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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. ^ 50, 1. März 1916. der Heimat hergestellt ist. Dann treffen Briefe und Zeitungen ein, nur ganz wenige Kameraden erhalten Bücher. Wie schon mehrfach an dieser Stelle von anderen Seiten angedeutet, fehlt es dem Infanteristen im Stellungskriege an Zeit zum Lesen, mehr aber noch in den Wintermonaten am Nötigsten, nämlich an Beleuchtung. Als nach einiger Zeit reichlich Lichte aus der Heimat bei den einzelnen Kameraden eintrafen, wurde auch fleißig gelesen, doch waren es immer nur Zeitungen, die aus allen Gauen des Vaterlandes bei uns zirkulierten. Auch das Weihnachtsfest mit seinen vielen tzeimatspaketchen brachte keine Bücher, nicht einmal von den vielen »Weihnachtsgrützen für das deutsche Heer«, die der Verlagsbuchhandel in großer Anzahl her vorbrachte, kam etwas zu uns. Nur ein Lehrer unserer Kom pagnie empfing ein solches Heft mit dem Wsihnachtspaket seines Lehrervcreins. Der »Hannoversche Volkskalender« 1916, der mir aus der Heimat zuflog, fand sofort Liebhaber, die sich sür die Lektüre vormerken ließen. Kalender sollen bei Soldaten sich überhaupt besonderer Beliebtheit erfreuen. Bei einem Stellungs wechsel fand ich dann in einer Nische eines Unterstandes ein wirk liches Buch: Bloems »Komödiantinnen« (Ullstein). Gern hätte ich das Exemplar für spätere Mußestunden mitgenom men, aber das unappetitliche Aussehen des Buches ließ mich davon Abstand nehmen. Immerhin war es doch einmal eine Be gegnung mit einem Buche. Bald führten mich Mängel an den Kauwerkzeugen hinter die Front nach A. Kurz vorher flatterte mir aus der Heimat noch ein rechtes Soldatenbüchlein zu, nämlich »Von Krieg, Sieg und Segen«, Gedichte von M. Feesche, das gewiß noch manchem Kameraden ein guter Begleiter geworden ist und noch werden wird. Bei meinem Einzuge in A. fiel mir gleich ein Schild »Zei 1 schristen und Bücher« in die Augen, und ich betrat erfreut die Räume dieser Kultur-Oase im kulturlosen Lande. Bescheiden genug war allerdings die Ausstellung dieser Buch handlung. Auf einer kleinen Tafel mehrere Stöße Tageszei tungen, daneben vielleicht zwei Dutzend moderner Romane, in zwei kleinen Regalen eine Reihe Ullstein-Bücher, sowie eine Reihe einer 20 «s-Sammlung mit bunten Umschlägen, hiermit war das Warenlager erschöpft. Der Verkauf wurde von einem Feldgrauen besorgt, der allerdings am Mittag den Betrieb schloß, da dann die Zeitungen, die den Hauptumsatz darstellten, meistens ausver kauft waren. — Trotz dieser Kaufgelegenheit waren Bücher aber bei den ca. 200 Quartiergenossen nicht zu entdecken, abgesehen von einem Bändchen der Hesseschen Volksbücher (Gerstäcker), das ich im Stroh versteckt fand. Nach kurzer Zeit führte mich mein körperlicher Zustand in das Kriegslazarett am gleichen Orte. Was sich hier an Lesestoff für die ca. 40 Kranken vorfand, läßt sich leicht aufzählen. 2 Bände Kürschners Bücherschatz, 1 Bändchen einer Schundsammlung, ein »Rätselbüchlein für unser« Feldgrauen« und ein »Weihnachts- grutz für deutsche Krieger«. — Drei Tage später befand ich mich im Lazarettzuge nach P. An den Seiten der Lagerstätten befanden sich Zeitungshalter mit uralten Zeitungen, einigen Heften der Hillgerschen Jugendbücher und einem zerfetzten Exemplar von Scheffels Frau Aventiure, das aber scheinbar nicht durch Lektüre in diesen Zustand geraten war. — Nur auf dem Tisch des be gleitenden Sanitäters gab es einen Lichtblick: neben einigen Re- clam-Bändchen lag dort sogar ein tadellos neues Exem plar von Raabes Wunnigel. — Das Kriegslazarett in P. nahm mich für einige Tage auf. Ein Bändchen Hesses Volksbücher (Torpedofahrten) und Jensens Hunnenblut (Reclom) waren die Ausbeute, die meine spähenden Augen auf meinem Krankenzimmer machten. Vermutlich waren diese Bändchen auch nur von frühe ren Insassen dort zurückgelassen worden. Erwähnen möchte ich noch meine Bekanntschaft mit einer russischen Buchhandlung in P. Ein Schild in russischer und pol nischer Sprache zeigte mir das Vorhandensein einer solchen an. Sonst bot sich allerdings kein Anhalt dafür, denn in den Schau- fenstern fanden sich nur Zigaretten, Schokolade, Obst und Solda- ten-Bedarfsartikel ausgestellt. Im Innern deutete nur eine Wand mit gefüllten Bücherregalen (russische Schulbücher und Klassiker) auf den Buchhandel hin. Die übrigen Schränke und di« Laden- tafei wurden von den gleichen Waren, die sich im Schaufenster be- 226 fanden, eingenommen. Die Bücher befanden sich sämtlich in wenig schönem Zustande; sie waren aus dem Schutt, in den sie geworfen, wieder herausgesucht worden und fristeten ein rühmloses Dasein, denn an ihrer Stelle bildeten jetzt die ge nannten nützlicheren Artikel den Umsatz dieser Buchhandlung. Eine endlose Fahrt in einem Krankentransportzug brachte mich aus Rußland hinaus der deutschen Heimat entgegen. Alles hungert« in diesen Tagen der Langeweile nach Lesestoff, aber nur die »Jugend« und der »Simplicissimus« wurden durch einen Sa nitäter im Zuge feilgeboten. In unserem Abteil konnte ein Ka merad aus seinem Besitze mit zwei Bändchen Kürschners Bllcher- schatz, einem Bändchen Weicherts Wochenbibliothek, einem Bänd chen »Feldgrauer Humor« und einem Bändchen einer Schund sammlung das Verlangen nach Lektüre einigermaßen stillen. Endlich kommt die ersehnte Ruhe, die ein längerer Aufenthalt in einem Reservelazarett des östlichen Deutschland bietet. Wie der kommt das Verlangen nach Lektüre, dem hier auch entsprochen werden kann. Aber was für ein Sammelsurium von Büchern scheint sich in die Lazarette ergossen zu haben! Man vermißt in jeder Hinsicht die liebevolle Auswahl der Bücher für die Bedürf nisse der Soldaten. Den Haupt-Bestandteil der Bibliothek bilden die Bände der berühmt gewordenen Scherlschen »Emporlese«- Bibliothek. Das Emporlesen ist jedoch mit gewissen Schwierig keiten verknüpft, da immer ein Band mit dem Schluß eines Ro mans den Anfang eines neuen enthält. Da nun die Bände über alle Krankenzimmer verstreut sind, so kann man sich denken, wie schwer es ist, Anfang und Ende zu finden. Sonst gibt es hier die üblichen alten »Woche«-Nummern, einzelne Bände der »Biblio thek der Unterhaltung und des Wissens«, dann Erzählungen von Ludwig, Verne, Wilde, Tolstoi, Seeliger, Goethes Pandora, Uhlands Herzog von Schwaben in mehr wahlloser als reichhal tiger Abwechslung. Ich bin am Ende meiner Ausführungen und komme auf den Anfangssatz derselben zurück. Dazu lese ich eben im »Börsen blatt«, daß der Württembergische Landesverein vom Roten Kreuz bis Ende Oktober 84 135 Bücher hinausgesandt hat. Auch der Württembergische Goethebund stiftete 4300 Bücher. Wenn diese Sendungen auch Wohl nur württembergischen Truppenteilen zu gute gekommen sind, so darf ich Wohl annehmen, daß auch aus anderen Landesteilen solche Sendungen gekommen sind. Es er hebt sich deshalb die Frage: Wo bleibt der reiche Segen? Fließt der Strom nur nach Westen und geht der Osten leer aus? Oder war nur ich in so verlassenen Ecken, die von dem literarischen Zustrom nicht erreicht wurden? Die Zukunft mög' es bessern I Andr. Schirmeisen, Musketier in einem Res.-Regt., z. Zt. im Lazarett, cln. kucli- uncl Kun8t8alon k^erä. >V^88, Kern. LunstaussteUnngen im Stuckttdsnter Lern. I. Serie: ker- ckinanck Hocklsr, Nox Huri si, 6uno Lmiet, Dcluarck Boss, Lmil durcklnnux, Hermann Haller, äuxnst Heer, Hermann Ilubaelisr, Lrnst ÜIssIinA, I'anl Ossrvulcl, Lvpkie Hauser, 0. k. 8mils. III. LatawK. KI. 8". 12 8. Es muß immer als ein Zeichen erfreulicher Regsamkeit angesehen werde», wenn der Buch- »nd Kunsthändler das litcratur- und kunst verständige Publikum durch Ausstellungen anzuregcn sucht, besonders in Kriegszeiten, in denen es notwendig ist, nicht nur die Gemüter hier und da von den nervenanspannenden äußeren Geschehnissen ab zulenken, sondern auch um der mehr oder minder infolge des Krieges daniedcrltegenden Kunst eine» Dienst zu erweisen. Von dieser löb lichen Absicht zeugt der gut ausgestattete Katalog, der außer Angabe der Kunstwerke auch einige Bildproben enthält. Das Buchgewerbliche ist durch Sophie Hauser und I. B. Smits (Kunstbuchbinber und Gra phiker in Zürich) mit künstlerischen Einbänden vertreten. Außer dem hat die Firma Kerd. Wyß Verlagsbände von Dds Hoves Press, Iva stelmseott press, Urs pragnv press, Eugen Dieöerichs, Jena, Tempel-Verlag, Leipzig, und Hans von Weber, München, ausgestellt, deren Verzeichnis sich ebenfalls ln dem Katalog befindet. p.