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^rStSglich. DezugspreisimMitgliedobeitrag ein» ZZ Die ganze Seite gejchlonon. weitere Exemplare zum eigenen Gebrauch frei;; Seile oder derer t Dörjenvereins zahlen für eigene Anzeigen 75 <p^ f. d Seile. ' m;''. " >- r Nr. 124 (N. 74). Leipzig, Mittwoch den 9. Juni 1920. 87. Jahrgang. Redaktioneller Teil. Ein ernstes Wort zum Besinnen. Von Gustav Kirstein. Im Februar haben die Vertreter des Leipziger Verlags und Sortimentsbuchhandels mit den Vertretern der Angestellten einen Tarifvertrag vereinbart, der — den damaligen Verhält nissen Rechnung tragend — wesentliche Erhöhungen der Bezüge und eine klare und vernünftige Einteilung der Klassen gebracht hat. Die Verhandlungen, an denen ich mitgewirkt habe, verliefen in einem für beide Parteien musterhaften und ehrenvollen Stile; es war kein gehässiger Kampf, sondern eine mit kluger und ein sichtiger Beherrschung der Lage geführte Debatte, mit deren Er gebnis die Vertreter beider Gruppen sichtlich zufrieden waren. Jeder hatte Opfer gebracht, und keiner konnte sagen: wir habe» es durchgesetzt und diktiert. Die widerlichen Ausdrücke »Arbeit geber« und »Arbeitnehmer« hatten in, Charakter der Verhandlun gen dem sinnvolleren »Chef« und »Mitarbeiter« Platz gemacht. Am Ende der tagelangen Sitzungen wurde das Protokoll unterzeichnet. Der Vertrag sollte bis Ende Juli lausen. Da geschah etwas Unerwartetes: die Gehilfen ratifizierten nicht, weil in einer Versammlung sich einige Heißsporne gegen den Vertrag ausgesprochen hatten und die Mehrheit bekamen. Die Chefs hielten aber an ihrem Worte fest, zahlten ab 1. Februar die neuen Gehälter, banden sich an die Bestimmungen des Tarifs, ja erhöhten — weil sie die Notwendigkeit cinsahen — freiwillig ab I. April die Gehaltssätze um 25°/«. So liefe» die Dinge in den Betrieben reibungslos und wären bis 1. August auch wcitergelaufcu, wenn jene Heißsporne Ruhe gegeben hätten. Sic erklärten den Vertrag für ungültig und be antragten beim Schlichtungs-Ausschuß, den Parteien aufzugeben, ab 1. Februar den Vertrag nachzuholen. Dem hat — wie die Leser des Börsenblatts wissen — der Schlichtungs-Ausschuß nicht stattgegcben. Im Gegenteil: er hat die höchst wichtige Feststellung gemacht, daß jener Vertrag trotz seiner unerwarteten Nichtunterzeichnung als Parteiwille zu gelten habe. Allerdings — daher der Name »Schlichtungs«-Ansschuß — auf die Hälfte der Zeit; also nicht bis 1. August, sondern nur bis l. Mai. Ab I. Mai sind nun beide Parteien vertragsfrei, und der Schlich tungs-Ausschuß hat ihnen aufgegeben, sich über die Gehaltssätze ab I. Mai zu vereinigen. So stehen die Dinge heute. Haben nun die Obmänner der Gehilfen diesen einen Dienst getan, indem sie die lausenden Vereinbarungen drei Monate vor der Zeit zur Lösung brachten? Sie glauben j a, weil sie mit einer weiteren Steigerung der Gehälter rechnen; ich glaube nein, weil sie mit ihrem Begehren zum unglücklichsten Moment gekommen sind. Wer mich kennt, weiß, daß ich in früheren Versammlungen immer der gewesen bin, der zur Erfüllung ver nünftiger Forderungen geraten und an das Herz härterer Na turen appelliert hat. Heute aber könnte ich solchen Appell nicht mehr mit gutem Gewissen aussprechen; keine Versammlung würde applaudieren, ja es ist sicher, daß mit scharfen Worten die Unvernunft des Begehrens mit einem Unmut zurückgewiesen würde, der den Forderungen der Gehilfen-Obmänner nach Ge haltserhöhung die begründete Forderung nach Gehaltsabbnu energisch entgegensetzen würde. Das Gehalterhöhen, Prositerhöhen, Preiserhöhen hat sich ! bei uns in den letzten Jahren so ins Hirn gefressen, daß man j die Verlängerung einer Vereinbarung geradezu selbstverständlich . als gleichbedeutend mit Preis- oder Lohnerhöhung nimmt. Daß ^ cs auch einmal umgekehrt kommen kann, scheinen die Antrag- ! steller vor dem Schlichtungs-Ausschuß nicht bedacht zu haben. Bisher wurde jede Gehaltsschraube mit dem Steigen der ! Lebensmittel, der Schuhe, der Kleider begründet und gesagt: wenn die Verhältnisse sich ändern, wollen wir in unseren Forde rungen wieder zurückgehen. Nun sind jetzt die Schuhe billiger geworden, die Klciderpreise gesunken, die Hülsenfrüchtc, der Reis, das Fett gestürzt, sodaß man diese Dinge im freien Handel bil liger haben kann, als aus Marken. Aber das wären für mich noch keine Gründe, an die Herabsetzung der Löhne zu denken. Denn anderes ist in unerhörter Weise gestiegen — z. B. die in ' Leipzig sozialisierte Straßenbahn —, und wenn die Verbilligung von mancherlei Lebensmitttln eine etwas besser« Lebenshaltung auch dem beschränkten Einkommen gestattet, so ist das nur zu be grüßen. Der Engel mit dem Schwerte, der dem Angestellten und dem Unternehmer das Weiterschreiten auf dem bisherigen Pfade, Lohn und Prosit zu steigern, verbietet, ist plötzlich aus einer ganz anderen Kulisse unserer Weltbllhne getreten: über Nacht hat das Kaufen aufgehört; zum mindesten das wahnsinnige Kaufen zu wahnsinnigen Preise». Große Leipziger Druckereien habe» langjährige Arbeiter ent lassen müssen, die nun statt der eben gerade heransgeholten neuen Gehaltszulage Arbeitslosenunterstützung in Anspruch nehmen müssen; die Möbeltischler, die nach siebenwöchigem Streik ihre Forderungen durchgesetzt haben, stehen gerade eben, wo sie wieder zu arbeiten ansangen wollen, vor auftragsleeren Werkstätten; für den Kunstverlag tätige Rahmereicn, in denen die Arbeiter wäh rend der Hochkonjunktur den Lohn bis auf 4.80 die Stunde getrieben hatten, sodaß sie von manchem Buchhandlungsgehilfen beneidet waren, müssen schließen, wenn nicht die Einsicht, sich unter erträglichen Bedingungen gegenseitig auf den Beinen zu halten, die Situation rettet. Der Buchhandel ist heute noch existenzfähig. Aber die letzten Wochen zeigen Symptome, daß wir mit unseren Preisen uns der äußersten Grenze des Möglichen nähern. Gehen Papier- Händler, Drucker, Buchbinder nicht herunter, so werden wir plötzlich einen Krach erleben, der diesen Unternehmern und ihren Arbeitern ganz ungeahnt ins Gebein fahren wird. »Die Läden stehen leer, die Kauflust ist unter Null, man findet die Preise zu hoch», schrieb mein sonst so siegessicherer Reisender letzter Tage. Und ausgerechnet in diesem Moment kommen die Obmänner der Gehilfen-Organisationen und fordern Erhöhung aller Ge hälter bis zur Verdoppelung des Tarifs! Kennen unsere Mitarbeiter eigentlich unsere Sorgen? Wissen sie z. B., was uns heute unsere Zeitschriften kosten? Lassen sie sich nur durch die Ziffern des Auslieferungsbuches blenden, ^ oder kennen sie auch die Rechnungen, die uns jetzt täglich »ins ! Kontor« hageln? Rechnungen, die uns vor die Wahl stellen: !noch höhere Ladenpreise und damit Zurückfluten des Absatzes, ! oder schärfste Zusammenfassung aller Kräfte, Zusannnenstehen,