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12590 Börsenblatt f. b. DIschn. Buchtzandel. Mchtamtlicher Teil. 243. 17. Wobei 1912. Handels Vertrauter mutz die ganze Lächerlichkeit dieses Vor schlages verstehen, aber der allrussische Buchhändlerkongretz verlor sich in langen, unnützen Debatten über dieses gewiß unfruchtbare Thema. — Auch zur Erneuerung des deutsch russischen Handelsvertrages wurde im Kongreß Stellung ge nommen und folgende Resolution angenommen: »Die Sek tion der Verleger empfiehlt dem Kongreß, die Interessen des russischen Verlagsgcschäfts zu erklären, und beauftragt die Exe- kutivkommission des Kongresses, Vertreter aller Berufsorgani sationen zu Beratungen in Anbetracht der Durchsicht des deutsch-russischen Handelsvertrages einzuberufen«. — Das wäre alles, was über den 2. allrussischen Buchhändlerkongrctz zu sagen wäre. Hoffentlich wird der im Jahre 1914 in Petersburg stattfindende Kongreß bessere Resultate zeitigen als seine Vorgänger. Am 11./24. August starb in der Nähe von Petersburg der einflußreichste und Wohl auch bedeutendste russische Journa list, der Herausgeber der »Novoe Wremja«: Alexei Sserge- witsch Ssuworin. Der Verstorbene wurde 1834 als Sohn eines Bauern im Dorfe Korschewo, Gouvernement Woronesh, geboren und erhielt seine erste Schulbildung im Kadetten korps zu Woronesh. Im Jahre 1853 trat der junge Ssuworin in den Militärdienst, der ihm jedoch in keiner Weise zusagte. Als ihm einmal einer feiner Vorgesetzten wegen einiger von ihm veröffentlichten literarischen Arbeiten Vorhaltungen machte, quittierte er kurzerhand den Dienst. Völlige Mittel losigkeit hinderte ihn an einem Universitätsstudium, und so zog er zu seinem Vater zurück, um sich in ländlicher Stille auf das Kreislehrerexamen vorzubereiten, das er auch nach einem Jahre glücklich bestand. Als Kreislehrer veröffentlichte er mehrere literarische Aufsätze in der Zeitschrift »Moda«, sowie die Novelletten »Garibaldi« und »Tschernika«. 1861 widmete sich Ssuworin ganz der Journalistik und arbeitete an der »Russkaja Retsch«, bis er im Jahre 1875 mit zwei Freunden die »Novoe Wremja«, ein damals sehr bescheidenes Blättchen, erwarb. Unter der geschickten Leitung Ssuworms gewann die Zeitung bald an Bedeutung und Verbreitung. Namentlich während des russisch-türkischen Krieges wuchs das Ansehen des Blattes gewaltig. War doch Ssuworin der erste russische Korrespondent, der sich nach Konstantinopel begab und von dort aus Berichte schrieb, die ebenso durch leidenschaftliches Eintreten für die unterdrückten Slawen wie durch ihre sti listische Gewandtheit großes Aufsehen erregten. Als Journa list zeigte A. S. Ssuworin eine erstaunliche Vielseitigkeit. Er schrieb über Politik und Volkswirtschaft mit ebensoviel Geist wie über Literatur und Kunst, und war somit nicht nur der fleißigste, sondern auch der beliebteste Mitarbeiter seines Blattes. Ssuworin war in seiner Zeitung ein leidenschaft licher Vertreter der panslawistischen Idee. Speziell für Deutsch land und die Deutschen hatte er wenig übrig und hat oft sehr scharfen und ungerechten Angriffen gegen die Ostsee- Provinzen Raum gegeben. »Rutzland für die Russen«, war stets sein Leitsatz, und die Leidenschaftlichkeit, mit der er diesen Standpunkt vertrat, hat ihn zu manchem heftigen Worte hingerissen. Auch aus belletristischem Gebiet hat sich Ssuwo rin betätigt; er unterhielt ein großes Theater und war Teil haber einer der größten Verlagsbuchhandlungen Rußlands. Seine Hauptbedeutung lag aber aus journalistischem Gebiete. Mit seinem Hinscheiden verliert der russische Journalismus seine meistgenannte und vielumstrittene Persönlichkeit. Die hundertjährige Gedenkfeier des Vaterländischen Krieges <1812) im August d. I. ließ die Wogen der Begeiste rung wieder höher schlagen. In Moskau, Borodino, St. Pe tersburg und Riga wurden Feste gefeiert, Denkmäler einge weiht und große Reden gehalten. Die Literatur hat einen tüchtigen Zuwachs über die Epoche Napoleons in Rutzland er fahren. Meist sind es kleinere Schriften für die große Masse des Volkes und Bilder, von denen namentlich Wereschtjcha- gins Zyklus »Der Zug der großen Armee durch Rußland« bis zur Unmöglichkeit gedruckt und verbreitet wird. Von den größeren Werken sind zu erwähnen: eine Biographie Alexanders I. vom Großfürsten Nikolai Michailowitsch, zwei Bünde mit 19 Tafeln, Porträts und Zeichnungen (Verlag der Staatsdruckerei R. 20.—); Niwe, »Der vaterländische Krieg«, 5 Bände mit Porträts und Zeichnungen <R. 20.—); »Der vaterländische Krieg und die russische Gesellschaft«, herausgegeben von Dschiwelcgowa, L. Melgunowa und W. Putschet» <7 Bände, Verlag Sytin, Moskau, R. 30.—). Auch zwei Antiquariatskataloge, die dem Jahre 1812 gewidmet sind, verdienen Erwähnung. Der Katalog des Moskauer Antiquariats Schybanow enthält eine nahezu vollständige Bibliothek russischer Werke über das Thema Napoleon in Rutzland, die nur komplett zum Preise von 10 000 Rubeln verkauft werden soll. Der 1040 Nummern umfassende, recht hübsch ausgestattete Katalog der Firma N. Soloviefs, St. Petersburg, enthält neben russischen Werken auch eine um fangreiche Abteilung fremdsprachlicher Werke und je eine Ab teilung Porträts, Schlachtenbilder und Karikaturen. Ruß land hat seine Feste zum Andenken an die Befreiung vom napoleonischen Joche gefeiert, und Deutschland rüstet sich, um im nächsten Jahre die Gedenktage feiner glorreichen Siege festlich zu begehen, wenn nicht unglückliche Kriege, wie sie jetzt zu entflammen drohen, diese Absicht verhindern. Der Streit um den Nachlaß Tolstois, der so viele Ge müter in Aufregung gehalten hat, lenkt jetzt in friedlichere Bahnen ein, so daß wir sicher bald eine Ausgabe des Nachlasses erwarten können. Wie ich dem »Golos Moskwy« entnehme, hat die Komtesse Alexandra Tolstoi sich mit ihrer Mutter, der Gräfin Sophie, vollständig ausgesöhnt und ist wieder nach Jasnaja Poljana übergesiedelt. Sind die Tolstoiforscher die ser Sorge enthoben, so steigt doch gleich wieder ein neues Gespenst aus: Tschertkow, ein Verwandler Tolstois, in dessen Händen sich viele Tolstoi-Manuskripte befinden, hat sein Gut Teljatniki verkauft und sich nach dem Auslände begeben. Wo sind nun die Tolstoi-Manuskripte, und was wird aus ihnen?*) Literaturprozesse sind für den Buchhändler immer interes- sant, so daß auch einiges über einen russischen Literatur prozeß von den Börsenblattlesern gern gelesen werden wird. Im Jahre 1907 erschien im Verlage Efron, St. Petersburg, der 1. Band der Sammlung »Zeitgenössische Bibliothek« unter dem Titel »Die erste Reichsduma«. Der Verfasser des Buches war der unter Anklage stehende Wirkliche Staatsrat Köttritz, redigiert wurde die Sammlung von dem inzwischen verstorbenen Professor Jwanjuk, während als Verleger der gleichfalls unter Anklage stehende Efron fungierte. Vor dem Drucke wurde das Buch dem St. Petersburger Zensurko mitee zugeschickt. Als die gesetzliche Frist verstrichen und von dem Zensurkomitee kein Einspruch erhoben worden war, wurde das Werk in mehreren 10 000 Exemplaren gedruckt und verbreitet. Es vergingen vier Jahre, und die Auslage war fast ausverkaust, da geriet ein Exemplar in die Hände der Zensur von Ekaterinoslaw, die herausfand, daß das Buch *> Gleichzeitig mit der Korrektur geht mir eine Nummer der »llulsliaj» dtslrra« zu, die die Nachrichten des »Oslos Ickosliv^« energisch dementiert, daß eine völlige Aussöhnung zwischen der Witwe und der Tochter Tolstois znstande- gekommen sei. Komtesse Alexandra ist nicht nach Jasnaja Poljana tibergesiedelt, sondern hat nur dort wieder Besuche gemacht, so daß sich die Beziehungen zwischen Mutter und Tochter gebessert haben. Über den literarischen Nachlaß ist noch nicht gesprochen worben, so daß diese Frage nach wie vor offen bleibt. Auch die Nachricht vom Verkaufe des Gutes W. G. Tschcrtkoivs wird demen tiert. Die -Nachrichten des »Oolvs dtoskrex« waren mithin sehr verfrüht.