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3644 Nichtamtlicher Teil. 103, 4. Mai IS»i. Im Kontor des Verlags vergißt man nur zu leicht, daß das Publikum seinen Kopf für sich hat und daher gegen Novasendungen sehr empfindlich ist, sonst würden die Berge der Neberproduktion nicht so oft eine Maus gebären. Wer daher dieses psychologische Manko außer Acht läßt und auf den verhältnismäßig nur kleinen wirklichen Käuferkreis die rein kaufmännische Methode übertragen will, wie es Bac- meister erstrebt, der verkennt die relative und unberechenbare Natur des Artikels, der eben nicht bloß Ware ist, und die dadurch bedingte Lage des Buchhandels. Sie würde durch Syndikate zwar eine Wendung, aber keine Besserung erfahren, weil sie einfach nicht aufs Exempel gestellt werden kann. Es liegt eine gewisse Tragik in dem Umstande, daß die enorme geistige Energie des deutschen Volks, die konzentrierteste der Welt, im eigenen Lande nicht den ent sprechenden Aufnahmeboden findet; aber sie mag uns lehren, daß es noch anderer als materieller Faktoren bedarf, um uns den Platz an der Sonne des Lebens zu sichern. Es wäre ein Irrtum, zu meinen, daß aus der materiellen Civilisation die geistige Kultur resultiere. Geistreiche englische Schrift steller (Ruskin) konstatieren infolge des maßlosen Strebens nach Besitz den inneren Verfall ihres Volkes. Auch bei uns verhindert nicht nur der Kampf ums Dasein, sondern in erster Linie der Tanz ums goldne Kalb die Vertiefung in die herr lichen Schätze der Litteratur. Gegen diesen Realismus könnte ich mir allenfalls von einem Syndikate Erfolg versprechen, das den jetzt alles beherrschenden Faktor der Billigkeit, etwa in Form eines Staffeltarifs, auf das Bücherwesen übertragen würde, denn es ist nicht zu leugnen, daß die Ladenpreise vielfach zu hoch sind und den Absatz erschweren. Dagegen das jetzige System verwerfen, ohne das der Ladenpreis nicht zu halten ist, und diesen dennoch in seiner jetzigen Kalkulation für genossenschaftliche Zwecke als -absolut notwendig« bei behalten wollen — an dieser Inkonsequenz und der wirklichen Lage des Büchermarkts muß Bacmeisters Projekt notwendiger weise scheitern. Damit will ich dem geschäftlichen Pessimismus durchaus nicht das Wort reden. Die sonstigen Vorschläge Bacmeisters in Bezug auf die Erwerbung der Presse, die Vereinfachung des Bestellten und der Spesen, verdienen volle Beachtung. Und manche gute Reform mag noch in der Luft liegen. Zunächst bleibt uns aber nichts übrig, als mit den gegebenen Verhältnissen zu rechnen. Es führt kein anderer Weg nach Küßnacht, als der der strengsten Solidarität. Diese Soli darität ist jedoch nicht möglich ohne die entsprechende Konsequenz. Ueber nicht lohnende Arbeit und zu hohe Spesen klagen und mit dem Rabatt den halben Verdienst den Kunden und Behörden in den Schoß werfen, damit stolpern wir über unsere eigenen Füße. Was wir an Rabatt verlieren, ist absolut und kann durch keine höheren Prozente gutgemacht werden. Diesen absoluten Verlust haben wir für unsere Existenz absolut nötig, darüber täuscht keine Berliner Ab stimmung und keine Furcht vor einer geschäftlichen Revolte hinweg. Der Vorstand des Börsenvereins ist gegen diesen Krebsschaden bereits mit Erfolg vorgegangen. Behalten jedoch Berlin und Leipzig mit den 10 Prozent ihren Kopf für sich, und bleibt damit das Prinzip des Ladenpreises aus Oppor tunitätsgründen an seinen ersten Stellen durchbrochen, so kann und wird dieser Widerspruch zwischen Theorie und Praxis das Sortiment weder zur Ruhe noch zur Sicherheit kommen lassen und damit auch den Verlag in nicht geringe Mitleidenschaft ziehen. Ob dieses naiven Standpunktes ist mir vom Vorstands tisch des hiesigen Sortimentervereins das Alter Methusalems als Wartezeit in tröstliche Aussicht gestellt worden. Bei solchem Tempo der buchhändlcrischen Reform könnte freilich auch noch fürs Syndikat der Tag anbrechen, wo es heißt: Das Unzulängliche Hier wirds Ereignis! Berlin, Ostermefse 1SV1. Matthies. Ein Geheimbund. haben soll, irgendwelcher ernstliche Glaube an Verwirklichung und Geltung in nennenswertem Umsanae beigemessen werden konnte. Diese Satzungen sind in den letzten Wochen in Form eines dürftig und fehlerhast gedruckten Blättchens zahlreichen deutschen Buch händlern zugekommen. Der Börsenvcrein ist das Ziel ihrer An griffe, derselbe Börsenverein, der in seinem Wirkungsgebiete in Bezug auf Einhaltung der Bücherpreise soweit irgend möglich Ordnung geschafft hat und der es sehr beklagt, daß es ihm versagt ist, auch über die Grenzen seines Gebietes hinaus dieselbe Ord nung vorzuschreiben, weil eben der ausländische Buchhandel es an entsprechender Mitwirkung bisher hat fehlen lassen. Statt für Maßnahmen zu sorgen, die im Auslande diese Unterstützung sichern könnten, nehmen die unbekannten Urheber des Gedankens der -Liga« ihre Zuflucht zu Drohungen. Das ist unter keinen Umständen zu billigen und wäre sehr zu bedauern, wenn über haupt dieser Schreckschuß, der auch als solcher ohne Berechtigung ist, ernst genommen werden könnte. Diesen Anspruch kann er allem Anschein nach freilich nicht erheben. Unsere Leser wollen selber urteilen, was an diesem Geheimbunde sein mag, und ob den Gefahren, mit denen er droht, nicht auch noch anders zu begegnen sein würde, als mit dem nicht ratsamen Versuch einer Machtentfaltung des Börsenvereins zum Schutze des Auslandes ohne Gewähr der Gegenseitigkeit oder gar mit Zahlung von 50000 die seltsamer Weise hier vom Börsenverein als Schadenersatz ver langt werden. Nachstehend der Wortlaut der Flugschrift: -Liga- Central stelle: Paris. Lokalbureaux: in London, New Dort, Rom und Zürich. Postadresse: -luxa-, ea?6 xostais, kursLu äs p03ts n" 10 (oder) n° 15 (oder) n" 20 (oder) n* 38 (oder) n° 69, in Paris, und: Statuten, genehmigt in der konstituierenden Generalversamm lung, abgehalten zu Paris am 7. März 1901. ß 1. Sitz der Gesellschaft ist Paris. Mitglied kann, gegen Leistung eines Jahresbeitrags von 20 Frcs., jeoer unbescholtene, über Leipzig verkehrende Buchhändler werden, der außerhalb der nungsmäßig betreibt und durch Unterschrift oder auf Ehrenwort sich verpflichtet, einen Rabatt auf deutsche, englische, italienische, amerikanische und überhaupt ausländische Bücher und Zeitschriften weder in seinem Wirkungskreise, noch in demjenigen der anderen Liga - Mitglieder zu gewähren (unter der in § 3 genannten Reserve). 8 2. Zweck der »Liga« ist die Selbstverteidigung und die Herbeiführung von Maßnahmen seitens des Börsenoereins der deutschen Buchhändler zu Leipzig zur Gesundung der Verhält nisse, unter welchen die im Auslande wirkenden Mitglieder des B.-V. D. B. durch die Konkurrenz Leipziger, Berliner, Münchener rc. Export- und Antiquariatsfirmen zu leiden haben. § 3. Die Rabaltuntersagung erstreckt sich nicht auf die Litte ratur und die Grenzen desjenigen Landes, in welchem die Mit glieder der -Liga- ihren Wohnsitz haben. Eine englische Firma darf also beispielsweise englische Litteratur in England selbst mit Rabatt verkaufen, wenn dadurch gegen die Statuten englischer, mit der -Liga- asfiliierter Vereine nicht verstoßen wird, englische Litteratur aber nach Amerika, Frankreich, Italien, der Schweiz rc., mit Rabatt nicht exportieren. Die Lieferung nach Deutschland und Oesterreich-Ungarn dagegen unterliegt keiner Beschränkung. 8 4. Die -Liga- wird mit den die Schleuderei bekämpfenden Lokalvereinen anderer Länder (Deutschland und Oesterreicb-Ungarn ausgenommen) Abkommen treffen, dahinzielend, daß jeder Verstoß gegen 8 3 durch Kontosperre in dem Bereiche aller mit der -Liga- affiliierten Vereine des Auslandes geahndet werde. 8 5. Eine Sperrung des Kontos kann nur nach Zahlung an