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48, 27. Februar 1912 Nichtamtlicher Teil. «ürl-iMatt p d. Dtschn Buchyant-l. 2553 Nichtamtlicher Teil. Stuttgarter Briefe. i. »Zu Stuttgart herrscht jetzt eine besondere Lebhaftigkeit im Bauwesen; es sind mehrere neue Straßen abgesteckt und die Baulustigen aufgefordert, sich zur Anweisung der Bau plätze zu melden. Mehrere Tore werden beträchtlich hinaus- geritckt . . . Eine der wohltätigsten Folgen dieser ansehn lichen Vergrößerung der Residenz wird wohl das Fallen der bis jetzt sehr hohen und noch immer gesteigerten Mieten sein.» Diese Zeitungsnachricht aus dem Jahre 1810 wurde dieser Tage im Neuen Tagblatt aufgewärmt. Welche Augen würde der biedere Berichterstatter jener Zeit wohl machen, wenn er das heutige Stuttgart sähe, in dem eine Bautätigkeit herrscht, wie sie zurzeit wohl nur in wenigen deut schen Städten zu finden sein dürste. Die Stuttgardia reckt und streckt ihre früher in das enge Nesenbachtal eingezwängten Glieder, an allen Berghängen klettern schmucke Villen empor, aller dings nicht zur Freude der Naturfreunde, die mit stiller Wehmut einen Rebenhügel nach dem anderen in Bauplätze verwandelt sehen. Man kann den Anfang dieser gesteigerten Baufreudig keit vielleicht fünfzehn Jahre zurückdatieren, als sich der ge räumige »Friedrichsbau» anstelle des früheren Heims der Firma Konrad Wittwer erhob. In der Königstraße, der Hauptverkehrsader, will das Bauen nicht enden, ein Gerüst weicht dem andern, überall wird demoliert, restauriert, renoviert, modernisiert, indem man dem Zuge der Zeit nach Neuem in einer Weise folgt, die durchaus nicht das Entzücken der Ladenbesitzer Hervorrust, da die Mieten immer höher werden. In diesem Punkte kommt es also wesentlich anders, als der gute Mann von 1810 gemeint hat. Von dem vielen Neuen, was die letzten sünfzehn Jahre an Baulichkeiten gebracht haben und die nächsten Jahre noch bringen werden (Neuer Bahnhof!), sei an dieser Stelle besonders die von dem Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen durchgeführte Sanierung der Altstadt hervorgehoben. Julius Baum hat in der »Architektonischen Rundschau» (1S0S, Heft 11) eine liebevolle Beschreibung der ganzen großartigen Anlage gegeben, aus der besonders hervorgehoben sei, daß u. a. auch Herr Kommerzienrat Karl Engelhorn in einer Kommission für die Einzelheiten der Bebauung mit gewirkt hat. In den Jahren 1S06 bis 1909 find hier nach und nach 87 alte Häuser niedergelegt worden, an deren Stelle neue, in gesundheitlicher Beziehung einwandfreie Baulichkeiten erstanden sind. Hier finden sich in friedlicher Nachbarschaft, nur durch wenige Häuser von einander getrennt, die Bar- sortimente und Kommissionsgeschäfte Albert Koch L Co,, bzw. Koch L Oetinger und Neff L Koehler, beide Weltfirmen ein Wahrzeichen der Verbrüderung von nord- und süd deutschem Unternehmungsgeist. Der Firma Koch L Co. ist in dem monumentalen »Graf Eberhardbau« eine Stätte ge schaffen worden, wie sie, was praktische und moderne Ein richtung anlangt, wohl nur wenige Firmen des Buchhandels aufzuweisen haben. Stolz rogt der Turm des Baues in die Lüfte, von den Bergeshöhen aus sichtbar. Der 1700 Quadrat meter bedeckende Bau enthält außer der Hausmeister wohnung nur große Läden, Lager- und Fabrikationsräume, sowie ein Restaurant mit Cass und ein Kellerrestaurant. Verschiedene Vereine haben hier eine Stätte geistiger und leiblicher Erholung gefunden. Der Kaufmännische Verein, Börsenblatt siir den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. der Stuttgarter Buchhändler-Verein, auch der Stuttgarter Buchhandlungs-Gehilfenverein bieten hier ihren Mitgliedern einen Sammelpunkt. Das »Cafs Hosemann« (so hat es der Gehilfenwitz nach dem bekannten Leiter der Firma Koch L Co. gelaust) hat schon manche hitzige Fachsimpelei zu hören be kommen. Die Firma K. F. Koehler hatte übrigens schon in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Stuttgart Fuß gefaßt. In der im Jahre 1889 erschienenen stattlichen Festschrift des Hauses Koehler (Das Buchhandlungshaus K. F. Koehler in Leipzig 1789—1889) ist erwähnt, daß K. F. Koehler im Jahre 1848 das seit 1835 bestehende, von Ehr. W, Löflund 1780 gegründete Geschäft seines Bruders Heinrich übernahm und unter der Firma Franz Koehler, zuerst von seinem Schwager Hugo Liebing, 1854 von C. Hensel unterstützt, fortsührte. 1855 ging das Geschäft an C. Aue über; jetzt ist Herr Hofbuchhändler Enderlen Besitzer. Aus den buchhändlerischen Vereinen kann der Bricf- schreiber Verschiedenes berichten. Die Ortsgruppe Stuttgart der Allgemeinen Vereinigung Deutscher Buchhandlungsgehilsen hatte auch an die hiesige Prinzipalität das von Herrn Kollegen Nemnich in Mannheim im Börsenblatt vom 16. Dezember erwähnte Rundschreiben betr. Teuerungszulage gerichtet. Es begann mit der Erklärung, daß die Ortsgruppe sich nach eingehender Prüfung genötigt gesehen habe, das seit mehreren Jahren festgesetzte Mindestgehalt von 110 ^ monatlich in folge der fortwährenden Preissteigerung aller Lebens- und Bedarfsartikel auf 120 „O monatlich zu erhöhen, und er suchte für alle Gehilfen um eine Teuerungszulage in Form erhöhter Gehälter, unter Hinweis aus die den Staats angestellten zugebilligten Gehaltserhöhungen. Der Vorstand des Stuttgarter Buchhändler-Vereins ließ den Gesuchstellern eine sehr eingehende Erwiderung zukommen, in der er es zunächst ablehnte, den Gegenstand zu einer Vereinsangelegenheit zu machen. Vielmehr müsse die Festsetzung der Gehälter den einzelnen Geschäftsinhabern überlassen bleiben, eine Schematisierung möge vielleicht bei Lohnarbeitern angebracht sein, dürste aber nicht im wohlverstandenen Interesse der Gehilfenschaft liegen. Des weiteren verbreitete sich dieses Antwortschreiben über den Eingangspaffus, dessen Fassung Befremden erregt habe, wies aus die inimer größer werdende Schwierigkeit hin, heute für wichtige Posten geeignete Mitarbeiter zu finden, und auf die Notwendigkeit der weiteren Fortbildung unserer jüngeren Gehilfen. Auf das Schreiben der Vereinigung kam der Stuttgarter Buchhändlcrverein nochmals zurück, als er in einem Rundschreiben sür besseren Besuch des V. Stuttgarter Fachkursus für Buchhändler, über den im Börsenblatt beichtet wurde, Propaganda machte. Etwas ironisch meinte das Schreiben, daß »die für sämtliche 7 bis 8 Vorträge ausgeworfene Gebühr von 3 kaum die Ursache für unsere Gehilfenschaft sein könne, den Vorträgen fern zu bleiben, wenn man lese, daß z. B. die hiesige Orts gruppe der Allgemeinen Vereinigung der Buchhandlungs- Gehilfen in der Begründung ihrer Forderung eines Mindest gehalts von 120 als Bedarf für Fortbildungszwecke eines Gehilfen 60 jährlich auswirft«. Vom Vorstand des Württembergischen Buchhändler vereins las man vor Weihnachten folgendes Inserat in der hiesigen Presse: 333