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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. jX» 207, 5. September 1922. »Sortiment-, Buch- und Musikalienhandlung-- ab l. Januar 1832 an seinen Sohn Johann Otto und an seinen Schwiegersohn Hein rich Eduard Gräfe berkauft habe. Das Verlagsgeschäst würde er beibchalten, solange seine Kraft es erlaube. In der Tat sind mlf seinen Namen noch zwei Kataloge, von 1833 und von 1836, erhalte»! der letzte weist dem gegenüber von 1829 59 neue Num mern auf. A. W. Unzer scheint 1846 gestorben zu sein. Gräfe hatte bereits 1825 eine Buchhandlung in Leipzig er öffnet und damals bekanntgegeben, daß er den Buchhandel bei A. W. Unzer und bei andern erlernt habe. Am 9. März 1832 wandten Johann Otto Unzer und Gräfe sich an den Polizeipräsidenten mit der Bitte, ihnen die Führung des Unzerschen Geschäfts unter der Firma Gräfe L Unzer zu gestatten! sie hätten das Geschäft am 29. No vember 1831 gekauft. Der Polizeipräsident empfahl der Regie rung die Genehmigung des Antrags! beide wären rechtliche Män ner, ihr Betragen stets tadellos gewesen, ihre Vermögensberhält- nisse wären bekanntlich günstig. Die Regierung erteilte daraus die erbetene Konzession am 26. März 1832. Auch die Buchhandlung Gräfe L Unzer betätigte sich als Ver lagsfirma. Ein Katalog von 1837 brachte 21 Verlagsbücher, die neuen von 1844 dazu weitere 82. Die Zahl der Buchhandlungen wuchs zunächst nur langsam. Außer Gräfe L Unzer gab es 1842 nur 3 und den Antiquar Rabe, 1846 sind außer Gräfe L Unzer 7 Buchhandlungen und 2 Antiquare, dagegen 1862 bereits 12 Buchhandlungen und 4 Antiquare genannt, eine Zahl, die einen Höhepunkt darstellt. Denn 1878 hatte Königsberg außer Gräfe L Unzer nur 14 Buchhandlungen und Antiquariate, 1893 nur >3, und 1913 war die Zahl auf 17 gestiegen, 1929 wieder wie 1862: 16. Bei so großer Konkurrenz können der Firma schwere Jahre nicht erspart geblieben sein, zumal wenn man bedenkt, daß Königsberg zu Anfang der siebziger Jahre erst wenig über >99 999 Einwohner hatte und jetzt mehr als eine Viertelmillion. — Dazu kamen die Verkehrsschwierigkeiten, die Königsbergs geographische Entlegenheit von dem Zentrum deutschen Geistes lebens dem Buchhandel noch tief bis ins 19. Jahrhundert ver ursachte. Die Eisenbahnverbindung Berliin—Königsberg war erst 1853 fertig, die Dirschauer Weichselbrücke konnte erst 1857 dem Verkehr übergeben werden. Damit rückte Königsberg dem Reich ein gutes Stück näher. Welche Unannehmlichkeiten z. B. dem Buchhandel mangelnde Eisenbahnverbindung verursachte, zeigt ein Schreiben der Firma Gräfe L Unzer aus dem Jahre 1841. Bei einem Unglück, das die Weichselfähre damals betroffen hatte, war die große Leipziger Bücherfracht ins Wasser gefallen. Wenn auch alle Bücher gerettet wurden, so war ein Teil doch so gut wie vernichtet, ein anderer mehr oder weniger beschädigt, und die Firma hatte nun die peinliche Aufgabe, sich mit den Verlegern friedlich zu einigen. Mit dem I. Januar 1848 schied Johann Otto Unzer aus der Firma, die unverändert fortbestand, aus und übernahm den Ver lag seines Vaters. Ein von ihm 1859 herausgegebener Verlags katalog weist nur 12 neue Nummern gegenüber dem von 1836 aus, dazu freilich einige Neuauflagen. Während einiger Jahre be trieb er neben dem Verlag auch eine Privatkrankenanstalt. 1871 scheint er gestorben zu sein. Heinrich Eduard Gräfe, nunmehr der alleinige Inhaber, gründete 1853 in Tilsit ein Zweiggeschäft unter der Leitung sei nes Sohnes Heinrich Wilhelm. Indes schwere Krankheit nötigte ihn nach wenigen Jahren, seinen Sohn zurllckzurusen und ihm am 1. Juli 1857 Prokura zu erteilen! die Tilsiter Filiale war be reits am I. Januar 1856 an Eduard Stauffer verkauft worden. Ein anderer Sohn, Lucas Heinrich Gräfe, gründete 1879 in Ham burg eine Buchhandlung. Er hatte den Buchhandel von 1859 bis 1854 bei seinem Vater erlernt, ging dann nach Hamburg und Wien, von wo er 1857 mit einem sehr anerkennenden Zeugnis wegen der Erkrankung des Vaters heimgekehrt war: seit 1859 war er wieder in Hamburg gewesen. Im Jahre 1867 wurde die Firma Gräfe L Unzer aus dem Mllnchenhof, wo sie seit ihrer Gründung gewesen war, nach Junkerstraße 17 verlegt. Im selben Jahr scheint H. E. Gräfe gestorben zu sein. Ein Grund für die Umsiedlung der Firma! dürfte die 1862 erfolgte Verlegung der Universität nach dem! 1283 Paradeplatz geive^cn sein. Da die meisten Buchhandlungen in der Französischen Straße lagen, Hütte die Firma befürchten müssen, auf dem entlegenen Münchenhof zu verschwinden. Aber auch in der Junkerstraße blieb Heinrich Wilhelm Gräfe nicht lange. 1874 verlegte er das Geschäft nach dem Paradeplatz »gegenüber der Universität». Am 1. Januar 1878 verkaufte H. W. Griffe sein Geschifft an seine langjährigen Freunde und Mitarbeiter Richard Dreher und Botho Stürtz. Beide waren geborene Königsberger. Stürtz hatte in Berlin bei Mittler und bei Nicolai gearbeitet, Dreher bei Koch in Königsberg, bei Vahlen in Berlin und außerdem in Basel. Gräfe scheint 1887 gestorben zu sein. Am I. Juli 1893 gab Dreher bekannt, daß er, nachdem sein Freund Stürtz gestorben sei, sein Geschäft an die Herren Hugo Pollakowsky und Franz Lipp verkauft habe. Pollakowsky sei ihm einer seiner liebsten und tüchtigsten Mitarbeiter gewesen, und Lipp kenne er als strebsamen, ehrenhaften jungen Mann. Den kleinen Verlag behalte er in seinem Besitz. Die beiden neuen Inhaber gaben bekannt, daß sic bei Ernst Kundt in Karlsruhe, bei von Zahn L Jaensch in Dresden, bei Weber L Homann in Danzig, bei Funcke L Nacter in Berlin und bei K. F. Koehlcr in Leipzig tätig gewesen waren. Nach dom Ausscheiden von Lipp blieb Herr Pollakowskh eine Zeitlang alleiniger Besitzer, bis er 1962 Herrn Otto Paetsch als Teilhaber aufnahm. Unter der Leitung dieser beiden Män ner, die beide mit dem Geschäft schon von früher her innig ver wachsen waren (Pollakowsky war, wie schon gesagt, längere Zeit Gehilfe bei Dreher gewesen, Paetsch hatte seine Lehrzeit bei Pollakowskh durchgemacht), hat das Geschäft den großen Aufschwung genommen und ist eine Weltsirma geworden sowie eine Geistesburg im deutschen Osten. In Karlsruhe bei Ernst Kundt und in Dresden bei v. Zahn L Jaensch hatte Herr Pollakowsky sich, wie erwähnt, eine gründ liche buchhändlerische Ausbildung ungeeignet und Herr Paetsch hatte in Berlin und Heidelberg seine Kenntnisse erweitert und vertieft. Herr Paetsch hat vor allem den großen Um- und Ausbau des Geschäftshauses vorbereitet und entworfen, und trotz der Kriegs jahre, trotz der großen pekuniären Opfer, die ein solcher Bau in jetziger Zeit erfordert, wurde der Umbau durchgeführt, ohne daß eine Störung des Betriebes eintrat. Bewundernd werden Wohl alle Teilnehmer an der Tagung der Kreis- und Ortsvereine vor diesem Bau und seiner mustergültigen Einrichtung stehen und das Werk und die ganze Einrichtnng voll Staunen betrachten, die nur ein so vollendeter Organisator schaffen konnte, wie es Herr Paetsch ist. Das Wort, das kürzlich ein bekannter Schriftsteller (Hanns Heinz Ewers) aussprach, daß er noch nirgends eine so vorzüglich geleitete, so gut ausgestattete und so glänzend einge richtete Buchhandlung angelrosfcn habe, wird sicherlich auch von fachmännischer Seite seine Bestätigung finden. Während Herr Pollakowsky sich vorwiegend dem Ladenber kehr widmet und ganz dem Geschäft lebt, hat sich Herr Paetsch schon frühzeitig in den Dienst der buchhändlerischen Organisa tion gestellt. Wer entsinnt sich nicht von früher her seiner Reden aiff den Versammlungen zu Kantate, die stets Hand und Fuß hatten und vieles vorausahnten, was später eingetretcn ist. Er hat zuerst immer und immer wieder auf die Notlage des Sortiments hingewiesen, er hat die eiternde Wunde stets wieder erwähnt, die durch den mangelnden Aus gleich zwischen Einkarffs- und Verkaufspreis bestand, und hat einen Teuerungszuschlag für das Sortiment verlangt und immer wieder verlangt. Ihm und Herrn Nitschmann verdankt das Sortiment vor allem, daß es zu gesunden Verhältnissen ge kommen ist und daß es den Krieg ohne große Verluste und Ein bußen überstanden hat. Im Vorstand der Gilde, dem er seit der Gründung angehört, hat er eifrig mitgearbeitet, und im Vorstand des Börsenvereins, dem er seit 1917 angehört, hat er stets warm und mit Entschiedenheit die Interessen des Sortiments vertreten und klar und offen die Schäden ausgedcckt, die beseitigt werden müßten, wenn das Sortiment gesunden sollte. Keiner war be rufener dazu, als ein Mann, der so die Seele, der Mittelpunkt eines großen Betriebes ist, wie Herr Otto Paetsch.