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8 8°"s!-U-Ü- r^ W^. ^e? NUHtMlgU-d?- n Rr. 47 (R. 24). Leipzig, Donnerstag den 13, März 1919, 86. Jahrgang. Redaktioneller Teil Bekanntmachung. Wien, am 20. Februar 1919, Seit November vorigen Jahres ist es uns leider nicht mehr möglich, Markwährung von der Devisenzentrale zu erhalten, und die Zahlung unserer Verbindlichkeiten in Kronenwährung ist vielen Verlegern nicht erwünscht. Wir haben aber Hoff nung, sobald die seit Monaten schwebenden Verhandlungen wegen eines neuen Markdarlehus zum Abschluß gelangt sein werden, so wie früher wieder Markwährung zu erhalten, und ersuchen daher dringend die Herren Verleger und Kommissionäre, sich noch einige Zeit in Geduld zu fassen und den deutsch-öster- reichischen Sortimentern keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten. Wir sind unausgesetzt bemüht, einen Ausweg zu finden, der bei den Teilen gerecht werden kann. Hochachtungsvoll Der Vorstand des Vereines der österreichisch-ungarischen Buchhändler. Der Vorsitzende: Wilhelm Müller, Der Schriftführer: Der Schatzmeister: Robert Mohr, Oscar R, von Holder, Streik in Leipzig. Seit dem 28, Februar ist das Börsenblatt nicht mehr er schienen, Die für den folgenden Tag bestimmte Nummer 46 lag fertig im Satz vor, konnte jedoch erst gestern gedruckt werden, da inzwischen jene Ereignisse über Leipzig hereinbrachen, über die wir den Lesern nachstehend einige Aufklärungen geben möchten. Nachdem in einer Versammlung der Leipziger Arbeiterräte und Betriebsausschüsse am 26, Februar mitgeteilt worden war, daß die Abstimmung in den Betrieben rund 40000 Stimmen für den Generalstreik und nur etwa 5000 Stimmen dagegen ergeben habe, trat die Leipziger Arbeiterschaft in den Streik ein. Es handelte sich dabei nicht um eine Maßnahme zur Durchführung höherer Löhne oder Gehaltssorderungen, sondern um eine po litische Demonstration, durch die der Rücktritt der Regierung Ebert-Scheidemann und die Inangriffnahme der Sozialisierung der Betriebe erzwungen werden sollten. Mehr noch als diese beiden in den Vordergrund gestellten Programmpunkte spielte in diesen Streik - von den Interessen der verschiedenen lokalen politischen Machtgruppen abgesehen — wohl die Absicht hinein, die Tätigkeit der Nationalversammlung in Weimar lahmzulegen, in allen Orten rings um Weimar den General streik zu entfesseln und dadurch den Sitz der National versammlung von der Außenwelt abzusperren. Mit der Be setzung Halles durch die Regierungstruppen ist diese Absicht ver eitelt, die spartakistische Absperrung Weimars durchbrochen worden. Als Protest gegen den Streik der Arbeiter erließ der Leip ziger Bürgerausschuß bereits am 26, Februar eine Kundgebung, in der die gesamte Leipziger Kaufmannschaft, die Handwerker, das Beamtentum von Stadt und Staat, Ärzte, Apotheker, Rechts anwälte usw, aufgefordert wurden, in einen Gegenstreik einzu treten, Dieser Aufforderung ist in weitem Umfange entsprochen und der Solidarität der Interessen des gesamten Bürgertums unter Führung des Bürgerausschusses dadurch ein deutlich er- kennbarer Ausdruck gegeben worden, daß in allen Betrieben, namentlich auch von der Beamtenschaft, die Arbeit eingestellt wurde. Selbst Ärzte urd Apotheker beteiligten sich an diesem Streik, teils aus Sympathie für das Bürgertum, teils gezwun gen durch das Versagen der Gas- und Elektrizitätswerke, Nur die Schulen und Lehrer nahmen nicht daran teil, dasür aber mehr als die Hälfte ihrer Schüler, Für das Bürgertum han delte es sich darum, einerseits Stellung gegen die politischen Forderungen der gegenwärtigen Leipziger Machthaber zu neh men, andererseits aber Front gegen die Anschauung zu machen, daß es einzig von dem Belieben und dem Willen der Arbeiter abhänge, wann gearbeitet werden dürfe und wann nicht. Hatte doch die Arbeiterschaft um so weniger Ursache auf dem Wege des Streiks für politische Forderungen einzutreten, als sie ja gegenwärtig die Macht in den Händen hat, also den Streik nicht mehr damit rechtfertigen kann, daß er das erlaubte Kamps mittel der Unterdrückten und Rechtlosen sei. Tatsächlich ist auch der Streik von der Leipziger Arbeiterschaft ohne große Begei sterung geführt worden, da cs sich dabei gar nicht um Forde rungen der Arbeiter, sondern vielmehr um einen Machtkamps zwischen der gemäßigten Gruppe der herrschenden Partei und den am weitesten linksstehenden Unabhängigen handelte. Die meisten Arbeiter wußten Wohl gar nicht, worum der Kampf ging, und noch weniger, was dabei zu gewinnen oder zu ver- lieren war. Die Folge dieses Streiks und Gegenstreiks war zunächst die Stillegung aller Betriebe, die Einstellung jeden Verkehrs, sowie das Versagen der Elektrizitäts- und Gaswerke, da sich auch die Eisenbahner und die Arbeiter der städtischen Elektrizitäts- und Gas werke dem Streik anschlossen. Der Bahnverkehr wurde bereits am 26, Februar abends eingestellt, die Licht- und Kraftquellen tags daraus außer Betrieb gesetzt. Vom 27. Februar bis t 0, März früh war Leipzig ohne Licht und zum Teil auch ohne Kohle, da auch die Bergarbeiter i» den Kohlengruben der be nachbarten Orte Borna und Meuselwitz sich an dem Sympathie streik beteiligten und an ein Wegschaffen der Lagervorräte mangels aller Verkehrsmittel und verfügbaren Arbeitskräfte nicht zu denken war. Obwohl die Postbeamten sich neutral verhielten, gingen infolge der Bahnsperre nur in den ersten Tagen des Generalstreiks Briese und Drucksachen von auswärts ein; später blieb die Tätigkeit der Post mit geringen Ausnahmen aus den postalischen Verkehr innerhalb der Stadt selbst beschränkt. So war Leipzig während dieser Zeit ganz von der Welt abg»- schnitten und weder imstande, Kunde nach auswärts gelangen zu lassen, noch von dort Zeitungen oder Nachrichten zu erhalten. Auch der Fernsprechverkehr war nach den meisten Orten so gut wie ganz eingestellt und Leipzig inbezug auf Mitteilungen von auswärts auf die wenigen Zeitungen und Flugblätter beschränkt, die über Leipzig abgeworfen wurden oder mit der auf der Strecke Berlin — Leipzig — Weimar eingerichteten Luftpost hier eintrafen. Von Leipziger Zeitungen erschien während des Streiks nur die Leipziger Volkszeitung <unabhängig>, die natürlich in ihrer Weise zu allen Vorkommnissen und Fragen Stellung nahm, Berichtigungen durch die bürgerliche Presse konnten ihr nicht 149