Volltext Seite (XML)
6644 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 126, 4 Juni 1910. der andre »die letzten Gefechte der retirirenden französischen Armee« zwischen Leipzig und Lindenau. Beide Blätter sind flott gezeichnet und fein koloriert, sie waren auch entsprechend teuer; in der Anzeige der Verlagshandlung in der »Leipziger Zeitung« (6. Okt. 1814) heißt es: »Da die sorgfältige Darstellung dieser Blätter bei dem Mangel an geübten Künstlern keine schnelle Ver vielfältigung gestattet, so werden diese Blätter nur auf eingehende Bestellungen und gegen Vorausbezahlung von 2 Louisd'or (!) für beide Blätter nach der Reihe abgeliefert werden.« Aber alle diese Bilder sind Phantasiebilder. Soviel Vergnügen sie auch dem Sammler gewähren, für »authentisch« können sie nicht gelten. Keiner der Künstler hat die von ihm dargestellten Vorgänge ge sehen. Rugendas hat sogar nie einen Fuß nach Leipzig gesetzt. Den Prospekt von Leipzig im Hintergründe seines Schlachtbildes hatte er sich von einem Leipziger Kupferstecher, I. I. Wagner, zeichnen lassen!*) Das Bild ist also zusammengeschweißt aus dem traditionellen Stadtprospekt im Hintergründe und dem konventionellen Gewühl kämpfender Krieger und sich aufbäumen der und überstürzender Rosse im Vordergründe. Wenn man von »dem« Zeichner der Leipziger Völkerschlacht schlechthin spricht, so kann damit nur einer gemeint sein: der Leipziger Zeichner und Kupferstecher Christian Gottfried Heinrich Geißler. Er hat nicht bloß ein oder zwei, sondern eine ganze Reihe von Bildern gezeichnet und gestochen, auf denen Stätten und Vorgänge der Leipziger Schlacht dargestellt sind Die Stätten hat er natürlich alle selbst gesehen, und unter den Vor gängen sind zwar auch bloße Phantasiebilder, aber doch auch einer, und zwar einer der bedeutendsten, dessen Verlauf er infolge eines günstigen Umstandes längere Zeit ungestört hat beobachten und seiner Erinnerung einprägen können, zu dessen Darstellung er daher am häufigsten zurückgekehrt ist: die Flucht der Franzosen und ihre Verfolgung durch die verbündeten Truppen über den Fleischerplatz in der Mittagsstunde des 19. Oktober. Geißler war ein Leipziger Kind.**) 1770 als Sohn eines Leipziger Goldschmieds geboren, hatte er unter Oser die Zeichen akademie besucht, sich aber von Osers Einfluß bald frei gemacht und angefangen, Typen aus dem Volksleben nach der Natur zu zeichnen. Mit zwanzig Jahren, im Sommer 1790, war er nach Petersburg gegangen, wohl um sich dort als Zeichenlehrer in deutschen Familien sein Brot zu verdienen. Dort war der be kannte deutsche Reisende und Naturforscher Pallas auf ihn auf merksam geworden und hatte ihn eingeladen, ihn auf einer Reise nach Südrußland und der Krim, die er im Februar 1793 antrat, als Zeichner zu begleiten. Nach Beendigung dieser Reise (Sep tember 1794) verlebte er die nächsten Jahre teils in Petersburg, teils in der Krim und bereitete gemeinschaftlich mit Pallas die Ver öffentlichung der Ergebnisse ihrer Reise vor. Im Frühjahr 1798 kehrte er dann nach Leipzig zurück und vollendete hier die lange Reihe von Kupfern, mit denen das zweibändige Reiscwerk: »Bemerkungen auf einer Reise in die südlichen Statthalterschaften des russischen Reichs« (Leipzig 1799—1801) und zwei botanische Prachtwerke: die Nc>llo§rapüia ^stra^aloruw (Leipzig 1800 — 1802) und die Illu- 8ti-ation68 Ulantaruw (Leipzig 1803) geschmückt wurden. Gleich zeitig und in den folgenden Jahren bis 1806 veröffentlichte er selbständig aus dem reichen Vorrat seiner Zeichnungen und Skizzen eine Reihe von Bilderwerken über Rußland mit erläu terndem Text: »Sitten, Gebräuche und Kleidung der Russen in St. Petersburg«, »Abbildung und Beschreibung der Völkerstämme und Völker unter des russischen Kaisers Alexander Regierung«, »Malerische Darstellungen der Sitten, Gebräuche und Lustbar keiten bei den russischen und andern Völkern im Russischen Reich«, »Sitten, Gebräuche und Kleidung der Russen aus den niedern Ständen«, »Strafen der Russen« usw. Und als sein Stoff und wohl auch die Aufnahmefähigkeit des Publikums zu Ende ging, tat sich unerwartet ein neues Arbeitsfeld für ihn auf in dem Kriegstheater. Nach dem Ausbruche des preußischen Krieges gegen Napoleon hat er die Kriegsereignisse von dem Einrücken der *) Demselben Wagner, der auch 1814 unter dem Titel »Die Siegesplätze der Völkerschlacht« die bekannten sechzehn Dorfansichten gestochen und mit Erläuterungen von Hussel herausgegeben hat. **) Vgl. den Aufsatz »Der junge Geißler in Rußland« im dritten Bande meiner gesammelten Aufsätze »Aus Leipzigs Ver gangenheit« (Leipzig, F. W Grunow, 1909), S. 308—351. ersten Franzosen in Leipzig im Oktober 1806 an bis zur Völker schlacht 1813 fort und fort mit seinem fleißigen Griffel begleitet. Freilich war, wenn er sich auf Leipzig beschränken wollte, bei der Stellung, in die Sachsen durch Napoleon sofort nach der Schlacht bei Jena gedrängt wurde, die Ausbeute nicht eben groß. 1809, während des Krieges Napoleons gegen Österreich, bot ihm das wiederholte Erscheinen des Herzogs Friedrich Wilhelm von Braun- schweig-Ols mit seinen »Schwarzen« in Leipzig willkommnen Stoff. Aber wenn er mit seiner Familie leben wollte — er hatte sich 1800 verheiratet —, mußte er daneben noch vieles andere schaffen. Er stach die Kupfer für ein weiteres von Pallas geplantes Pracht werk, ejne k'auna Uossiea, er zeichnete Leipziger Stadtansichten, Bilder aus dem Markt- und Straßenleben und Meßszenen und lieferte Bilderbücher für den Weihnachtstisch, ja er stellte schließ lich sogar — zum erstenmal zur Ostermesse 1812 — regelmäßig ^ zu den Messen »Panoramen«, »Kosmoramen« oder »Perspektiven« aus, bei denen er, angeregt durch den Feldzug Napoleons in Rußland, besonders auch wieder auf seine russischen Erinnerungen zurückgriff. Da kam das große Schlußdrama der siebenjährigen Kämpfe: die Völkerschlacht bei Leipzig und damit für Geißler ein neuer Stoff, an dem er nun jahrelang zu zehren hatte. Ich verzeichne seine Stiche, soweit sie mir bekannt geworden sind, zunächst nach der Zeitfolge der dargestellten Szenen und Vorgänge mit ihren Unterschriften in der Reihenfolge, wie sie sich vom 14. bis zum 20. Oktober abgespielt haben. Darnach hat er veröffentlicht: 1. Schlachtsceuen. Nr. I. Die innere Grimmische Vorstadt in Leipzig am 14. October 1813, als die französischen Blessirten von Liebertwolkwitz hereinkamen. 24:34 ew. 2. Schlachtscenen. Nr. II. Der Platz vor dem äußersten Grimmaischen Thore nach den Kohlgärten am 18. October 1813. 24:35 ew. 3. Leipzigs merkwürdigster Tag. Die große Armee am 19. October 1813 vor dem Grimmaischen Thore auf der Flucht. 17: 29 ew. 4. Ansicht des Peters-Thores zu Leipzig den 19. Octbr. 1813. 16:21'/z ew. 5. Napoleons Flucht aus Leipzig am 19. October 1813. C. Geisler cksl. G. Schule 8e. 1814. 15: 21 ew. 6. Flucht der Franzosen am 19. October 1813 über den Kohlenplatz durch Richters Garten (mittags '/,1 Uhr). Hinter grund links Mühle, rechts Richters Garten. Mittelgrund Preußen feuernd, Vordergrund Russen. G. Geißler kse. 17:32 ew. 7. Ansicht des Fleischerplatzes in Leipzig am 19. Octbr. 1813. 20: 30-/, ew. 8. Üoursuit ok tds ^rsved tbroußch I^sipsie on tds 19-K Oe- todsr 1813 a vis^v ok tbs sntraves ivto Uiedtsr's Oaräsn, tds allisä arwiss I9'l> Oetobsr 1813. I'rom an original ärawio^ waäs on tds spot 19. Oet. 1813. 28:62 ew. 10. kavorawa äs 1a äsruiörs aetion äs 1a ßi-aväs bataills äs I.sip8ie 19. ä'Ootobrs 1813. Panorama des letzten Actes der Völker schlacht zu Leipzig am 19>en October 1813. Nach eigner Ansicht gezeichnet und geätzt von C. G. H. Geißler. Herausgeben von F. Geißler in Leipzig. 50:98 ew. 11. Einzug der Alliirten in Leipzig am 19. October 1813. Geisler äsl. G. Boettger 8snior se. 1816. 15:19'/, ew. 12. Einzug der erhabenen verbündeten Monarchen in Leipzig am 19. Oct. 1813. Geisler äsl. G. Schule kse. a. k. 1814. 15:20 ew. 13. Ankunft der hohen verbündeten Monarchen in Leipzig den 19. October 1813 nach der Völkerschlacht. 18 : 24'/, ew. 19. Oet--- 1813. 18 : 52 ew. ^ ^ ^l'ot 16. Ansicht des Grimmaischen Thores in Leipzig am 20. Octobr 1813. 14'/, : 22-/, ew. 17. Ansicht des Höllischen Thores zu Leipzig am 20. Octbr. 1813. 14 : 22 ew. 18. Ansicht des Ranstädter Thores zu Leipzig am 20. Octbr. 1813. 14 : 22'/, ew.