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Börsenblatt f. d. deutschen Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 3643 Nichtamtlicher Teil. Das Bücher-Syndikst. Eine Kantate-Betrachtung. Von den neueren Resormidecn ist die vom Kollegen Bacmeister in Zürich in seiner unter obigem Titel heraus gegebenen Denkschrift pointierte jedenfalls die radikalste, denn sie bezweckt nichts Geringeres, als das genossenschaftliche Prinzip in Form des Syndikats womöglich auf den ganzen Buchhandel und seine Nebenzweige zu übertragen. »Nichts leichter als das. wenn man nur will!« Nun. mit dem Willen eines Napoleon oder Bismarck ließe sich wohl auch der Buchhandel aus dem Sattel heben, aber seine vielen, so mannigfach interessierten und konstruierten Köpfe unter einen Syndikatshut zu bringen, erscheint mir altem Philister doch etwas zweifelhaft. Sind sie. die von Bacmeister prädesti nierten Idealisten, bisher nicht durch den Schaden ihrer eigenen »teueren und schlechten Organisation« klug geworden, wie sollten sie durch eine in Aussicht gestellte Dividende bessere Rechner werden, die der sicheren Grundlage entbehrt. Genossenschaften lassen sich meines Erachtens wohl auf absoluten, aber nicht auf relativen Bedarf gründen, und wenn deren etliche im Buchhandel mit Erfolg bestehen, so läßt sich daraus noch kein Schluß fürs Wohl des Ganzen ziehen. Das Bücherwesen in der Wucht seines Umfangs und Gehalts findet mit wenig Ausnahmen am Absatz den ma teriellen Rückhalt nicht, den es nötig hat, um sich auf der Höhe seiner Bedeutung zu behaupten, und in der Ueber- schätzung des wirklichen Bedarfs steckt daher der Hauptfehler der buchhändlerischcn Spekulation. In Nr. 5g d. Bl. ist das kühne Projekt Bacmeisters bezüglich seiner praktischen Ausführung und namentlich seines irrtümlichen Buchbegriffs als »Ware« bereits einer längeren Kritik unterzogen worden. Wenn ich es dagegen vom Stand punkte des Sortiments näher ins Auge fasse, so geschieht es. weil es dem verehrten Kollegen mit apodiktischer Gewißheit darauf ankommt, dem Sortiment als »dem harten und nicht lohnende Arbeit Verrichtenden« durch alle beklemmenden Nöte und Hindernisse eine freie Gasse zu bahnen und damit auch die leidige Rabattfrage mit einem Schlage aus der Welt zu schaffen. Für diesen guten Willen wollen wir dem mutigen Vor kämpfer gern die Hand drücken. Nichts ist richtiger als der Satz: »Im modernen harten Gesellschaftsleben muß der ehrliche, redliche Gewinn ein größerer sein als in früheren einfachen Tagen.« Die brennende Frage ist nur die: Woher dies notwendige Plus nehmen? — Bisher haben es die »reiche Früchte einheimsenden Verleger und Kommissionäre» eingesteckt; jetzt soll der Gewinn durch eine große Central- genossenschast allen Beteiligten zu gute kommen. Der Ge danke an sich ist sehr zeitgemäß und hat etwas Verlockendes; wie von Schweizer Bergen herab, läßt er uns wenigstens eine schöne Perspektive gewinnen. Denn verhehlen wir uns nicht: Die Brutalität des Großkapitals kennt keine Grenzen, der einzelne ist ihm gegenüber eine Null, und nur durch die Gemeinsamkeit der Interessen kann es in Schach gehalten werden. Selbst der Börsenverein in seiner jetzigen Ver fassung wird den kommenden wirtschaftlichen Gefahren und Wandlungen schwerlich gewachsen sein. Das wirtschaftliche Barometer steht sehr tief. 2371 Konkurse nur in einem Vierteljahr im Deutschen Reiche laut Mitteilung des statisti schen Amts — das giebt auch dem Buchhandel zu denken. Wissen wir's doch nur zu gut. daß das Einschränken beim litterarischen Bedarf ansängt. Von den anderen schweren Wetterzeichen nicht zu reden. Da müßte uns das Syndikat beinahe als eine Rettung erscheinen, wenn Bacmeister es nicht auf den verpaßten wirtschaftlichen Aufschwung begründen wollte. Macht er dem veralteten System des Buchhandels — um das uns das Ausland immerhin noch beneidet — den Vorwurf, daß es mehr Schein als Sein sei. so wollen wir sehen, ob das Syndikat weniger Schein als Sein ver bürgt. Ich befürchte, unser kühner Reformer hat sich durch die Erfolge an einzelnen hervorragenden Stellen zu sehr blenden lassen und dabei die Kehrseite der Medaille übersehen. Es liegt in der Natur der Sache, daß der größere Einsatz auch einen größeren Gewinn erheischt; aber es dürste ein offenes Geheimnis sein, daß der Buchhandel im ganzen mehr wagt und einsetzt, als er gewinnt. Und auch dies geht natürlich zu. Bacmeister macht nämlich seine große Syndikatsrechnung ohne den Wirt, die Käufer. So richtig jener eingangs citierte Satz, so anfechtbar ist dieser: »Und das Publikum kaust empfohlene Bücher und Zeitschriften.« Jawohl, es kauft, aber fragt mich nur nicht wie? Es kauft von dem reich besetzten Büchertisch sehr spärlich, dies Wenige noch mit Ab zug oder auf Kredit. Kein Sortimenter wird es in Abrede stellen, daß das Gros unserer gebildeten Kreise sich durchaus ablehnend gegen das Kaufen verhält, daß die Lehrkräfte sich mehr als für uns gut ist auf die Anschaffungen der Bibliotheken verlassen, und daß man sich im übrigen auf das Notwendigste beschränkt. Als eine beschämende Thatsache bezeichnte es noch jüngst der Sachverständige Abgeordnete Pleß in der öffentlichen Verhandlung über das Verlagsrecht (siehe Börsenblatt Nr. 72). daß die Deutschen zu wenig Bücher kaufen. Lesen will man ja gern — denn ein ewiger Reiz liegt im Neuen —. nur nicht kaufen. Warum auch, wenn es zum modernsten Kulturfortschritt gehört, in allen Städten freie und komfortable Lesegelegenheiten zu schaffen, nicht nur für die unteren, sondern auch für die zahlungsfähigen Klassen. Der selige Kollege Borstell wußte als Sortimenter sehr wohl, wo der Hase im Pfeffer liegt, und schuf daraufhin sein großes und rentierendes Leseinstitut. Kommt aber auf das Kaufen nicht alles an? Ist es nicht der Angelpunkt unseres Handels? Was will, abgesehen von der wissenschaftlichen Forschung, die temporäre geistige Befriedigung bedeuten gegen die mächtige, unaufhaltsame Strömung der Litteratur mit ihren ebenso unabweisbaren Ansprüchen an den materiellen Ertrag! Unter diesem Mißverhältnis zwischen Angebot und Absatz, unter dem Druck dieses Minimums befinden sich Verlag und Sortiment mit wenig Ausnahmen in gleicher Bedrängnis. Allerdings beweisen die hohen Auflagen vieler Bücher, die Patrizierhäuser und Buchpaläste, daß auch im Buchhandel noch viel Geld verdient wird, und der nächste internationale Verlegerkongreß wird es bezeugen, daß er auch in vornehmer Weise zu repräsentieren versteht; aber wirst nicht das. was liegen bleibt, diese stummen Zeugen verlorener Liebesmüh, seinen großen Schatten auf all diesen Glanz? Wohl ist der Buchhandel eine Kulturgröße ersten Ranges, die als solche von einem kleinen Gesichtskreis aus nicht völlig gewürdigt werden kann. Was jedoch in seinem so eigen artigen Spiel der Kräfte verloren geht und gehen muß. das kann mit fast mathematischer Gewißheit an einem Punkte erkannt werden: an der Grenze, die zwischen Lesen und Kaufen liegt. Hier lehrt uns die Alltagserfahrung die wahre Erkenntnis der Dinge. Drunten im Unterland, wo der Sortimenter seine Netze von der einen Seite aus die andere wirft, wo er Gelegenheit hat. den uervus rerunr der Volksseele in seinen feinsten Windungen zu verfolgen, da weiß man sehr genau, daß der Mensch in keinem Punkte verstimmter ist. als wenn er die Absicht merkt, auch nur in mäßigem Tempo Bücher kaufen zu sollen. 475»