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^ 187, 13. August 1912. Nichtamtlicher Teil. vörsnrilatt f. ». Dtschn. Buchhandel. 9301 rechte Arbeitsfreude unbekannt ist, zeigt sich vor allem bei der Berufswahl. Die Neigung, schwere körperliche Arbeit zu verrichten, nimmt ab. Das gilt nicht bloß für die Großstadt, sondern ganz allgemein. Sehr lebhaft klagt vor allem das Handwerk, daß es ihm schwer, ja vielfach unmöglich werde, einen genügend vor gebildeten Nachwuchs zu erhalten. Auch die Industrie leidet zum mindesten bei günstiger Konjunktur an einem Mangel ge lernter Arbeiter. Der Deutsche Ausschuß für das technische Schulwesen hat gerade neuerdings mit Nachdruck darauf hin gewiesen, daß e- für die mechanische Industrie außerordentlich wichtig sei, eine größere Zahl gut vorgebildeter Facharbeiter als bisher auszubilden. Damit werde die rasche Anpassung an echnische Neuerungen möglich und so eine wichtige Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf dem Weltmärkte erhalten. Während es danach vielfach an dem Nachwuchs für die ge lernten Berufe fehlt, ist der Andrang zu ungelernter Arbeit außerordentlich groß. In Berlin machen die Lauf- und Arbeits- burschen mehr als */„ in manchen rheinischen Großstädten fast die Hälfte der erwerbstätigen männlichen Jugend aus. Diese verrichten Hilfsarbeiten aller Art. Die Arbeitsstelle wird oft und rasch gewechselt, wie es Gelegenheit und Laune mit sich bringen. Der Arbeitgeber kümmert sich nicht oder nur ausnahmsweise um sie. Vor allem wird der junge Mensch viel zu früh von der Familie unabhängig. Er erhält rasch einen verhältnismäßig hohen Lohn; es ist keine Seltenheit, daß ein Fortbildungsschüler wöchentlich 15 bis 20 verdient. Anderseits steigt der Lohn nicht erheblich mit zunehmendem Lebensalter; und die Existenz bleibt dauernd unsicher. Die ungelernten Jugendlichen gehören zu der am meisten gefährdeten Schicht; sie stellen den größeren Teil der Fürsorgezöglinge. Die Erziehung dieser Massen jugend- licher ungelernter Arbeiter ist eins der schwierigsten Probleme der Gegenwart. Fortbildungsschule und Jugendpflege haben auf diesem Gebiete bedeutsame Aufgaben zu lösen. Auch wenn sie ihr Bestes tun, wird immer die erziehliche Einwirkung, die die Wahl eines bestimmten Lebensberufs ausübt, fehlen. Von größter Bedeutung ist daher, daß die Zahl der un gelernten Arbeiter nicht größer wird, als es nach den gegebenen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen unbedingt erforderlich ist. Alle Mittel, die dazu dienen können, die Jugend zum Er greifen eines »gelernten« Berufes zu veranlassen, verdienen daher ernste Beachtung. Die rechte Beratung bei der Berufswahl durch Volks- und Fortbildungsschule, durch Schularzt und Arbeitsnach- weis ist ein dringendes Bedürfnis und wird manches leisten können. Vor allem aber wird der Handfertigkeitsunterricht ge eignet sein, die Lust und Liebe zur Erlernung eines bestimmten Berufes zu erwecken. Auch im Ausland erblickt man im Handfertigkeitsunterricht das wichtigste Mittel zur Förderung der gelernten Arbeit und zur Erziehung eines berufstüchtigen Nachwuchses. Da» beweist besonders das Beispiel der angelsächsischen Länder. Gerade neuerdings erstreben in England die Unterrichtsbehörden, die sehr zahlreichen Veranstaltungen für Handfertigkeit in engere Verbindung mit dem allgemeinen Unterrichtswesen zu bringen. Im ganzen ist England in steigendem Maße bemüht, die all- gemeine und berufliche Ausbildung der Jugend zu fördern, in der Erkenntnis, daß dadurch seine Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmärkte wesentlich mit bedingt wird. Deutschland hat bei seiner weniger günstigen wirtschaftlichen Gesamtlage alle Ursache, dasür zu sorgen, daß es seinen Vorsprung auf dem Gebiete des Erziehungswesens behält. Auch aus diesem Grunde halten wir es für notwendig, der Frage des Handfertigkeitsunterrichts eine erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken und die Erziehung der Jugend zu Arbeitstüchtigkeit und Arbeitsfreude auch in den allgemein- bildenden Schulen nach Möglichkeit zu fördern. WaS liest der russische Sandmann? — Die Moskauer Gouvernements'Verwaltung bearbeitet gegenwärtig die Resultate einer sehr interessanten Enquete, deren Thema war: »Was und wie liest der Bauer?« Die überwiegende Mehrzahl der Korre spondenten gibt auf die Frage »Wie verhält sich die Dorfbevölke rung zur Lektüre?« die Antwort: »Mit großem Ernst«. »Lesen die Bauern allein für sich oder gemeinschaftlich?« Von 210 lauten 160 Antworten dahin, daß die Leser die Einsamkeit Börsenblatt fllr den Deutschen Buchhandel. 7S. Jahrgang. vorziehen. Die Erzählungen des Gelesenen würden mit großem Interesse von den übrigen gehört. »Werden Bücher religiösen oder weltlichen Inhalts bevorzugt?« Es wird festgestellt, daß geistliche Bücher nur von Greisen und bisweilen von Frauen oder, wenn auch sehr selten, während der Fasten gelesen werden. Am meisten wird Puschkin (217 Antworten) gelesen; es folgen» L. Tolstoi (211), Krylow (187), Koljzow (145), Turgenew und Nekrassow (je 138), Lermontow (125), Tschechow (116) und Gorki (104). Die beliebtesten Werke sind »Kapitanskaja Dotschka« (Die Kapitainstochter) von Puschkin und »Wosskressenije« (Auf erstehung) von L. Tolstoi. Unter speziellen Werken werden be vorzugt solche über russische Geschichte, Geographie und Reisen, Handwerk, Landwirtschaft, Medizin und Naturwissenschaften. (St. Petersb. Herold.) Der norwegische Zolltarif in der vom 1. Juli 1912 ab geltenden Fassung ist im Verlage von Gröndahl L Söns in Christiania erschienen. Kür den diesjährigen sozialdemokratischen Parteitag, der vom 15. September ab in Chemnitz stattfindet, ist folgendes Programm vorgesehen: Geschäftsbericht des Parteivorstandes (Berichterstatter Ebert und Braun), Bericht der Kontrollkommission (Kaden), Bericht der Reorganijationskommission (H. Müller), Die Reichstagswahlen (Scheidemann), Bericht der Reichstagsfraktion (Stadthagen), Der Imperialismus (Haase), Die Maifeier (Pfann- kuch), Der internationale Kongreß in Wien (Molkenbuhr), Anträge, Wahl des Parteivorstandes, des Parteiausschusses, der Kontroll kommission und de- Ortes, an dem der Parteitag 1913 statt finden soll. Der 1. deutsche Kino-«ongretz. — Im »Weihenstephan« zu Berlin fand dieser Tage eine Vorstandssitzung des Schutz verbandes deutscher Lichtbild-Theater statt, in der einstimmig be schlossen wurde, den nächsten Verbandslag in Berlin abzuhalten, und zwar im Zusammenhang mit einem Kino-Kongreß, zu dem Einladungen ergehen werden an sämtliche Kinobesitzer Deutsch lands, auch an die noch nicht dem Schutzverbande angehörenden Filmfabrikanten, Filmverleiher, die Reichs-, Staats- und Kom munalbehörden, die Lehrervereine, den Goethebund, sowie die sonstigen Bildungsvereine und Leiter wissenschaftlicher Institute, die Tages- und Fachpresse. Der mit einer Ausstellung ver bundene Kongreß soll der breitesten Öffentlichkeit Gelegenheit geben, den Kinematographen in feiner Eigenschaft als Kultur faktor ersten Ranges und seine volkswirtschaftliche Bedeutung kennen und würdigen zu lernen. Als Zeitpunkt des Kongresses wurde der 17. bis 19. Dezember dieses Jahres festgesetzt. Die de«tsche Naturforscherversammlung wird vom 15- bis 21. September in Münster i. W. tagen. Außer zahlreichen Vorträgen in den 33 Abteilungen werden in den allgemeinen Sitzungen folgende Borträge gehalten: Montag, 16. September, Prof. vr. V. Czerny-Heidelberg: Die nichtoperative Behandlung der Geschwülste; Prof. vr. E. Becher-Münster: Leben und Be seelung; Graf Arco über drahtlose Telegraphie mit Demon strationen. Freitag, 20. September, Prof. vr. Nernst-Berlin: Zur neueren Entwicklung der Thermodynamik, vr. Sarasin-Baselr Uber den gegenwärtigen Stand des Weltnaturschutzes, Prof, vr. Küttner-Breslau: Moderne Kriegschirurgie. In der Ge samtsitzung beider Hauptgruppen am Donnerstag werden Prof, vr. Correns-Münster und R. Goldschmidt-München sprechen über Vererbung und Bestimmung des Geschlechtes, W. Straub-Heidel- berg: Uber die Bedeutung der Zellmembran für die Wirkung chemischer Substanzen. In der Gesamtsitzung der naturwissenschaft lichen Hauptgruppe am 18. September werden die Professoren R. v. Wettstein-Wien, A. Czerny-Straßburg, v. Haunstein- Berlin über die Wissenschaft vom Leben in ihrer Bedeutung für die Kultur der Gegenwart referieren; in der Gesamt sitzung der medizinischen Hauptgruppe werden die Fortschritte der Serumtherapie (Referenten W. Kolle-Bern, F. Rolly-Leipzig, Mießner-Hannover) und das Odem (Klemensiewicz-Graz. Lubarsch- Düsseldorf, Ziegler-Breslau) besprochen werden. Ausflüge sind vorgesehen nach Essen zur Besichtigung der Kruppschen Gußstahl fabrik, nach Bad Oeynhausen, Salzuflen, Pyrmont oder nach 1213