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6832 Nichtamtlicher Teil. 222, 23. September 18SS. blättern und in einer großen Zahl von Modekupfern die gesamte Litteratur über das Kostüm und die Moden der älteren Zeiten wie des 19. Jahrhunderts und bietet Kostümforschern, Zeichnern, Theaterdekorateuren und allen denen, die beruflich oder für be sondere Zwecke Vorlagen und Studienmaterial über Kostüme suchen, vielseitigste Belehrung und Anregung. Arbeitszeit im Großhandel. — In der deutschen Ge schäftswelt hat man in letzter Zeit vielfach Versuche gemacht, um der englischen Arbeitszeit Eingang in die Kontore unserer Handelsplätze zu verschaffen. Eine Reihe großer Bankinstitute in Berlin, Leipzig, Bremen, Halle u. a. O. hat zunächst mit der Einführung eines 3 Uhr-Gcschäftsschlusses an den Sonnabenden den Anfang gemacht, eingedenk des in England giltigen Satzes, daß der Sonnabend dazu dienen soll, dem Körper in der freien Natur Erholung von den Anstrengungen der Woche zu bringen, während der Sonntag zur Befriedigung des eigentlichen Ruhebedürfnisses bestimmt ist. Auch an den übrigen Werktagen greift die sogenannte ungeteilte Arbeitszeit ohne Mittagspausen, wie sie in den Hamburger Groß handlungen schon seit Jahren besteht, mehr und mehr Platz. Wie der deutsch-nationale Handlungsgehilfen-Verband zu Hamburg in seinem Organ, der -Deutschen Handels-Wacht- mitteilt, forderte jüngst der Stuttgarter Handelsverein, eine Prinzipalsvereinigung, zu einem praktischen Versuche mit der Durcharbeit aus, die vor allem in größeren Städten eine erhebliche Zeitersparnis bedeutet, da sie den mehrmaligen Weg der Angestellten von ihren oft in den Vororten gelegenen Wohnungen zu den Geschäftsräumen in Wegfall bringt. Goethe und das Volk. — Bei dem großen Kommers zur Goethcfcier in Frankfurt a/M. hat Herr Oberbürgermeister Adickes in seiner Begrüßung der Gäste den Wunsch ausgesprochen, daß für eine wirksamere Verbreitung von Goethes Werken noch weiteres geschehen möge. In der That, in alle Volksschichten ist Goethe noch nicht gedrungen. Ein kritisch veranlagter Besucher des herrlichen Goethe-Festes aus dem Westen des Reiches hat nun die Frage aufgeworfen: Weiß das Volk etwas von Goethe? und schreibt darüber in der Naumannschen -Hilfe-: Eine lächerliche Frage — wird mancher antworten. Aber sie hat einen tiefernsten Hintergrund; denn diese Frage, so leicht sie von jedem Gebildeten, ja auch nur Halb- und Viertelgcbildeten beantwortet werden kann, findet bei Tausenden und Aber tausenden unserer deutschen Volksgenossen keine Antwort. Ich habe eine Privat-Umsrage unter kleinen Leuten angcstellt, um zu erfahren, ob und wieweit eine Kenntnis von Goethe in diesen Schichten der Bevölkerung vorhanden sei. Ich fragte einige dreißig Personen, wie sie mir gerade im gewöhnlichen Laufe des Verkehrslebens in den Wurf kamen, namentlich aber Land bewohner, und darf wohl behaupten, daß mein Ergebnis leicht auf einen sehr erheblichen Prozentsatz des Volkes, vorzüglich des Landvolkes, ausgedehnt werden könnte. Das Resultat meiner Umfrage war im höchsten Grade betrübender Natur. Ich stellte einfach die Frage: -Wissen Sie vielleicht, wer Goethe war?» In allen dreißig Fällen erfolgte ein glattes und unbedingtes Nein. Nur ein sechzehnjähriger Junge, der die hiesige (vorzügliche städtische) Volksschule besucht hatte und jetzt in einem Geschäft Schrciber- dienste verrichtet, hatte in der Zeitung davon gelesen und sagte: -Das soll ja ein berühmter Mann gewesen sein». Er allein wußte auch auf eine weitere Frage zu sagen, daß Schiller ein Dichter war, d. h. ein -Mann, der so Lieder macht». Eine ältere Bauersfrau vom Lande sagte: -Goethe? Wo liegt denn das? Und ein pfiffiger Metzgergeselle meinte: -Goethe? Ja, war das nicht der Schwiegersohn vom alten Tischlermeister Lehmann?» Alle übrigen, mein sechzehnjähriges Dienstmädchen aus einer kleinen, benachbarten Stadt, verschiedene Laufburschen, zwei Tagelöhner, eine Reihe von Eier, Butter u. dergl. ins Haus bringenden Bauersfrauen — hatten keine Ahnung oder keine Ahnung mehr von dem Vorhandensein eines Mannes namens Goethe. Und auch — was noch auffälliger erscheint, denn Schiller soll popu lärer sein — auch von Schiller wußte Niemand etwas. Einige Gedichte, die ich anschlug (wie -Sah ein Knab' ein Röslein stehn»), waren hier und da bekannt, aber der Name des Dichters existierte nicht im Bewußtsein dieser Personen. — Einen weiteren Beleg sür das eben Ausgeführte bildet auch ein recht komisches Vorkommnis, das aus der Goethestadt Weimar gemeldet wird. Dort kam am 28. August eine Frau nach der Stadt und blieb auf dem Goehtc- platz verwundert stehen, als sie den Festschmuck sah. Einen Vorüber gehenden fragte sie: -Was is denn da los?» — -Goethes 150. Geburtstag», war die Antwort. — -Ach gar», sagte die Frau, -ist er denn noch so halbwegs aufin Damm?» Unseren Schulen ist ein erheblicher Vorwurf nicht zu machen. Goethe wird gelehrt, einige Gedichte von ihm werden durch genommen. Aber das Wenige, was naturgemäß bis zum vierzehnten Jahre nur geboten werden kann, geht bei der dann sofort mit voller Wucht eintretenden Misere des täglichen Lebens, der rein aus das Materielle gerichteten Erwerbsarbeit augenblicklich verloren, und zwar so gründlich, daß auch nicht ein Schimmer haften bleibt, da niemand da ist, um die kleinen litterarischen Kenntnisse im Be wußtein der hart arbeitenden Menschen festzuhalten. So stehen wir schon bei sechzehnjährigen jungen Menschen vor einem fast vollendeten geistigen Vakuum. Bühnencensur in England. — Daß in dem -freien» Eng land die Bühnencensur - Verhältnisse keineswegs besser, viel eher schlimmer sind, als bei uns, ergiebt sich aus einem Artikel, den kürz lich der geistvollste englische Kritiker der Gegenwart, G. Bernard Shaw, in einer amerikanischen Zeitschrift veröffentlicht hat, und dem wir nach dem -Litterarischen Echo- (Berlin, F. Fontane L Co.) das Wesentliche entnehmen. Danach kann in England kein Stück öffentlich aufgeführt werden, bis derLord-Kammerherr bescheinigt hat, daß dessen allgemeine Tendenz nichts Unsittliches oder für die Bühne Unpassendes enthalte. Dieser Beamte, von dem das Wohl und Wehe der englischen Bühne abhängt, gehört zum Hofstaat der Königin, ist offiziell nur ihr für sein Thun und Lassen verantwortlich, in Wirk lichkeit aber, da die Majestät sich um die über den St. James-Palast hinausgehenden Pflichten dieser Würdenträger nicht kümmert, in seinem Reiche unumschränkter Herr. Er selbst läßt sich nicht dazu herab, die ihm zur Begutachtung eingesandten Stücke zu lesen, sondern überläßt dies dem -iixaminor ok Uiaz-s», einem obskuren Unterbeamten, der auf diese Weise sich zu einem der größten geistigen Machthaber in England oder in Amerika erhebt. -Andere Menschen machen Englands Gesetze; er macht das englische Drama möglich oder unmöglich und daher auch das amerikanische Drama; denn kein amerikanischer Dramatiker kann einem Despoten Trotz bieten, der ihm durch einen bloßen Wink das Bühnenrecht für England entziehen kann, das in London allein einen Wert von zwanzigtausend Dollar für ihn repräsentieren kann.» Shaw erklärt weiter, daß zu diesem wichtigen Amt keineswegs litterarisch gebildete Männer ernannt würden, nicht etwa Litteratur-Professoren oder Dramaturgen; es könne niemand in einem englischen Post amt Briefmarken verkaufen, ohne eine Prüfung bestanden zu haben, aber Examinator des Dramas könne jedermann werden, ohne irgend einen Beweis zu geben, daß er auch nur schreiben oder lesen könne. Der jetzige Inhaber des Postens sei früher Bankangestellter gewesen und bezöge nun ein Salär von ungefähr zweitausend Dollar im Jahr, außerdem aber Lesegebühren von Verfassern oder Unternehmern,« von fünf Dollar für einen Einakter an aufwärts. Mit seinem unvergleichlichen kaustischen Humor er zählt Shaw einige Beispiele von der Willkür und Beschränktheit des Herrn Censors, die wiederzugeben Raummangel leider ver bietet. Er erwähnt die List, durch die seiner Zeit bei der Shelley- Säkularfeier eine Aufführung der -Cenci» ermöglicht wurde, die Erfahrungen, die Herr Grein, der deutsche Gründer des -Inäsxsnäsvt Vüsatrs-, mit Ibsen-Aufführungen machte, und weist überhaupt auf eine Menge Dinge hin, die von der britischen Presse sorgfältig verschwiegen werden und daher nur dem Eingeweihten bekannt sind. Erste internationale Postkarten-Ausstellung in Ostende 1899. — Als weitere -Prämiierte» auf dieser Ausstellung melden sich die Lithographische Kunstanstalt und Steindruckerei von Carl Garte in Leipzig, die für hervorragende Leistungen die große goldene Medaille erhielt, und die Hofkunsthandlung von I. Velten in Karlsruhe, der ein Ehrendiplom und die große goldene Medaille zuging. Die Direktion der Ausstellung sandte uns auch jetzt die Liste der mit einer Auszeichnung bedachten Firmen. Von ca. 200 Aus stellern sind einige achtzig prämiiert worden. Wir verzichten aber darauf, die Liste hier zu veröffentlichen, da wir uns mit diesem Auszeichnungsverfahren nicht befreunden können. Das deutsche Lesebuch. — Die-Grenzboten» bringen in ihrer neuesten Nummer (38, vom 21. September 1899) eine aus führliche Besprechung des Werkes des Scminardircktors Ferdinand Bünger, -Entwickelungsgeschichte des Volksschullesebuchs. (Leipzig 1898, Dürr'sche Buchhandlung)», auf die wir alle Schulbücher verleger, die das Werk selbst noch nicht gelesen haben sollten, auf merksam machen wollen. Preisausschreiben für einen Zeitschrift-Titel. — Ein Schwindel, dem eine Anzahl von Geistlichen zum Opfer fiel, wurde unlängst in London von einem schlauen Glücksritter in Scene gesetzt. Eines Tages erschien in einer Londoner Zeitung eine Anzeige, worin dem Geistlichen, der den passendsten Titel für eine neu zu gründende Kirchenzeitung ausfindig machen könnte,