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X- 75, 29. März 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. b. Dtscha vuchhaubel. vis I_eikbüc:Iien6i Die Rahmenbestimmungen der Reichsschrift tumskammer und das Leihbüchereigewerbe. Am 7. Februar 1934 hat der stellvertretende Präsident der Reichsschristtumskammer, Herr Dr. Wismann, eine bedeutungs volle Unterschrift vollzogen. Die Rahmcnbestimmungen für die Ausübung des Leihbüchereigewerbes wurden in Kraft gesetzt. Die langwierigen Verhandlungen der letzten Monate und die Ver suche, dem völlig desorganisierten Leihbüchereigewerbe einen neuen inneren Halt und die Möglichkeit zu einer straffen Fachorgani sation zu geben, haben damit einen Abschluß gesunden und ein erstes Ziel erreicht. Zur Vorgeschichte ist zu bemerken, daß der vom Börsenverein der Deutschen Buchhändler eingesetzte Leihbücherei-Ausschuß in seiner ersten Sitzung am 3. Februar 1934 einen Entwurf für die Rahmenbestimmungen von Herrn Dr. Hasper, dem Referenten der Reichsschristtumskammer für Leihbüchereifragen, überarbeitet hat, dessen endgültige Fassung im Börsenblatt Nr. 35 vom 10. Fe bruar 1934 veröffentlicht ist. Die Bedeutung dieser Verordnung ist eine zweifache. Allgemein schaffen die vorliegenden elf Para graphen die Voraussetzung, endlich grundlegende Ordnung in das hoffnungslos aufgeblähte Leihbüchereigewerbe zu bringen. Die Möglichkeit zu einer straffen Erfassung aller Gewerbetreibenden, die Bücher ausleihcn, ist gegeben, und ein Einfluß auf den kultu rellen und kulturpolitischen Wert des Buchbestandes und die Art der Berufsausübung ist gesichert. Damit ist der Grundstein gelegt für die große volkserzieherische Aufgabe, die das Leihbücherei gewerbe im Dritten Reich auszuüben hat. Es wird jedoch langer Erziehungsarbeit bedürfen, um dem Gemisch verschiedenartigster Existenzen aus allen Ständen eine gesunde wie ideale Berufs auffassung und verantwortungsbewußte Geschäftsführung im Sinne des neuen Staates zu vermitteln. Jeder verantwortungs bewußte deutsche Leihbüchereibesitzer wird eines Tages vor die Entscheidung gestellt, zu beweisen, daß sein Beruf ihm Verpflich tung und Ausgabe zugleich ist, oder er wird mit seiner händle rischen Berufsauffassung außerhalb der neuen Standesgesetze stehen. Nur eine ideale Berufsauffassung durch straffe fachliche Erziehung seiner Mitglieder vermag dem Stand neues Ansehen und neue Blüte zu geben. Wenn die Voraussetzungen für die Besserung in unserem Stand, wie die Vor- und Ausbildung des unberufenen und fach lich nicht geschulten Leihbibliothekars, das Ausmerzen minder wertiger Buchbestände vieler Neugründungen ohne Daseinsberech tigung, verbunden mit der Festsetzung wirtschaftlich begründeter, einheitlicher Leihgebühren, durchgesührt sind, wird man im neuen Deutschland mehr verantwortungsbewußte Leihbibliothekare fin den. Sie werden die Pflichten erfüllen, die für den Mittler des Buches allgemein gelten. Der Buchhändler oder Leihbibliothekar ist kein Händler, der eine Ware verkauft oder vermittelt, sondern der Hüter der lebenden Dinge, die aus den Büchern zu uns sprechen. Er soll seinen Volksgenossen die wertvolle Literatur der Vergangenheit und das gute zukunftwcisendc Buch zugänglich machen, durch diese Erziehungsarbeit den Geschmack bilden Änd das Schlechte unterdrücken. Durch Erfüllung dieser Aufgabe wird er zum Pionier deutscher Kultur, zum Träger wertvoller Über lieferung, zum Hüter und Mittler unseres geistigen Lebens. Das ist der tiefere Sinn der Rahmenbestimmungen. Im einzelnen besagen die Bestimmungen unter § 1 und 2, daß das Lcihbüchercigewerbe ausdrücklich als Einzelgewerbe ver ankert und als Nebenerwerb nur solchen Firmen gestattet ist, deren Inhaber in ihrem Hauptberuf Mitglied eines Fachverbandes innerhalb der Rcichskulturkammer sind. Es werden also alle gemischten Betriebe, wie z. B. Zigarren-, Blumen-, Schoko ladengeschäfte und Friseure mit angeschlossener Leihbücherei für die Folge keine Erlaubnis zum Ausleihen von Büchern erhalten, vielmehr sind jene Geschäfte, die nicht den Rahmenbcstimmungen 282 entsprechen, nach 8 11 bis zum 1. Mai 1934 aufzulösen. Eine gewisse Ausnahme wird Nur für solche Orte zugebilligt, in denen keine Leihbücherei besteht. Aus diesen Orten können Anträge auf Eröffnung bzw. Weiterführung einer Leihbücherei auch von sol chen Firmen gestellt werden, die nicht der Reichskulturkammer angcschlofsen sind. Für Papierwarenhändler werden gewisse Aus nahmen zugelassen, wenn sie sich der Fachschaft »Leihbücherei« an schließen. Daß bei dieser Gelegenheit eine Vorschrift über die Ge schäftsräumlichkeiten getroffen wurde, ist selbstverständlich. Der Betrieb einer Leihbücherei darf für die Folge nur in Läden bzw. geschlossenen dazu geeigneten Räumen ausgeübt werden, nicht aber in Hausfluren, Gängen, auf der Straße an offenen Ständen. Nach K 5 muß jeder Inhaber einer Leihbücherei die Mitglied schaft der Reichsschristtumskammer erwerben, ebenso wie die An gestellten im Leihbüchereigewerbe, Buchhandel und Verlag der Reichsschristtumskammer anzugehörcn haben. Mit dieser Be stimmung ist die Voraussetzung gegeben, solche Leihbüchereien zu schließen, die sich trotz wiederholter Aufforderung nicht melden und sehr häufig die Brutstätten für Schund und Schmutz oder eine kulturschädigende Preispolitik sind. Es ist sehr zu begrüßen, daß den Leihbücherei-Inhabern die Verpflichtung auferlegt wird, sich nach Z 6 über alle Bestimmungen durch die Fachzeitschriften zu unterrichten. Für die Folge werden die beliebten Ausreden, daß die Bestimmungen über kulturelle und ständische Pflichten nicht bekannt sind, nach dieser Vorschrift nicht mehr berücksichtigt. Durch die Bestimmung des 8 7 ist die Möglichkeit gegeben, diejenigen Leihbibliotheken zu schließen, deren Bücher sich in un hygienischem Zustand befinden. Allmählich wird diese Vorschrift ihren erzieherischen Zweck erreichen und jeden verantwortungs bewußten Leihbüchercibesitzer veranlassen, seinen Lesern nur sau bere und gute Bücher zur Verfügung zu stellen. Mit der Bestimmung des § 8, daß sämtliche Bücher den Eigentumsvermerk tragen müssen, ist an den bestehenden Zu ständen kaum etwas geändert. Die meisten Leihbüchereien haben diese Maßnahme bereits durchgeführt. Sie betrifft in erster Linie die Mietsleihbüchereien, die auf diese Weise gezwungen sind, ihren Firmennamen in ihren Büchern anzubringen, die sie an kleinere und kleinste Leihstuben sehr zum Schaden der kulturellen und ständischen Berussziele vermieten. Mit dem 8 9 werden die Bezugsquellen für das Leihbücherei gewerbe festgelegt. Für Neuanschaffungen sind ausschließlich die Verlage bzw. Groß-Buchhandlungen oder Kommissionäre zuge- lassen, und zwar nur solche Firmen, die Mitglied des Börsen vereins sind. Gleichfalls werden die Leihbüchereien nur von den Firmen beziehen können, die Mitglied einer Fachorganisation innerhalb der Reichskulturkammer sind. Um Zweifel zu vermei den, muß noch darauf hingewiesen werden, daß die Leihbüchereien von ihren Kollegen selbstverständlich Dubletten kaufen können, genau so wie Antiquare Leihbücher erwerben dürfen. Jedoch ist der Verkauf oder Kauf gebrauchter Leihbücher über das Publikum aus naheliegenden Gründen nicht gestattet, um den unerfreulichen Büchermardern das Handwerk zu erschweren. Anderweitige Lie ferverträge sind zum nächsten Kündigungstermin zu lösen. Die Mietsleihbüchereien sind ausdrücklich nicht als Bezugsquellen für Neuanschaffungen genannt, denn es herrscht die Auffassung vor, daß nur Bücher, die Eigentum des Leihbüchereibesitzers sind, zum Ausleihen kommen dürfen, nicht aber, gemietete Bücherbestände, auf deren Zusammensetzung der Mieter keinen Einfluß hat. Für die Über gangszeit ist noch mit besonderen Vorschriften für den Buchbestand und Geschäftsbetrieb der Mietsleihbüchereien zu rechnen, um die schlimmsten kulturellen Schäden zu beseitigen. Nach 8 10 sind diese Bestimmungen sowie spätere Anordnun gen für Leihbücherei-Inhaber verbindlich. Es werden Ordnungs strafen für Zuwiderhandlungen angesetzt, falls die Überwachung die Durchführung solcher Ordnungsstrafen gemäß dem Reichskul- turkammer-Gesetz vom I. November 1933 notwendig macht. Auf