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23S, 13. Oktober 1S16. Redaktioneller Teil. Dein großen Mangel an Lehrkräften speziell an der Lütticher Universität könnte durch Übernahme der nicht flämischen Pro fessoren der Genter Universität Rechnung getragen werden; in Brüssel liegt es nur an dem passiven Patriotismus der Uni versitätslehrer, daß die Vorlesungen noch immer ruhen und da durch das gesamte geistige Leben der Hauptstadt gelähmt wird. An Stelle des im vorigen Jahre verstorbenen Professors Kurth wurde der Löwener Historiker Leon van der Essen Zum Leiter des Belgischen historischen Instituts in Rom ernannt. Auf sozialem, literarischem, künstlerischem Gebiet hat die deutsche Okkupation eine außerordentlich rege Tätigkeit entfaltet. So haben wir seit Juli in den Mauern des früheren Lunaparkes eine vom Generalgouverneur ins Leben gerufene »Ausstellung für soziale Fürsorge«, die bei dem beispiellos niedrigen Eintritts- preise von 20 und 10 Cts. vielerlei Belehrung und Unterhaltung bringt: Darstellungen und Ziffern aus den Landesversicherungs und Heilanstalten, Kriegsfürsorge, insbesondere das Arbeiten mit künstlichen Gliedmaßen nebst praktischen Demonstrationen durch deutsche und belgische Invaliden, Arbeitersürsorge, Kinder- bcwahranstalt, kinematographische Vorführungen mit Erklärun gen, Konzerte im Freien, Spcisegelegenheit zu Volksküchcn- preisen usw. Ter Besuch der Ausstellung, die, wenn auch etwas widerstrebend, auch von den Belgiern besucht wird, wird den Be- wohnern der Provinz dadurch erleichtert, daß die nach Brüssel genommenen Fahrkarten durch Abstempelung in der Ausstellung zur freien Rückfahrt berechtigen. Ein zu gleicher Zeit erschienener, im Aufträge der »Zentralstelle sür soziale Fürsorge des Belgischen Roten Kreuzes« von Rechtsanwalt vr. A. Philipsborn bearbeiteter »Wegweiser für deutsche Wohlfahrtspflege in Belgien« (8», Sd S., Fr. l.—) dient weniger einer Führung durch die Ausstellung als vielmehr einer allgenieinen Orientierung über die Organisation der bestehenden belgischen sozialen Institutionen und die von der deutschen Okkupation neu geschaffenen Fürsorge-Einrichtungen und gibt zugleich eine gedrängte Übersicht über die politische Geschichte, Verfassung und Verwaltung des Landes, dessen Schul wesen, wirtschaftliche Verhältnisse nsw. (Schluß folgt.) Englisches Raubsystem. In dem in Amsterdam erscheinenden »Meenvsblaä voor cken üoelr- üaiiäol« schreibt Herr 15. M. van Stocknm, Mitinhaber der Fa. W. P. van Stockum en Zoon im Haag: » ... Zu all den Schwierigkeiten und der damit verknüpften Mehrarbeit, die die erschwerte Verbindung mit dem Ausland und unfern Kolonien mit sich bringt, kommt nun auch noch die kaum glaubliche Dreistigkeit des englischen Zensors hinzu, der mit den Post sendungen, die längs des Kanals oder um Schottland herum unser Indien und amerikanisches Gebiet erreichen müssen, nach Gutdünken schaltet und waltet. Als im Februar d. I. die Reedereien gezwungen wurden, Sen dungen, in denen sich deutsche Bücher und Zeitschriften befanden, znrückznweiscn, wurde dem niederländischen Buchhandel von England befohlen, diese Ausgaben unter Kreuzband durch die Post an ihre hol ländischen Kunden und Lescgescllschaftcn in Niederl.-Jndien und dem neutralen Amerika zu befördern. Man konnte bei der Post die Krcuz- bandsendnngcn einschreibcn lassen: auch versicherten einige Bureaus gegen ziemlich hohe Prämie solche Sendungen gegen Belästigungs- nnd Beschlagnahmegefahr. Während der Monate April und Mai lief die Sache gut; im Juli jedoch erreichte mich die drahtliche Mitteilung, das; seit März keine einzige deutsche Ausgabe mehr cingetroffcn und weitere Sen dungen also einznstellcn seien. Von Lescgcscllschasten empfing ich den gleichen Bericht. Die Post behörde dahingegen unterrichtete mich nicht iibcr die Anhaltung der Pakete. Erst vor einigen Tagen erhielt ich regelmäßig jede Woche ein gedrucktes Rundschreiben des Inhalts, das; im März und April, also während der ersten Monate, in denen die neue, von England vorgcschriebene Befördernngsweise zur Anwendung gelangt war, alle von den Dampfern »Kembagan«, »Nvnoto« nsw. nach Ba tavia adressierten Sendungen in Kirkwall und die nach Amerika durch den Dampfer »Nienwe-Amsterdam« adressierten in Deal beschlagnahmt worden seien. Eine Anfstellnng zu bekommen, war nicht möglich. Soviel steht jedoch fest: alle von mir an holländische Kunden in Batavia und an den niederländischen Vizckonsnl in New djork gesandten deutschen Bücher und Zeitschriften wurden mir von der englischen Behörde wider rechtlich abgenommen, und auch andere, im Laufe der Monate Mai, Juni, Juli und August von mir an dieselben Abnehmer adressierten Sendungen fielen den englischen Räubern zum Opfer . . . « Ter Vorstand der »Vereinigung zur Förderung der Interessen des Buchhandels« fordert nun alle Mitglieder, die die gleichen Erfah rungen wie Herr van Stocknm gemacht haben, auf, das betreffende Material cinznscndcn, damit der Minister des Äußern, der seine Mit hilfe zugesagt hat, einen ernsten Protest wegen dieser Übergriffe des englischen Zensors an die englische Regierung richten kann. So lesen wir in der »Deutschen Wochenschrift für die Niederlande und Belgien«, und wir glauben gern, daß selbst den sonst so kühlen Holländern die Geduld ansgeht, wenn sie mit ansehcn müssen, wie die englische Negierung, dieselbe, die angeblich zum Schuhe der kleinen Nationen das Schwert gezogen hat, sich über alle völkerrechtlichen Be denken hinwegsetzt und tut, was sie für gut findet. Eine nicht minder deutliche Sprache, wie sie in der Zuschrift an das > lliou^sdlack voor ckon kookkanckol« znm Ausdruck kommt, führt auch Herr W. P. van Stockum j n n. im Haag, der Präsident der holländischen Tagung des Internationalen Verlegerkongresses (1910), in einem Schreiben an Herrn S. Geoffrep Williams-London, das auch die Stellung Englands zur Berner Konvention berührt. Von welcher Gesinnung alle Maßnahmen der britischen Negierung beherrscht sind, geht deutlich ans dem Einleitnngssatze des Gesetzes hervor, mit dein über alle Urheberrechte an den seit August 1914 in Deutschland und Österreich-Ungarn erschienenen Werken — also auch über die der Neutralen — zugunsten Englands verfügt wird. »Da Zweifel (!) über das Bestehen eines Urheberrechts an Werken entstanden ist, die in einem feindlichen Land während des gegenwärtigen Krieges entstanden sind« nsw., so hält sich natürlich England für befugt, diese angeblich be stehenden Zweifel zu eignem Nutz nnd Frommen auszubeuten. Das; cs sich dabei um keine leeren Drohungen handelt, und daß auch in diesem Falle auf die Interessen neutraler Staaten keinerlei Rücksicht genom men wird, zeigt der schon im Börsenblatt erörterte Fall Johannes Müller-Amsterdam, Naumanns »Mitteleuropa« betreffend. Ein Seiten stück dazu bildet die Anzeige der Fa. S. Hirzel in Leipzig über das Er scheinen eines englischen Nachdrucks von Heinrich von Treitschkes »Po litik«, der von keinem Geringeren als dem englischen Staatsmann A. I. Balfonr eingcleitct worden ist. Auch Fürst Bülows »Deutsche Politik« ist gegen Zahlung einer bestimmten Summe an das l^ulikio I rnLlee der englischen Bcntegier zum Opfer gefallen. Andere Werke werden wahrscheinlich folgen. Wenn gleichwohl der Vorstand des Börsenvereins bisher davon Abstand genommen hat, die deutsche Negierung um Vergeltnngsmaß- rcgeln zu ersuchen, so geht er dabei in Verfolg alter Traditionen von der Erwägung aus, daß keinerlei Veranlassung vorliege, ein Kultnr- wcrk wie die Berner Konvention in den Strudel dieses Weltkrieges hineinznzichen, besonders da es sich hier nicht um eine lediglich die kriegführenden Staaten angehende Angelegenheit handelt, sondern um vertragliche Bindungen, an denen in gleicher Weise auch die Neutralen beteiligt sind. Die Hoffnung des Herrn W. P. van Stockum jun. ans einen »Wechsel der Anschauungen« vermögen wir allerdings nicht zu teilen, da keinerlei Anzeigen dafür vorhanden sind, daß die großen Worte, die England so gern bei jeder Gelegenheit im Munde führt, mit seinen Taten sich auch nur einigermaßen in Einklang bringen lassen. Man würde es daher schon als einen Erfolg bezeichnen können, wenn das im folgenden abgcdrncktc Schreiben des niederländischen Verlegers, das uns von angesehener Seite zur Verfügung gestellt wurde, dazu beitragen würde, immer weitere Kreise das wahre Gesicht Englands erkennen zu lassen. Der Brief lautet in Übersetzung: Herrn S. Geoffrey Williams, London. Sehr geehrter Herr! Mit Bezug ans einige neuerliche Vorkommnisse im internationalen Buchhandel möchte ich mir in meiner Eigenschaft als Mitglied des Komitees des Internationalen Verleger-Kongresses einige Bemer kungen erlauben, die Sie, wie ich überzeugt bin. nicht falsch änffassen werden. Es ist z. B. häufig vorgckommcn, daß niederländisch-indische Dampfer auf der Fahrt von Holland nach Indien oder von Batavia nach Holland durch Schiffe der englischen Regierung angehalten und nach England gebracht worden sind. Die genannte Negierung hat cs für richtig gehalten, alle Post: Briefe, Kreuzbänder und ebenso alle eingeschriebenen Briefe und Pakete zu beschlagnahmen. Die britische Negierung hat befohlen, alle deutschen Bücher nnd Zeitschriften zu beschlagnahmen, so das; sie weder an ihre Adressen geschickt noch ihren Absendern znrückgcgebcn werden können. 1299