. Protestieren muß ich gegen die Behauptung, daß die Standesorganisationen der Arzte der deutschen Arbeiterschaft nicht freundlich gegenüberständen. Auch hat nicht die organisierte Arbeiterschaft dieses Gesetz gefordert. Diejenigen Arzte, welche sich in den Dienst des Kurpfuschertums stellen, sehe ich nicht mehr als meine Standesgenossen an und würde gar nichts dagegen haben, wenn sie auch diesem Gesetz unterstellt würden. Bisher bestand die Kurierfreiheit; auf einen Schwindler, der gefaßt wurde, kamen ein Dutzend, die frei aus gingen. So mancher Prozeß ist nur deshalb nicht eingeleitet worden, weil man nicht für den Schwindler noch Reklame machen wollte. So kam man zu dem neuen Entwurf gegen Mißstände im Heilgewerbe. Tatsächlich genügen die bestehenden Gesetze nicht. Die Gerichte konnten den Betrugsparagraphen nicht an wenden; gewissenlose Pfuscher blieben straflos. Die Arzte werden an ihrem Teil an der Aufklärung des Volkes Weiterarbeiten in dem Bewußtsein, daß sie die Hüter der Volksgesundheit sind, gleichviel, wie das Gesetz im einzelnen ausfällt. Aber allein können die Arzte diesen Kampf nicht führen. Der Staat kann und soll nicht für die Arzte eintreten. Er kann auch den ärzt- lichen Stand nicht schützen. Ich will gern anerkennen, daß die Bestimmungen des Entwurfs in manchen Punkten dem entsprechen, was Arztetage und Arztekorporationen längst als notwendig hin- gestellt haben. Trotz allem stehe ich auf dem Standpunkt, daß jede Maßregel dieser Art nicht mit dem Hinweis auf die Interessen