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oR 12, 16, Januar 1912, Nichtamtlicher Teil, Börsenblatt I, d, Dttchn. Buchhandel. 649 das der Prinzessin Eulalia von Spanien, betitelt: -Lu Kl äs la vis-. Vorher hatte ein Depeschenwechsel zwischen der Prinzessin und ihrem Neffen, dem König von Spanien, statt- gesunden, der von den Zeitungen lebhaft kommentiert wurde. Der König hatte seine Verwunderung darüber ausgedrückt, daß das Buch ohne seine, des Familien-Oberhauptes, Ge nehmigung in Druck gegeben worden war. Die Prinzessin tele graphierte zurück, daß sie »ihr eigenes Leben leben wolle- und »veraltete Vorurteile» als nicht für sich geltend ansähe. Einige Tage später erschien jedoch ein neues Telegramm in den Zeitungen, das eine Entschuldigung und ein Widerruf der Prinzessin war, die als Tante und Spanierin nichts gegen den Willen des Königs tun wolle. Als das Buch dann doch erschien, hatte es einen großen Erfolg; zurzeit ist dis 21. Auf lage in Angriff genommen. Tür Hauptgrund gegen die Ver öffentlichung wird darin erblickt, daß das Werk ein Kapitel über Ehescheidung enthält, die nach der Lehre der katholischen Kirche nicht gestattet ist. Ein sehr interessanter Prozeß ist in diesen Tagen zur Entscheidung gekommen. Ein rumänischer Kaufmann, namens Jäckel Senio, hatte Michel Verne, den Sohn Jules Vernes und den Verleger Hetze! auf Schadenersatz von 5900 Frcs. verklagt. Die Firma Hetzet hatte nämlich vor einiger Zeit unter dem Namen von Jules Verne den Roman »I-s ttilots äu vsuubs« veröffentlicht, besten Hauptheld, ein Bandit, den Namen des obengenannten Kaufmanns führt. Das Gericht hat jedoch entschieden, daß dem Kläger kein Schaden entstanden sei, zumal die Verlagsfirma der Reklamation dadurch entsprochen habe, daß sie den Namen des Räubers in ihrem Werke umänderte. Die Beklagten wurden freigesprochen, der Kläger jedoch verurteilt, diesen einen Franc Schadenersatz zu zahlen. Während im deutschen Buchhandel die lebhafte Ge schäftszeit mit dem 24. Dezember beendet ist, beginnt sie im französischen von diesem Tage an und dauert bis Neujahr, denn entgegengesetzt der deutschen Sitte werden in Frankreich die »Ltrsuuss» (Geschenke) am Neujahrstage verteilt. Rückt diese Zeit näher, so lasten die Verleger eine große Anzahl ihrer Werke, die zu Geschenkzwecken Verwendung finden können, einbinden. Im allgemeinen kauft das französische Publikum Romane nur im broschierten Zustande, denn bei der Reichhaltigkeit dieser Art Literatur ist für den Büchcr- liebhaber eine Auswahl von vornherein geboten. Viele Amateure lassen sich zudem diejenigen Werke, die sie in ihre Bibliothek aufnehmen wollen, in einen Einband binden, der ihrer Sammlung eigentümlich ist. Der billige Leinenband für Romanliteratur ist hier fast unbekannt, man verwendet ihn in der Hauptsache nur für Schulbücher. Das französische Publikum, das in seinem Geschmack sehr konservativ geblieben ist, verlangt Halb oder Ganzlederdände, die zum großen Teil Reproduk tionen der Einbände aus der Zeit des ersten Kaiser reichs find. Obwohl diese Einbände fast ausschließ lich im Handbetrieb hergestellt werden, sind sie doch billiger als diejenigen in gleicher Ausstattung und Qualität, die von leistungsfähigen deutschen Buchbindereien angefertigt werden, wo der Hauptanteil der Arbeit durch Maschinen geleistet wird. Ein Grund für die Billigkeit mag darin liegen, daß in den französischen Buchbindereien viel Frauenarbeit in Anwendung kommt. Wegen der niedrigen Preise der französischen Einbände lassen die meisten be deutenden Überseefirmen Romane zu Tausenden in Paris binden, da für sie trotz Transportkosten und Zoll der Bezug von hier immer noch billiger ist als der an Ort und Stelle. Börsenblatt jtlr den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. Einige Buchbindereien, die den künstlerischen Einband besonders pflegen, wie Pagnant oder Rens Kieffer, leisten in ihrem Fache wirklich Vorzügliches, nur dürften diese Firmen ihre deutschen Kollegen bezüglich des Preises stets übertreffen. Es gibt jedoch eine andere Literaturgattung, für die nach Ansicht der Franzosen ein Leineneinband unerläßlich ist. Es sind dies die »livrss äs prix-, die in den Schulen als Prämien zur Verteilung kommen. Die genannten Werke werden in Oktaoformat hergestellt, auf dickes, meist recht holzhaltiges Papier gedruckt und mit vielen Illustrationen geschmückt. Als Einband wählt man eine rote Leinendecke mit viel Goldaufdruck; natürlich werden die Bücher auch mit Goldschnitt versehen. Nach einigen Jahren bieten diese einst so schimmernden Bände einen traurigen Anblick: das Papier ist vergilbt und Goldschnitt und -Aufdruck sind verblichen. Es gibt Lehrer, die versucht haben, ihren Schülern an Stelle dieser Prunkbücher andere, nach modernen Grundsätzen hergestellte Prämien zu geben. Diese waren nach Aus stattung und Format natürlich viel einfacher, wenn auch bedeutend wertvoller als die früheren Werks. Die Folge davon war jedoch, daß die Kinder sehr enttäuscht waren, so daß die Ettern wünschten, die bisherigen Prämien möchten beibehalten werden. Diesem Wunsche ist entsprochen worden, was diejenigen Firmen, die als einzige Verlagsobjekte »livrss äs xrix« führen, freudig begrüßen werden, da sie natürlich so ihre Vorräte noch räumen können. Die große Menge der alljährlich veröffentlichten »Mrsuuss« zwingt die Verleger dieser Art Werke, um die Weihnachtszeit besondere Vertriebsmittel in Anwendung zu bringen. Das Neueste in dieser Hinsicht war, daß die großen Verlagshäuser während der letzten Wochen einigen bedeutenden Kaufhäusern die in Betracht kommenden Werke in Kommis sion lieferten und gleichzeitig einen Angestellten für den Ver kauf derselben stellten. Es liegt auf der Hand, daß die Chancen des Verlegers dadurch bedeutend gestiegen sind, da seine Werke von den eigenen Angestellten viel wirksamer vorgelegt werden können, als vom Warenhauspersonal. Zu dem haben die hiesigen Kaufhäuser in den wenigsten Fällen genügend Verkäufer, die wirklich im stände wären, literarische Werke zu empfehlen. Die Angestellten der Verlagshäuser erhalten für diese Art Beschäftigung eine tägliche Zulage von einigen Francs und außerdem Prozente vom Absatz. Allem Anschein nach sind alle Beteiligten von dieser für den französischen Verleger notwendig gewordenen Einrichtung befriedigt, so daß sie wohl auch weiterhin beibehalten wird. Zum Schluß möchte ich noch eine Tatsache erwähnen, die zwar über den Rahmen dieses literarisch-buchhändlerischen Berichtes hinausgeht, aber doch die vielen Kollegen, die Paris kennen, interessieren dürfte. Es ist neuerdings verbalen, Papier und besonders Prospekte auf die Straße zu werfen. Dadurch haben jene Zeiten aufgchört, wo die Straßen von Prospekten der Restaurateure und Modewarenhäuser oder von den neuesten Feuilletons der Zeitungen, wie »I-s äonrusl», »I-s dlatiu«, »l-s ttst.it ttarigisu, rc. förmlich besät waren. Wer einmal abends auf den großen Boulevards die auf Papier in allen Farben gedruckten Prospekte in Menge auf dem Boden liegen sah, wird zugeben, daß dieser Anblick für eine Stadt wie Paris wenig rühmlich war, und verstehen, daß diese neue Polizeioorschrist vom Publikum gern beachtet wird, da sie in bedeutendem Maße zur Verschönerung von Paris beiträgt. Paris. Johannes Greßmann. ss