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pik 34, 11. Februar 1904. Nichtamtlicher Teil. 1389 Nichtamtl '?> Robert luh. Eine eigenartige Persönlichkeit ist mit Robert Lutz dahingegangen, ein begeisterter Kämpfer für Freiheit und Fortschritt, ein Beschützer des Rechts und der Wahrheit, ein Mann von scharfem Verstände und einem reinen, edlen Herzen. In Heilbronn als der Sohn eines Arztes im Jahre 1849 geboren, kam er bald, schon im frühsten Kindesalter verwaist, in die großelterliche Pflege nach Stuttgart, wo er seine Erziehung erhielt und nach Absolvierung des Gymna siums auch seine buchhändlerische Laufbahn (beiLiesching LCo.) begann. Das Antiquariat der Firma Liesching hatte es ihm angetan; hier war es, wo er, während der ruhigen Sommer zeiten oft wochenlang zum Lagerordnen und -Abstauben be fohlen, die willkommne Gelegenheit fand, seinen starken Wissensdurst zu befriedigen, ivo man ihn so manchesmal mit dem Kopfe über großen Folianten, alles um sich her vergessend, ertappte. Seine erste Gehtlfenstelle fand er bei Heckenhauer in Tübingen, die er aber bald wieder verließ, da er seinem Triebe, ins Ausland zu gehen, nicht länger zu widerstehen vermochte. Nachdem er in Cambridge bei Deighton, Bell L Co. das gelernt zu haben glaubte, was er brauchte, ging er zu Georg L Co. nach Genf. An dem Kriege gegen Frankreich nahm er als Einjährig-Freiwilliger teil, kehrte als »Rottenmeister- zurück und wurde später zum Leutnant im 1. Württembergischen Infanterie-Regiment befördert. Im Jahre 1873 wandte er sich der Redaktionslaufbahn zu, die in Straßburg ihren Anfantz nahm und ihn später an die »Weserzeitung« nach Bremen, den »Hannoverschen Courier« und nach Hildesheim an die »Allgemeine Zeitung» siihrte. Einer Hildesheimerin, ausgestattet mit allen Vor zügen edler Weiblichkeit, reichte er hier die Hand zu einem Ehcbunde, der für beide eine Kette des schönsten Familien glücks im idealsten Sinne wurde. Drei Söhne schenkte ihm die Gattin. Seine Liebe zur schwäbischen Heimat führte den jungen Ehemann nach Stuttgart zurück als Redakteur ani »Schwä bischen Merkur«. Eine Reihe von Jahren war er an diesem Blatte tätige bis ihn sein vorwärtsstrebender freier Sinn in innere Konflikte mit der gemäßigten Haltung des »Merkurs« brachte und ihn zum Austritt aus der Redaktion zwang. Eine für ihn passende Redakteurstelle war in Stuttgart nicht zu finden; sein in der Hölderlinstraße Nr. 17 erbautes Ein familienhaus und wohl auch die Liebe zur Heimatstadt fesselten ihn jedoch an Stuttgart, und so faßte er den Entschluß, Verleger zu werden. Der Anfang war furchtbar schwer, um so mehr, als es ihm an Erfahrung in dem ihm seit langen Jahren fremd gewordenen Beruf mangelte. Die ersten Verlegerjahre brachten ihm lauter Nieten. Laufbursche, Gehilfe und Prinzipal zugleich, hat er seinen Entschluß oft bitter bereut. Mit der Erfahrung kamen aber auch bessere Zeiten für den jungen Verleger. Der um seine Selbständigkeit ringende wiirttembergische Lehrerstand erregte sein Interesse; er wurde Verleger uud zeichnender Redakteur des kurz zuvor ge gründeten Organs: »Das Lehrerheim«, das für ihn den Ver lag gangbarer Schul- und Lehrerliteratur im Gefolge hatte, der jetzt noch, neben dem Lehrerblatt, in Blüte steht. — Aus innerer Neigung nahm sich der Verstorbene auch des Ber lages schwäbischer Dialektliteratur an und brachte ihm manches Opfer. Inzwischen hatte sich ein Hauptzweig des Verlags, die Verbreitung von Werken ausländischer Autoren, Börsenblatt für ben deutschen Buchhandel. 71. 9lahrhang. icher Teil. vorwiegend amerikanisch-englischer, in guten deutschen Über setzungen, glücklich entwickelt, in Verbindung mit einem literarischen Bureau der Firma. Vor allem sei an die Ver dienste des Verlags um die Einführung Mark Twains bei den deutschen Lesern erinnert. Zu einer Lebensaufgabe wurde ihm, dem Mann mit dem feurigen Geiste, dem leicht empfänglichen Herzen, das alles Niedrige, die Menschenwürde Verletzende haßte und in Begeisterung für Wahrheit und Recht entflammte, der Verlag seiner Reformschriften, der das Gebiet der Schule, Kirche, des Militärs u. a. umfaßte und von dem Verleger manches schwere Opfer an Geld*), Zeit und Gesundheit forderte, ihm aber auch manche schöne ideale Erfolge brachte, die dem selbstlosen, für das Wohl des Volkes kämpfenden Verleger doch immer Hauptzweck waren. Den lebhaftesten Kampf brachten ihm seine zahlreichen Schriften auf dem Ge biet des Jrrenwesens. Dieser spielte sich in Württemberg ab und ist durch den gegen ihn wegen Beleidigung geführten zehntägigen Schlör-Kuhnle-Prozeß noch in aller Erinnerung. Verloren, aber doch gewonnen! — trotz Verurteilung und großer finanzieller Verluste ein moralischer Sieg, der von dem ganzen württembergischen Volk mitempfunden wurde. Der Anstoß zu der bald daraus erfolgten staatlichen Jrren- hausrsform war dadurch gegeben; — fürwahr ein schöner Erfolg für den sich aufopfernden Verleger, der übrigens nicht nur öffentlich, sondern auch im stillen zahlreichen Be drängten und Unglücklichen, die aus ganz Württemberg zu ihm kamen, eine hilfreiche, offne Hand geboten hat. Seine vorher schon erschütterte Gesundheit litt sehr unter solchen Kämpfen, und das sich verschlimmernde Bronchial- leiden nötigte ihm Ruhe auf, die dem nie rastenden, immer nach neuer Tätigkeit verlangenden Geiste oft sehr schwer wurde. Die östern und längern Aufenthalte in südlichen Ländern brachten ihm nwhl Erleichterung und Besserung, aber keine Heilung seines Leidens, bis er zuletzt auch zum Reisen Luft und Kraft verlor und sich bald ganz an sein Zimmer gefesselt sah, in liebevoller Aufopferung aufs treulichste gepflegt und getröstet von seiner Gattin. Unermüdlich wid mete er sich von hier aus dem Ausbau seines Verlags, den er in blühendem Stande seinen Söhnen hinterläßt. Da das zweite Heim des Verlags, Hölderlinstraße 2 a (sein erstes, vom Jahre 1885 ab, befand sich in dem zu Anfang der achtziger Jahre erbauten Hause des Verstorbenen, Hölderlinstraße 17), das im Jahre 1890 für Wohnung und Geschäft zugleich erbaut worden war, nicht mehr ausreichte, so entschloß er sich noch Ende 1902, trotz seines kranken Zustands, zur Aufführung zweier Neubauten, eines Geschäfts- und eines Wohnhauses, wiederum in der Hölderlinstratze. Die Über siedlung des Verlags in seine dritte Heimstätte konnte im Juli vorigen Jahres erfolgen; aber leider war der Kranke nicht zu bewegen, sich sein letztes Werk auch nur einmal an zuschauen, — der niederdrückende Gedanke, daß die neuen Räume für ihn nicht mehr bestimmt seien, mochte ihn wohl davon abhalten. Der Verewigte war stets bereit, seine Kräfte auch den Reformen im Buchhandel zu widmen, und hat noch bis zu letzt seine Bemühungen für eine bessere Gestaltung des Re zensionswesens fortgesetzt. Am 31. Januar, einem Sonntag, wurde er von seinen Leiden erlöst. Ein -Ruhe sanft!« dem tapfern Kollegen. 8. *) Zwei große, durch die Schriften veranlaßt? Prozesse kosteten ihm allein eiwa 9000 die er willig der Sache opferte. 183