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5408 Nichtamtlicher Teil. 123, 30. Mai 1906. sammen sehen. Ferner wird man wieder den Vorwurf machen, den man dem Raff gemacht hat, es würde der Affe wieder so groß da stehen wie der Elephant u. s. w. Stehen aber die Bilder cintzeln im Text, so geht der Maßstab des einen den von einem andern nichts mehr an und das weis das Kind sehr wohl zu fassen, und nun die Hauptsache: Feine, ausgearbeitete Bildchen sind hier gantz wider die Absicht, glaube mir auf mein Wort; wenige, selbst grobe, aber richtige Striche machen hier gantz allein die Sache aus: Das ist eine wahre Lust, einen groben Zinnstrich zu sehen, wo aber die Zeichnung den Meister verräth. Die feineren Stricheleyen verderben die Sache mehr, und gehören hier gar nicht zur Hauptabsicht. Blose Umrisse, aber freylich in hohem Grade richtige, sind hier alles was verlangt wird. Laß einmal eine Probe machen und gebe ja den Gedanken mit den infamen Kupfertafcln auf, sonst will ich Dir das Buch so recensiren, daß kein Hund ein Stück Fleisch davon fressen soll.» Auch sonst finden wir häufig den Vermerk, daß er dieses und jenes Manuskript für Dieterich geprüft habe, und meistens findet sich eine ausführliche Begründung für die Empfehlung der Annahme oder Ablehnung. Vielfach sind es fremdländische Werke, über die Lichtenberg sein Gut achten abgibt. Er hält mit einem absprechenden Urteil nicht zurück, auch wenn er damit Unternehmungen geißelt, die Dieterich sehr ans Herz gewachsen waren, wie die Almanachsunternehmungen. Vom Musenalmanach ist er überhaupt kein großer Freund und macht über diesen Aalender oft recht bissige Bemerkungen, vor allem, nachdem Voß die Herausgabe übernommen und Dieterich dem alten Almanach eine etwas andre Fassung gegeben hatte. Lichten berg ist darob sehr erfreut, und aus Briefen, die er damals im Januar 1775 an Dieterich selbst und an seinen Freund Baldinger richtet, ersehen wir, wie wenig ihn der seitherige Almanach befriedigt hatte. An Dieterich schreibt er unter anderm: 3) Ich lebe nun der angenehmen Hoffnung, daß der Musen almanach besser werden wird, wenn das rasende Odengeschnaube herausbleibt. Ich gebe zu, daß es Menschen geben kann, die in einer solchen Zeile die Tritte des Allmächtigen und das Rauschen von Libanons Cedern zu hören glauben, aber ich bitte Gott, daß er alle guten Leute in Gnaden vor solchen Narren be wahren wolle. Nichts ist lustiger, als wenn sich solche Nonscns- sänger über die Wollustsänger hermachen, die Gimpel über die Nachtigallen. Sie werfen Wielanden vor, daß er die junge Un schuld am Altar der Wollust schlachtet, bloß weil der Mann unter so vielen verdienstlichen Werken, die die junge Unschuld nicht einmal versteht, auch ein paar allzu freie Gedichte gemacht hat, die noch überdies mehr wahres Dichtergenie verrathen, als alle die Oden von falschem Patriotismus für ein Vaterland, dessen bester Thcil alles das Zeug zum Henker wünscht. Die Unschuld der Mädchen ist in den letzten 10 Jahren, da die komischen Erzählungen heraus sind, nicht um ein Haar leichter zu schlachten gewesen als vorher, hingegen sieht man täglich, wie der gesunde Menschenverstand unter Odenklang am Altar des mystischen Nonsenses stirbt. Hr. Hölty ist, meines Erachtens, ein wahres Dichtergcnie und gewiß ein Verlust für den Musen almanach, Claudius in seiner Art, wenn er weniger Original scheinen wollte. Mich dünkt, so wie Hölty zuweilen zu dichten, dazu gehört natürliche Anlage, allein wie die meisten übrigen, weiter Nichts, als daß man ein viertel Jahr ähnliche Merkchen liest. - Noch abfälliger urteilt Lichtenberg in dem Schreiben an Baldinger:fi »Was dencken Sie von dem Musen-Almanach? Meines Er achtens ist das meiste förmlich abscheulig, zumal das Klop- stvckischc und das darnach geschnittene der andern. Haben Sie wohl ein eintziges neues Bild darin gefunden, das ist das ewige rauschen im Hayn, das Silbergewölk und die Eiche, die wir schon hundert tausendmal gehabt haben, und dieses glauben sie neu zu machen, wenn sie es mit dicker Gurgel wie vom Dreyfuß geheimnißvoll herunter lallten. In dem Fach lob ich mir allemal den Jacob Böhme, der Teufel holls, der konte Quartbände wegschreiben, die keine lebendige Seele verstund, als die ini- tiirten Narren, und 20 Musen Almanache wiegen noch keinen Quart Band. Einige Gedichte von dem Jahr gefallen mir, zu mal unter den kleineren, und die Hölty'schen. Wer wohl der Nä. seyn mag auf der 214. Seite; das ist recht, so wie man sie in Sekunda macht, wcnns nur mit den Worten geht, für den Sinn sorgt der Rektor. Haben Sie in Ihrem Leben gehört, daß etwas, das strahlt und hoch steht, nur gesehen werden kan, wenn man sich auf einen Schemel stellt? Das Männ chen hat an die Sonne gedacht, wie ich aus dem letzten Strahl verstehe; allein wenn man hoch stehen muß, um ihre lczten Strahlen zu sehen, so steht sie tiefer als der Beobachter, und ist entweder schon wieder unter, oder noch nicht aufgegangen. Und das wird ihm der vernünffrige Theil von Deutschland gerne einräumen, daß Klopstock entweder noch nicht auf oder schon wieder untergegangen ist. Vermuthlich wird nun der Musen-Almanach besser. Ich wolle unmaßgeblich rathen, daß keine Oden hinein kommen, als wie von Leuten, die sich legitimirt haben, daß sie auch etwas vernünfftiges nüch tern und im Ernste schreiben können; solchen Leuten hört man gerne zu und wenn sie würklich roßten. Ein Einfaltspinsel, der närrisch wird, ist gewiß im Tollhaus der lezte Einfaltspinsel, aber Simson und Lee, wenn sie närrisch werden, sind immer Hörenswerth, so gut wie Hamlet, wenn er sich rasend stellt. Aber wer sind denn unsere Odendichter? meistens Leute, welche die Welt so wenig kennen, als die Welt sie. Und wie ist es anders möglich, als daß Leute, die mehr Kenntniß der Welt als diese Säuglinge besitzen, Alles, was sie sagen, höchst albern finden müssen, ob sie selbst gleich glauben, sie berührten mit erhobenen Nacken die Sterne, wie Pastor Lange den Horaz sagen läßt.- Man sieht, eine ziemlich vernichtende Kritik über den Almanach und seine Mitarbeiter, über den Hain und die Nachbeter und Nachahmer Klopstocks, und ein Beispiel dafür, daß doch eine recht große Anzahl der Gebildeten nichts von dem Odenschwall wissen wollte. Für den Bürgerschen Almanach hat Lichteuberg häufig Beiträge geliefert. Er nahm regen Anteil an dessen Schicksal und, wie wir gesehen haben, auch am Schicksal seines Herausgebers. Auch bei dessen Gedichten und andern Veröffentlichungen war er oft der künstlerische Beirat Dieterichs, wie ich bei Erwähnung der Bearbeitung Shakespearescher Stücke bereits angeführt habe. Interessant ist Lichtenbergs Urteil über Bürgers Ballade »Frau Schnips«, gegen deren Veröffentlichung er im Interesse Dieterichs und Bürgers Bedenken hatte, weil er Proteste der Geistlichkeit und der Frommen fürchtete: »Herr Amtmann Bürgers Ballade: -Frau Schnips- — schreibt er im April 1778 an Dieterich °) — ist eine der besten, die ich in meinem Leben gelesen habe. Allein mit dem Bekanntmachen, das ist nun eine solche Sache, und mit dem nicht Bekanntmachen auch. Die Mäntel der Liebe unserer Geistlichen werden alle Tage enger. Ich glaube nicht, daß sie dieses Gedicht darunter bringen können. Und doch, hol's der Henkerl darf man so Etwas nicht ungedruckt lassen, das uns Allen Ehre machen kann. Ich dächte, er wagte es. Nimmt ja doch der Herr Jesus die Frau Schnips an; wie viel mehr sollte der Doktor Letz die Ballade annehmen, die unter der Maske des Leichtsinns eine sehr vor treffliche Moral lehrt. Nur das mußt du dem Herrn Amtmann sagen, in meinem Namen, daß, wenn er sie bekannt macht, er wahrlich lieber die Zeiten ändern soll als eine Zeile darin.» Der Musenalmanach für 1789 hatte Bürger den Un willen der Regierung zugezogen, Spöttereien von Kästner über biblische Dinge, die darin enthalten waren, hatten augenscheinlich die Veranlassung dazu gegeben. Lichtenberg erwähnt den Vorfall in verschiedenen Briefen, so an Sömmering am 9. November 1788: b) °) Lichtenbergs Briefe an Dieterich. S. 90. «) Lichtenbergs Briefe. I, 211. °) Lichtenbergs Briefe an Dieterich 103. Lichtenbergs Briefe. II, 359.