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Nichtamtlicher Theil. Dürfen Pestalozzivcrrine zur Förderung ihrer wohlthätigen Zwecke Buchhandlungen gründen und betreiben? Unter dieser Aufschrift reproducirt die „Mecklenburgische Schulzeitung" den im Börsenblatt vom 16. Februar enthaltenen Artikel „Schlimme Aussichten für den badischen Buchhandel" und bringt dann folgende, sehr zutreffende Betrachtungen über die vorstehende Frage: »Zur Ehre des Lehrerstandes hoffe ich, daß nicht allzu viele seiner Mitglieder diesem angekündiglen und in gar selbst süchtiger Weise empfohlenen Unternehmen zustimmen und dienen werden; denn die „gestellte Ausgabe" desselben: „für Her stellung und Verkauf sämmtlicher Schulartikel das Monopol an sich zu reißen" und dadurch Hunderte von be stehenden Geschäften zu schädigen und alsbald todt zu machen, würde in ihrer Ausführung eben nichts Anderes und nichts weniger sein, als ein socialer Ranbzug. Aber dürfen denn die Pestalozzivereine zur Förderung ihrer wohlthätigen Zwecke nicht auch Buchhandlungen gründen und betreiben? „Warum denn nicht?" werden Manche sogleich fragen; „warum sollte ein Pestalozziverein nicht ebenso Wohl eine Buch handlung etabliren und betreiben dürfen, wie jeder Andere, zu mal im Interesse eines so wohlthätigen Zweckes? Concurrenz muß jedes Geschäft sich gesallen lassen, also auch der Buchhandel. Letzteres ist schon recht und deshalb auch nichts dagegen einzuwenden. Es ist die gestellte Frage bisher auch nur vom Standpunkte der allgemeinen geschäftlichen Concurrenz erörtert und beantwortet worden, und von diesem Standpunkte aus sage auch ich: Concurrenz ist gut und muß sein. Aber es kommt in dieser Angelegenheit doch viel, ja alles daraus an, wer in Con currenz tritt und in welcher Art und Weise dieselbe betrieben wird. So kann auch nicht „jeder Andere" eine geschäftsmäßige ordentliche Buchhandlung gründen und betreiben, sondern — auch hier, wie in jedem andern Geschäft — nur ein „gelernter" Buchhändler. Auch ein Lehrer kann cs nicht; will oder soll er es: so muß er sein Lehramt aufgeben und den Geschäftsbetrieb des Buchhandels erst erlernen, und will und kann er das nicht, so muß er einen Buchhändler als Geschäftsführer engagiren und durch diesen seinen Buchhandel betreiben lassen, wie jeder andere ordentliche Buchhändler sein Geschäft betreibt. Dann wird gegen die von ihm geübte Concurrenz auch nichts einzuwenden sein, auch nicht, wenn er im Interesse des Pestalozzivereins sein Ge schäft betreibt. Also nicht gegen eine geschäftsmäßige Concurrenz an und für sich ist etwas zu sagen, Wohl aber in manchen Fällen gegen die Art und Weise ihres Betriebes, und in dieser Hinsicht ist die Concurrenz einer Buchhandlung der Pestalozzivereine, die ein Netz von Agenturen über das ganze Land oder eine ganze Provinz in Stadt und Dors ausspannen, für die bestehenden Buchhand lungen und Buchbindereien eine höchst gefährliche, so daß man letzteren es nicht verdenken darf, wenn sie gegen dergleichen Unter nehmungen mit aller Kraft entschieden Front machen, wie die Kaufleute gegen Wunder- und Schleuderlager und die Gewerbe treibenden gegen den Handel mit Zuchthausartikeln ausge treten sind. Sehen wir zunächst den Vertrieb einer vom Pestalozziverein geführten Sortimentsbuchhandlung mit noch sonstigen Schul artikeln etwas näher an. Wenn sie die Schulbücher von den Verlegern und die sonstigen Schulartikel aus den Fabriken auch nicht billiger beziehen und ordnungsmäßig auch nicht billiger verkaufen kann und darf, als andere Sortimentsbuchhandlungen und Buchbindereien, und wenn sie ihren Agenten für Porto w. auch 10"/„ von der Berkaufssumme gewährt: so wird sie doch noch immerhin, eben weil sie mit so zahlreichen Agenten in Städten und Dörfern — in abgegrenzten, leicht zu übersehenden und auch zu beherrschenden Kreisen — arbeitet, mit Agenten, die außer dem Prositchen für sie selber auch noch zugleich für ihre der- einstigcn Wittwen und Waisen fürsorglich wirken, einen erkleck lichen Gewinn für die Casse des Pestalozzivereins zu Wege bringen. Aber ein solcher Handel darf doch nicht allein in Hinsicht ans den Gewinn für die Vereinscasse, es muß derselbe doch auch und noch vielmehr in Betreff des Händlers — des Lehrerstandes betrachtet und beurtheilt werden. Und da fragt es sich doch: ist der Lehrerstand, dessen Mitglieder sür ihren Lebensunterhalt im Ganzen doch zeitlebens sichergestellt sind und deren Wittwen und Waisen doch auch einigermaßen — wenn auch nicht hin reichend — vom Staate oder von den Communen versorgt werden —: ist dieser Beamtenstand berechtigt und darf er im Interesse seiner Vereins- und Hllsscasse sich erlauben, so viele nicht also gesicherte Geschäftsbetriebe (mit ihren Familien, Wittwen und Waisen) zu schädigen und mehr und mehr lahm zu legen? Ich muß diese Frage entschieden verneinen: ans sittlich socialen Gründen und Standes und Ehren halber dürfen Pestalozzivereine im Interesse der beruflichen Stellung und Wirksamkeit des Lehrerstandes Sortimentsbuch handlungen nicht betreiben. Aus diesen Gründen darf im Interesse unserer Wittwen und Waisen die Casse der Pestalozzi vereine nicht gefüllt werden aus der Schädigung und dem Ruin bisher bestehender ordentlicher Geschäfte zur Versorgung ihrer Familien — Wittwen und Waisen. Der heil. Crispin darf nicht wieder Leder stehlen, um daraus den Armen Schuhe zu machen. Und gegen eine Verlagsbuchhandlung der Pestalozzi vereine, welche der Casse dieser Vereine noch mehr Geld zusühren würde, als eine Sortimentsbuchhandlung, sprechen nicht nur dieselben Gründe, sondern tritt noch viel stärker auf das Interesse der Schulen. Ein Schulbuch, das der Pesta lozziverein herausgibt und vertreibt, wird eben durch seinen schon oben bezeichneten, über das ganze Land ausgebreiteten und so mächtig wirkenden Vertriebsapparat — durch seine zwiefach interessirten und engagirten Agenten — in die Schulen Hinein getrieben; denn Lehrer sind auch nur Menschen. Ein in solcher Weise vertriebenes Buch vertreibt gar leicht ein anderes seines gleichen aus den Schulen und läßt darnach kein anderes, wenn auch besseres, mehr zu. Der Verein hat dann das Monopol für den Vertrieb dieses wie jedes anderen von ihm herausgegebencn Schulbuches sactisch an sich gerissen. Es kann auch die betriebsamste Sortimentsbuchhandlung mit einem gleichartigen noch so guten und besseren Schulbuche nicht dagegen auskommen. Lrompls. sunt olliosa; sie können und sollen jedoch erforderlichenfalls erbracht werden. Und läge ein noch besseres Schulbuch im Manuscript vor: es würde kein Verleger sich finden, dasselbe in Verlag zu nehmen, eben weil der Verein den Schul büchervertrieb in Verlag und Sortiment völlig beherrschte. Kein Lehrer also würde mehr daran denken dürfen, bessere Lese-, Rechen- und Lehrbücher oder Lcitsäden zu verfassen. Jeglicher Fortschritt in der Didaktik und Methodik der Schulbücher-Literatur würde gehemmt werden und — wie der frühere k. k. oesterreichische „Schulbücher-Verlag" Decennien hindurch gezeigt hat — eine völlige Stagnation auf diesem Gebiete — Stillstand und Rück- l53*