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Nichtamtlicher Teil. ^ 126, 4. Juni 1910. Heeren gedrängt nach der Ebene von Leipzig flüchtet.« Offenbar war das Ganze ein bloßes Phantasiebild. Gerade deshalb aber hatte es Geißler keine Ruhe gelassen, sondern ihn angespornt, nun etwas Besseres zu bieten. Schon zur Michaelismesse 1814 stellte er denn auch in einer Bude auf der Esplanade (dem heu tigen Königsplatz) in »perspektivischer Darstellung« ein 8'/, Ellen langes, 3 Ellen hohes Gemälde aus: »Der 19. Oktober 1813 in Leipzig«, über dieses schreibt das Tageblatt (4. Okt.): »Herr Geisler hat den ganzen Akt, wie er sich am 19. Oktober mittags um 12 Uhr ergab, aus dem Fenster seiner Wohnung, die sich in der Mitte des Fleischerplatzes befindet, nach dem Leben als Augenzeuge ausgenommen . . . Man übersieht diesen Platz vom Schauspielhause linker Hand bis rechts an den Reichen- bachischen, sonst Richterschen Garten.« Daran schließt sich eine ausführliche Beschreibung des Bildes, verfaßt auf Grund einer gedruckten Erläuterung, die den Besuchern der Bude in die Hand gegeben wurde.*) Man sollte nun meinen, daß Geißler, wenn er dieselben Vorgänge in einem Kupferstich darstellte, sich einfach an sein Panorama gehalten und dieses verkleinert wiedergegeben hätte. Das hat er aber nicht getan, wenigstens zunächst nicht. Als kluger Geschäftsmann nutzte er seine günstige Situation so viel wie möglich aus und sparte sich den Haupttreffer bis zuletzt auf: er zeichnete die Vorgänge immer nur teilweise und immer von andern Standpunkten aus. So entstand zuerst das Kalenderbild, dessen Prospekt links durch die Neukirche und die davor liegenden äuser, hinten durch die Barfußmühle und Richters Garten ab- geschlossen wird. Er zeichnete ferner eine Darstellung (Nr. 7), deren Hintergrund links Richters Garten, rechts die Häuser am Fleischerplatz bilden, darunter sein eignes Wohnhaus, also wieder einen andern Teil des Panoramabildes und diesen wieder von einem andern Standpunkt aus. Gleichzeitig aber machte er sich an die Arbeit für ein neues Panorama. Nachdem er auf der Neujahrsmesse 1816 nochmals den »19. Oktober« gebracht hatte, stellte er zur Ostermesse 1815 in einer Bude »zwischen dem Grimmaischen und Petersthor« (vor Böses Garten) ein Panorama des Leipziger Schlachtfeldes aus. (Vgl. das Leipziger Tageblatt vom 21. April 1816.) Auf dem Meßzettel dazu, der sich noch erhalten hat**), beschreibt er das Bild selbst wie folgt: »Die Anhöhe oberhalb der Trümmer der so merkwürdig gewordenen Quandtschen Wind mühle wählte ich als Standpunkt. Von hier gegen Leipzig gekehrt, zeigt sich in einem Halbzirkel in der Mitte die Stadt, vor ihr ein Teil der Straßenhäuser und der Thonberg, links das Dorf Connewitz und rechts Stötteritz, entfernter die Kohlgärten, die Dörfer Schöne feld, Eutritzsch, Wiederitzsch, Wahren, Breitenfeld, Lindenthal, Lindenau u. a. m., in weiterer Ferne Markranstädt, Lützen, Hohenmölsen und der Petersberg. Noch sind die Felder und Wege Zeichen jenes großen Ereignisses; überall sieht man Spuren von den Biwuaks und dem großen Kampfe, welcher hier statt fand. Um die Toten zu beerdigen, sind Bauern befehligt, andere schon damit beschäftigt; Baschkiren bringen zerstreute Soldaten als Gefangene ein; über den Weg im Vordergründe reiten Stabsoffiziere der hohen verbündeten Mächte, von uralschen Kosaken begleitet«. Dieses zweite Panorama hat Geißler nie durch den Stich veröffentlicht. Aber auch das erste fand zunächst noch eine andere Verwendung. Die Leipziger Stadtbibliothek besitzt seit 1887 ein Aquarell Geißlers (29'/,: 49 ^2 em) mit folgender von seiner eignen Hand geschriebenen Unterschrift: »Die Französische Flucht am 19. October 1813 über den Fleischerplatz nach dem Richterschen Garten nach Lindenau zu. Im Augenblick der großen Begebenheit treu nach der Natur aus einem Dachfenster ausgenommen, welches (l. was!) nur dadurch möglich war, daß der Künstler sich in Matratzen binden ließ, um gegen Kugeln geschützt zu sein«. Dieses Aquarell ist nun erstens unzweifelhaft eine Ver kleinerung des ersten Panoramabildes — wie dort, erstreckt sich auch hier der Hintergrund vom Ranstädter Tor bis an Richters Garten, so daß die Neukirche die Mitte bildet —, und zweitens stimmt es bis ins kleinste überein mit dem unter Nr. 9 auf geführten bunten englischen Kupferstich, nur daß dieser links noch um 2 em länger ist. Es kann also kein Zweifel sein, daß wenn nicht *) Ein Exemplar davon in der Sammlung des Herrn Hermann Buhrig in Leipzig **) Auf der Leipziger Stadtbibliothek. dieses Aquarell selbst — die Bibliothek hat es 1887 aus London gekauft! —, so doch eine Wiederholung davon für den englischen Stich als Vorlage gedient hat. Daß Geißler dann das Bild mehrmals gemalt haben müßte, hat durchaus nichts Auffälliges; auch von den Ansichten der drei Tore unter Nr. 16, 17 und 18 besitzt die Stadtbibliothek außer den kolorierten Stichen eigen händig von Geißler gezeichnete und kolorierte Exemplare mit eigenhändigen Unterschriften. Sicherlich hat er solche Bilder, ehe er sie durch den Stich veröffentlichte, wiederholt in Hand zeichnungen oder Aquarellen hergestellt und verkauft, für Lieb haber vielleicht später sogar noch, nachdem sie schon als Stiche vorhanden waren. Nun ist der englische Kupferstich 1816 als Kunstbeilage zu der im Verlage von Bowyer in London erschienenen Zeitung kall Null ausgegeben worden. Geht aber dieser eine Stich auf ein Geißlersches Original zurück, dann ist dasselbe auch mit den drei andern, unter Nr. 8, 14 und 16 angeführten englischen Stichen der Fall, die ebenfalls — der eine (6raaä eutr/) noch 1816, die beiden andern 1816 — als Beilage zu kall 2La.I1 er- merkung tragen: k'roiu a ära^inF wacks on t,Ü6 8pot>. Denn wer sonst als Geißler sollte die Vorlagen dazu geliefert haben? Diese vier englischen Stiche gehen sicher sämtlich auf Geißlersche Aquarelle zurück, Nr. 8 auf eine Vorlage, die im Prospekt völlig Nr. 7 glich, mit den Häusern am Fleischerplatz zur Rechten, und nur anders staffiert war. Natürlich sind sie durch den englischen Künstler, der sie in seine Technik und seine Manier übertragen hat, im Stil stark verändert worden. Dennoch gehören sie von Rechts wegen in die Reihe der Arbeiten Geißlers. Und so hätten wir denn von seiner Hand den Einzug der verbündeten Monarchen in vier Darstellungen: Nr. 11, wo die Fürsten noch vor dem Grimmischen Tore sind, mit der Paulinerkirche im Hintergründe; Nr. 12, wo sie in der Grimmischen Straße eben an die Naschmarktecke kommen; Nr. 13, wo sie schon auf dem Markt angelangt sind, mit der Westseite des Marktes als Hinter grund; Nr. 14, ein bestelltes Staatsbild, wo sie in glänzender Kavalkade auf den rings von Truppen in Paradestellung um gebenen Marktplatz einreiten. Und ebenso haben wir von ihm die Vorgänge auf dem Fleischerplatz in vier Darstellungen, denn zu den beiden deutschen Stichen (Nr. 6 und 7) und den beiden eng- lischen Stichen (Nr. 8 und 9) kommt nun noch das große »Pano rama« (Nr. 10), das aber wie Nr. 9 in allem Wesentlichen auf das große auf der Messe ausgestellt gewesene Panorama zurückgeht, von dem es nur in Kleinigkeiten abweicht.*) Wann und bei welcher Gelegenheit ist nun dieser letztgenannte große Stich — wohl der bekannteste, verbreitetste und bedeutendste aller Geißlerschen Stiche — erschienen? Schon nach den Schrift formen der über- und der Unterschrift muß er einer wesentlich spätern Zeit angehören. Aber auch nach seiner Technik. Während Geißler von Pallas' Reisewerk an bis 1813 fast ausschließlich in der damals so beliebten sogenannten Aberlischen Manier gearbeitet hat (zum Ausmalen bestimmte Umrißzeichnung, ge nannt nach dem Schweizer Aberli), hat er in dem großen Pano rama einen durchgearbeiteten Kupferstich zu geben versucht, was ihm nicht sonderlich gelungen ist, und insofern ist die Bewundrung, die dem Blatte gezollt wird, nicht ganz berechtigt. Nun trägt der Stich unten die auffällige Bemerkung: vHerausgegeben von Friedrich Geißler«, und da liegt es nahe, zu vermuten, daß der Herausgeber ein Verwandter, vielleicht ein Sohn des Stechers gewesen sei. Das ist aber nicht der Fall. Friedrich August Geißler — er selbst nannte sich gewöhnlich nur Friedrich Geißler *) Auf dem großen Meßpanorama war in der Mitte eine Bude zu sehen, aus der Rinder und Schafe Herausgetrieben werden. Dabei war der Treiber dargestellt, »welcher eben zwei Truthühner zum Braten zugerichtet hat, die er aber an die ihn übermächtigenden (!) Soldaten wieder abgeben muß«. (Leipziger Tageblatt vom 4. Oktober 1814.) Dieser Treiber mit den Trut hühnern ist weder auf dem Aquarell der Stadtbibliothek, noch auf dem englischen Stich, noch auf dem großen Geißlerschen Stich zu sehen, wohl aber auf einem großen Aquarell Geißlers (63:96 em) in dem Besitze des Hrn. Franz Stöpel in Leipzig, in dem wir also jedenfalls die getreueste Nachbildung des Meßpanoramas vor uns haben.