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.X; 191. 17. August 1922. Redaktioneller Teil. Gerhart Hauptmann-Fcicr in Breslau. — Die vom 1t. bis 20. August in Breslau stattfindenden Gerhart Hauptmann- Festspielc, die von der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger aus Anlaß des 60. Geburtstages Gerhart HauptmannS veranstaltet lvcrdcu, uahmcu Freitag, den 11. August, mit einer sehr beifällig aufgeuommeneu Aufführung des Hauptmannschen Dramas Florian Geyer ihren Anfang. Am Sonnabend, dem 12. August, mittag, trat ein erlesener kreis politischer und geistiger Führer des deutschen Volkes zu einer H u ld i g u n g s f e i e r für Gerhart Hauptmann im Breslauer Rathaus zusammen. Sechs Redner feierten den Dichter. Der Oberbürgermeister von Breslau, Wagner, die Obcrpräsidcnten von Nieder- und Oberschlesien, Zimmer und Bitta, sprachen das Ge fühl der Landsleute aus. Weil sie zugleich den Reichspräsidenten be grüßten, färbten sie ihre Worte politisch, nnd es war erschütternd, immer wieder den Aufschrei um den Verlust Ober schlesiens erklingen zu hören. Zu Hauptmann gewendet, dankten sie dem Dichter dafür, daß er Schlesien in Deutschland, in der Welt bekannt- gemacht habe. Ter Reichspräsident erwiderte auf die Begrüßung u. a.: Schlesien hat nach seiner Geschichte in der Reihe weniger Provinzen einen der Grundpfeiler des preußischen Staates gebildet; heute ist es getreu seiner Tradition über seine Stellung in Preußen hinaus wert vollster Bestandteil des Deutschen Reiches geworden. Zeuge dessen ist die Hauptstadt Breslau. Hier zeigt sich, wie richtig es ist, das aus früherer Entwicklung an uns überkommene Wertvolle wciterzupslcgen und dem Neuen einzufügen. — Die ehrenden Worte, die Sie, Herr Oberbürgermeister, fanden, um dem großen Sohn Schlesiens, dem deut schen Dichter Gerhart Hauptmann, zu huldigen, drangen zu unser aller Herzen. Wir, die Vertreter des Reiches und Preußens, schließen uns mit aus innerster Seele kommenden Glückwünschen freudig all dem an, was Sie dem Dichter an Worten des Tankes und der Hoffnung für die Zukunft aussprachcn. Mit der Breslauer Festspielwoche wollen wir einen Teil des Dankes abstatten, den Deutschland Gerhart Hauptmann schuldet: diese Schuld vollends abzutragen, wird Sache des ganzen deutschen Volkes sein. Denn ihm, dem deutschen Volke, galt von Anfang an Gerhart Hauptmanns dichterisches Streben und Schaffen. Keiner hatte wie er zu tiefem Mitleiden nnd in wahrer Erlösungssehnsucht die sozialen Nöte der Massen nnd tragisches Schicksal einzelner aus ihnen ersaßt und ihnen Gestalt und Sprache gegeben, die zum deutschen Herzen dringt. So ist sein dichterisches Schaffen immer D i e n st a m ganzen deutschen Volke gewesen. Dankbar erkennen wir an, daß Gerhart Hauptmann auch der Republik freudig die Hilfe seines gewichtigen Wortes lieh, wenn es galt, neben Len amtlichen Vertretern des Reiches der Stimme des geistigen Deutschlands Ausdruck zu geben, sei es, um in schwerer Stunde die eigenen Volksgenossen zur Pflicht aufzurufcn, sei es, um für eine Verständigung der Völker einzutretcn. Dieses Volk ist heute selbst Träger seiner Geschicke; das staat liche Leben hat dieselbe Wandlung vollzogen, die der Dichter in seinen hauptsächlichsten Dramen dnrchgeftthrt hat; bei ihm, insbesondere in seinen »Webern«, ist das Volk nicht der Chor der antiken Tragödie, der die Handlung nur verfolgt und begleitet, bei ihm ist das Volk in seinem Leiden und Sehnen selbst der Mittelpunkt, der Handelnde des Dramas. Wenn heute die Republik und ihre berufenen Führer nach Fühlung zu den geistigen Kräften des Volkslebens suchen, aus dessen keimenden Trieben die Zukunft ersprießen soll, — zu welchen geistigen Betätigungen werden sie wohl mehr geleitet, als zu den.» eines Dichters, der in seinem Sinn gewissermaßen das Volk als Handelnden entdeckt und meisterhaft mit ebenso hoher historischer, wie poetischer Wahrheit geschildert hat. Tann wird der neue Staat keine Maschine sein, die im ewigen Gleichlauf nur Negierungsgeschäfte besorgt, sondern ein lebendiger Organismus, dem die geistig-kulturellen Güter, dem Kunst und Wissenschaft unver äußerliche Bestandteile seiner lebendigen Kraft sind. Hierin sehe ich die große Mission der Breslauer Festspiclwoche, die über den Nahmen einer lokalen Veranstaltung hinaus dem geistigen und politischen Deutsch land einen starken Impuls geben soll, als Symbol geistiger Erneue rung unseres Volkes. Die Rede wurde wiederholt von lebhaften Beifallskundgebungen begleitet. Nach dem Reichspräsidenten sprachen Alfred Kerr und Professor .Kühnemann. Dann trat der Dichter selbst an das Pult und sprach Dankesworte, die mit einigen Kürzungen hier folgen: Jede persönliche Ehrung muß weit zurücktretcn hinter die Idee, -die in diesen Breslauer Festtagen zum Ausdruck kommen soll. Nichts anderes als Deutschland selbst ist diese Idee, die unsere Seele, unsere Worte, unsere Handlungen durchdringt und beflügelt. Je mehr einzelne Teile unserer gewaltigen Volksgemeinschaft von dieser Idee berührt und durchdrungen sind, um so mehr wird das Große ein Ganzes sein. Darum kommt es am Ende darauf an, die ent ferntesten Siedlungen des Reiches immer wieder damit zu durchdringen. Börsenblatt f. d. D»»chn. Buchdanbet. Nicht in einer sterilen, äußerlichen Art, sondern in einer warmen und lebendigen Art, die dem einzelnen und dem Ganzen zuletzt den gemeinsamen Besitz, den gemeinsamen Reichtum zum Bewußtsein bringt. Die Einigkeit, die Gemeinsamkeit in diesem Gedanken ist aber so groß, daß sich jedes weitere Wort darüber in diesem Augenblick erübrigen würde, wenn man mir nicht selbst eine hohe nnd verantwortliche Aufgabe im Dienste der deutschen Idee Angewiesen hätte. Ja, man ist weitergegangen und hat in einer Weise, die demütig machen muß, meinen Namen und meine Person aus dem Kreise meiner Volksgenossen herausgehobcn und von Verdiensten gesprochen, die das mir vom Schicksal vorgczeichnctc Wirken im Dienste der Volksseele erworben habe. Die Empfindungen sind sehr vielfältig, die eine solche Auszeichnung in mir wecken muß. Sie sind fast zu vielfältig, um iu kurzen Minuten geklärt und geordnet zu werden. Nur einiges möchte ich davon sagen. Der Einzelne, der ein bestimmtes Volkstum seine Mutter nennt, hat doch ein anderes Verhältnis zu ihm als das eines selbstgeborencn Kindes zu seiner Mutter. Im Sinne eines solchen Kindes, das von der Mutter getrennt sein eigenes Leben leben kann, wird er eigentlich nie geboren, er bleibt vielmehr auf die Mutter iu jeder Beziehung angewiesen, ja er bleibt beinahe in der Mutter Schoß. Manche wisse» es nicht. Aber die ausgestoßenen, muttcrfrcmden, bedrängten Auslanddcutschcn, ja, sie wissen es. Sie uiüssen es täglich und bitter erfahren. Es wäre gut, wenn dieses Wissen auch in dem gesicherten Jnlandgebiet sich weiter und weiter verbreitet, wo man nichts zu verlieren befürchtet, weil man nicht weiß, was zu verlieren ist, und weil man nicht weiß, was man be sitzt. Aber ich wollte nicht davon reden. Ich wollte nur sagen, daß wir sozial viel mehr verbunden sind, als es Len meisten Menschen scheint. Und so ist der einzelne Mensch, inbegriffen sein etwaiges Werk, nur ein unzertrennlicher Teil des Ganzen. Er selbst ist ein soziales Produkt und sein Werk ist nur in sehr bedingtem Maße das seine. Wenn wir sagen, Goethe ist unser, so meinen wir das in einem viel tieferen Sinne, als wenn wir sagen, dieses Goldstück, dieses Feld ist mein. Wir wollen vielmehr dadurch ausdrücken: Goethe ist ein Teil von uns, wir haben angeborenen Anteil an ihm. Wenn ich nun die Worte erwäge, alle die warmen, herzlichen, gütigen, anerkennenden lind mehr als anerkennenden Worte, die mir hier gewidmet worden sind, so muß ich Sie bitten, mir zu erlauben, bevor ich Ihnen danke, mich ein wenig von der allzu erdrückenden Dankes last zu be freien, indem ich ein vollg-erüttclt Maß der Ehre, die Sie mir erwiesen haben, an unsere Mutter, an Deutschland, abgeb«. Ver tiefen Sie sich in den Gedanken an Deutschland wiederum einen Augen blick und fragen Sie sich, ob wir nicht so ziemlich alles, was wir sind, dieser Mutter trotz alledem und alledem zu verdanken haben. Diese Mutter, die ich meine, war immer da. Auch in der jahrhunderte alten Zerrissenheit und politischen Spaltung Deutschlands war sie da, allgegenwärtig und unsterblich. Und der einzelne ist, gegen sie gehalten, viel zu klein, viel zu abhängig von ihr, als daß er sich an die Brust schlagen und als etwas Besonderes, ö. h. Abgesondertes, dünken könnte. Trotzdem und bei alledem bleibt noch immer, sagen wir, in jedem gesunden Menschen ein gewisser Erdenrest als Selbstisches, als Eigenes. Und wie ich mich ganz als Mensch fühle, so verleugne ich auch nicht dieses natürliche Eigengesühl. Aus diesem gebiert sich eine andere Art, die allereinfachste Art der Dankbarkeit in diesem Augenblick. Eie wird um so stärker sein, je weniger ein Beschenkter fordert und zu fordern hat. Geschenk ist durch nichts bedingt, durch nichts errungen. Geschenk ist edelster Ausdruck freiwilliger Güte vou Mensch zu Meusch, und so erweckt es den Dank, der eine elementare Empfindung ist. Es erweckt den Tank, den es als freiwillige Güte ebenso wenig fordert. Und so habe ich zu bekennen, daß es mich stolz, froh und glücklich macht, in dem alten, herrlichen Nathause dieser alten, wundervollen, deutschen Stadt Worte zu hören, wie ich sie gehört habe. Worte des Herrn Reichspräsidenten, des Herrn Oberbürgermeisters dieser Stadt und anderer berufener Geister. Worte, die mich in Einklang setzen mit einer großen Aufgabe, aber auch mir persönlich eine Bestätigung dafür bedeuten, daß ich kein unnützes Glied der deutschen Volksgemeinschaft gewesen bin. Der Weg von den Steinen des Ringes bis in den Remter des Rathauses, an sich nicht weit, wurde von mir nicht im Sprunge zurückgelcgt. Ich habe dazu ein halbes Jahrhundert, nicht immer leich ten Ringens, von Stufe zu Stufe gebraucht. Auch die Staupsäule, die vor dem Nathause steht, habe ich dabei nicht gänzlich umgehen können, aber nun stehe ich hier. Es mag wieder abwärts gehen. Ich kann getrost mein Auge schließen, denn wer kann mehr erfahren und mehr erstreben, als ich durch Ihre Güte erfuhr. Am Abend wohnte der Reichspräsident der zweiten Aufführung des »Florian Geyer« in der Jahrhunderthalle bei. Nach der Auffüh- rung dankte im Aufträge des Reichspräsidenten I)r. .Köster für die Veranstaltung. Er führte aus, daß das Drama, das sich soeben vor den Il9I