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Wenn ein Verleger so etwas in vollem Ernst versichert, so sollte man, da es sich für ihn hier um eine Berufsfrage handelt, das Vertrauen haben können, daß eine so ent schieden vertretene Überzeugung auch auf entsprechender Kenntnis der Tatsachen beruhte. Es ist befremdlich, daß solche Behauptungen von verantwortlicher Stelle aus in die Welt gesetzt werden, ganz zu schweigen davon, daß Herr Karl Robert Langewiesche den sonst leider nur zu wahren Satz auch auf die Schriftfrage glaubt anwenden zu sollen: »Wir Deutschen haben ja von jeher eine besondere Begabung dafür besessen, erst aus einer Mücke einen Elefanten zu machen und uns dann um dieses Elefanten willen gegen seitig die Köpfe einzuschlagen.- Man könnte glauben, daß, wer als Fachmann so erhaben urteilt, ein besonders abge klärtes Urteil haben müßte, wenn nicht so oft das Gegenteil der Fall wäre. In keinem andern Volk findet man eine solche Geringschätzung bodenständiger Entwicklung; aber auch bei uns ist das heute schon anders geworden, und wir brauchen nicht mehr besorgt zu sein, daß derartige Mißgriffe als solche erkannt werden. Unsere internationale Lage zwingt uns zur Zusammenfassung aller nationalen Kräfte. Heute wissen wir, daß unsere Druckschrift kein Versalls- produkt, keine verschnörkelte Mönchsschrift ist, wie Jakob Grimm noch wähnte, sondern die organische Weiterbildung der allgemeinen gotischen zu einer neuen, unbestreitbar national deutschen Schrift, die lebensvolle Schöpfung Albrecht Dürers und seines Kreises, der deutschen Renaissance. Sie hat mit dem Stil der lediglich den Hand schriften nachgebildeten gotischen Druckschrift kaum etwas mehr gemein, hat vielmehr diese wie die Schwabacher Druckschrift im 16. Jahrhundert vermöge ihrer bis heute unübertroffenen künstlerischen Anpassung an die besonderen Bedürfnisse unserer Sprache binnen weniger Jahrzehnte vom deutschen Boden fast völlig verdrängt und ist nun durch vier Jahrhunderte in leisen Wandlungen mit dem Barock und durch die Bieder meierzeit als die deutsche Druckschrift bewährt. Sie allein meint der Drucker, wenn er (im engeren Sinne) von Frak tur spricht. Erst der Humanismus schuf in Italien, künstlich aus die schönen alten Inschriften der Römer und auf die durch die karolingischen Mönche hergestclllen Abschriften lateinischer Handschriften, die man sür die ursprünglichen Handschriften der Römer selbst hielt, zurückgreifend, die Lateinschrift, heute vom Drucker Antiqua genannt. Diese ist also nicht, wie die deutsche Schrift, das lebensvolle Endergebnis einer ununterbrochenen fortschrittlichen Entwicklung, sondern sie stellt die Rückkehr zu einer längst überwundenen Entwicklungsstufe der Mönchsschrift dar, ein alle natürliche Weiterentwicklung und Anpassung verleugnendes Produkt italienischer Gelehrten, geboren aus Haß gegen die — vor der deutschen Reform durch die Buchdruckerkunstl — für das gesteigerte Lesebedürfnis allerdings zu sehr ver schnörkelt gewesenen Schöpsungen der Schreiber des Mittel alters. Bei uns in Deutschland hat die Lateinschrift nur zwei mal, in der Zeit der Renaissance im 16. Jahrhundert und der in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, des Rationalismus, häufigere Anwendung gefunden. Beidemale hat sie nach ganz kurzer Zeit wieder zurücktreten müssen, bis sie heute, begünstigt vom Schlagwort des internationalen Verkehrs und begünstigt von der zurzeit noch lateinschriftigen Schreibmaschine, bei uns in der Fachliteratur zeitweise stärker oorgedrungen ist. Warum die Deutschen den gewaltsamen Abbruch der bis zum 16. Jahrhundert einheitlichen Schriftentwicklung nicht mitmachen konnten, so daß die — übrigens zuerst von deutschen Druckern in Italien für den Druck gegossene — italienische Humanistenschrift nur bei den romanischen Völkern und bei den Engländern zur Alleinherrschaft gelangte, ergibt sich aus unserem der platten Nüchternheit und revolutio närem Abbrechen natürlicher Entwicklung widerstrebenden Volkscharakter, aus unserem früher sichereren bodenständigen Stilgefühl — Goethe preist die deutsche Schrift als -Offen barung deutschen Gemütes!« — und aus den besonderen Anforderungen der deutschen Sprache. Die übrigen Völker konnten die Humanistenschrift mit ihren weniger charakteri stischen Wortbildern wohl ohne Schaden annehmcn. Die kurzen englischen Wörter verlangen sogar geradezu nach der ausgleichenden, verbreiternden Antiqua, und England hat deshalb auch recht breite, die Zeilen als Einheit be tonende Antiquaschnitte. Frankreich mit seinen längeren, wenn auch an Länge und Konsonantenhäufung der deutschen Sprache nicht ver gleichbaren Wörtern hütet sich, die breiten englischen Antiquaschnitte bei sich einzuführen. Zudem tut den Dienst, den bei uns die Langbuchstaben versehen, dort der Akzent, der ja lediglich der Schaffung charakteristischer, d. h. lesbarer Wortbilder dient. So hat das Stilgefühl der westlichen Völker das für ihre Sprache organische Kleid herausgefunden. Deutschland dagegen entwickelte für sich und Skandinavien ebenso zielbewußt die Fraktur weiter, die die Erbweisheit der deutschen und skandinavischen Drucker bis in die Zeiten des untergehenden Stilgefühls (2. Hälfte des 19. Jahr hunderts) treu bewahrt hat, unter dem Beifall der ganzen Welt. Sie ist in ihrer heutigen Form die Auslese aus einer unendlichen Fülle von Entwicklungsformen und da durch so unübertrefflich unserer Sprache angepaßt und allein den immer mehr gesteigerten Anforderungen an müheloseste, schnellste und kräftesparendste Erfaßbarkeit der Wortbilder gerade unserer reichen und schwierigen Sprache gewachsen durch ihren heute feststehenden Lesetypus. Man mache sich einmal an einem beliebigen Beispiel klar, was die Fraktur sür uns bedeutet. krosb Vater lalcss laos ck'saa ckouos 8ässvasssrsoov. Ist das letzte Wortbild nicht ein Kreuz für Ausländer? Müßten wir, um unsere »schwere- Sprache, soviel wir können, leichter zu machen, nicht pflichtschuldig L I'avglaiss schreiben; süss vassor sssv? Deshalb sind die folgerichtigen Lateinschriftler wie Jakob Trimm auch Rechtschreib reformer. Eins bedingt das andere. Albrecht Dürers Presse hat anders geholfen: Süßwasserseen. Ist das nicht auch für Ausländer lesbar ohne Rechtschreibreform? Skandinavien hat heute, übrigens nicht nur aus Stillosigkeit, sondern aus Engländerei und Deutschenfurcht, die Verdrängung der Fraktur schon etwas weiter gefördert als wir. Und der Erfolg? In lesctechnischer Hinsicht wie bei uns; in nationaler Hinsicht: Entfremdung gegen die Überlieferungen der deutsch skandinavischen Kulturgemeinschaft und Annäherung an Eng land. Man sündigt eben nicht ungestraft gegen alte Hand werksgesetze, die mit dem Geist der Sprache wie der nationalen Kunst zusammenwuchsen! Da die Skan dinavier in ihrem feinfühligeren und nicht deutschfeindlichen Teile den Verlust der ihrer Sprache und Geschichte ange messenen heimischen Letter bedauern, so ist unseren Antiqua- sanatikern, die ja so viel aufs Ausland geben, die Beachtung dieser schwedischen Stimmen zu empfehlen, ebenso wie die Würdigung der Tatsache, daß die deutschschweizerischen Kantone bis auf einen, durch schlechte Erfahrungen belehrt, zu der Vorherrschaft der Deutschschrist in der Schule zurückgekehrt sind. Zu empfehlen ist ihnen auch ein Besuch der Drucker pressen in Tokio, die medizinische Abhandlungen in deutscher Sprache und deutschen Lettern drucken, damit kundgebend, daß das japanische Stilgefühl feiner ist, als 117S«