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Nr. 221 (R. 114). Leipzig, Dienstag den 23. September 1930, 87. Jahrgang, Redaktioneller TA Gustav Liebermann. Sin Pionier der Krönerschen Reform. Von Albert Carlebach, An der Wende zum 88, Lebensjahre starb in Karlsruhe am 12. August Gustav Liebermann, der frühere Inhaber der Firma A, Bielefelds Hosbuchhandlung, Gustav Liebermann war ein Württembergcr, ein Sohn des Landes, das dem deutschen Buchhandel hervorragende Zierden seines Standes geschenkt hat. Auch im Antiquariat, das der Verstorbene zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte, ist der Würt tembergs! als ausdauernder, umsich tiger und unverdrossener Arbeiter besonders geschätzt, Liebermann war am 11, August 1845 in Rottweil am Neckar als Sohn ganz einfacher Leute geboren. Er besuchte daselbst zuerst das Gymnasium und später die Ober realschule mit dem Erfolge, jedes Jahr die Schülerprämie mit nach Hause bringen zu können. Aus Nei gung zum Buche erlernte er in A. Deggingers Buchhandlung (früher Herdersche Buchhandlung) in Rott weil den Buchhandel, Nach Absol vierung einer dreijährigen Lehrzeit nahm er eine Bolontärstelle in Al bert Mosers wissenschaftlichem Anti quariat in Tübingen an, wo ihm ge stattet war, an der Universität Vor träge über Literaturgeschichte usw, zu hören, Bon Tübingen führten ihn seine Wanderjahre nach der alten Buchhändler- und großen Handels stadt Frankfurt a, M,, wo er mehrere Jahre in der weitbekannten Buch handlung und dem Antiquariat von Karl Theodor Bölcker in dem palast ähnlichen gotischen Hause als Gehilfe arbeitete. Während diesen Jahren war Frankfurt noch eine freie Reichsstadt und es war um diese Zeit schwer, eine Gehilfenstelle in dieser schönen Stadt zu finden, da der Zudrang von Prinzipalssöhnen nach Bolontär- stellen sehr groß war. Nach mehrjähriger Tätigkeit bei K, Th, Völcker trat Lieber mann aus und, um sich auch im Druckereiwesen (Stich und Litho graphie) Kenntnisse zu erwerben, trat er bei Karl Knatz, Kunst anstalt in Frankfurt ein. Diese Firma war seinerzeit bekannt durch feine Anfertigung von Rechnungsformularen, Staats- Papieren, Plakaten und Etiketten, Liebermann konnte da noch vieles lernen, was ihm später als Buchhändler und besonders als Antiquar von Nutzen war. Von Frankfurt her datieren noch die alten freundlichen Beziehungen zu den Antiquariaten Joseph Baer L Co, in Frankfurt und Ernst Carlebach in Heidelberg, Sein Wunsch, wieder nach Süddeutschland zu kommen, ging bald in Erfüllung, Stadtrat Adolf Bielefeld, Besitzer der Hüf- buchhandlung gleichen Namens in Karlsruhe, erhielt von Fr. Bolckmar in Leipzig seine Wünsche mitgeteilt und Herr Bielefeld reiste sofort nach Frankfurt und engagierte ihn aus l, Januar 1886, In der Neujahrsnacht 1866 reiste Liebermann von Frank furt ab und seine Kollegen gaben ihm das Geleit bis Mainz, wo er morgens früh auf einer Rheinfahrt bis Rüdesheim Abschied von dem Vater Rhein und der schönen Mainstadt nahm. Nach Ankunft in Karlsruhe war er einige Zeit im Sorti ment tätig, um die Karlsruher Verhältnisse und Leute kennen zu lernen. Die Bielefeldsche Hofbuchhandlung war die erste Hand lung am Platze, In dem im Weinbrenner-Stil erbauten Eck hause am Marktplatz, das die größten Schaufenster hatte, gingen der Hof und die Hofgesellschaft der Residenz, der Adel, die Gelehrten und die Sammler des Landes ein und aus. Das Geschäft )var die Lie- serstelle von. zahlreichen Behörden, des Archivs, der Hofbibliothek und der Hochschule. Im ganzen Lande war der Ruf der Firma sehr gut. Bald ging Liebermann zur Grün dung des Antiquariates über. Es ge lang ihm, einige große Bibliotheken zu erwerben, wie die von Fr, Jos, Mones, des verdienstvollen Direktors des badischen General-Landesarchives, Verfasser der Quellensammlung zur badischen Landesgeschichte und Her ausgeber der hochgeschätzten Zeit schrift zur Geschichte des Oberrheins und vieler kleinerer anderer Arbei ten zur badischen Geschichte und Al tertumskunde, ferner die Bibliothe ken des badischen Historikers und Archivrats Joseph Bader, die des badischen Staatsministers Karl Mathy und des Dichters Georg Her- wegh und die des berühmten Heral dikers Ritter Mayer von Mayerfels auf Schloß Meersburg, Die von Gustav Liebermann herausge gebenen 248 fachwissenschaftlichen Antiquariatskataloge umfassen alle Wissensgebiete und wurden in alle Weltteile an wissenschaft liche Vereine und Bibliotheken versandt. Hauptsächlich waren es die Bestände alter Schloßbibliothckcn und der Nachlaß adliger Besitzer, Liebermann war ein genauer Kenner besonders der alten badi schen Literatur und des Kupferstiches. Im Jahre 1873 wurde ihm Prokura erteilt und im folgenden Jahre wurde er Teilhaber des Geschäftes, Nachdem sich Konsul Joseph Bielefeld im Jahre 1882 vom Sortiment und Antiquariat zurückzog, um sich ganz seinem Verlage widmen zu können, übernahm Liebermann am I, Juli 1882 das Sortiment und Antiquariat und machte den lang jährigen Prokuristen Gottfried Köttel im nächsten Jahre zu sei nem Teilhaber, Bis zum Jahre 1916 wurde die Firma unter der Bezeichnung A, Bielefeldes Hofbuchhandlung (Liebermann L Co.) gemeinsam geleitet, bis Köttel aus der Firma austrat und Lieber mann das Geschäft allein übernahm. 917